Das musikprotokoll hat heuer seine 45. Ausgabe bestritten – dabei liegt es auf der Hand, dass ein Festival mit einer solch langen Tradition so manche Gewohnheit fortsetzt, mit anderen wiederum bricht. So setzte sich in diesem Jahr etwa die Verbindung der sogenannten Hochkultur mit traditionellen Konzerten und den in diversen Subkulturen sowie an die Neue Musik angrenzenden Genres fort und fand noch engere Überschneidungen. Dazu trug etwa die Konzentration auf das Festivalzentrum mit seinen unterschiedlichen Räumlichkeiten bei, in denen nahtlos Konzerte mit traditionellen Mitteln auf improvisatorische und elektronische Darbietungen folgten und auch die nahegelegene Heilandskirche bespielt wurde. Dabei offenbarte sich, dass für die jüngeren VertreterInnen die Grenzen zwischen Geschichte und Gegenwart ebenso fließend verläuft wie jene zwischen diversen Genres. Interpretatorische Schwergewichte wie das Arditti Quartet und das Klangforum waren auch heuer wieder vertreten, das ORF Radio-Symphonieorchester hingegen blieb fern, obwohl der ORF als Veranstalter fungiert – möge dieser Traditionsbruch nicht zu einer Dauereinrichtung werden.
Waren in früheren Jahren trotz aller Förderung der jüngeren Generation Namen wie Georg Friedrich Haas, Friedrich Cerha oder Olga Neuwirth stets präsent, rückte man diesmal junge KomponistInnen besonders ins Blickfeld – eine Maßnahme, die sich lohnt, bekommt man so die seltene Gelegenheit, Werke aufstrebender KomponistInnen nicht nur im Abseits des Hauptprogramms kennen zu lernen. Eva Reiter etwa zählt trotz ihres bescheidenen Alters bereits zu den Bekannteren ihrer Generation und legte mit „Irrlicht“ eine Komposition vor, die mit ihrer groovigen Steigerung samt optischer Effekte durch das Blasen von bemalten Grammophontrichtern das Publikum begeisterte. Rhythmische Pulsationen finden sich, wenn auch in ganz anderer Ausprägung, auch im Schaffen von Peter Jakober, dessen Werke sowohl vom Arditti Quartet wie auch vom Klangforum zur Aufführung gebracht wurden und in denen sich eine äußerst eigenständig Gestaltungsweise offenbarte. Thomas Amanns „Territory Matters“ war entgegen gewohnter Kontinuitäten vom Wechselspiel eruptiver Ausbrüche und leisen, dabei nicht weniger energetisch geladenen Passagen geprägt und fand zu harten und dennoch schlüssigen Kontrasten. Einem größeren Publikum noch kaum bekannt dürfte die Ö1-Talentepreisträgerin und Schülerin von Beat Furrer Yukiko Watanabe sein, die sich vom akustischen Umfeld Tokyos inspirieren ließ und daraus eine wie erwartet geräuschhafte, jedoch überraschend fragile Komposition fertigte. Hohe geräuschhafte Anteile hafteten auch dem 5. Streichquartettsatz von Christian Ofenbauer an, aus denen die seltenen Akkorde zunächst herausstachen, um sich im weiteren Verlauf mit den geräuschhaften Klängen in rhythmischen Gebilden zu vereinen.
Bei einem Festival Neuer Musik darf zu seinem 100. Geburtstag und 20. Todestag auch John Cage nicht fehlen. Um aber nicht einfach Bestehendes zu rezipieren, beauftragte man dieb13, sich mit dem Schaffen des Organizers of sound, wie Cage seine Tätigkeit selbst beschrieb, auseinanderzusetzen. Heraus kam in Anlehnung an die aleatorischen Vorgangsweisen des Jubilars eine Installation mit vier Turntables, auf denen man Musik von Cage in Bearbeitung von dieb13 in unterschiedlichen Reihenfolgen und Geschwindigkeiten selbst mitgestalten konnte – Cage hätte damit vermutlich seine Freude gehabt, ebenso wie alljene, die eine Abwechslung zum gängigen Konzert gesucht haben.
Für ungewöhnliche Konzertsituationen sorgte auch Boris Hegenbart, der den Aufführungssaal zum Studio umfunktionierte. Musiker wie Martin Brandlmayr, Martin Siewert, Marc Weiser oder Felix Kubin spielten nicht auf der Bühne, sondern waren in einzelnen Sessions in der angrenzenden Bar positioniert, von wo aus ihr improvisatorisches Spiel akustisch wie auch visuell in den Saal übertragen wurde, wo Hegenbart das Gespielte live bearbeitete und das Publikum so an dem Vorgang, der üblicherweise im Studio stattfindet, teilhaben konnte. Die Suche nach neuen Konzertformen fand sich aber auch in gänzlich traditionellem Rahmen, so etwa in der Heilandskirche, wo Daniel Lercher seine missa brevis feierte: Elektronische Klänge mischten sich in langsamen Steigerungen mit Orgelklängen, bis man ihren Ursprung nicht mehr ausmachen konnte. Der zur Ruhe gemahnende Ort war es, der den jungen Elektronikmusiker zu einer zu Versunkenheit einladenden Komposition anregte.
Genreübergreifendes in den (traditionellen) Konzertsaal hinein zu holen und umgekehrt Neues zu traditionellen Orten zu bringen regte so zu einem Überdenken gängiger Konventionen an, ebenso wie die Vorträge, die teilweise auch in Interaktion mit Musikern stattfanden und so auch die oft strikte Trennung zwischen Theorie und Praxis ins Schwanken geraten ließ. Hinterfragt wurde aber auch der gängige Festivalbetrieb, dessen Finanzierung und unterschiedliche Gestaltung in unterschiedlichen Genres und durch diverse divergierende Voraussetzungen sich nur schwer unter einen Begriff subsummieren lässt. Dies etwa betonte Susanna Niedermayr in Auseinandersetzung mit dem Projekt ICAS (International Cities of Advanced Sound), das sich der Vernetzung und dem Austausch von Festivals unterschiedlicher Genres in diversen Ländern widmet. Gerade diese Vernetzung macht jene Unterschiede bewusst – gerade deren Unvereinbarkeit aber mag es sein, die neue Möglichkeiten erschließen lässt. Möge das musikprotokoll in seiner nächsten Ausgabe diesen eingeschlagenen Weg weitergehen. (dw)