Mündliche Überlieferung – Porträt der Zeitschrift TheOral

Philipp Schmickl, Eigentümer, Herausgeber und mit Karin Weinhandl Betreiber von „TheOral – oral music history and interesting interviews“, erzählt im Gespräch mit Andreas Fellinger von den Motiven und Absichten der von ihm publizierten Gespräche. „Nach dem Studiumabschluss (Ethnologie, Kultur- und Sozialanthropologie; Anm.d.Red.) wollte ich eigentlich arbeiten gehen, habe aber nichts Passendes gefunden. Also musste ich selber einen Job erfinden.“ So beginnt Philipp Schmickls Story von TheOral, dem buchformatigen Magazin mündlicher Musikgeschichte und interessanter Interviews.

Schon während der Studienzeit wollte Schmickl künstlerische und politische Statements entwickeln. Vor allem im Zuge der Arbeit am Buch über die Nickelsdorfer Konfrontationen, „Tell no lies, claim no victories“, hat er dann endgültig Blut geleckt. Dabei bemerkte er auch den Unterschied zwischen geschriebener und gesprochener Sprache. In „Tell no lies …“ sind zwei französische Texte enthalten, einerseits ein Interview mit Joëlle Léandre, andererseits ein Artikel des Jazzethnologen Alexandre Pierrepont. Ersteren übersetzte er im Handumdrehen, zweiterer brachte ihn an den Rand des Nervenzusammenbruchs. Conclusio: „Gesprochene Sprache ist besser, weil sie verständlicher ist. Sie erleichtert den Zugang, sie ist wesentlich niederschwelliger als etwa ein Essay.“

Der zeitliche Ablauf einer TheOral-Ausgabe geht also in etwa so: Gespräche führen und aufnehmen – transkribieren – übersetzen – mit sanften Korrekturen in eine flüssige Erzählung transformieren. Dann kommt Karin Weinhandl ins Spiel, sie setzt den Text, fertigt Zeichnungen für das Heft an, das bewusst ohne Fotos auskommt, und layoutiert es. An diesem Punkt werden, je nach Maßgabe der privaten Finanzen, die Auflage (bislang zwischen 180 und 300 Stück) und der Termin zur Drucklegung fixiert. Der Plan wird dann mit der Wiener Druckerei Janetschek abgesprochen – Schmickl: „Die ist verlässlich, schnell, sehr gut und günstig!“ – und in Auftrag gegeben. Nach Drucklegung findet eine Releaseparty statt, um die entsprechende Öffentlichkeit für ein jeweils neues Buch zu erreichen. Orte dafür waren bis dato der Nickelsdorfer Kleylehof sowie das Celeste, das Nachtasyl und zweimal das Blue Tomato in Wien.

Bis vor kurzem schmückten Schmickl & Weinhandl, im Profil gezeichnet,  das Cover. Seit der Ausgabe #6 ist die Zeit für eine sanfte Änderung gekommen. Ein etwas anderes, laut Schmickl strengeres Design geht damit einher. Was sich außerdem seit den Anfängen geändert hat, ist die Koppelung von Gesprächen mit je einer Person aus der Musikszene mit  jemand Außenstehendem, getreu der musikethnologischen Prämisse, dass es kein Feld ohne ein anderes gebe. „Viele Phänomene, um die es in den Gesprächen geht, sind keine binnenmusikalischen“, erläutert Schmickl. „Außerdem war und ist mir ein aktiver Hinweis auf die Szenenvermischung wichtig.“ Daran, dass die Ethnologie die ideale Wissenschaft für seine Absichten ist, lässt er keinen Zweifel aufkommen. „Die Ethnologie hat den klarsten Blick auf die Gesellschaft, weil sie sich nicht an Idealen oder anderen Projektionen orientiert, sondern allein an der Beschreibung des Zustands. Das ist es genau, was mich interessiert.“

