„Mit ‚Out of the Blue‘ möchte ich die ZuhörerInnen dazu inspirieren, zu träumen, zu fantasieren und zu kreieren“ – NIGRITA im mica-Interview

Mit „Out Of The Blue“ (Mildenburg Records) veröffentlicht die Salzburger Musikerin NIGRITA aka PILMAIQUÉN ein sehr persönliches Album in Sachen eigener Spurensuche, ohne dabei vordergründig mit herkömmlichen World-Music-Sounds zu kokettieren. Viel eher zeigt „Out Of The Blue“ in seiner mitunter spärlichen Trio-Besetzung, wie dezent unterschiedliche musikalische Herkunftstraditionen einander durchdringen können. Zusammengehalten wird das alles auch durch eine ganz spezielle Auslegung von Jazz als gleichsam Klammer über all dem. Didi Neidhart traf NIGRITA zum Gespräch.

Die Songs auf „Out of the Blue“ sind in sehr kleiner Besetzung – Keyboards, Gitarre, Bass und Drums – aufgenommen worden. War diese geradezu intime Reduktion eine bewusste Entscheidung?

Nigrita: Ja. Ich war interessiert an einem möglichst rohen und natürlichen Sound. Die Tracks sind live eingespielt und „One Takes“.

Das aktuelle Material klingt deutlich mehr nach Jazz, ohne dabei eine gewisse „Roughness außer Acht zu lassen. Das heißt, es klingt weniger nach voll ausgebildeten Jazz-Stimmen als eher nach solchen, wie wir sie u. a. von Musikerinnen und Musikern wie Billie Holiday, Joni Mitchell und Amy Winehouse kennen. Würdest du dem zustimmen? 

Nigrita: Ich denke, diese Vergleiche mit anderen Musikerinnen und Musikern und die Kategorisierungen in Genres darf ich den Zuhörerinnen und Zuhörern sowie den Kritikerinnen und Kritikern überlassen. Es stimmt, dass ich – obwohl ich mit professionellen Mentorinnen und Mentoren wie Simone Klebel-Pergmann, Barbara Schmalzl-Rauchbauer und Svilen Angelov zusammenarbeiten darf – keine professionelle Musikausbildung an einer Ausbildungsstätte abgeschlossen habe. Dass es mehr nach Jazz klingt, liegt vielleicht daran, dass ich erst mit dem Soloprogramm angefangen habe, mehr auf dem Klavier zu komponieren. Auf dem Album sind allerdings auch ein Reggae-Song und ein Song mit Gitarrensounds, der eher in Richtung Rock geht, zu hören. Grundsätzlich denke ich beim Schreiben von Songs allerdings nicht an Genres.

Thematisch geht es bei „Out of the Blue“ um eine Suche nach der eigenen Herkunft. Wie kam es zu dieser Idee?

Nigrita: Durch Recherchen und Gespräche mit meinen Eltern über meine Vorfahren. Von den Geschichten und Lebensrealitäten meiner Vorfahren zu wissen, bringt meine Lebensrealität in eine erweiternde Perspektive. Das Muster im Denken des Menschen ist oft damit beschäftigt, Probleme zu finden, was an sich nicht uninteressant ist, aber unsere Interpretation davon führt oft zu Unzufriedenheit. Wenn ich mir das Spektrum der verschiedenen Lebensrealitäten meiner Vorfahren vor Augen führe, welche vom Arbeitslosen bis zum Bankvorstand, von Knechten und Mägden bis hin zum Bergbauarbeiter, von Armutsbetroffenen bis hin zu wohlhabenden Industriellen, von Immigrantinnen und Immigranten bis hin zu Kriegsflüchtlingen, von Abenteuerinnen und Abenteurern bis hin zur Künstlerin, die sich als solche nicht verwirklichen durfte, reichen, dann spüre ich tiefe Empathie für ihre Schicksale und eine gewisse Distanz zu den Umständen meiner Lebensrealität.

