mica-Interview mit Ulrich Gabriel

Die Fülle künstlerischer und kultureller Aktivitäten von Ulrich Gabriel ist beeindruckend. Über die „unartproduktion“ werden unter anderem Bücher, Tonträger für Kinder und Erwachsene sowie DVDs publiziert. Die Themen reichen vom „Lesebuch “ zur Geschichte und Gegenwart von Vorarlberger Städten und Regionen über die Literaturzeitschrift „Miromente“ bis hin zu den „Kleinen“. In dieser Reihe wurde vor wenigen Wochen Inge Dapunts (Kunst-)buch „Gödels zweiter Unvollständigkeitssatz für einsilbige Vorarlberger“ präsentiert. In der Publikation „Protokoll eines Fußes“ betrachtet der Autor Peter Langebner den Fußball von der anderen Seite. „poesie & musik“ im Haslach bietet einen Veranstaltungsraum für heimische AutorInnen und MusikerInnen. Gauls Kinder-CDs haben Kultstatus, neuerdings gehen Gaul und Nagobert auf ihre Weise dem Dialekt auf den Grund. Im „an.chor“ und im Rahmen von „global singing“ treffen sich singbegeisterte Menschen.

Seit zwei Jahren stellt Ulrich Gabriel unter dem Leitgedanken „Heimatabend oder wie fremd heimisch wird“ Begegnungen zwischen Einheimischen und Zweiheimischen sowie Alt- und Jungheimischen in den Mittelpunkt seines kreativen Wirkens. In unterschiedlichen Veranstaltungen sollen dabei lust- und humorvolle kulturelle Begegnungen im gemeinsamen Tun und Wirken stattfinden. Über dieses Projekt, das über die Landesgrenzen hinaus die Aufmerksamkeit auf sich lenkt, erzählt Ulrich Gabriel im Gespräch mit Silvia Thurner. Darüber hinaus kommen Ulrich Gabriels künstlerisches Denken und seine Selbstsicht zur Sprache.

Kann man das Projekt „Heimatabend oder wie fremd heimisch wird“ als Fortsetzung der „Kultursprünge“ sehen?

Könnte man, aber die Kultursprünge sind inzwischen über zwanzig Jahre her, das ist eine zu lange kulturelle Trockenheit, um daran anknüpfen zu können. Die Kultursprünge waren Teil einer gestalterisch denkenden Landeskulturpolitik unter Guntram Lins, die landesweite Impulse setzte und Schwerpunktsetzungen suchte. Leider ist dieses inhaltliche Denken und Wagen in der Wackervilla seither völlig abhanden gekommen. Man macht dort lieber Groß-ARTIGES um viel Geld als sich um die Kulturlandschaft Vorarlbergs innovativ zu kümmern.

Das Heimatprojekt ist zum Glück eine Ausnahme, ein kultureller Schwerpunkt, der sich anderswo aufgetan hat. Es ist Teil der Zuwanderungspolitik unter Landesrat Schwärzler, einstimmig abgesegnet vom Integrationsausschuss. Der Träger ist ein privater Verein: die Aktion MitArbeit.

Das Fremdwort „Integration“ ist kontraproduktiv

Ein wichtiger Punkt deines Konzeptes ist die Aufweichung des Dualismus zwischen Einheimischen und MigrantInnen. Dazu hast du unter anderem die Begriffe „einheimisch und mehrheimisch“ eingeführt. Wie spiegelt sich dein Ansinnen in den Aktivitäten, die beim Heimatshuttle stattfinden?

Der in den letzten dreißig Jahren angerichtete soziologische Wörterbrei führt zu nichts sicherer als zu Missverständnis, Unklarheit und falschen Fährten. Allein das Fremd(!)wort Integration, das ich im Projekt achtsam vermeide, ist sehr kontraproduktiv, denn es zementiert falsche zwei Seiten. Integration bezeichnet nicht einen Bürger, sondern zwei Bürger: den Integrierten und den Nichtintegrierten.

Ich habe an Stelle der Sackgasse „Integration“ von allem Anfang an „Heimat und Heimisch“ gerückt. Dazu habe ich die „Sieben Heimischen“ erfunden: „Einheimisch, zweiheimisch, dreiheimisch, keinheimisch, altheimisch, jungheimisch, neuheimisch.“ Wichtig dabei: alle sind heimisch und doch unterschiedlich. Die Bezeichnungen wirken nicht nur positiv, sondern werden sofort verstanden, sind humorvoll und schaffen Nachdenkbereitschaft.

Keine Klischees transportieren

Das „Heimatprojekt“ bietet Ein- und Zweiheimischen eine Form des Zusammenkommens. Wie sind deine Erfahrungen mit den unterschiedlichen Veranstaltungen?

Mit den „Heimatabenden“ kann ich über kulturelle Begegnung Informationen, Denkanstöße geben und „d’Lüt“ zu aktivem kulturellen Erleben animieren. Wir sind mit unseren vielen Projekten nicht missionarisch unterwegs, sondern regen die Leute mit Gesang, Spiel und Humor an, über den Wandel der Heimat, ihrer Heimat nachzudenken. Und das funktioniert wirklich gut. Es freut mich auch, wenn die Westend- Breakdancer und Rapper Dario unmittelbar nach der Bizauer oder der Klostertaler Trachtengruppe auftreten, der türkische Sänger im selben Programm wie der Hofsteiger Frauenchor bestens ankommt oder Russinka, fünf zweiheimische Russinnen, neben der Bizauer Kindertheatergruppe Wölfles gefeiert werden. Neunzig Prozent der Auftretenden sind Amateure, das ist wichtig.

Auf keinen Fall möchtest du die Heimatabende als Multi-Kulti-Events verstanden wissen. Wie gelingt das?

