Mozart und Neue Musik bei den Salzburger Festspielen – Peter Ruzicka im mica-Interview

Peter Ruzicka, selbst Komponist, verfolgte während seiner Intendanz unterschiedliche Ansätze der Implementierung zeitgenössischer Musik bei den Salzburger Festspielen. Beginnend mit dem Schwerpunkt “Austria today” 2002 und einer Helmut-Lachenmann-Personale, über die Salzburg-Passagen 2003 und 2005, die Grenzgänger und weniger bekannte Komponisten und im weiteren dann das Konzept einer “Zweiten Moderne” stark zu machen versuchten, wurden 2004 György Kurtág und Jörg Widmann als Residenzkomponisten präsentiert. Ruzicka sorgte damit und mit einer ganzen Reihe von Auftragswerken für einen Anteil neuer Musik am Gesamtprogramm wie noch nie zuvor.  

Im heurigen Jahr gibt es die gesamte Festspielzeit hindurch im Rahmen der Konzerte, die ausschließlich alle Mozart in der Konfrontation mit neuer Musik gewidmet sind, eine stattliche Anzahl von Uraufführungen. Rigoros und konsequent erteilt das Konzertprogramm in diesem Salzburger Festspieljahr anderen Komponisten des “klassischen” Kanons weitgehend Schweigegebot. Alles Mozart lautet die Devise beim ehrgeizigen, enzyklopädischen Opernprogramm “Mozart 22”, aber: Bei den Festspielkonzerten erklingt neben berühmten und auch etlichen seltener aufgeführten Werken Mozarts ansonsten ausschließlich Musik des ausgehenden letzten und des noch jungen 21. Jahrhunderts in Form von Auftragskompositionen. Diese Übung, meint Peter Ruzicka, sei auch dazu angetan, die Ohren für Mozarts Modernität zu schärfen.

Das Festspiel-Finale und den Abschied von seiner Amtszeit als Festspiel-Intendant gestaltet Peter Ruzicka als Signal für die Zukunft. Karlheinz Stockhausen, assistiert von der Klangregie-Legende André Richard vom Freiburger Experimentalstudio, wird im Lehrbaumerhof mit dem Deutschen Symphonie-Orchester Berlin das Auftragswerk MIXTUR (für fünf Instrumentalgruppen, vier Sinusgenerator-Spieler und vier Klangmischer) als Dirigent höchstpersönlich aus der Taufe heben.

Und dann spielt das Klangforum Wien auf der Perner Insel den Kehraus. Einem Konzert unter Hans Zender, mit Werken von Georges Aperghis (Uraufführung: Contretemps für Sopran und Ensemble), Matthias Pintscher (verzeichnete spur für Ensemble) und Helmut Lachenmann (Concertini) folgt am Finaltag das Symposion – Ein Rausch in acht Abteilungen. Dabei handelt es sich um einen gerühmten und an verschiedenen Orten bereits mit großem Erfolg erprobten Musik- und Trinkmarathon, den Klangforum-Intendant Sven Hartberger gemeinsam mit der Gruppe NetZZeit erfunden hat. Peter Ruzicka hat sich diese Produktion auch ganz persönlich zum Ausklang gewünscht.

Sie haben, angetreten mit einem Konzept einer “Zweiten Moderne” unterschiedliche Ansätze der Implementierung zeitgenössischer Musik bei den Festspielen verfolgt.

Peter Ruzicka: Ich habe mir von meinen Mitarbeitern vorrechnen lassen, dass es in den Jahren meiner Intendanz rein quantitativ einen Anteil Neuer Musik am Gesamtprogramm gegeben hat wie niemals zuvor. Es ist richtig, dass wir mit wechselnden Formen der Vermittlung experimentiert haben. Einmal waren es thematisch gebundene Zentren mit starker programmlicher Konzentration. Dann wieder eine Erstreckung über die gesamten fünf Festspielwochen, wie in diesem Jahr, wo es gar nicht anders möglich ist, als die 15 Auftragswerke unterschiedlicher Besetzung auf die Festspielzeit zu verteilen. Es ist dann natürlich beschwerlich, mehrere Male anzureisen. Wovon ich allerdings nichts halte ist, eine Enklave zu schaffen, die Neue Musik auf die ferne Perner-Insel zu verbannen und dort dann ausschließlich ein Publikum vorzufinden, das man auch in Donaueschingen oder in Darmstadt sieht. Da halte ich mehr davon, die Neugierigen zu erreichen, die es ja gottseidank auch unter dem traditionellen Festspielpublikum gibt.

