„DIGITAL – PARTIZIPATIV – SOZIAL. MUSIKVERMITTLUNG 4.0“ – BERICHT ÜBER DIE TAGUNG MUSIKVERMITTLUNG 2019 IN LINZ – Teil 2

Bei der diesjährigen Tagung Musikvermittlung stand das Thema Digitalisierung im Fokus, welches am zweiten Tag in drei verschiedenen Workshops im Ars Electronica Center auch praktische Anwendung fand. Im Workshop „Tagtool – The Digital Orchestra“ präsentierte Josef Dorninger, Geschäftsführer des Office for Media and Arts International Vienna, Austria (OMAi), das Multi-Touch-Tablet als Instrument. Ziel der hierfür entwickelten App Tagtool ist es, visuelle

Die App "Tagtool" bei der Live-Anwendung - oft auch mit Live-Musik (c) OMAi
Die App “Tagtool” bei der Live-Anwendung – oft auch mit Live-Musik (c) OMAi

Künstlerinnen und Künstler im Prozess ihres Schaffens – oft auch in Verbindung mit Musik – zu zeigen und die Möglichkeit zu geben, die App selbst auszuprobieren. Im Workshop „Digitale Medien in der Musikvermittlung und darüber hinaus“ stellte Marco Palewicz von der Musikschule der Stadt Linz Tipps zum Einsatz von digitalen Medien und Technologien im Unterricht oder auch zum Üben zu Hause vor. Palewicz teilte seine Erfahrungen, welche Apps für den Musikschulbereich interessant sind und wie man sein digitales Equipment strukturiert. Miguel Kertsman, Komponist, Musiker und Musikproduzent, brachte das Thema Digitalisierung in seinem Workshop „Music: Technology, Society, Music Presenting, Education“ auf eine neue Ebene und gab durch zahlreiche Anekdoten aus der Praxis sowie Hinweisen zu Programmen und Vorgehensweisen einen sehr persönlichen Einblick in das Musikgeschäft.

Das musikalische Rahmenprogramm der Tagung wurde zum einen durch den aktuellen Jahrgang der Studierenden des Lehrgangs Musikvermittlung gestaltet, die am Freitagabend ein vielfältiges Programm unter dem Titel „Musik erzählt Geschichten – eine lange Nacht der Hörentscheidungs- und Reimgeschichten“ darboten sowie am Samstagnachmittag das Kinderkonzert „Enki, der kleine Fisch“ aufführten, bei dem Handpuppen zum Einsatz kamen. Zum anderen stellten die mehrfach ausgezeichneten Perkussionistinnen und Perkussionisten von Los Krachos (LMS Freistadt/OÖ; Leitung: Markus Lindner) mit packenden Rhythmen und dynamischem Spiel ihr Können unter Beweis.

Demokratisierung durch Digitalisierung?

Am dritten und somit letzten Tag der Tagung wurden alle Teilnehmenden wieder an der Bruckneruniversität zusammengebracht, um mit drei weiteren Beispielen des Einsatzes von digitalen Medien in der Vermittlung von Musik abzuschließen. Davor stieg Matthias Krebs mit der Frage „Demokratisierung durch Digitalisierung?“ in einen Vortrag über die Vor- und Nachteile von Apps ein. Er unterstrich dabei, dass Digitalisierung zwar die Grundlage der Welterfahrung erweitern, diese aber nicht ersetzen könne. „Inwiefern hat sich die gesellschaftliche Anteilnahme am musikalischen Leben durch die Nutzung des Computers zum Musikmachen erweitert?“ oderInwiefern fangen Menschen an mit Musiksoftware zu arbeiten, ohne vorher Musik gemacht zu haben?“, bildeten zentrale Fragen seines Vortrags. Krebs stellte dabei fest, dass Apps im musikpolitischen Diskurs neue Möglichkeiten offenbaren und die kreative Arbeit erleichtern. Durch sein eigens gegründetes Kulturangebot app2music versucht er, Kinder und Jugendliche aktiv an kreativ-gestalterische Prozesse heranzuführen. Seine Feststellung ist, dass sich die Gesellschaft durch die zunehmende Digitalisierung in diejenigen spalte, die das Werkzeug verstehen und kreativ nutzen und diejenigen, die sich dem ausgesetzt fühlen – daher müssen die digitalen Medien in vermittlerische Prozesse integriert werden.

Die App als Kompositionstool

Instrumentenwelt / Kreativ Klangsafari in der Elbphilharmonie (c) Claudia Höhne
Instrumentenwelt / Kreativ Klangsafari in der Elbphilharmonie (c) Claudia Höhne