Denn egal welcher Religion sie angehörten, egal ob gesellschaftlich schlecht gestellt oder privilegiert: Alle hatten sie die politischen Umstände, Hungersnöte, Weltkriege, aber auch Wirtschaftswunder, Sehnsüchte und Hoffnungen auf Neuanfänge zu meistern. Dies lässt mich dankbar sein für die Möglichkeiten, die ich habe, lässt mich empathisch sein mit den Herausforderungen, denen andere Menschen begegnen, und lässt mich verstehen, dass ich die meisten Dinge, die in meinem Leben passieren, nicht bestimmen kann. Aber was ich zu einhundert Prozent bestimmen kann, ist das, was ich kreiere. Darin liegt mein Glück.

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„Grenzüberschreitungen“ scheinen eine Konstante in deinen Arbeiten zu sein. Was fasziniert dich daran?

Nigrita: So klingt es ja brutal [lacht]. Was mich interessiert, sind die Freiheit und die Vielfalt, die wir oft erst entdecken, wenn wir über „Grenzen“ hinausdenken und in das Unbekannte schreiten. Ich empfinde es als starke Bereicherung und Inspiration, Menschen zu begegnen, die auf ihre eigene Weise leben und gleichzeitig die Individualität und Andersartigkeit ihrer Mitmenschen bewundern können. Ich empfinde es als Einladung, mich selbst weiterzuentwickeln und neu zu interpretieren. Ein spannendes und manchmal herausforderndes Entdeckungsspiel, dem ich in meinen Arbeiten lustvoll und experimentierfreudig nachgehen darf.

„Mein Zugang zum Gesang ist durch den Atem, welcher zum stetigen Tanz meines Körpers gehört.“

In deiner Biografie steht viel von deiner schon frühen Begeisterung für Musik und Tanz. Was verbindet diese beiden Kunstformen bzw. was lässt sich von der einen für die andere lernen?

Nigrita: Was ich in meinem Studium zur zeitgenössischen Bühnentänzerin gelernt habe, beeinflusst mich in der Form, wie ich Songs schreibe, als auch in dem, wie ich meine Konzerte spiele. Meine Kompositionen fallen oft aus den üblichen Taktformen und folgen manchmal riskanteren Timings und Strukturen. Ich verstehe Musik und Tanz als etwas, was nicht unabhängig voneinander existiert. Wenn ich Musik spiele oder andere Musikerinnen und Musiker beobachte, wie sie spielen, bewegen sie sich. Da ist immer ein Tanz in ihrem Spiel. Und andersrum kann ich nicht tanzen, ohne dabei einen Rhythmus zu erzeugen. Mein Zugang zur Musik passiert also durch den Tanz.

Mein Zugang zum Gesang ist durch den Atem, welcher zum stetigen Tanz meines Körpers gehört. Wenn ich an die Techniken denke, die ich in Tanz und Choreografie erlernte, kann ich diese direkt in die Musik übersetzen. In beiden geht es um Dynamik, Timing, Rhythmus, Intention, Intensität und Persönlichkeit bzw. Interpretation. Auch für das Singen ist das erlernte Wissen über die Anatomie des Körpers, die Kraft und Flexibilität von Vorteil. Für diejenigen, die es interessiert, gebe ich zu diesem Thema übrigens einen Workshop mit dem Titel „Body As An Instrument“ im Rahmen des Rockhouse-Workshop-Programms am 11. Dezember 2019 [Beginn 18:30 Uhr; Anm.]. Die Teilnahme ist gratis!

Glaubst du, dass mit Musik Mauern eingerissen und Vorurteile bekämpft werden können? Oder reduziert sich das im Endeffekt doch immer wieder zum wohlbekannten „Predigen für die eh schon Bekehrten“?

Nigrita: Ich denke Offenheit, Flexibilität und grundsätzliche Neugier an weiteren Strukturen sind das, was Mauern einreißen kann. Aber wenn ich Musik als Sprache der Emotionen verstehe und Emotionen als eine Kraft, dann glaube ich, kann ich diese nutzen, um mir neue Dinge vorzustellen und somit Vorurteile zu lockern. Mich hat Musik in vielerlei Hinsicht stark beeinflusst und ich würde sagen, sie hat mir auch ein weiteres Verständnis und neue Ideen eröffnet.

Stand diese eher sehr intime und reduzierte musikalische Umsetzung der Themen schon vorher fest oder hat sich das erst im Schaffensprozess so ergeben?

Nigrita: In Vorgesprächen mit Svilen Angelov, der das Album aufgenommen, gemixt und gemastert hat, entschied ich mich für diese reduzierte Version.

