„[M]ir geht es um eine Aussage. Die muss passieren […]“ – CHRISTIAN FENNESZ im mica-Interview

Weltstar. Daheim ignoriert. FENNESZ veröffentlicht „Agora“ (Touch). Man möchte meinen, wenn PITCHFORK und die NEW YORK TIMES einen Musiker euphorisch besprechen, der in Wien lebt, wenn er die CARNEGIE HALL ausverkauft, dass sich ein laues Lüftchen hebt. Aber alles still.

Nicht einmal die WIENER FESTWOCHEN, bei denen FENNESZ im großen VOLKSTHEATER spielt, haben die Menschen und die Blätter dieser Stadt wachgerüttelt. Vielleicht müsste man sich öfter treffen, sich von Mensch zu Mensch zuraunen, sich dieses Geheimnis anvertrauen, dass hier etwas Großes entsteht und das längst schon tut, dass es schwer in Worte fassbar ist, wie fundamental diese Musik anrührt, die trotzdem nicht ihrer Zeit enthoben ist. Früher, als Menschen nur große lange Tücher anhatten, aber keine CD-Player besaßen, trafen sich alle freien Bürger von Athen auf einem Platz, den sie Agora nannten. Dort machten sie das Private öffentlich und erfanden so – nicht unbedeutend – die Demokratie. Stefan Niederwieser sprach mit FENNESZ über „happy accidents“, die 5er-Bim, unhörbare Gitarren, die SVA und RAF CAMORA.

Wann muss man ein neues Album machen?

Fennesz: Wenn die Leute sagen, dass man muss. Ich habe in der Zwischenzeit an vielen Projekten gearbeitet, mit dem belgischen Choreografen Damien Jalet haben ich zwei riesige Stücke gemacht, was wirklich lang gedauert hat. Es gab Filmmusik, eine Calvin-Klein-Modeschau, vor vier Jahren habe solo ich in der ausverkauften Carnegie Hall gespielt. Ich liege gern faul herum. Aber meistens war ich beschäftigt.

Mark Richardson nennt Sie in seiner euphorischen Review den großen Romantiker der elektronischen Szene.

Fennesz: Romantik und Melancholie, da habe ich nichts dagegen.

„Ich lasse diese Fehler weiterhin zu”

Was steckt hinter dem Sound, mit dem „In My Room“ beginnt?

Fennesz: Es ist genial, wie Menschen über „In My Room“ schreiben und welche Instrumente sie zu hören glauben. Alles falsch [lacht]. Der Name des Songs von den Beach Boys hat mich immer fasziniert. Der kleine Raum wird ein Mikrokosmos, in dem man sich Wochen und Monate aufhält und alles verwendet, was da ist. Zum Teil auch Field Recordings, ich habe mit Drumsticks auf dem Tisch gespielt, Küchengeräte aufgenommen, eine 5er-Station ist vor meinem Fenster, man hört das kaum, aber es ist da. Das Brummen zu Beginn ist ein Synth auf Max/MSP, den ich tiefer gestimmt habe. Ich habe dessen Filter heruntergefahren und er hat zu pumpen angefangen. Ich lasse diese Fehler weiterhin zu, sie waren oft Ausgangspunkt für meine Kompositionen, ich bin glücklich über diese happy accidents.

Das ist ein arges Schlagwort. Sind Sie der Bob Ross der Elektronik-Szene?

Fennesz [lacht]: Bitte nicht.

Einige Leute hören auf „In My Room“ eine Gitarre.

Fennesz: Das ist ein billiger Synthesizer. Eine Gitarre gibt es nur bei „Rainfall“, und zwar meine geliebte „Fender Tele Acoustic“, die ich um eine Terz aufs C runtergestimmt habe, das geht mit relativ dicken 012er-Saiten. „We Trigger The Sun“ habe ich auf meiner alten „Fender Strat“ durch ein Computer-Plug-in gespielt, eine Art Granular-Synthesizer, um eine Oktave tiefer, dazu Hall.

Dorian Concept speichert keine Presets. Lässt sich dieser Effekt speichern?

