Musikprotokoll in Graz – "Alte" und "Neue" Musik für Orchester, Ensemble und Solisten

Ein toller Jahrgang des Musikprotokolls des ORF im steirischen herbst, bei dem wieder einmal klar wurde, welches Gewicht auch jüngere Zeitgenossen österreichischer Musik heute international einnehmen. Das Klangforum Wien hatte einmal mehr Gelegenheit, als eines der weltweit besten (Solisten-)Ensembles Neuer Musik zu glänzen, wie auch das RSO Wien (unter Peter Eötvös) als hervorragendes Orchester der ersten Spielklasse. Von Johannes Maria Staud, Mauricio Sotelo, Germán Toro-Perez, Jorge E. López, Bernhard Gander, Olga Neuwirth, Rebecca Saunders und Matthias Pintscher sowie von Bernhard Lang und Joseph Haydn hörte man erstklassige Stücke.

Das 1968 von Emil Breisach gegründete musikprotokoll wird jährlich vom Österreichischen Rundfunk veranstaltet. Inhaltlich ist das Festival der zeitgenössischen und experimentellen Musik und deren aktuellen künstlerischen Tendenzen und ihren herausragenden  Vertreter(inne)n gewidmet, wobei die Einbindung österreichischer Positionen in internationale Zusammenhänge sich als ein roter Faden durch die ganze Festivalgeschichte zieht. Einen Ehrgeiz haben gerade auch die Kuratoren Christian Scheib und Susanna Niedermayr darin entwickelt, kundschafterhaft neue Entwicklungen und Trends aufzuspüren, die dadurch erst oft den Weg zu weiteren internationalen Festivals, schließlich auch ins Repertoire von Konzertveranstaltern finden.

Schon am Donnerstag starteten im Dom im Berg die vielfältigen Events des Performance-Spezialprojektes  “Touch this Sound!”, das gemeinsam  vom Den Haager TodaysArt Festival, dem Club Transmediale und dem Grazer musikprotokoll entwickelt wurde. Da konnte man zum Beispiel im Foyer der Helmut-List-Halle vor den großen Konzerten die Konzertinstallation “Breathing Music” von Justè Janulytè und Dovydas Klimavicius bestaunen, wo die Musiker des Chordos String Quartet eingehüllt in große Plastikblasen spielten, aus denen langsam Luft abwechselnd hinein- und dann wieder hinausgepumpt wurde, was zeigen sollte, dass Musik atmen muss und Klang erst in und durch Luft existieren kann.

Das Konzert des Klangforums Wien

Unter der Leitung von Rolf Gupta (N) standen – jeweils als Uraufführungen – neue Werke von Staud, Toro-Pérez und Sotelo, weiters ein Stück von Lopez aus 1998 auf dem Programm des Klangforums-Konzertes. Johannes Maria Staud beendete vor kurzem seinen mehrjährigen Aufenthalt in London, in dem vom ihm neu revidierten Stück “One Movement and Five Miniatures” beschäftigt er sich weniger mit der Abgrenzung als vielmehr einer “symbiotischen Verschmelzung” Alter und Neuer Musik. Die spezifischen Qualitäten und Charakteristika des Cembalos (Solist: Florian Müller) bestimmen dabei nachhaltig die Interaktionen mit den anderen Instrumenten wie auch dem wichtigen “Instrument” Neuer Musik, dem Computer, der elektronische Klänge (auch Live-Elektronik) hervorrufen kann. Diese Live-Elektronik konnte im Experimentalstudio des SWR entwickelt werden (Michael Acker – Musikinformatik) und wurde von den Klangforums-Klangregisseuren Peter Böhm und Florian Bogner souverän betreut. Die in drei Gruppen halbkreisförmig vor dem verstärkten Cembalo postierten zwölf Instrumentalisten fungieren nicht nur als Begleit- oder Hintergrundfolie, sondern treten oft auch als kammermusikalische Partner hervor, besonders in Erinnerung bleibt dabei ein in sehr hohen Lagen geführtes Fagottsolo (Lorelei Dowling spielte in dem Stück aber auch profundestes Kontrafagott).

Auch für (noch größeres) Ensemble und elektronische Klänge komponiert ist “Inventario  IV” von Germán Toro-Pérez, das er mit dem Untertitel “Wespensterben” versehen und als “Hommage a José María Arguedas” bezeichnet hat. Jorge E. López steuerte “Gonzales the Earth Eater” bei, das als Solisten den Klangforumshornisten Christoph Walder an der Wagnertuba solo und vier tiefe Instrumente (Englischhorn, Klarinette, Viola und Cello) beschäftigt. Gonzales, der Erdesser ist dem Roman “The Soft Machine” von William S. Burroughs entlehnt.