Haben Sie Befürchtungen, dass Neue Musik unter der Intendanz Ihres Nachfolgers nicht mehr ganz den Stellenwert innehaben könnte wie unter der Ihren?

Peter Ruzicka: Das glaube ich nicht. Mein Nachfolger im Konzertbereich, Markus Hinterhäuser, kommt als Interpret ja eher von der Neuen Musik und wird sicher sehr offen für neue Konzepte sein.

In Ihrer Salzburger Dramaturgie steht die szenische Realisierung aller Mozart-Opern im Mittelpunkt. Misstrauen Sie Versuchen, Mozart über Biographisches und Anekdotisches begreiflich machen zu wollen?

Peter Ruzicka: Die besondere Konzentration, diesen Opernzyklus zu realisieren, was ja letztlich bedeutet, achtzehn Premieren innerhalb von fünf Wochen zu machen, bietet natürlich kaum Raum, an weitere, begleitende szenische Konfigurationen zu denken. Immerhin gibt es ja noch eine zweite Säule des Programms mit Musik des 21, Jahrhunderts, darunter nicht weniger als fünfzehn Auftragswerken, die allesamt einen Bezug zu Mozart suchen, manchmal aus sehr naher, zuweilen sehr ferner Perspektive. Das ist ein zweiter Aspekt der Annäherung an Mozart, der auf einer gleichsam zweiten Sprachebene erfolgt und mir besonders wichtig erscheint.

Olga Neuwirth und Elfriede Jelinek protestierten heftig gegen die Ablehnung ihres Don Giovanni-Opernprojekts.

Peter Ruzicka: Der Gedanke, im Jahr 2006 neben “Mozart 22” noch eine große szenische Uraufführung zu realisieren, hat sich nicht verwirklichen lassen, weil es die Ressourcen einfach nicht zulassen. Es ist kein Geheimnis, dass ich infolge von Nicht-Valorisierung und Kürzungen rund 20 Prozent weniger für künstlerische Zwecke zur Ausgabe bringen kann als noch mein Vorgänger im Jahr 2001. Es hat aber – das scheint ein wenig falsch dargestellt zu werden – keinerlei inhaltlich abschlägige Debatte mit Olga Neuwirth gegeben, die ist dann erst von Gérard Mortier ins Spiel gekommen, der zunächst verkündet hatte, ihr Werk in Paris realisieren zu wollen. Ich hatte inhaltlich gar keine Bedenken, habe mit ihr und Elfriede Jelinek über ihren sehr mutigen und avancierten textlichen Vorwurf gesprochen. Wir haben den Auftrag so modifiziert, dass Olga Neuwirth für eines der Hauptkonzerte der Wiener Philharmoniker, das von Pierre Boulez dirigiert wird, ein Stück schreiben soll.

Haben Sie bei den Auftragswerken einen expliziten Mozartbezug gefordert?

Peter Ruzicka: In den Briefen an meine komponierenden Kollegen habe ich diesen Leitgedanken bewusst sehr weit gefasst, wobei ohnehin klar war, dass da nicht so etwas wie “Variationen über ein Thema von Mozart” entstehen würden. Manchmal – wie bei Stockhausen – ist das eine Spiegelung sehr ferner Art, aber bei Johannes Maria Staud etwa ein besonders expliziter Fall. Er hat sich von einem kleinen Fragment Mozarts für Violoncello und Klavier von nur sieben, acht Takten entflammen lassen. Er denkt diesen Nukleus weiter mit kompositorischem Material unserer Zeit, das sich immer weiter vom Ausgangspunkt entfernt, aber dann auch wieder zurückkehrt. Sehr prononciert wird das Thema auch beim Zaide/Adama-Projekt von Chaya Czernowin aufgegriffen. Da schiebt sich eine zweite, palästinensisch-israelische Geschichte als zweite Opernhandlung in das Mozartsche Fragment Zaide hinein. Es ist ein sehr mutiger Ansatz, mit der eigenen Sprache einen dramatischen Kontrapunkt zu setzen, denkbar weit weg von früheren Ergänzungsversuchen, wie sie etwa Berio und Calvino unternahmen. Eine aktuelle Befragung Mozarts gleichsam, der hier ganz in die Gegenwart gerückt wird.

Hoffen Sie darauf, durch die Konfrontation Mozarts mit Neuer Musik eine geschärfte Wahrnehmung der Modernität Mozarts erreichen zu können?

Peter Ruzicka: Das ist eine unmittelbare Erfahrung, die man machen kann, wenn man einmal Mozart und Neue Musik miteinander konfrontiert hört, etwa in dem Werk Accanto von Lachenmann. In den besten Momenten entsteht dann durch die musikalische Zweisprachigkeit eine Aufmerksamkeit besonderer Art. Ich freue mich übrigens auch, dass die Wiener Philharmoniker nicht weniger als drei Uraufführungen in ihren fünf Konzerten realisieren und sich sehr prominente Dirigenten dieser Werke annehmen.