Fennesz: Es sollte zwar mit Presets gehen, live muss ich das trotzdem immer wieder neu machen. Dorian Concept ist ganz großartig, ich habe ich zweimal mit ihm gespielt, er ist wie ein Jazzer aus den Sechzigern.

„[I]ch bin ein Kind der Achtziger”

Christian Fennesz (c) Lorenzo Castore

Bei „Rainfall“ hat jemand The Cure entdeckt.

Fennesz [schmunzelt]: Na gut, ich bin ein Kind der Achtziger, mein Gitarrespiel ist sehr von dieser Zeit beeinflusst.

Ihre Familie ist auf dem Album zu hören.

Fennesz: Katharina Caecilia Fennesz ist meine Tochter, Mira Waldmann ist meine Frau, ich wollte weibliche Stimmen im Hintergrund, sie sind verschwommen, eine Nuance.

Welche Field Recordings gibt es auf dem Titeltrack?

Fennesz: Manfred Neuwirth hat mir Aufnahmen vom Meer in Portugal gegeben, die habe ich eingearbeitet. Meine Frau hat außerdem eine Zeile von Fernando Pessoa rezitiert, ich habe die Schönheit dieser Sprache zurückgenommen verwendet, sodass die Stimme mit den Instrumenten verschwimmt.

Zweimal kommt ein neuer, schwerer Sound hinzu.

Fennesz: Das ist ein billiger Synthesizer-Bass, den ES2 aus Logic verwende ich gerne.

„We Trigger The Sun“ hat ein harmonisches Thema. Wie lange gibt es das schon?

Fennesz: Die Akkorde trage ich seit 30 Jahren mit mir herum, sie so zu fokussieren, das war First Take, die Töne sind ganz einfach und primitiv, A-B-A, aber irgendwie wirksam. Das ist das erste Album, das ich nicht in a-Moll und C gemacht habe, alles ist in Fis gespielt. Für die wenigen Gitarrenparts musste ich auf klassischer Gitarre mit Nylonsaiten und breitem Griffbrett üben.

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Der Synth erinnert an Angelo Badalamenti.

Fennesz: Er hat genau diesen Synth verwendet.

Wann ist ein Track abgeschlossen?

Fennesz: Das Album war Performance, ich hatte meine Sounds und Effekte, wusste, wie es klingen soll, und habe das Album wie in eine Bandmaschine eingespielt. Ich würde mich niemals mit so einer Größe vergleichen wollen, aber von der Herangehensweise war es ähnlich wie „On The Beach“ von Neil Young, First Take, auch wenn es schlecht ist, es bleibt. Das war in zwei Wochen getan. Davor habe ich ein Jahr überlegt. Das ist meistens so, ich muss überlegen, was ich zu sagen habe und wie ich es sage. Ich will mich nicht mehr auf unglaublich gekonnte Produktionstricks versteifen, mir geht es um eine Aussage. Die muss passieren, wenn es wirklich wichtig ist. Oft habe ich überhaupt nichts zu sagen, arbeite lieber mit anderen zusammen.

Das Album Ende Oktober 2018 fertig und wurde fünf Monate später veröffentlicht.

Fennesz: Furchtbar, das lag an der Logistik. Der Brexit ist auch für uns ein Problem. Die Vinyl-Firmen sind überfordert.

Auf vielen Fennesz-Covers ist Wasser zu sehen, bei „Endless Summer“, „Venice“, „Black Sea“ und jetzt wieder.

Fennesz: Das ist Jon Wozencroft, er hängt an dieser Idee, das bin nicht unbedingt ich, aber das ist in Ordnung. Jedes Album entsteht beim Label „Touch“ im Team, Mike [Harding; Anm.] macht das Business, Jon macht die Art Direction, ich die Musik.

„Ich kenne Manager, die große Machos sind, aber gleichzeitig Frauen fördern.”

Elektronische Musik ist als „Musik von Buben“ verschrien. Sie haben neben zahlreichen Männern auch mit Anna Zaradny, Soap&Skin und Lucia Pulido kollaboriert. Ist die Szene für Frauen offener geworden?