Von der Elbphilharmonie aus Hamburg reisten Anke Fischer und Benjamin Holzapfel nach Linz, um ihren Workshop Kreativ Klangsafari vorzustellen, in dem mit Hilfe einer App komponiert wird. Die Zielsetzung für diesen Workshop ist das elementare musikalische Erleben, die Wissensvermittlung und der Wunsch, Interesse für Musik und musikalische Aktivität zu wecken und zu fördern. In dreieinhalb Stunden erschaffen die Teilnehmenden eine Komposition, wobei ihnen zunächst die Elbphilharmonie als Gebäude gezeigt wird, anschließend daran die App vorgestellt und erklärt wird, um schließlich ein eigenes Stück mit Geräuschen aus dem Haus zu komponieren. Das einzige Werkzeug ist dabei das iPad, mit dem ein Tonvorrat durch die Aufnahme von Geräuschen in der Elbphilharmonie gesammelt wird. Dadurch wird das Gebäude neu entdeckt und selbst erschlossen, die eigenen Höreindrücke werden im Anschluss in einen künstlerisch-kreativen Prozess umgewandelt. Die Vorteile dieses Workshops liegen darin, dass ein ungehemmter Zugang und ein direktes Interesse vorausgesetzt werden können, dass selbstständig gearbeitet werden kann, ein intensiver Bezug zum Haus geschaffen wird und am Ende ein Produkt in Form eines Videos mit nach Hause genommen werden kann, an dem auch oftmals in den Schulen weitergearbeitet wird. Durch die Nutzung von Tonaufnahmen ausschließlich mit Bild liegt der Fokus jedoch stark auf dem Visuellen und es besteht eine die große Abhängigkeit von der Technik.

Die App PlayGround und die Mediathek der Hörminute

Seine Erfahrungen mit der App PlayGround teilte Matthias Krebs im Anschluss an den Vortrag von Anke Fischer und Benjamin Holzapfel von der Elbphilharmonie. Seiner Ansicht nach finde durch die Nutzung dieser App eine Konzentration auf den Moment statt, der auch durch eine spielerische Leichtigkeit zustande kommt. Die App selbst wird zum Musizierpartner, wobei die Hände das Zentrum der körperlichen Interaktion bilden. Im Vordergrund stehen Improvisation und Gestaltungsarbeit und aus seinen eigenen Beobachtungen heraus ereignen sich beim Nutzen der App Erkenntnisprozesse.

Als letztes Beispiel präsentierte Marie-Therese Rudolph die Hörminute, ein Kooperationsprojekt von mica – music austria und der Plattform Musikvermittlung Österreich. Inspiriert durch die minute of listening aus Großbritannien wurde eine Mediathek mit ausschließlich österreichischer Musik geschaffen, die für den Einsatz in Volksschulen bestimmt ist. Die Idee dabei ist, durch regelmäßiges konzentriertes Hören besseres Zuhören zu erreichen und in einen Austausch über das Gehörte zu treten. Die Hörminute ist seit Herbst 2018 online und verzeichnet bereits 270 Anmeldungen. Jede Hörminute ist variabel einsetzbar – so kann sie mit oder ohne Projektionen gehört werden, der zugehörige Text kann in der Gruppe vorgelesen oder allein gelesen werden. Die große Datenbank, die die Vielfalt der österreichischen Musik und auch Geräusche oder Tierlaute aufweist, konnte dank Klangspenden – die österreichische Musikszene spendet Kindern Klänge – und Kooperationen etwa mit Ö1 und dem Österreichischen Volksliedwerk, aufgebaut werden. Erste Evaluierungen fanden bereits statt, durch die belegt werden konnte, dass die Verwendung der Hörminute messbare Effekte auf die Formulierungsfähigkeiten und auf die Konzentration der Kinder hat.

Der Zauber des Instruments?

In der abschließenden Podiumsdiskussion hinterfragte Moderator Hans Georg Nicklaus zunächst den Zauber des Instruments, den Matthias Krebs sehr wohl in einem Tablet sieht, das als „Lupe“ genutzt werden kann, um Klang anders wahrzunehmen. Auch Benjamin Holzapfel sieht einen großen Vorteil im Einsatz von Apps darin, dass meist nur wenig technisches Verständnis vonnöten ist und sie dadurch schnell zum Einsatz kommen können. Anke Fischer denkt dennoch, dass für die Auswahl der Apps eine Schulung der Musikvermittlerinnen und Musikvermittler notwendig sei, für die Elbphilharmonie wünscht sie sich im Sinne der Demokratie durch Musikvermittlung, etwas mit möglichst vielen Teilnehmenden gemeinsam machen zu können. Im Vergleich zum Workshop der Elbphilharmonie und der App PlayGround setzt das Konzept der Hörminute mehr auf eine Reduktion der Reize, da sie den Fokus auf das schlichte Hören lenken möchte. Das gemeinsame Erleben ist aber sowohl bei der Hörminute von Relevanz, so Marie-Therese Rudolph, als auch bei der App PlayGround, wobei Matthias Krebs betonte, dass die Kommunikation hier weniger verbal, sondern auf musikalischer Ebene stattfindet. Seiner Meinung nach gelingt es durch solche Apps, Menschen miteinander in Beziehung und Austausch zu bringen und sich mit Kultur auseinander zu setzen. Hans Georg Nicklaus beendete die Diskussion mit der Feststellung, dass es zu einer veränderten Bedeutung von Musik kommen muss und die vielfältigen Aspekte des Musizierens als Experimentierfeld gesehen werden sollten.

Ausblick

Als Abschluss der 4. Tagung Musikvermittlung gaben Constanze Wimmer und Sabine Reiter, geschäftsführende Direktorin von mica – music austria, einen kurzen Ausblick auf die nächste Tagung, die im Jahr 2021 in Wien stattfinden soll. Ideenvorschläge zum übergreifenden Thema „Innovation“ können an die Plattform Musikvermittlung Österreich geschickt werden.

Links:
OMAi
Miguel Kertsman
Matthias Krebs – app2music
Elbphilharmonie
Hörminute
Anton Bruckner Privatuniversität
Ars Electronica
Plattform Musikvermittlung Österreich