„Zehn Jahre Zentrum für Musikvermittlung – es wird gefeiert!“ – Nicole Marte im MICA-Interview

Das ZENTRUM FÜR MUSIKVERMITTLUNG (ZMV) ist seit 2010 die größte Musikschule im 14. Bezirk in Wien mit insgesamt vier Standorten in Altpenzing. Am 10. Oktober 2020 feiert das ZMV sein 10-jähriges Bestehen. Nicole Marte,nstlerisch-pädagogische Leiterin des ZENTRUMS FÜR MUSIKVERMITTLUNG, sprach mit Veronika Prünster und blickt mit ihr zurück auf zehn Jahre Erfolgsgeschichte, Höhen, aber auch Tiefen des Vereins und wagt einen Blick in die Zukunft.

Liebe Frau Marte, zunächst herzliche Gratulation zum 10-jährigen Bestehen des Zentrums für Musikvermittlung. Wie und wann wird dieses besondere Ereignis gefeiert?

Nicole Marte: Vielen Dank für die Glückwünsche! Gefeiert wird unser Jubiläum am 10. Oktober 2020, genau am Tag der Gründung vor 10 Jahren, im Lorely-Saal in der Penzinger Straße. Zunächst gibt es einen Festakt mit musikalischen Beiträgen der Schülerinnen und Schüler des ZMV, Interviews, Einblicke und Anekdoten. Und etwas später dann ein Festkonzert mit den Musikerinnen und Musikern des ZMV. Geladen sind etwa die Rektorin der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien Ulrike Sych und Bildungsstadtrat Jürgen Czernohorszky. Als Moderatorin konnten wir die wunderbare Renate Burtscher gewinnen, die in einer Art Club-2-Atmosphäre einige unserer Gäste, Eltern, Schülerinnen und Schüler, Gönner und Förderer des Vereins interviewt und durch den Festakt leiten wird. Unser geplantes Catering bzw. Sektausschank kann leider aufgrund der gesundheitspolitischen Bestimmungen nicht stattfinden, aber es wird dennoch sicherlich ein stimmiges und aufregendes Fest für alle Beteiligten werden.

Was kann man sich unter der Bezeichnung Zentrum für Musikvermittlung vorstellen?

Nicole Marte: Der Name Zentrum für Musikvermittlung hat den Ursprung im Anliegen, alle Menschen mit unseren Angeboten zu erreichen. Diese Angebote werden von uns in drei Säulen eingeteilt: Unterricht, Konzerte und Projekte.

Im Bereich Unterricht bieten wir Instrumental- und Gesangsunterricht in zwanzig Fächern und verschiedenen Schwerpunkten für jedes Alter an. Da uns auch das gemeinsame Musizieren wichtig ist, bieten wir zusätzlich rund zehn Gruppenunterrichtsangebote für Kinder, Schülerinnen und Schüler, Jugendliche und Erwachsene an.

Weiters veranstalten wir regelmäßig Konzerte für Krabbelkinder, Familien, Schulen und allen Musikinteressierten. Dabei entwickeln wir auch eigene Konzepte, die oft von anderen Institutionen übernommen werden. Unter den Bereich Projekte fallen unsere sogenannten Outreach-Projekte, die in Schulklassen, Seniorenheimen und im öffentlichen Raum stattfinden. Ich bin sehr stolz darauf, dass wir den Unterricht für Kinder, deren Eltern sich die Unterrichtskosten nicht leisten können, dank der großzügigen Unterstützung unserer Paten mit einer Familienförderung ermöglichen.

Die Stadt Wien, in Europa die Kulturstadt schlechthin, hatte kein Musikschulangebot im 14. Bezirk mit damals 85.000 Einwohner*innen.

Was war der Beweggrund der Vereinsgründung und schlussendlich der Gründung des Zentrums für Musikvermittlung vor zehn Jahren?

