MUSIK VON WELT – Die österreichische Weltmusikszene im Porträt

Überall in Österreich wird Musik gepflegt, die nachvollziehbar „von wo herkommt“. Sei es von Hier oder von Anderswo. Zum einen sagen die Menschen dann Volks-, zum anderen Weltmusik. (zur PDF-Version des Artikels)

Das Musikland Österreich kennt viele teils weit zurückreichende musikalische Traditionen. Von den Kärntner Chören bis zur Schrammelmusik des 19. Jahrhunderts, von regionalen Formen wie dem – Hauptstadtbonus! – Wienerlied bis zu den Gstanzltraditionen des österreichisch-bayerischen Kulturraums.

Wie das Land selbst geprägt wird durch den Alpen- und den Donauraum, die K.U.K.-Vergangenheit, sowie seine jüngere Geschichte als Transit- und Zuzugs-Land, reflektiert die Musik naturgemäß diese Gegebenheiten. Mit Wien als kulturellem Zentrum, in dem sich Urbanität und (ländliche) Traditionen in einem ständigen dynamischen Dialog befinden, zusätzlich befruchtet von Einflüssen aus dem Südosten, die sich musikalisch im sogenannten „Balkanboom“ der 2000er Jahre manifestierten.

Auf dem Weg nach Heute

Parallel zur sogenannten „Grünen Welle“ – so wurden Ende der 60er/Anfang der 70er vor allem angloamerikanische Folk-SängerInnen/SongwriterInnen mit gesellschaftskritischer Gundhaltung bezeichnet – wurde wieder zögerlich (nach deren totaler Vereinnahmung während des Nationalsozialismus) auf sogenannte „Volksmusiken“ Bezug genommen. Im sogenannten Austropop der 70er/frühen 80er wurde kommerziell sehr erfolgreich angloamerikanischer Rock/Pop mit stilisierten (sprachlichen) Regionalismen verbunden, es gab eine erste Dialektwelle und den ersten Schub einer inhaltlichen/formellen Erneuerung des Wienerlieds (Karl Hodina, Roland Neuwirth). Geduldig & Thiemann widmeten sich jiddischer Musik, die „Krowodnrocker“ Bruji aus dem Burgenland brachten ihre kroatischen Wurzeln zum Rocken. Im Spiel von Gitarren-Virtuosen wie Charly Ratzer oder Harri Stojka wurden deren Wurzeln zu Roma- und Sinti-Kultur hörbar.

In den 90ern waren es Bands wie die Tiroler Die Knödel mit ihrem „Neo-Volksmusik-Jazz“, die Osttiroler Franui, das oberösterreichische Duo Attwenger oder Hubert von Goisern die volksmusikalische Grundelemente in neue Kontexte stellten. Kamen bei Die Knödel und Franui E-Musik-Elemente zum Tragen, operierten Attwenger mit Elementen aus Techno oder HipHop, Hubert von Goisern konnte sich am Nachhaltigsten im Mainstream etablieren.

Die 1989 gegründete Wiener Tschuschenkapelle – die 2014 ihr 25jähriges Bestehen feiert – steht für das gewachsene Selbstverständnis von Österreicher_innen der unterschiedlichsten Herkunfts- und Bezugskulturen, das sich Jahr(zehnt)e später im schon erwähnten Balkanboom abermals Gehör verschafft(e), mit MusikerInnen wie Martin Lubenov oder Fatima Spar & The Freedom Fries. Was sich auch in der Geschichte einer Band wie Deladap zeigt, die als balkanaffiner Wiener Ethno-Pop gestartet sind. Ende der 90er/Anfang der 2000er-Jahre gab es vermehrte Aufmerksamkeit für Latin/Brasilien-Sounds, einer der prägnantesten Protagonisten dieser Szene, Alegre Correa, macht bis heute substantielle Musik.

Heute klingt aufregend

Wien erlebt gerade eine Hoch-Zeit von Bands und Künstlern, die „das Wienerische“ neu, mit zum Teil globaler Gültigkeit vermessen: 5/8erl in Ehr`n, Die Strottern, Ernst Molden, Stefan Sterzinger oder das Grossmütterchen Hatz Salon Orkestar, Letztere weit offen hin zu Jazz oder Klezmer. Eine noch weitergehende künstlerische Offenheit zeichnet die Donauwellenreiter aus, definitiv eine der spannendsten österreichischen Formationen zur Zeit. Protagonist_innen der „Balkan-Szene“ wie Nenad Vasilic finden sich zunehmend im Jazz wieder, „das Alpine“ offenbart sich bei Formationen wie ALMA, dem Bläser-Ensemble Federspiel, dem Streicher-Trio Netnakisum neu und frei von Scheuklappen interpretiert. Der Südtiroler Herbert Pixner ebenso wie der Vorarlberger holstuoanermusicbigbandclub feiern große Erfolge mit ihrer „innovativen Volksmusik auf höchstem Niveau“, Formationen wie die iranisch-österreichischen Choub, Sehrang oder Sormeh – bei allen Genannten ist die Ausnahmesängerin Golnar Shayhar beteiligt – schaffen wahre Zaubermusiken aus den unterschiedlichsten Klang- und Kultursozialisationen ihrer MusikerInnen. Jelena Popržan, ebenfalls bei Sormeh, unterstreicht mit Madame Baheux und 4 Kolleginnen nicht zuletzt den Stellenwert von Musikerinnen in dieser Genregrenzen gerne aufhebenden Szene, mit der Cellistin Rina Kaćinari betreibt sie darüber hinaus das großartige Duo Catch Pop String Strong, ein Paradebeispiel für die neue künstlerische Abenteuerlust in der österreichischen Musik.

Gedeihen kann diese kreative Vielfalt in einem Umfeld mit einer Vielzahl von Festivals und Konzertreihen, die sich der Weltmusik in all ihren Ausformungen widmen und dabei das Gleichgewicht von lokal und global im programmatischen Auge haben, was einer reichen Musikkultur sehr zuträglich ist.

Rainer Krispel

Foto Die Strottern © Julia Stix
Foto Hubert von Goisern © Konrad Fersterer
Foto Roland Neuwirth © Johannes Cizek
Foto Sormeh © Peter Philipp

 

Dieser Artikel ist als Broschüre Anfang Oktober 2014 erschienen, in einer deutschen und englischen Version.
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