Von hilfreichem Wissen gegenüber skeptischen MusikerInnen – NICOLE MARTE im mica-Interview

Ein ZENTRUM FÜR MUSIKVERMITTLUNG in einem Wiener Gemeindebezirk zu gründen, der im Jahr 2006 zwar rund 85.000 EinwohnerInnen zählte, jedoch keine Musikschule beherbergte, das hat sich NICOLE MARTE vorgenommen – und erfolgreich umgesetzt. Neben Instrumentalunterricht baut das Zentrum auf Vermittlung und Konzertpädagogik für alle Altersstufen sowie auf Projekte in Schulen, sozialen und kulturellen Einrichtungen. Das Gespräch führte Barbara Semmler.

Frau Marte, warum vermitteln Sie Musik?

Nicole Marte: Aus Leidenschaft: Es war mir nie genug, ganz allein für mich Freude an der Musik zu haben, im Konzertsaal, beim Klavierüben, Chorleiten oder Singen. Die Freude vergrößert sich, sobald man sie mit anderen teilt oder das eigene Wissen im Unterricht und in der Musikvermittlung weitergibt.
Aus Neugierde: Die Vermittlungsarbeit beinhaltet auch viel Forschungsarbeit und das erweitert meine eigenen Kenntnisse über Komponistin beziehungsweise Komponist und Werk. So konnte ich manches Stück schon besser verstehen.

Aus Notwendigkeit: Zugänge zu schaffen zu klassischer Musik für alle Bevölkerungsschichten und alle Altersgruppen sehe ich als einen wichtigen und notwendigen Kulturauftrag und als eine Wertschätzung unserer europäischen Kultur.

Was sind Eckpunkte Ihrer bisherigen beruflichen Laufbahn?

Nicole Marte: Alles begann im Jänner 2006 in einem Zelt vor dem Stephansdom mit dem ersten konzertpädagogischen Auftritt zum 250. Geburtstag von W. A. Mozart. Das war der Startschuss für „Pùnkitititi – Mozart für Kinder“, dem größten Musikvermittlungsprojekt im Wiener Mozartjahr in den Nordrandsiedlungen von Wien. Danach folgten zahlreiche Engagements durch das Tonkünstler-Orchester Niederösterreich, das Symphonieorchester Vorarlberg, das Musikgymnasium Wien, den Wiener Musikverein und die Jeunesse. Dabei hatte ich die große Ehre, mit den Dirigenten Andrés Orozco-Estrada und Kirill Petrenko und den Regisseuren und Schauspielern Dora Schneider, Christoph Matl und Martin Schwanda zusammenzuarbeiten. Des Weiteren führte mich ein Projekt mit Dietmar Flosdorf – „Musik zum Anfassen“ – des Öfteren nach Südtirol, wo wir mit „Klingende Lebensgeschichten“ berührende Momente erleben durften: Kinder erarbeiteten mit Seniorinnen und Senioren in einem Altersheim ein musikalisches Programm.

Durch die Erlebnisse bei „Pùnkitititi“ konnte ich im Jahr 2010 keine herkömmliche Musikschule mehr gründen, sondern das Zentrum für Musikvermittlung Wien 14 (ZMV14), das mit Unterricht, Konzertpädagogik und Projekten weit mehr Menschen erreicht als eine „normal“ geführte Musikschule. Das ist sicherlich ein weiterer wichtiger, wahrscheinlich der wichtigste Eckpunkt in meiner beruflichen Laufbahn. Mit den fantastischen Musikerinnen und Musikern vom ZMV14 kreieren wir seither Musikvermittlungsprojekte, die weit über die Landesgrenzen hinausreichen, wie zum Beispiel „Till erzählt“ von Florian Hasenburger, das bereits in Istanbul präsentiert wurde, oder „Von Takadimien bis Bumtschakistan“ von meiner Wenigkeit, welches in Lille in Frankreich seine Uraufführung erlebte. Ganz aktuell wurde im Mai dieses Jahres nach dem Konzept von Andrea Apostoli (Konzertpädagoge aus Rom) das erste Krabbelkonzert für 0- bis 3-Jährige mit Musikerinnen und Musikern des Zentrums aufgeführt – mit großem Erfolg.