Warum müssen aus Ihrer Sicht die Mozart-Opern alle szenisch realisiert werden?

Peter Ruzicka: In bloß konzertanten Aufführungen, die es auch in Salzburg immer wieder gegeben hat, würde ich eine Halbherzigkeit sehen. Ich denke, der Mut zur szenischen Umsetzung wird reich belohnt werden. Gerade das Beispiel des Mitridate hat ja gezeigt, dass gerade auch diese frühen Werke eminent bühnenwirksam sein können. Auch John Dew, der sich für Apollo et Hyacintus / Die Schuldigkeit des Ersten Gebots etwas Besonderes ausgedacht hat, ist hier auf einem spannenden Weg. Und Joachim Schlömer hat selbst für die nicht einfach zugänglichen Fragmente eine faszinierende, durchaus herausfordernde Lösung gefunden.

Die Regisseure der Neuinszenierungen Claus Guth (Figaro), Pierre Audi (Die Zauberflöte) und Doris Dörrie (La finta giardiniera) verkörpern ja sehr unterschiedliche Zugänge zu Mozart.

Peter Ruzicka: Ich denke, dass das konzeptionelle Spektrum so breit wie möglich sein sollte und glaube nicht, dass man “Mozart 22” auf eine einheitliche stilistische Linie bringen sollte oder auch nur könnte. Bei der Auswahl der Regisseure habe ich mich jedenfalls darum bemüht, diejenigen Künstler zu gewinnen, die die aus heutiger Sicht richtigen und wichtigen Fragen an die Werke stellen.

Was wird von diesem großen Projekt bleiben?

Peter Ruzicka: Theater ist, wie wir ja wissen, etwas Ephemeres. Wir werden dennoch alle Werke auf DVD aufnehmen und bereiten gerade einen Vertrag mit der Unitel vor, durch den eine “Edition Mozart 22” relativ schnell weltweit erscheinen kann. Auf diese Weise kann dokumentiert werden, was in Salzburg 2006 entstanden ist. Zum anderen: Ich glaube schon, dass durch den Fokus dieses Sommers, wenn künstlerisch alles gut gehen sollte, das Jahr 2007 mit einer neuen musikalischen Geschichtsschreibung beginnen wird. Man wird sich nicht mehr auf den angeblich verzichtbaren frühen und mittleren Mozart herausreden können. Und dann wäre die vielleicht wichtigste Mission in meiner Intendanz erfüllt.

Sie gestalten ihren Abschied mit einem Festspielfinale mit Neuer Musik. Ein persönliches Signal für die Wichtigkeit und den Stellenwert Neuer Musik ?

Peter Ruzicka: Der Blick geht nach vorn im Finale der Festspiele mit Uraufführungen und dem besonderen Projekt “Symposion”. Das habe ich mir besonders gewünscht. Als ein offenes Ende, aber auch als “unanswered question”.

Was kommt nach dem Ende der Intendanz auf Sie zu?

Peter Ruzicka: Dann hat sich der Künstler gegen den Manager durchgesetzt. Der Künstler wird darangehen, einige Pläne, die schon seit geraumer Zeit liegen, zu verwirklichen, als erstes eine neue abendfüllende Oper über den Hölderlin-Komplex. Da gibt es auch schon ein Uraufführungsdatum, das ist der 16. November 2008 in Berlin. Ab 1. September werde ich also in meiner Hamburger Enklave darangehen, dieses Stück voranzutreiben.

Glauben Sie, dass sie Ihre Ziele und Ansprüche in Salzburg erfüllen konnten?

Peter Ruzicka: Das war hier sicherlich die größte Herausforderung, die ein Kulturmanager in seinem Leben haben kann. Danach kann es eigentlich nur mehr eigene künstlerische Aufgaben geben, die einem nah und wichtig sind. Rückblickend kann ich sagen, dass ich die Herausforderung Salzburg sehr gerne angenommen habe. Ich weiß um die besonderen Ansprüche und Qualitätsmaßstäbe, die hier gelten. Und ich hoffe, dass ich hier auch Spuren über den Tag hinaus gesetzt habe, denken wir an den Zyklus mit Musik der Exilkomponisten. Und wenn etwa das große Mozart-Projekt in diesem Sommer so gelingen sollte, wie ich mir das wünsche, wäre dies ein großer Sieg.

(Interview: Heinz Rögl)

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