Nach Staud war der zweite Höhepunkt das zum Schluss uraufgeführte Stück von Mauricio Sotelo: “Klang-Muro-for-Klangforum” ist ein Doppelkonzert für Flöte und Kontrabass (grandios: Vera Fischer und Uli Fussenegger) und der Titel bezieht sich auf eine Wand aus Licht und Klang (Muro Sonoro) und natürlich auf das Klangforum, dessen früher Mitstreiter Sotelo in den Zeiten der Anfänge in Wien war (“Meine Freundschaft mit dem Komponisten Beat Furrer brachte es mit sich, dass ich mich damals sehr rege an den Anfängen des Klangforums beteiligte und die ersten Gastspiele des Ensembles in Spanien unter meiner Mithilfe zustande kamen. . In ,unseren’ Konzerten bot sich mir die Möglichkeit, die von uns bevorzugte Musik aus erster Hand kennenzulernen und gründlich zu studieren”). Das Spiel der Soloinstrumente evoziert über weite Strecken “das breitgefächerte und strahlende Spektrum des ,cante’ – des Gesanges in den vielen Spielarten des Flamenco .        ´voz de dolor, canto de gemido'” (Sotelo). Ein wahrhaft luzides Werk!

Dagegen enttäuschte das erste Stück des um 22.00 Uhr folgenden Konzertes des Freiburger ensemble recherche nachhaltig. Eine halbe Stunde pseudomeditatives Säuseln der beteiligten Instrumente, zweimal unterbrochen durch einen brachial mit Arbeitshandschuhen auf einen Flügel einhämmernden Pianisten. “terra icognita” von Christopher Fox (GB) soll irgendwie etwas mit der Südpolexpedition von Captain Robert Falcon Scott zu tun haben. Einigen – auch dem Rezensenten – wurde es vergällt, sich noch die weiteren Programmpunkte anzuhören, die angeblich teils sehr gut waren (Rebecca Saunders’ “murmurs” (UA), Elena Mendoza “Nebelsplitter” (ÖE), nicht Jorge sondern José Manuel López López, Quin Wenchen, UA).

Das Konzert des ORF Radio-Symphonieorchesters (RSO) am Samstag

Erstmals in seiner Geschichte hat das RSO Wien einen Ersten Gastdirigenten engagiert –  “selbstverständlich ist es einer der wichtigsten Experten für das Repertoire der Gegenwart: Symbolträchtig begann Peter Eötvös sein Engagement beim ORF Radio-Symphonieorchester. Um die herausragende künstlerische Energie dieses besonderen Klangkörpers weiß auch die jüngere Komponistengeneration – Bernhard Gander benennt dies in seinem neuen Stück für das RSO gleich im Titel: Lovely Monster.”

Die Uraufführung war eine weitere Ruhmestat von Bernhard Gander, dem auch bei Wien Modern 2009 ein Portrait gewidmet werden wird und der als österreichischer Vertreter 2008 zu Donaueschingen-Ehren kam, indem in der “Ensembliade” sein Stück “Beine und Strümpfe” sowohl vom Klangforum, als auch vom Ensemble Modern einstudiert und aufgeführt wurde.  Phantastisch instrumentiert – etwa auch in den Kontrabässen – erklärt sich die sehr groß besetzte “Monster”-Musik (3 Schlagzeuger) durch sich selbst. Sie ist wirklich ein liebliches Monster, Gander charakterisiert es denn auch durch eine Reihe von Tätigkeitsverben: Es kann unter anderem “stampfen, brüllen, scharfe zähne zeigen, zubeißen, tentakeln, zu boden gehen, sich erholen, herumschlängeln, sich aufrichten, mutieren, schreien . wie ein monster . wie ein orchester”.

Nicht minder beeindruckte Olga Neuwirths Bratschenkonzert “Remnants of Song … an Amphigory” ,das für den phantastischen Bratschisten Antoine Tamestit entstand und das man bestimmt – wie das Trompetenkonzert “mirando multiplo” – nicht zum letzten Mal gehört haben wird. Tamestit spielte seinen virtuosen Part mit auch herzerwärmendem Ton, es sind fünf Charakterstücke, die auch in der Begleitung die historische Konzertform (sogar eine “Solokadenz” gibt es) zitieren und teils auch aufs Korn nehmen. Die Erfahrung von Vergangenheit und die Wahrnehmung von Gegenwart sind Gegenstand des Werks, das seinen Titel “in leichter Abwandlung auf die Publikation ,Remnants of Song, Trauma and the Experience of Modernity in Charles Baudelaire and Paul Celan’ von Ulrich Baer bezieht”, schreibt der Verlag Boosey & Hawkes. Olga Neuwirth war bei der UA in Graz selber gar nicht anwesend, da sie im Zusammenhang mit einem neuen Projekt mit Film nach New York musste. Sie hatte auf der Reise vermutlich viel Zeit zum Lesen, da sie lieber mit dem Schiff fährt als mit dem Flugzeug fliegt (das möchte man sofort auch selbst einmal erleben).