Mit welchen Herausforderungen sind Sie als Musikvermittlerin in der österreichischen Kulturlandschaft konfrontiert? Wenn Sie einen Wunsch an die Fee, die für Kulturpolitik zuständig ist, frei hätten, was würden Sie sich wünschen?

Nicole Marte: Die größte Herausforderung generell ist zunächst immer das Werk selbst: Wie vermittle ich es einer bestimmten Zielgruppe in einer Art, die nachhaltig, lust- und sinnvoll ist? Da es immer am Geld mangelt, stellt sich auch die Frage: „Wie schaffe ich es, alle notwendigen Elemente einer gelungenen konzertpädagogischen Musikvermittlung unter einen Hut zu bringen?“ Als Figur „Orgellina“ am Orgelfestival Lockenhaus war ich zum Beispiel Konzeptschreiberin, Dramaturgin, Bühnenbildnerin, Regisseurin, Maskenbildnerin, Musikerin, Workshopleiterin, Schauspielerin und Musikvermittlerin in einer Person. Das kann man nur machen, wenn man wirklich für die Sache brennt.

Durch das Zentrum für Musikvermittlung Wien 14 bin ich vor allem mit der Wiener Kulturlandschaft konfrontiert. Das Zentrum gründete ich, weil es im 14. Bezirk – damals mit circa 85.000 Einwohnerinnen und Einwohnern – keine städtische Musikschule gibt. Meiner Meinung nach wird die Musikausbildung in Wien viel zu wenig ernst genommen. Was die Musikvermittlung betrifft: Nach „Pùnkitititi“ hieß es, es werde eine Fortsetzung solcher Projekte geben, es blieb allerdings bei dem Versprechen. Dank KulturKontakt Austria und vereinzelter Förderungen vom BMBF und der Stadt Wien – MA13 können wir immer wieder auch schulische Projekte starten. Für das Projekt „Musical macht Schule“ bekamen wir auch eine Auszeichnung vom Bundesministerium. Es fehlt jedoch am nötigen Geld und am politischen Willen, mehr in diese Richtung machen zu können.

Die Fee sollte die zuständigen Politikerinnen und Politiker in Wien wachrütteln, um ihnen klarzumachen, wie wertvoll, integrativ und volksbildend gut geführte Musikschulen bzw. Zentren für Musikvermittlung sein können!

Haben Sie ein „Lieblingsprojekt“, das Sie gerne erneut durchführen möchten? Was zeichnet es aus und was wären optimale Voraussetzungen, um das Projekt wieder aus der Schublade zu holen?

Nicole Marte: Das war sicherlich das Projekt „Tonmahlerei“ – 1. Sinfonie von Gustav Mahler – mit Christoph Matl und dem Tonkünstler-Orchester Niederösterreich. Es gab sogar Überlegungen, unser Regiebuch zu veröffentlichen, damit jedes Orchester in der ganzen Welt das auch aufführen kann, aber wieder scheiterte dies an der Finanzierung.
Bei diesem Projekt gab es einfach optimale Voraussetzungen bei der Entstehung: eine gute Organisationsstruktur – „Tonspiele“ der Tonkünstler, damals mit Christina Krug –, bereitwillige, offene Orchestermusikerinnen und -musiker, genügend Probezeiten – das ist absoluter Luxus für Musikvermittlerinnen und -vermittler, sollte es aber längst nicht mehr sein! –, einen Dirigenten, der zu hundert Prozent hinter dem Projekt steht und sich die Zeit nimmt, mit Schauspiel und Regie Inhalte auszutauschen.
Optimale Voraussetzung für eine Wiederaufführung wäre natürlich die Veröffentlichung des Regiebuchs. Dann würde sich jede Dirigentin beziehungsweise jeder Dirigent bei der Umsetzung leichter tun.

Gibt es etwas, was Sie jungen Musikvermittlerinnen und Musikervermittlern, die gerade eine Ausbildung in diesem Bereich absolvieren oder am Beginn ihrer beruflichen Laufbahn stehen, mit auf den Weg geben können?