Nicole Marte: Gefasst habe ich den Entschluss tatsächlich in einem ÖBB-Betriebsfahrzeug. Um zu meiner damaligen Arbeitsstelle zu gelangen, saß ich wöchentlich zwölf Stunden in öffentlichen Verkehrsmitteln. Irgendwann kam mir der Gedanke, diese Stunden doch besser nutzen zu können und wollte mich im 14.Bezirk, wo ich lebe, für eine Stelle in einer Musikschule bewerben. Und dann bin ich draufgekommen, dass es in diesem Bezirk gar keine Musikschule gibt. Die Stadt Wien, die Kulturstadt schlechthin in Europa, hatte kein Musikschulangebot im 14. Bezirk mit damals 85.000 Einwohnerinnen und Einwohnern. Als mir dies bewusst wurde, habe ich mich in das Thema hineingesteigert. So startete ich 1999 eine Unterschriftensammlung im Bezirk für die Errichtung einer Musikschule und ging im Jahr darauf zu einer großen Veranstaltung die Musikschulen Wien betreffend, um mein Anliegen vorzubringen, dass in Wien flächendeckend jedes Kind die Möglichkeit haben sollte, eine Musikschule zu besuchen. Daraufhin hat mir Dietmar Flosdorf, heutiger Senior Lecturer und verantwortlicher Koordinator und Ansprechpartner für den Fachbereich Musik im Dialog am Institut für musikpädagogische Forschung, Musikdidaktik und elementares Musizieren der mdw, die Unterstützung bei der Gründung einer Musikschule im 14. Bezirk angeboten. So legten wir im Juli 2000 mit der Gründung eines Vereins den Grundstein für unser Vorhaben.

Das heißt, dem Zentrum für Musikvermittlung geht eine andere Initiative voraus?

Nicole Marte: Ja, dem ZMV geht eine lange Geschichte voraus, denn eigentlich feiern wir 20 Jahre Initiative für eine Musikschule in Penzing. Alles begann eben im Jahr 2000 mit der Gründung eines Vereins, dem Verein zur Gründung einer Musikschule in Penzing. Zunächst haben wir Aktionen gesetzt, um die Bevölkerung darauf aufmerksam zu machen, was hier eigentlich fehlt. Da waren ziemlich provokante Aktionen dabei, etwa eine CD-Produktion aus einer Unmöglichen Musikschule u. a. mit Musikunterricht in der Straßenbahn oder im Hallenbad, eine Orchesterprobe im Gerhard-Hanappi-Stadion, dem heutigen Allianz Stadion, Solfeggio-Unterricht in einem Park mit lautem Straßenverkehr im Hintergrund, Zither-Unterricht auf der Sophienalpe und noch vieles mehr. Weiters wurde 2001 das ganze Technische Museum von uns bespielt, dabei wurden wir von Musikerinnen und Musikern aus bekannten Orchestern, Ensembles und Bands unterstützt. Im Eingangsbereich wurde Erik Saties „Vexations“, das als längstes Klavierwerk der Geschichte gilt, gespielt. Ganz nach dem Motto: „Wir sind solange lästig, bis die Stadt Wien eine Musikschule im 14. Bezirk errichtet“. Hat die Stadt zwar bis jetzt noch nicht gemacht, aber wir haben uns durch diese Aktionen im Verein als sehr gut zusammenarbeitendes Team gefunden und beschlossen, schließlich selbst eine Musikschule zu gründen.

Mozartprojekt „Pùnkitititi“ (c) Peter Andritsch

Gab es durch die Aktionen und die damit gewonnene Aufmerksamkeit Folgeaufträge für den Verein?

Nicole Marte: Den ersten großen Auftrag, den wir als Verein bekommen haben, war im Mozartjahr 2006. Der damalige Wiener Kulturstadtrat stellte uns ein Budget zur Verfügung, um eine Aktion für Kinder für das Mozartjahr umzusetzen. Daraus entwickelte sich das wunderbare Musikvermittlungsprojekt „Pùnkitititi – Mozart für Kinder“. Danach kamen laufend neue Aufträge u. a. für das Musikgymnasium Wien und dem Tonkünstler-Orchester Niederösterreich.

Wie ging es dann mit dem Verein zur Gründung einer Musikschule weiter?

