Monica Tarcsay und das „Quinteto del Arco Nuevo“ denken den Tango weiter

Freunde des Symphonieorchesters Vorarlberg kennen Monica Tarcsay vom ersten Pult der zweiten Geigen. Darüber hinaus ist sie als Mitglied des „ensemble plus“ all jenen bekannt, die sich für die zeitgenössische Musik interessieren. Ihre Leidenschaft gilt dem argentinischen Tango, den sie unter anderem in Buenos Aires erlebt, gelernt, studiert, getanzt und gespielt hat. Über ihre musikalische Verwurzelung, ihre Begeisterung für den Tango und ihr aktuelles Projekt „Colores del Tango 21“ erzählt die engagierte Musikerin und Musikpädagogin im Gespräch mit Silvia Thurner.

Im Jahr 2010 gründete Monica Tarcsay das „Quinteto del Arco Nuevo“, in dem sie mit Clarigna Küng, Gyöngy Ellensohn, Stefan Susana und Bernd Konzett musiziert. In Anlehnung an die Musik des Tango Nuevo, wie ihn Astor Piazzolla im 20. Jahrhundert begründet hat, verfolgt Monica Tarcsay ehrgeizige Ziele. Sie will den Tango weiter denken und weiter entwickeln, hat Kompositionsaufträge erteilt und spricht von einer „Tango Evolution“.

Sie verbinden Ihre Vorliebe für die Tangomusik im übertragenen Sinn auch mit deiner Biografie. Wo liegen Ihre Wurzeln?

Monica Tarcsay: Die Tangomusik ist ein Schmelztiegel der Kulturen, Nationen, musikalischen Gattungen, Stile und Spieltechniken. Die Folklore verschiedener Kulturen ist eng mit meiner Lebensgeschichte verwoben. Ich habe meine Wurzeln in der ungarischen Folklore. Während meiner Jugend musizierte ich lange in einem serbischen Musikverein, entdeckte die Appenzeller Volksmusik aufgrund meiner Lehrtätigkeit, habe als Schweizerin klassische Musik in Österreich studiert und erlebe nun seit fast zwanzig Jahren die Tangomusikszene, unter anderem durch meine Studien am Ursprungsort des Tango, in Buenos Aires. Im Tango Argentino mischt sich die Volks- und Kunstmusik der Emigranten aus vielen Ländern und Erdteilen, so wie mein Leben, Fühlen und Denken von verschiedenen Kulturen beeinflusst wurde und wird.

Anziehungskraft

Tango Nuevo hat ursprünglich ein bestimmtes musikalisches Genre bezeichnet, das der Komponist Astor Piazzolla aus dem Tango weiter entwickelt hat. Im Zuge der in Mode gekommenen Ethnomusik in der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts, wurde Tango Nuevo immer mehr kommerzialisiert und zu einem Lebensgefühl stilisiert. Wie sehen Sie das das?

Monica Tarcsay: Astor Piazzolla hat den Tango Nuevo kreiert, indem er in den ursprünglichen Tango der Zeit um 1900 Klassik, Jazz und Neue Musik einfließen ließ und so mit neuen Impulsen versah, ganz nach der Entstehungsdynamik des Tango Argentino: eine Musik, die verschiedene Musiktraditionen aus vielen Regionen der Welt zusammenbringt.
Ja, der Tango Nuevo wurde stark kommerzialisiert. Er steht hier nicht außerhalb gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Entwicklungen im 20./21. Jahrhundert. Dies ändert aber nichts daran, dass gerade der Tango Nuevo eine Attraktivität hat, die Menschen anzieht und im Tiefsten bewegt.

Tango weiter entwickeln

Sie haben im Jahr 2010 das „Quinteto del Arco Nuevo“ gegründet. Sie haben Projekte mit Goran Kovacevic realisiert und nun möchten Sie den Tango Nuevo unter dem Slogan „Tango-Evolution des 21. Jahrhunderts“. Was meinen Sie damit?