Von Rebecca Saunders hörte man “traces”, das sich darauf bezieht eine Spur zu verfolgen: “Das Unbewegliche im Leeren, das ist endlich das Sichtbare, das reine Objekt.” (Samuel Beckett, Die Welt und die Hose). Matthias Pintscher ist bekanntermaßen ein eindrucksvoller Opernkomponist. Dass er die besten Werke von Richard Strauss sehr gut kennt, bewies sein Werk “Hérodiade – Fragmente”, in dem die Sopranistin Marisol Montalvo (USA) wie ein Vulkan auch stimmlich in Erscheinung trat. Herodias verzehrt sich im Text von Mallarmé in ihrer Sehnsucht nach “sternenfernem Glanz und Demantenem”, sie ist “zerrissen durch den Antagonismus ihrer Sinnlichkeit und ihres extremen Asketismus”. Ja. VOW!

 

An Joseph Haydn kommt man nicht vorbei: Bernhard Lang und Marino Formenti

Bernhard Lang komponierte die Installation (na ja, mehr als das, eine komplexe, akribisch ausnotierte Komposition müsste man sie nennen) “Seven Last Words” nach fünf Sonaten aus dem Stück Haydns und/bzw. die eigene, wild sich aufbäumende Introduktion (Monadologie V) mit Unterstützung der Forberg-Schneider-Stiftung. Die Anregung dazu ging von dem langjährigen Klangforum-Pianisten Marino Formenti aus, der sich nunmehr ganz auf seine Solistenkarriere konzentriert.

Im Minoritensaal, nicht auf dem Podium sondern hinten (“dort, wo früher wahrscheinlich der Prediger stand und die Akustik weniger hallig ist”, verriet mir Bernhard Lang nach der Aufführung am späten Abend am Samstag), spielte Formenti Langs Auseinandersetzung mit Haydns Adagios grandiosest. Wenn man die Noten mit den vielen Vorzeichen und Auflösern anschaut, wird’s einem schwindlig. Das aufzuschreiben und einzustudieren muss eine “Heidenarbeit” sein, eine  “Haydn-Arbeit” aber immerhin, und da die letzten verborgenen Feinheiten aufzuspüren, macht jedem Musiker Freude.

Bernhard Lang verwendet hier auch immer wieder seine “Loop-Maschinerie” von Widerholungen kleinster Phrasen und Intervallverbindungen auch in jeweils differenter Gewichtung einzelner Noten – so eben, wie der Prediger im Dom von Cadiz bei der Fastenliturgie einzelne Aspekte der sieben letzten Worte am Kreuz in Predigten erläuterte, zerpflückte. Und das war genau der Auftrag, den Haydn 1785 zu erfüllen hatte und den er seinem Biographen Griesinger so schilderte: ” ..Der Bischof bestieg die Kanzel, sprach eines der sieben Worte aus, und stellte eine Betrachtung darüber an. So wie sie geendiget war, stieg er von der Kanzel herab, und fiel kniend vor dem Altare nieder. Diese Pause wurde von der Musik ausgefüllt (.) Die Aufgabe, sieben Adagios, wovon jedes gegen zehn Minuten dauern sollte, aufeinander folgen zu lassen, ohne den Zuhörer zu ermüden, war keine von den leichtesten .”

Das als Instrumentalmusik für Orchester vollendete Werk, auch in einer Klavierfassung vorliegend, wurde von Haydn dann auch in einer Streichquartettfassung verfertigt und später noch in einer Vokalfassung mit Chor, in der sie auch als ,Oratorium’ bezeichnet wurde. “Die sieben letzten Worte unseres Erlösers am Kreuze” galt neben der “Schöpfung” im 19. Jahrhundert als eines der bedeutendsten Werke Haydns. Und Marino Formenti findet das auch heute noch: “Man könnte sagen”, schreibt er, “daß dieses konsequent ,nach innen’ gekehrte Konzept erst in der Musik Morton Feldmans, also ab den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts, eine konsequente ideelle Weiterführung findet. Schostakowitschs letztes, fünfzehntes Streichquartett in es-Moll ist auch ein Werk, an das man in diesem Kontext denken könnte.”