Zielgruppe: die ganze Welt

Im aktuellen, dem mittlerweile sechsten TheOral interessieren ihn die Anschauungen zweier anderer gebürtiger Burgenländer, jene des Musikers Franz Hautzinger und jene des Veranstalters Hans „Hauna“ Falb. An ersterem fasziniert Schmickl vor allem der philosophische Zugang, der sich etwa an der von ihm geschaffenen „Gomberg“-Figur äußert. Zu zweiterem ist der persönliche Zugang immanent. „Durch den Hauna kam ich überhaupt erst zur Musik. Er hat mir immer Platten und Bücher geborgt und mich zu Konzerten mitgenommen. Wäre ich zum Beispiel im zehn Kilometer entfernten Zurndorf aufgewachsen, wäre aus mir ein ganz anderer Mensch geworden. Für mich war der Kontakt zum Hauna genau der richtige, von ihm habe ich hören und zuhören gelernt und das Verständnis und die Weltoffenheit. Das ist nicht selbstverständlich für einen jungen Menschen im Burgenland. Außerdem sind seine Versionen der Geschehnisse immer interessant!“

Auffällig an TheOral ist unter anderem, dass es nicht ausschließlich auf Deutsch erscheint. Erstens, sagt Philipp Schmickl, lebt die Zielgruppe von TheOral nicht nur in Wien oder Österreich, „sondern in der ganzen Welt“, zweitens käme der Erzählfluss eines Gesprächs in der jeweiligen Muttersprache am besten zur Geltung, und drittens ist er auch sowohl des Englischen als auch des Französischen mächtig. Betont niederschwellig im oben formulierten Sinn ist das aber nicht, oder? Hätte man nur die deutschsprachige Leserschaft im Auge, mag das stimmen, räumt Schmickl ein. Da man sich aber mit der ganzen Welt verbunden sähe, gelte dieser Einwand wenig. Ganz im Gegenteil: Er spiele sogar mit dem Gedanken, z.B. das Interview mit Paul Lovens mit einigen Jahren Verspätung mit den gleichen Fragen von damals, nur halt auf Englisch, nochmals zu führen und sei gespannt, was dabei herauskommt.

Wichtig ist dem Herausgeber allerdings, dass die Interviews nicht auf journalistischer Grundlage, also von oben herab oder aus voyeuristischen Motiven geführt werden, sondern auf gleicher Augenhöhe, sei es als Gleichgesinnter, als Fan oder als Künstler. Zu diesem Zweck führt ihn der Weg schon einmal bis Beirut zum Irtijal-Festival. Was aber noch lange nicht heißt, dass alles von langer Hand geplant ist. Mitunter entstehen die Interviews auch spontan. Anstatt bei einem Festival nur als Zuhörer zu fungieren, macht er sich lieber, das Aufnahmegerät immer dabei, an die Arbeit. So entstand bei den Artacts St. Johann/T aus heiterem Himmel ein Gespräch mit Michael Zerang oder – wie am Ort dieses Gesprächs – ein Interview mit Jos Kley alias GW Sok bei Densités im französischen Fresnes-en-Woëvre. Beide werden demnächst veröffentlicht. Philipp Schmickl: „Ich habe gemerkt, dass ich dadurch wesentlich zufriedener werde, als wenn ich nur dasitze und nix mache.“

TheOral bisher:
#1, Marco Eneidi & Andre Gingrich (vergriffen); #2, Xavier Charles & Mira Sidawi, 58 Seiten, 10 Euro; #3, Paul Lovens, 74 Seiten, 10 Euro; #4, Clayton Thomas & Nicole Brooks, 78 Seiten, 10 Euro; #5, Mazen Kerbaj & Jim Denley, 96 Seiten, 15 Euro; #6, Franz Hautzinger & Hans Falb, 82 Seiten, 13 Euro; #7, Michael Zerang, 74 Seiten, 13 Euro.

Alle erhältlichen Ausgaben können bei Philipp Schmickl (schmickl@theoral.org) bestellt werden und liegen mehrheitlich im Salon für Kunstbuch, Mondscheingasse 11, 1070 Wien, auf.

Foto Philipp Schmickl: K. Cetriolo