Mit Multi-Kulti ist kein neuer Zugang zu eröffnen. Zudem stellen sich dabei die zugewanderten Kulturgruppen mitunter selbst ins exotische Out und bestätigen Tourismus-Klischees wie „Afrikaner trommeln und sind bunt. Mexikaner essen Chili & Tacos mit Sombrero … usw. Die Einheimischen haben dabei die Gaffer-Rolle.  Unsere Projekte streben den Austausch an und müssen im 60/40-Anteil einheimisch / zweiheimisch gestaltet sein.

Heimat.Schmaus – ein Erfolgsrezept

Viel Erfolg hat der „Heimat.Schmaus“, wo Menschen einander bekochen und zum Essen einladen.

Das sehr erfolgreiche Projekt „Treffpunkt Heimat.Schmaus“ wurde von Doris Knorr erfunden und findet, von ihr organisiert, bereits zum dritten Mal statt. Wichtig dabei: Es ist mehrheimisch angelegt und es können nur Frauen teilnehmen. Und das hat einen guten Grund.

In der Hypo Bank findet eine „Heimat.Talk.Show“ mit Gottfried Bechtold, Markus Kopf und Lilo Wepper-Sternik statt. Worum geht es?

Bei dieser Reihe drehen sich die Themen um den allgemeinen und individuellen Begriff „Heimat“. An Hand des sehr persönlichen Erzählens im „Heimat-Talk“ eröffnen sich interessante Zugänge und Einschätzungen, die dem spannenden Wandel von Heimat und Gesellschaft der Gegenwart an Hand interessanter Gäste mit höchst unterschiedlichen Lebensgeschichten nachspüren.

Singen mit anderen

Die Singabende „Global singing“ werden an unterschiedlichen Orten in Vorarlberg organisiert. Wer kommt zu den Singabenden und arbeitest du dabei auch mit anderen Kulturvereinen zusammen?

Die „Easy Global Singing“ Abende im Frühjahr und im Herbst statt. Etwa dreißig aus einem Pool von siebzig Personen überwiegend alt-, zwei-, weniger aber jungheimische nehmen teil. Das freie Singen wurde von Gerardo Rojas vom Verein „Tierra madura“ ins Leben gerufen. Wir besuchen auch andere Kulturvereine, wie  z.B. die Aleviten in Weiler.

Bei unserem Interview über das Chorprojekt „Wandern“ ist eine Diskussion darüber entstanden, wie der Begriff Heimat konnotiert ist. Du hast mir vorgeworfen, dich ständig gegenüber den Intellektuellen und der ‚Political Correctness Gesellschaft’ rechtfertigen zu müssen. Ist das nun ein Jahr später auch noch so?

Ich habe den Eindruck, dass auch meine politisch stets „correcten“ Brüder und Schwestern allmählich erkennen, dass mit dem links/rechts Schema nicht weiterzukommen ist. Und die „political correctness“ selbst, also die moralinsaure Sprechanweisung „was man nicht sagen darf“, wurde inzwischen als Kommunikationshindernis erkannt, mit dem man das Volk zu nichts als zum viel gefährlicheren Schweigen gebracht hat.

Zu wenig neue Ideen

Deine künstlerischen und kulturellen Projekte gehen auch aus einer kritischen Haltung gegenüber einem Kunstschaffen hervor, das auf intellektuelle Weise den innovativen Geist beschwört. Der Elfenbeinturm ist dafür ein viel zitiertes Schlagwort. Wie ist deine Meinung dazu?

Mit deiner für mich überraschenden Feststellung im ersten Satz stimme ich ganz und gar nicht überein. Ich arbeite innovativ und bin kein Kritiker, sondern geradezu ein engagierter Anhänger des Innovativen. Innovation braucht es übrigens auch im Traditionellen. Das ist ja das Problem, dass wir so wenig neue Ideen in der Darstellung des Traditionellen haben. Das eben wäre zum Beispiel eine Aufgabe der Landeskulturpolitik. Gerold Amann hat da Einiges vorgeführt. Ich mag es, über Kunst und Kultur mit Menschen in Kontakt zu treten, etwas auszudenken, es zu produzieren und vorzuführen und – natürlich so anzukommen, dass mir was abgekauft wird.

Gut behütet

Das dadaistische Denken, Schwitters, Jandl und die Wiener Gruppe sind so etwas wie eine geistige Heimat für dich. Eine Vorliebe von dir ist das Spiel mit Sprache und Musik. Inwieweit kann man deine vielen unterschiedlichen Projekte unter diesem Aspekt unter einen Hut bringen?

Die Dadaisten und die Genannten sind ein Hut, den ich gerne trage. Ich habe aber weit mehr Hüte und geistige Heimaten.  Da ist eine Mönchskapuze ebenso darunter wie Satie’s Zylinder oder der Spitzhut des Weißclowns, Brechts Arbeitermütze, die Blasmusikkappe, der Tirolerhut oder die Zipfelkappe des armen Poeten … und sonst noch so einige literarische und musikalische  Ladenhüte und fast hätt ich‘s vergessen: der Hut des Barons von Zanzenberg.

Samstag, 26. Oktober 2013, 10:30 Uhr

Reichshofsaal Lustenau
Präsentation des GSIBERGER Bild- und Schreibkalender 2014 beim Heimat.Frühschoppen
Sonntag, 3. November 2013, 17.00 Uhr
Indisches Restaurant Haslach, Dornbirn
Auftaktveranstaltung: poesie & musik 2013, Gödels zweiter Unvollständigkeitssatz

Dieses Interview ist zuerst in der Oktober-Ausgabe der Zeitschrift für Kultur und Gesellschaft erschienen.

http://www.unartproduktion.at
http://www.heimatshuttle.at