Monica Tarcsay: Der Tango Nuevo soll sich weiter entfalten, sich entwickeln, sich wandeln mit der Sprache unserer Zeit. Komponisten von heute sollen sich vom Tango Nuevo inspirieren lassen und mit ihren eigenen, ganz persönlichen Stilmitteln ihre Musik schreiben. Das Lebensgefühl der Menschen und die kompositorischen Stilmittel ändern sich und so muss sich auch die Tonsprache des Tangos im 21. Jahrhundert weiter entwickeln.

In welche Richtung soll die Reise gehen?

Monica Tarcsay: Mein neuestes Projekt „Colores del Tango 21“ ist der erste Schritt in diese Richtung. Ich habe den Komponisten Marcus Nigsch, Tscho Theissing, Enrico Lavarini und Luciano Jungman für diese Produktion Kompositionsaufträge erteilt. Der Tango Nuevo von Astor Piazzolla trifft als Inspiration auf herausragende, profilierte Komponisten von heute, die ihrerseits von Jazz, Filmmusik, Pop, Klassik und Folklore beeinflusst sind.

Spezifische Bogentechnik für den Tango

Tangomusik in den Milongas wurde meines Wissens am Beginn mit Gitarre und Flöte musiziert. Auch das Bandoneon wird allgemein mit dem Tango und der argentinischen Volksmusik assoziiert. Weniger hingegen trifft dies auf ein Streichquintett zu wie dein „Quinteto del Arco Nuevo, das einen artifiziellen Klangcharakter verströmt. Liegt darin nicht eine Art von „Stilbruch“ im Hinblick auf die Authentizität der Musik?

Monica Tarcsay: Die Violine spielte immer schon eine tragende Rolle in der Tangomusik. Die flexible Besetzung bezog auch Klavier, Stimme, Akkordeon, Bandoneon sowie auch Kontrabass und Violoncello in vielfältigen Kombinationen mit ein. Zusätzlich hat Astor Piazzolla stark dazu beigetragen, neue Spieltechniken auf den Streichinstrumenten zu entwickeln, wie die stechenden Akzentuierungen in hohen Lagen, verschiedene Arten von Glissandi und Bogenschläge auf die Saiten. Gegen Ende seines Lebens hat er mit neuartigen Besetzungen in seinen Kompositionen experimentiert. Unser Ensemble Quinteto del Arco Nuevo versteht sich nicht als Streichquintett, zumal das „Streichen“ nur am Rande steht, sondern als „Das Neue Bogenquintett“. Wir spielen mit Bogentechniken, die der klassisch-romantischen Musik und Musikästhetik fremd sind, die sich so nur in der Tangomusik finden. Wir sehen uns in der Tradition dieser vielfältigen Besetzungsmöglichkeiten und suchen neue Wege, eine neue Musik, eine neue Freiheit – und das ist Evolution!

Zeichen setzen

Für das kommende Jahr ist mit dem Programm „Colores del Tango 21“ auch ein Musikvermittlungsprojekt für Kinder und Jugendliche geplant. Können Sie darüber schon Konkreteres berichten?

Monica Tarcsay: Es ist mir ein Bedürfnis, dieses Projekt in einer zweiten Entwicklungsstufe mit Musikvermittlung zu verbinden, und zwar für Kinder, Jugendliche, für MigrantInnen und andere spezifische Zielgruppen. Der Tango ist eine Musik, die verschiedene Musiktraditionen und Kulturen aus aller Welt zusammenbringt. Er ist für mich das musikalische Symbol des friedvollen, kreativ-innovativen Zusammenwirkens vieler Nationen und Stile. Und genau diese Aufgabe betrifft uns heute gesellschaftlich und kulturell.

Danke für das Gespräch.

Factbox

Freitag, 28. April 2017, Pfarrzentrum Höchst, 20 Uhr
„Tango-Evolution des 21. Jahrhunderts“: COLORES DEL TANGO 21

Link:
www.monita.at

Dieses Interview ist zuerst im April 2017 unter dem Titel “Tango als musikalisches Symbol des friedvollen und kreativen Zusammenwirkens”  in der Zeitschrift für Kultur und Gesellschaft erschienen.