1966 in Innsbruck geboren und seit 1980 in Graz lebend, zählt Annette Giesriegl heute zu den vielseitigsten und experimentierfreudigsten Vokalistinnen des Landes. Sie ist eine Sängerin, die in ihren verschiedenen Projekten stets versucht, sich über die traditionellen musikalischen Begrifflichkeiten hinwegzusetzen und die Grenzen zwischen den einzelnen Spielformen und Stilen zu überwinden. Aus dem Jazz kommend, hat sich Annette Giesriegl vor allem in der heimischen Improvisations-Szene einen Namen machen können. Aktuell ist sie unter anderem im Barcode Quartet (mit Elisabeth Harnik, Alison Blunt und Josef Klammer), sowie im Styrian Improvisers Orchestra aktiv. Annette Giesriegl im Gespräch mit Alois Sonnleitner.
Annette, magst du uns kurz deinen künstlerischen Werdegang schildern? Du hast Jazzgesang in Graz studiert. Bei wem aller, und was hat das Studium aus deiner Sicht bewirkt?
Ich bin 1989 aus Innsbruck nach Graz gekommen und habe dann 1991 am jetzigen Jazzinstitut an der Kunstuniversität Graz Jazzgesang begonnen zu studieren. Ich habe bei Andy Bey, Mark Murphy, Sheila Jordan und Jay Clayton studiert, die sich in ihrer Lehrtätigkeit semesterweise abgewechselt haben. Das Studium hat einiges bewirkt, wie das Erlernen der „Jazzlanguage“, charismatische MusikerInnen kennengelernt zu haben, insbesondere Jay Clayton, deren Arbeit großen Einfluss auf meine hat. Ich würde sagen, ich habe mir mit diesem Studium einen musikalischen Boden unter den Füßen geschaffen.
Soweit ich mich erinnern kann, hast du dich nach dem Studium in einer künstlerischen Sackgasse wiedergefunden, aus der du eine Zeitlang nicht herausgefunden hast. Wie hast du dich aus dieser Situation befreien können?
Ja ich wollte der Jazztradition nicht so recht folgen, weil ich mich nicht wirklich ausdrücklich dafür berufen fühlte, und konnte zu diesem Zeitpunkt nicht genau eruieren, wo es lang geht. Außerdem bekam ich gleich einen Job an einer Musikschule und war da mit dem Aufbau meiner Gesangsklasse beschäftigt. Über Gespräche mit dem Pianisten Stefan Heckel kam ich dann auf die Idee, nach London zu gehen, um dort indischen Gesang zu studieren. Stefan hatte einige Jahre zuvor in London gelebt und mir von der Improv-Szene und dem Institute for Indian Art and Culture erzählt. Von dieser Idee, indischen Gesang zu studieren, versprach ich mir klanglich und in bezug auf Regeln in der Musik wie in der Improvisation etwas völlig anderes, dekonditionierendes zu erfahren – was ja auch eintraf.
“Die Gatherings waren magic für mich mit Maggies Präsenz als Vokalistin.”
In London hast du relativ bald Fuß fassen können. Welche Begegnungen waren für dich in England besonders wichtig?
Einerseits studierte ich den indischen Gesang und habe im Institute for Indian Art and Culture interessante indische MusikerInnen kennengelernt und in den darauffolgenden Jahren ein paar Fusionkonzerte initiiert, österreichische Musiker wie Stefan Heckel und Franz Schmuck nach London eingeladen und auch eine Gruppe von MusikschülerInnen mitgenommen, die ich mit den indischen SchülerInnen fusionierte. Ich hab mich in London aber auch gleich in die Improv-Szene „geworfen“, bin bald auf Bassist John Edwards, mit dem ich dann ein paar Jahre – u.a. in der Formation Primal Fruitcake – gespielt habe und Veryan Weston gestoßen, auch auf Eddie Prévost, Marcio Mathos und natürlich Maggie Nichols, die jeden Montag das Gathering veranstaltet hat.