In der Mariahilfer Kirche nebenan spielte Formenti zu mitternächtlicher Stunde das Originalwerk von Joseph  Haydn, das alles andere als frömmelnd, verniedlichend oder  ergeben ist, sondern einfach christlich im besten Sinn, einfach wunderschön – tröstend und stärkend, jeden Menschen, der hören kann.

Der Sonntagabend im MUMUTH (Musikuniversität) gehörte Solo-Performances von Uli Fussenegger (auch mit seiner eigenen Komposition für Kontrabass solo “Toy Music” und Kompositionen von György Kurtág, Klaus Huber und Clemens Nachtmann),  Kaffe Matthews (Live-Electronics), Franz Hautzinger (“Gomberg III”) und Jacob Kirkegaard (DK).

Heinz Rögl

 

Das musikprotokoll 2009 in Radio Ö1:

Mo., 12.10. | 23.05 Uhr | Ö1 Zeit-Ton
musikprotokoll 09. ensemble recherche
Werke von Musikschaffenden aus Spanien und England präsentiert das ensemble recherche bei seinem Konzert am 9. Oktober in der Grazer Helmut-List-Halle: so u. a. eine neue Komposition der Britin Rebecca Saunders.
Gestaltung: Lothar Knessl

Di., 13.10. | 23.05 Uhr | Ö1 Zeit-Ton
musikprotokoll 09. Seven last words

Wie ein fotografisches Negativ zu Joseph Haydns Die sieben letzten Worte des Erlösers am Kreuz verhalten sich Bernhard Langs Seven Last Words. Diese Musik bezieht sich nämlich direkt auf Haydn: Aus dem Sich-Versenken wird ein Sich- Erheben, aus der Frömmigkeit wird Aufbegehren, aber es bleibt das gleiche Bild von musikalischer Intensität, von letztlich metaphysischer Herausforderung.
Gestaltung: Ursula Strubinsky

Do., 15.10. | 23.05 Uhr | Ö1 Zeit-Ton
musikprotokoll 09. Touch this Sound!

Im Rahmen des Programmschwerpunktes “Touch this Sound!”, präsentiert das musikprotokoll Musik zum – beinahe – anfassen. Mit Ausschnitten aus u.a. dem Heart Chamber Orchestra von Terminalbeach, der Performance Make a Baby von den Lucky Dragons und der Konzertinstallation Breathing Music von Juste Janulyte, gemeinsam mit Dovydas Klimavicius.
Gestaltung: Susanna Niedermayr

Fr., 16.10. | 19.30 Uhr | Ö1 Aus dem Konzertsaal
Erstmals in seiner Geschichte hat das RSO Wien einen “Ersten Gastdirigenten” engagiert – und selbstverständlich ist es einer der wichtigsten Experten für das Repertoire der Gegenwart: Peter Eötvös. Der Jungstar der Bratsche Antoine Tamestit spielt Olga Neuwirths neues Werk und die junge amerikanische Sopranistin Marisol Montalvo verwandelt sich in Matthias Pintschers Komposition in “Herodiade”, die im Dialog mit ihrem Spiegelbild in die Abgründe ihres Begehrens blickt.
Gestaltung: Christian Scheib

Fr., 16.10. | 23.05 Uhr | Ö1 Zeit-Ton
musikprotokoll 09. Solisten-Recitals.

Im Rahmen der Solisten-Recitals schöpfte Uli Fussenegger, Kontrabass-Solist des Klangforum Wien fragil und eindrucksvoll die technischen Möglichkeiten und Klangnuancen seines Instruments aus. Und der Trompeter und Gesamtkünstler Franz Hautzinger brach mit seinem Alter Ego-Projekt Gomberg in dessen nächste, dritte Phase auf.
Gestaltung: Elke Tschaikner

Fr., 30.10. | 19.30 Uhr | Ö1 Aus dem Konzertsaal
Mitschnitt der Klavierfassung von Josef Haydns Die sieben letzten Worte unseres Erlösers am Kreuze, gespielt von Marino Formenti. Gestalter: Christian Scheib

Do., 5.11. | 23.05 Uhr | Ö1 Zeit-Ton
In ihrem Solisten Recital beim heurigen musikprotokoll kleidet Kaffe Matthews das Mumuth mit einem feinen Klanggespinst
aus, bestehend aus zum Teil direkt vor Ort in Echtzeit eingefangenen Klängen.
Gestaltung: Susanna Niedermayr