Fennesz: Ich bin sicher, im Rock, Indie und Techno ist es nicht so. In der experimentellen Szene schon, denke ich, auch in der Klassik. Es gibt viele Frauen im Ambient, bei Field Recordings oder experimenteller Musik, gerade „Touch“ und „Mego“ sind Labels, auf denen vergleichsweise viel Musik von Frauen veröffentlicht wird. Ich kenne Manager, die große Machos sind, aber gleichzeitig Frauen fördern. Letztes Jahr habe ich einen Auftritt in Berlin abgesagt, weil der Mitgründer von Giegling eine dumme Meldung abgegeben hat, Freundinnen von mir sind reihenweise aus Protest aufgestanden, ich will nicht spielen, wo sich Frauen unwohl fühlen. Diese Typen sind oft sehr nett und sagen dann so etwas Blödes.

Wenn ich fünf Sekunden eines zufälligen Fennesz-Tracks vorspielen würde, würden Sie ihn erkennen?

Fennesz: Nein, ich mache meine Musik, dann ist es weg, ich höre sie ein Monat lang, dann nie wieder.

Warum haben ausgerechnet „oto“ und „haru“ mit Ryuichi Sakamoto auf Spotify mit drei bzw. sechs Millionen so viele Plays?

Fennesz: Ich denke, das ist alles Japan. Das Album „Cendre“ finde ich gut, natürlich ist es gefällig, Melodien wie bei Satie, es hat sich super verkauft. Von Spotify habe ich bisher kein Geld bekommen, es ist unfassbar. Die Publishing-Firma hat schon mit David Bowie gearbeitet, das sind echte Profis, Spotify ist sehr undurchschaubar.

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Was ist Ihr größtes Sammlerstück?

Fennesz: Das weiß ich nicht, es könnte „Plays“ auf Mego sein. Ich habe privat eine Version von „Don’t Talk“ von den Beach Boys, auf der Brian Wilson tatsächlich drübersingt. Als ich sie David Sylvian kürzlich geschickt habe, meinte er, er wolle jetzt auch wieder Songs schreiben.

Wird Ihre Tochter an Ihrem Nachnamen erkannt?

Fennesz: Sie wird oft darauf angesprochen, sie meinte schon, sie wolle ihn ändern [lacht]. Die Freundinnen und Freunde meiner Tochter kommen aber alle zum Konzert ins Volkstheater.

Bei den Festwochen wird Lillevan wieder Visuals machen.

Fennesz: Als ich Christophe Slagmuylder getroffen habe, meinte er, dieses Konzert sei seine erste Idee gewesen. Er wollte unbedingt, dass ich allein auf der Bühne stehe. Lillevan macht die Visuals und das Lichtkonzept. Ich muss ihm noch sagen, dass ich Strobo will.

„Das finde ich nur mehr lustig.”

Wie gut ist der Support in diesem Land?

Fennesz: Es gibt Institutionen, die mich immer unterstützt haben. TBA21 hat mich zweimal unterstützt, es gab sofort Kommentare, der ist jetzt der neue Handlanger von Francesca Habsburg, dabei habe ich für billiges Geld gespielt. Die Leute sind furchtbar hier. Es gibt noch keine Kritik des Albums, in der New York Times gab es die, jedes Mal. Das finde ich nur mehr lustig.

RAF Camora wurde jahrelang ignoriert, heute ignoriert er Interviewanfragen.

Fennesz: Recht hat er.

Wie sieht Ihre Pensionsvorsorge aus?

Fennesz: Ich bin einer der größten SVA-Einzahler. Manchmal verstehe ich nicht, warum ich in diesem Land noch lebe, wenn sie mir alles wegnehmen. Ich bin komplett unabhängig und ungefördert. Ich habe die Schnauze voll, ich will von niemandem was haben. Ich werde Zeit meines Lebens sicher nicht viel Geld mit meiner Musik machen. Wenn ich tot bin, werden meine Erbinnen und Erben gut davon leben.

Herzlichen Dank für das Gespräch!

Stefan Niederwieser

„Agora“ von Fennesz ist bereits via das Label „Touch“ erschienen.

Termin:
16. Mai 2019 – Wiener Festwochen, Volkstheater

Links:
Christian Fennesz (Website)
Christian Fennesz (Facebook)