Nicole Marte: Aus familiären Gründen trat ich schwersten Herzens 2008 von meiner Vereinstätigkeit zurück. Ich hatte nicht mehr die nötige positive Energie, um den Verein und die Gedanken, die dahinterstecken, vollwertig zu unterstützen. Acht Jahre lang haben wir alle so viel Engagement in diesen Verein gesteckt, und trotzdem hatte ich das Gefühl, überall nur noch anzuecken und trotz der Aktionen nichts wirklich in Richtung Musikschule weiter zu bringen. Der Verein wurde nach meinem Austritt vom restlichen Team weitergeführt, bis mich 2010 wiederum Dietmar Flosdorf bat, in die Vereinstätigkeit zurückzukommen.

Ich wollte kein freies, loses Netzwerk von Musiklehrenden, sondern ein Haus, wo sich alle treffen – ein Zentrum eben.

Aus welchem Anlass heraus wurde dann das Zentrum für Musikvermittlung gegründet?

Nicole Marte: Aus dem Verein zur Gründung einer Musikschule in Penzing hatte sich in der Zeit meiner Vereinspause so eine Art freies Lehrendennetzwerk gebildet, wo der Unterricht bei den jeweiligen Schülerinnen und Schülern zu Hause stattfand. Das wollte ich aber nie. Ich war von meiner früheren Tätigkeit als Klavierpädagogin gebrandmarkt, denn ich musste damals auch für meine Unterrichtstätigkeit von Ort zu Ort pendeln, dabei habe ich nie eine oder einen meiner Arbeitskolleginnen und -kollegen getroffen noch ein Netz aufbauen können, in dem z. B. Kooperationsprojekte möglich gewesen wären. Ich wollte kein freies, loses Netzwerk von Musiklehrenden, sondern ein Haus, wo sich alle treffen – ein Zentrum eben.

Der einzige Nachteil 2010 war, dass ich mein Team nicht mehr hatte, ich war komplett alleine. Ich weiß nicht mehr wie, aber irgendwie habe ich den Start alleine geschafft. Ich habe wortwörtlich Wände niedergerissen, um die durch einen glücklichen Zufall zur Verfügung stehenden Räumlichkeiten für Unterrichtsräume herzurichten. Ich habe mein ganzes privates Kapital in diese Räumlichkeiten und die Idee einer Musikschule gesteckt. Mieten selber von meinem Ersparten gezahlt und eigentlich sehr viel riskiert. Dann saß ich da und überlegte mir, wie soll diese Musikschule sein. Eines war ich mir sicher: Sie sollte nicht „Musikschule“ heißen, denn eines meiner Ziele war es, auch jene Kinder zu erreichen, die mit der für mich vor allem in Wien bürgerlich angehauchten Bezeichnung Musikschule bisher nichts am Hut hatten. Aus diesen Gedanken entwickelte sich der Name Zentrum für Musikvermittlung und das dahinterstehende 3-Säulen-Prinzip bestehend aus Unterricht, Konzerten und Projekten.

Rückblickend auf zehn Jahre Zentrum für Musikvermittlung, gab es eine besonders große Hürde, an der das Gesamtprojekt ZMV fast gescheitert wäre?

Nicole Marte: Ja, das waren leider die damals zuständigen Verantwortlichen der Stadt Wien. Sie haben mich ja sehr gut gekannt und gewusst, welche wertvolle Arbeit ich leiste. Sei es durch das Mozartprojekt „Pùnkitititi“, mit dem ich bewiesen habe, dass unsere Arbeit alle Kinder einschließt, als auch von meiner Arbeit bei der Jungen Akademie Wien. Als ich im Frühjahr 2010, nach zehn Jahren Vereinstätigkeit zur Gründung einer Musikschule in Penzig, vor die Magistratsabteilung 13 für Bildung und außerschulische Jugendbetreuung trat und um Unterstützung zur Gründung einer Musikschule bat, hatte ich sehr große Hoffnung, dass es endlich klappen würde. Aber nichts, da kam nichts. In dem Moment hatte ich den Tiefpunkt erreicht und der Gedanke, alles sein zu lassen, kam in mir auf. Es gab nun zwei Möglichkeiten, die für mich in Frage kamen: Entweder mache ich wie bisher weiter mit Lobbyarbeit und es kommt nie zu einem Ergebnis. Oder ich mache es einfach selbst, mit dem Risiko, dass die Stadt Wien sich komplett aus diesem Projekt zurückzieht. Durch die von Freunden motivierende und zum Weitermachen animierende Rückenstärkung habe ich mich schlussendlich für die Gründung einer Musikschule im Alleingang entschieden. Und das war die richtige Entscheidung. Heute, zehn Jahre danach, wird das Zentrum für Musikvermittlung von einem fantastischen und unglaublich starken Team getragen und alle gemeinsam setzen wir wichtige Schritte für die Zukunft.