Besonders wichtig und nachhaltig war und ist die Begegnung mit Pianist und Komponist Veryan Weston, mit dem ich einige Auftritte hatte, u.a. im Duo beim V:NM-Festival in Graz; weiters gründeten wir die Gruppe Vociferous – eine Vokalformation von neun VokalistInnen, bei der Veryan wie ich sängerisch Teil der Gruppe waren, wir Veryans Komposition Tessellations II in Graz und in UK aufführten und mit BBC und Emanem Records eine wunderschöne CD produziert wurde. Wichtig war für mich auch die Begegnung mit Maggie Nichols. Ihre Persönlichkeit, verwoben mit ihrem Charisma, brachte großartige Erfahrungen und Erlebnisse. Die Gatherings waren magic für mich mit Maggies Präsenz als Vokalistin. Die Idee, dem das Gathering zugrunde liegt, entspricht Maggies ganzheitlichem Zugang zu Musik. Ich war von den Gatherings so angetan, dass ich gemeinsam mit der Tänzerin Monika Schabus vor zwei Jahren ein Gathering in der Nähe von Graz ins Leben gerufen habe, wo zirka alle drei Wochen MusikerInnen, TänzerInnen, bildende KünsterlerInnen für zwei Stunden „gathern“, sich dem „Moment der Gestaltung“ hingeben … Magic!
In welchen Formationen neben den bereits genannten bist du zurzeit vorwiegend aktiv? Und trittst du auch solo auf, oder benötigt deine Musik den sozialen und künstlerischen Austausch?
Zur Zeit ist das Barcode Quartet mit Elisabeth Harnik, Alison Blunt und Josef Klammer eine Formation, die aktiv ist, wir haben eine CD gemacht, released by SLAM Records, wir hatten im Februar eine sehr schöne Konzerttour in Australien und Neuseeland. Weiters produzieren gerade Claudia Cervenka und ich – wir nennen uns The Patchwork Voices – eine Duo-CD, die im Winter rauskommen soll. Außerdem kollaboriere ich immer wieder mit Denovaire, dem Komponisten und Esrajspieler (indisches Saitennstrument), in unterschiedlichen Settings. Ein Projekt von und mit ihm ist ein Orchester bestehend aus kammermusikalischen Instrumenten, Rockinstrumenten und indischen Instrumenten, ich wirke als Sängerin und indische Harmoniumspielerin mit. Solo trete ich bis dato nur selten auf, meist gibt es Solospots innerhalb von Konzerten, z.B. in den Performances mit Claudia Cervenka, aber es würde mich schon reizen, und es ist auch ein bisschen ein Traum von mir, ein solistisches Programm zu machen, aber das ist eine ganz schöne Herausforderung, haha!
Wie ich sehen und hören konnte, bereitet dir auch die Arbeit mit größeren Ensembles Vergnügen. Wie stellt sich deine Mitwirkung im Styrian Improvisers Orchestra dar, das einmal pro Monat im Grazer Stockwerk auftritt?
Ich war immer schon fasziniert vom London Improvisers Orchestra, welches ich viele Male in Konzerten gesehen hatte, als ich in London lebte, und bei welchem ich in den letzten Jahren einige Male mitwirkte. Weiters gibt es das Vienna Improvisers Orchestra, zu dem mich Gründer und Leiter Michael Fischer oftmals einlud mitzusingen und auch einmal zu dirigieren, eine intensive und sehr erhebende Erfahrung. Als wir 2010 mit V:NM den Austausch mit dem UK organisierten, haben wir in diesem Rahmen unter Mitwirkung unserer englischen Gäste auch ein Improvisationsorchester veranstaltet, in London wie in Graz beim V:NM Festival. Dies war für uns dann auch der „Spatenstich“ der Überlegung, ein Styrian Improvisers Orchestra hier in Graz zu initiieren, das nun sechs Mal im Jahr in unserem „Homeclub“, dem Stockwerk Graz konzertiert.
Ein wichtiger Part für V:NM Graz ist nun auch immer die Miteinbeziehung eines Improvisationsorchesterkonzerts bei den Austauschfestivals bzw. V:NM-Festivals, wie zum Beispiel kürzlich in Wroclaw, Polen, und im April in Graz. Es ist eine wunderschöne Arbeit, mit einem so großen Klangkörper zu arbeiten und eine Zeichensprache zu entwickeln bzw. zu verwenden, die von den MusikerInnen im Orchester verstanden und umgesetzt wird. Das Dirigieren ist eine lustvolle Rolle, in der ich viel experimentiere. Ich gebe nicht nur Handzeichen, sondern setze oftmals meine ganze Körpersprache mit ein, oft geht es nur darum, eine Assoziation hervorzurufen, um etwas in Gang zu bringen, oft weiß ich gar nicht, was ich damit erreichen werde und in welcher Form es beim Orchester ankommt. Was dabei herauskommt, ist oft sehr freudig überraschend.