Nicole Marte: Hören: Meine Vorgangsweise bei der Ideenfindung für ein Werk beginnt beim oftmaligen Anhören des Werks. Das ist immer die Grundlage für die Erstellung eines ersten Konzepts. Danach erst folgen das Lesen der Partitur und ganz spät das Lesen von Sekundärliteratur, die oft und erstaunlicherweise nur noch die Bestätigung dessen ist, was die Komponistin beziehungsweise der Komponist schon direkt über ihr beziehungsweise sein Werk vermitteln konnte.

Wissen: Je mehr Wissen über ein Werk gesammelt wurde, umso mehr kann man aus einem Pool von Inhalten zur Vermittlung schöpfen. Oft kann dieses Wissen hilfreich sein, um skeptischen Musikerinnen und Musikern das Konzept schmackhaft zu machen.

Einfühlungsvermögen gegenüber der Zielgruppe – Kinder, Jugendliche, Schulklassen, Seniorinnen und Senioren, Lehrlinge, körperlich oder geistig beeinträchtigte Menschen, Menschen mit Migrationshintergrund … – und das Kennen ihrer Lebenswelten sind ebenso wichtige Faktoren bei der Vermittlung von Musik.

Mein Rat an die jungen Musikvermittlerinnen und Musikvermittler: Wenn man selbst von einer Idee überzeugt ist, dann sollte man sich nicht mehr allzu viel dreinreden lassen. Die eigene Überzeugung und Begeisterung für eine Art der Vermittlung sind die besten Voraussetzungen für das Gelingen eines Projekts!

Und zum Schluss eine persönliche Frage: Welches Stück beziehungsweise welcher Song begeistert beziehungsweise berührt Sie gerade und was tut das mit Ihnen?

Nicole Marte: Ein Stück gibt es nicht und es ist immer damit verbunden, wer es interpretiert und wann ich es höre. Zum Beispiel: „Oh My Dear, Oh My Darling“ von Gerd Guglhör, gesungen vom Kinderchor Penzing, „Reise um die Welt“, komponiert und gesungen von einer Klavierschülerin des ZMV14, „Marienwürmchen“ von Brahms, gesungen vom NANO-Kinderchor, „Hoamatle“, ein Traditional aus Vorarlberg, interpretiert und arrangiert von Philipp Harnisch und Berny Höchtel, Beethovens Sonate op. 31, interpretiert vom Rising Star Aaron Pilsan. Und natürlich die Musik der ZMV14-Musikerinnen und -musiker Lucia Karning – „Listen to Leena“ –, Walter Singer – „Schmieds Puls“ –, Arktis Air, Philipp Harnisch Quartett, Drummerqueen – Katharina Hofbauer, Karin Hageneder, Johannes Bohun –, Black Market Tune und Violet Spin – Paul Dangl. Und natürlich alles von Mozart, Beethoven, Bach, Mahler, Schubert, Monteverdi, Ligeti, Arvo Pärt und so weiter.

Barbara Semmler

Zur Person:
Nicole Marte aus Bregenz verbrachte ihre Kindheit u. a. in Warschau und Moskau. Sie studierte Romanistik sowie Instrumental- und Gesangspädagogik mit Schwerpunkt Klavier an der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien. 2006 war sie künstlerische Leiterin des Musikvermittlungsprojekts des Wiener Mozartjahres „Pùnkitititi – Mozart für Kinder“ und ist seit damals als Musikvermittlerin tätig.
Engagiert wurde sie u. a. von der Jeunesse, vom Tonkünstler-Orchester Niederösterreich, vom Musikgymnasium Wien, vom Wiener Musikverein und vom Symphonieorchester Vorarlberg. Sie ist Gründerin und Leiterin des Zentrums für Musikvermittlung Wien 14. Die Plattform Musikvermittlung Österreich unterstützt Nicole Marte u. a. als Mitglied des Beirats.

Foto Nicole Marte: Udo Mittelberger

Die Diskussions-, Vortrags- und Artikelreihe mica focus wird unterstützt durch die Abteilung für Wissenschafts- und Forschungsförderung der MA7 Wien.

http://www.musikvermittelt.at/