MUSIC.WOMEN.AUSTRIA dreht die Stimme der Musikerinnen in Österreich lauter – ZARAH LII und HELAHOOP im mica-Interview

Musikerinnen zu vernetzen, ihre Stimmen zu lauter machen, Missstände in der Musikszene anzusprechen und gegen die Ungleichheit und den Sexismus in eben jener aufzutreten, das sind nur einige der Ziele von MUSIC. WOMEN. AUSTRIA. SARAH FÜRLINGER aka ZARAH LII und HELENE GRIESSLEHNER aka HELAHOOP, die beiden Gründerinnen der Plattform, sprachen mit Michael Ternai.

Was hat Sie dazu bewogen haben, die Plattform Music. Women. Austria. ins Leben zu rufen?

Zarah Lii: Ich bin Wirtschaftsjuristin und als solche auch tätig. Daneben spiele ich seit ungefähr 14 Jahren Klavier. Außerdem habe ich mit 17 begonnen zu komponieren. Meine Tätigkeit als Juristin hat mich lange sehr in Beschlag genommen, was mich daran hinderte, mich intensiver der Musik zu widmen. Doch es hat mich wieder zur Musik zurückgetrieben und ich begann, nebenberuflich Medienkomposition zu studieren.
Da ich schon früher im Migrations- und Integrationsbereich einen Verein hatte, weiß ich, was Netzwerken bedeutet und wie wichtig es ist. Als ich langsam begann, einen Fuß in die Musikindustrie zu bekommen, sind mir zwei Sachen aufgefallen. Die eine war, dass es am Abend wenige Netzwerkmöglichkeiten gibt. Es gibt zwar tagsüber Workshops und andere gleichartige Veranstaltungen, aber eben nur sehr wenige am Abend. Um an solchen Veranstaltungen teilnehmen zu können, müsste ich mir jedes Mal freinehmen. Mir geht es bei diesen Workshops darum, Leute kennenzulernen, mit denen ich eventuell Projekte machen kann. Ich habe versucht herauszufinden, wo ich überhaupt netzwerken, wo ich mich überhaupt anbinden kann. Und ich als Komponistin will auch nicht ausschließlich nur mit Komponistinnen und Komponisten zu tun haben, sondern auch Leute aus anderen Genres kennenlernen. Nachdem ich aber keinerlei solcher Angebote gefunden habe, zumindest keine regelmäßig stattfindenden, habe ich mir überlegt, ob ich solche Netzwerktreffen nicht selbst auf die Beine stelle.
Der zweite Punkt, der mir aufgefallen ist, war der Sexismus in der Musikszene. Ich glaube, ich bin in keinem anderen Bereich jemals so sehr als Püppchen abgestempelt worden. Das ist mir vorher noch nie wiederfahren. Ich fragte mich, wie in einem solchen Umfeld professionelles Arbeiten möglich sein soll, wie ich mich entwickeln soll, wenn da so eine Mauer existiert, die mich nicht als Musikerin wahrnimmt, sondern als Püppchen darstellt.
Wir sehen unsere Aufgabe darin, diese Themen anzusprechen. Und das über den digitalen und analogen Weg. Der digitale Weg ist unsere Facebook-Seite, auf der wir regelmäßig Artikel zu genderneutralen Musikindustrie-Themen posten, aber natürlich auch Artikel, die das Themengebiet „Frauen, Sexismus, Benachteiligung“ behandeln. Wir wollen unsere Erfahrungen teilen, Wissen weitergeben und laden andere Musikerinnen dazu ein, dies unter anderem auch auf unserer Facebook-Seite auch zu tun.

„Wir haben in unseren Gesprächen mitbekommen, dass Frauen auch über diesen privaten Bereich sprechen wollen.“

Woran liegt es ihrer Meinung nach, dass es Frauen im Vergleich zu Männern heute immer noch schwerer haben, erfolgreich in der Musikszene Fuß zu fassen?

helahoop: Wir glauben, dass es vor allem stark daran liegt, dass es genügend Storytelling und wenig Vorbilder gibt. Frauen sind konfrontiert mit Fragen wie: „An wen kann ich mich, wenn es um meine Karriere geht, wenden?“, „Wer kann mir weiterhelfen?“, „Wo bekomme ich die Informationen her und wo kann man sich austauschen?“, „Wo finde ich die Frauen, die bereits gezeigt haben, dass es möglich ist, erfolgreich zu sein?“, „Wo sind Frauen aktiv und präsent?“ Es fehlt grundsätzlich am Austausch. Ein Punkt, der ebenfalls kaum angesprochen wird, ist der private Bereich von Frauen, der die Karriereentwicklung manchmal erschwert: Wie lassen sich zum Beispiel der Beruf als freischaffende Musikerin und das Muttersein vereinen, lässt sich in so einem Fall die Karriere fortsetzen oder muss man eine Teilzeitstelle als Musiklehrerin annehmen? Wir haben in unseren Gesprächen mitbekommen, dass Frauen auch über diesen privaten Bereich sprechen wollen. Es geht darum, auch auf diese Probleme hinzuweisen, sie nicht zu tabuisieren.