„Das Meer und das Wasser repräsentieren für mich auch die Schöpfungskraft.“

Was ist die „ Out of the Blue” Experience“?

Nigrita: „Out of the Blue“ ist der Titel des Albums und bedeutet so viel wie „aus heiterem Himmel“. Die Idee kam mir nach einem Brainstorming mit Andreas Neumayer, als wir überlegten, einen Flashmob im Rahmen des Musikfestivals Take the A-Train zu programmieren. Wir spazierten durch das Bahnhofsviertel in Salzburg und suchten nach einer passenden Location. Mir gefiel die Idee einer Performance zu einem unerwarteten Zeitpunkt an einem Ort, wo sonst der Alltag passiert. Denn so kommen mir meistens auch die Ideen zu meinen Songs und Projekten – unerwartet und aus dem Nichts.

„Blue“ verwende ich in dem Song auch als Synonym für das Meer, welches für mich die beeindruckendste Kraft der Natur ist, deren Eigenart und Gesetze meine Emotionalität und die Quelle meiner Kraft widerspiegeln. Das Meer und das Wasser repräsentieren für mich auch die Schöpfungskraft.

Mit „Out of the Blue“ möchte ich die Zuhörenden dazu inspirieren, zu träumen, zu fantasieren und zu kreieren. Denn oft stoppen wir uns selber, wenn es darum geht, Dinge zu kreieren, weil wir denken, es sei unmöglich, sie umzusetzen. Wenn wir die Utopie mit Emotion und Aktion verbinden, dann manifestieren und schaffen wir es dennoch! Diesen Ursprung in der Vorstellungskraft sollen wir nutzen, genießen und zu unserem Besten verwenden. Wir sollten einander inspirieren, indem wir uns überraschen und unsere neuen Formen bestaunen.

Beim Schlusstrack „Deep“ kommen plötzlich dezente Reggae- und Dub-Elemente mit ins Spiel, wo der Hall quasi Freiräume bzw. Räume öffnet. Kann das als Art utopisches Fazit von „Out Of The Blue“ verstanden werden?

Nigrita: Ja, das finde ich eine sehr schöne Interpretation.

Wie wurde die CD finanziert?

Nigrita: Das Album wurde von mir persönlich und hoffentlich vom SKE Fonds finanziert, wobei Letzteres noch nicht feststeht. Es wird allerdings keine CD-Pressung geben, sondern einen Download-Link, den man sowohl online über meine Homepage [https://nigrita.net/; Anm.] als auch bei den Konzerten in Form von Visitenkarten, die die den Download-Code kommunizieren, erwerben kann.

Dazu bekommt man das Albumcover in Form eines Posters, welches von Jan-Nahuel Jenny [in seinen Arbeiten auch bekannt unter „Noffice“; Anm.] designt wurde. Gesondert angefertigte USB-Sticks, welche mit der Unterstützung von Heinz Odehnal [Muspelhaus Salzburg; Anm.] kreiert wurden, wird es ebenfalls bei den Konzerten und in den Shops zu erwerben geben.

Wie wird das Ganze live umgesetzt?

Nigrita: Für die Live-Konzerte habe ich David Binderberger an der Gitarre und Lukas Pamminger am Bass [beide bekannt aus Projekten wie Scheibsta & die Buben, The Talisman Collection, Parametrix, Angelika Teufl etc.; Anm.] und Camillo-Mainqué Jenny [Renato Unterberg, Ian Fisher, Baad Roots, City Blues Connection; Anm.] am Schlagzeug eingeladen.

Das Album wird mit ihnen etwas frecher und spielerischer interpretiert. Die folgenden Konzerte mit ihnen sehe ich auch als Warm-ups für die nächsten Aufnahmen, weshalb ich mich auch darauf freue, mit der Interpretation der Songs in Kommunikation mit dem Publikum live zu experimentieren.

Herzlichen Dank für das Gespräch!

Didi Neidhart

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Nigrita live:
05.12. Stadtwerkstatt, Linz
06.12. Altes Spittal, Viechtach (D)
13.12 Winterfest, Salzburg
15.12. Cafe 7Stern, Wien
21.12. Club 101 Familly, Rockhouse, Salzburg

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