Auf eines der ersten großen Projekte des ZMV möchte ich noch eingehen, auf das „Klingende Klassenzimmer“. Was kann man sich unter diesem Angebot für Schulklassen vorstellen?

Nicole Marte: Das „Klingende Klassenzimmer“ ist ein ganz besonderes und wertvolles Konzept des Zentrums für Musikvermittlung. Begonnen hat das Projekt, als die Singklasse der Offenen Volksschule Hadersdorf aufgelöst wurde und sich die Direktorin der Schule, auf der Suche nach einem Ersatz für dieses Angebot, an mich wandte. Gemeinsam entwickelten wir ein Konzept mit dem Ziel, den Kindern durch Erleben und aktive Teilnahme die vielfältige Welt der Klänge schmackhaft zu machen und die Freude an der Musik zu wecken, sie zu fördern sowie eine musikalische Basisbildung zu bewirken. Somit startete das Projekt im Wintersemester 2012 unter der Leitung von Katrin Auzinger, die zu Beginn wöchentlich zwei Volksschulklassen am Vormittag besuchte. Mittlerweile sind zwei Volksschulen mit insgesamt zwölf Schulklassen an diesem Projekt beteiligt und genießen wöchentlich das klingende Klassenzimmer, das seit September 2017 von der Bildungsdirektion finanziert wird. Auch wenn dieses Projekt nun vom Zentrum für Musikvermittlung ausgelagert wurde, ist es immer noch ein Herzensprojekt und ich freue mich immer wahnsinnig, wenn Kinder aus dem Klingenden Klassenzimmer zu uns ins Zentrum kommen, um dort weitere Angebote zu nutzen.

Mein Rezept ist, sich einfach von der Kunst mitreißen und sich ein Stück weit tragen zu lassen.

Wir wagen nun einen Blick in die Zukunft. Wohin entwickelt sich das Zentrum für Musikvermittlung in den nächsten zehn Jahren?

Nicole Marte: Wenn ich ganz optimistisch bin, dann läuft es so weiter wie bisher, denn mehr kann ich mir nicht wünschen. Die Entwicklung des ZMV ist fantastisch. Mein Rezept ist, sich einfach von der Kunst mitreißen und sich ein Stück weit tragen zu lassen. Allerdings hege ich schon Wünsche. Ich möchte, dass wir in zehn Jahren die Musikschule des 14. Bezirks sind, dass meine Lehrerinnen und Lehrer alle angestellt und wir Arbeitsverhältnisse haben, die den Leistungen angemessen sind. Als Musikschule des Bezirks können wir dann auch niedrigere Preise garantieren und noch mehr jene Familien erreichen, die sich einen Musikunterricht nicht leisten können. Des Weiteren werde ich sicherlich irgendwann auch die Leitung allmählich an eine Jüngere oder einen Jüngeren abgeben, die bzw. der den Geist des ZMs, nämlich die Wertschätzung jeder und jedem Einzelnen gegenüber bewahrt. Denn Priorität hat bei uns immer noch der Mensch, und nicht seine Leistungen.

Herzlichen Dank für das Gespräch!

Veronika Prünster

Links:
Zentrum für Musikvermittlung (ZMV)
Pùnkitititi – Mozart für Kinder