Zarah Lii: Ich versuche, für unseren Facebook-Kanal inspirierende Geschichten von erfolgreichen Frauen in der Musik zu finden und zu posten. Lustigerweise muss ich wirklich viel recherchieren, um solche Role-Model-Geschichten zu entdecken. Aber ich merke an den Klicks und den Likes, dass Frauen von diesen Geschichten doch motiviert werden. Sie zeigen, dass es Frauen schaffen und dass sie weit kommen. Ich glaube, da tut sich im Denken der Frauen auch etwas, sie erkennen, dass sie diese gläserne Decke, die da ist, selbst durchbrechen müssen.
Wir sehen uns auch nicht als Netzwerk im eigentlichen Sinne. Wir beuten uns nicht selbst aus. Es passiert sehr oft, dass drei, vier Frauen riesige Veranstaltungen auf die Beine stellen und diejenigen, die zu solch einer Veranstaltung kommen, von dieser profitieren, während eben diese drei, vier Power-Ladys von der ganzen Sache ausgepowert werden und eigentlich nichts von ihr haben. Das wollen wir nicht. Wir wollen, dass sich das Netzwerk auch in unsere Arbeit integriert, und nicht umgekehrt. Deswegen machen wir auch keine großen Veranstaltungen. Wir setzen auf kleine Runden, die Roundtables, in deren Rahmen wir sehr vertraulich und privat reden können.

Inwieweit, glauben Sie, ist die Ungleichheit eine Folge veralteter Strukturen?

helahoop: Ich glaube, das ist eine österreichische Gegebenheit. Die Strukturen sind alt. An vielen Hebeln sitzen seit Jahrzehnten dieselben Leute. Es wird alles Institutionelle als das Wahrhaftige angenommen. Und darin sehe ich ein Problem. Ich glaube nicht, dass diese Strukturen zukunftsträchtig sind. Die Frage ist aber, wie stark sie sind. Wir sehen in der Musikbranche – und das vollkommen unabhängig von Mann oder Frau, dass die Kulturförderungen immer weniger werden, dass es schwerer wird, Mittel zu lukrieren. Künstlerinnen und Künstler müssen daher neue Wege erdenken, um mit dieser Entwicklung umzugehen. Und ich denke, dass einer dieser neuen Wege das Netzwerken ist. Wir können nicht darauf warten, bis sich diese Strukturen ändern. Dann das wird wahrscheinlich länger dauern.

„Einfach, um zu erfahren, was diejenige tut und was von dem, was sie tut, für einen selbst interessant sein könnte.“

Wie kann man sich so einen Round Table vorstellen? Wie läuft ein solcher ab? Welche Themen werden behandelt?

helahoop: Uns ist wichtig, auch andere Sichtweisen kennenzulernen. Wir hatten bei den Amadeus Austrian Music Awards eine PR-Aktion laufen. Und aus diesem Anlass wurde ich von Noisey zum Thema des geringen Frauenanteils unter den Nominierten interviewt. Ebenfalls zu diesem Thema wurde eine Pädagogin interviewt, die der Meinung war, dass eh alles passe, wie es ist, und eh alles in absoluter Ordnung sei. Wir finden es schön, auch auf Menschen zu treffen, die eine andere Meinung haben, und laden diese ein, sich mit uns gemeinsam die Sache anzuschauen. Wir wollen eigentlich nur Gespräche führen, um im Idealfall aus uns heraus und aus der Masse der Musikerinnen und Musiker, die auch Lust auf Gleichberechtigung haben, etwas zu verändern. Dieses „Von-innen-Heraus“ funktioniert bei solchen Roundtables sehr gut. Hierbei handelt es sich um Gruppen von maximal acht Personen inklusive uns. Im Moment funktioniert so ein Round Table auf Einladung. Wir suchen nach Personen, die vielleicht schon etwas zu proaktivem Handeln zu erzählen haben und auch schon etwas in einer ähnlichen Richtung tun. Es ist ja nicht so, dass wir die Ersten sind, die sich hier engagieren. Es passiert ja schon viel. Und von diesen Frauen etwas zu erfahren, ist einfach hilfreich.
Wir behandeln im vertraulichen Rahmen immer verschiedene Themen. Das erste Thema war sinnvollerweise „Netzwerkerinnen 1.0“. Wir wollten schauen, wer denn schon etwas getan hat und was sie getan haben. Wir gehen zwar alle sehr ähnliche Pfade, aber es ist trotzdem hilfreich zu erfahren, welche Dinge gar nicht klappen. Zu diesem Roundtables haben wir unter anderem Susanne Kirchmayr, die mit female:pressure ganz tolle Arbeit leistet, eingeladen.
Der zweite lief unter dem Titel „Getting to know each other“. Zu dem wir Vertreterinnen verschiedener Genres eingeladen haben. Der dritte behandelte das Thema „Gig-Akquise“, wo es darum ging, wie man zu Aufträgen kommt. Der vierte Round Table unter dem Thema „Being mom and musician“ war dann ein guter Anlass, auch über den privaten Bereich zu reden. Was passiert, wann man als selbstständige Musikerin Mutter wird. Und der bislang letzte war „Being active – Netzwerkerinnen 2.0.“, der sich vor allem an Leute in unserem Alter, unserer Generation gerichtet hat.
Der Aufbau von einem Roundtable sieht so aus, dass jede sich vorstellt und alle zuhören. Einfach, um zu erfahren, was diejenige tut und was davon eventuell für einen selbst interessant sein könnte. Oder um zu erfahren, ob es die Möglichkeit gibt zu kollaborieren. Anschließend diskutieren wir die spezifischen Fragen. Und je nach den Persönlichkeiten gibt es dann einen wilderen oder gemäßigteren Austausch.

Wie kann man das Gesamtziel von Music. Women. Austria. definieren?

Zarah Lii: Wenn man unsere Ziele in einem Satz zusammenfassen möchte, geht es darum, die gemeinsame Stimme der Musikerinnen Österreichs lauter zu drehen. Frauen und Musikerinnen brauchen etwas andere Informationen als Männer, weil sie in einer anderen Situation sind. Stichwort Gleichberechtigung, Stichwort Umgang mit Sexismus und Diskriminierung. Diese zielgruppenspezifische Beschäftigung ist sehr wichtig, um hier etwas mehr voranzutreiben zu können. Ich habe mit einer Musikerkollegin gesprochen, weil ich wissen wollte, warum sie unsere Postings auf unserer Facebook-Seite regelmäßig anklickt und was sie interessiert. Sie meinte, sie interessiere sich dafür, weil sie für Themen wie Sexismus und Diskriminierung einfach mehr sensibilisiert werden will. Wir Frauen nehmen viele Dinge als gegeben hin, weil wir so in diese Welt hineingewachsen und eigentlich ständig damit konfrontiert sind. Wir empfinden solche Situationen als normal, obwohl sie in Wirklichkeit nicht normal sind. Wir wollen Frauen dazu animieren, in solchen Situationen aufzustehen und zu sagen: „Nein, das ist jetzt nicht in Ordnung gewesen.“ Wir versuchen, diese Dinge bei unseren Round Tables zu thematisieren, diese Diskriminierungsgeschichten anzusprechen und aus diesen gemeinsam Schlüsse zu ziehen. Wir fragen uns, wie wir in dieser Situation reagiert hätten und wie wir es das nächste Mal anders machen könnten. Man ist in der ersten Sekunde einfach geschockt und perplex und weiß eigentlich nicht, was da gerade passiert ist. Und in dieser Situation handelt man oftmals nicht richtig für sich. 

Wie bereits erwähnt, haben Sie im Rahmen des Amadeus Awards eine PR-Aktion gestartet, um auf die wirklich niedrige Quote von Frauen unter den Nominierten aufmerksam zu machen. Sind solche PR-Aktionen für Sie ein Weg, um ihre Botschaften zu verbreiten? Oder handelte es sich hierbei um eine einmalige Aktion?

Zarah Lii: Nein, die Idee ist schon, so etwas regelmäßig zu tun. Eben dann, wenn – wie etwa bei den Amadeus Awards – ein Thema aufkommt. Wenn wir Missstände erkennen, sehen wir uns in der Verantwortung, diese aufzuzeigen. Wobei wir dabei schon versuchen, so weit wie möglich konstruktiv zu sein und nicht nur ausschließlich zu kritisieren. Wir wollen Lösungsmöglichkeiten aufzeigen und ein Zeichen setzen. Wir haben bei den Amadeus Awards alle Musikerinnen sowie Musiker als Zeichen des Protests dazu aufgerufen, sich in Schwarz zu kleiden. Was auch einige, wie etwa Yasmo mit ihrer Bühneninszenierung, getan haben. Wir wollen inspirieren, einen Anstoß geben und Ideenzünderinnen sein.

Herzlichen Dank für das Gespräch! 

Michael Ternai

Fragen, Ideen, Kontakt: musicwomenaustria@gmail.com

Links:
Music.Women.Austria (Facebook)
Zarah Lii (Facebook)
helahoop (Facebook)