„Mich interessiert, wohin es geht“ – ERICH URBANNER im mica-Interview

Jubiläen einiger der prominentesten Komponisten des Landes prägen das erste Viertel des Jahres 2016. Nach dem 80. Geburtstag von IVÁN ERÖD, dem 90. Geburtstag von FRIEDRICH CERHA und dem Gedenken anlässlich des 100. Geburtstages von KARL SCHISKE feiert nun ERICH URBANNER am 26. März seinen 80er. Christian Heindl sprach mit ihm über Zusammenhänge und Individuelles.

Herr Professor Urbanner, in den letzten Monaten feierte man in Österreich die runden Geburtstage von Friedrich Cerha und Iván Eröd, im Vorjahr auch von Kurt Schwertsik, man gedachte – wenn auch leider nur in geringem Maß – Ihres Lehrers Karl Schiske, der heuer 100 Jahre alt geworden wäre. Wie sehen Sie selbst ihre gegenwärtige Präsenz unter allen diesen Jubilaren? Sind Sie zufrieden oder könnte es „ein bisschen mehr“ sein?

Erich Urbanner:
Letzteres natürlich immer. Aber um auf die Genannten zu kommen: Die Kommunikation zwischen allen fünf war immer sehr dicht, dazu kam aber auch eine große Zahl weiterer Kolleginnen und Kollegen aus unserer Generation. Schiske tat sich manchmal mit diesem Angebot, das da auf ihn zukam, schwer. Das führte manchmal im Unterricht dazu, dass er abrupt abbrach und sagte: „Jetzt schauen wir uns das bei der Kunst der Fuge an.“ Uns alle hat das so geprägt, dass Stimmführung für uns ganz wichtig wurde.

„Ich kann etwas schlecht machen, aber ich muss wissen, was die Konsequenzen sind.“

Sie waren selbst ab 1961 Lehrer an der Wiener Musikakademie, folgten später nahtlos auf Karl Schiske und sind bekannt dafür, dass sie ebenfalls eine große Zahl verschiedenartiger Individuen in Ihrer Klasse hatten. Haben Sie Ihre eigenen Schülerinnen und Schüler auch in diese Richtung gedrängt?

Erich Urbanner:
Natürlich ging ich als junger Lehrer – gerade aus der Klasse Schiskes entsprungen – auch in diese Richtung und habe besonderen Wert auf Stimmführung und Zusammenklang gelegt, darauf, dass es gut klingt. Mit den Jahren meines Unterrichts wurde es mir immer wichtiger, die Individualität der Schülerinnen und Schüler zu erkennen und zu führen. Ich habe immer versucht, nicht zu blockieren, aber auf etwas hinzuweisen. Nach dem Motto: „Wenn ich als Komponist etwas ‚schlecht‘ mache, was sind dann die Konsequenzen?“ Ich kann etwas schlecht machen, aber ich muss wissen, was die Konsequenzen sind. Das findet man auch bei bekannten Stücken.

Sie haben mir einmal erzählt, dass Sie durchaus auch immer wieder selbst von Ihren Schülerinnen und Schülern gelernt haben.

Erich Urbanner: Ja, freilich. Oft sind die Schülerinnen und Schüler zu Wegen gekommen, bei denen ich selbst sehr viel gelernt habe. Man muss als Lehrer auch imstande sein, Einflüsse, die auf einen zukommen, zu akzeptieren. Viele Dinge beeinflussen mich, und es ist für mich eine Bereicherung, aus diesen Eindrücken eine eigene Kreativität zu entwickeln. Ähnlich wie auch die Musik Schiskes bei mir Kreativität bewirkt hat. Nehmen wir zum Beispiel meine ihm gewidmete zweite Klaviersonatine. Das ganze Musikantische darin kommt von Schiske, und der Mittelsatz greift ein kontrapunktisches Prinzip von ihm auf.

Ich vermute, dass es auch verschiedenste Wechselwirkungen zwischen den Kollegen gab?

Erich Urbanner: Ja. Beispielsweise Cerha: Cerha war kein Schiske-Schüler, aber er war immer bei unserer Gruppe dabei. Für uns etwas Jüngere war sehr wichtig, dass er sich auch immer als hervorragender Geiger zur Verfügung gestellt hat. Ich habe ihn als Klavierpartner näher kennengelernt. Er hat die Dinge immer mit einer unglaublichen Ruhe rübergebracht. Und er hat mich sozusagen zu einer unglaublichen Präzision „erzogen“. Neue Musik kann nur so funktionieren. Ich war auch beeindruckt von den Wirkungen, die er durch neue Spieltechniken in eigenen Kompositionen erzielt hat, etwa die Tasten mit dem Ellbogen zu drücken.
Auch mit Iván Eröd habe ich viel gespielt. Kompositorisch war er damals noch in einer seriellen Phase, was sich dann wohl wegen seiner Praxis als Korrepetitor an der Wiener Staatsoper anders entwickelt hat.

„Ich verlange viel und es ist kompliziert, aber nicht zu kompliziert.“

Sie selbst haben ihren damals eingeschlagenen Weg im Wesentlichen bis heute weiterverfolgt. Das bringt mich zu einer häufigen Frage: Warum ist die Musik von Urbanner oft so kompliziert?

Erich Urbanner: Es ist klar, dass man um Verständlichkeit bemüht ist, aber ich kann aus meinem Level nicht heraus. Ich verlange viel und es ist kompliziert, aber nicht zu kompliziert. Die Musikerinnen und Musiker müssen sich anfangs oft überwinden, aber dann kommen sie rasch hinein. Aber es gibt bei mir auch leichtere Stücke, wie die für Schülerinnen und Schüler gedachten „Sieben Klavierstücke für Fortgeschrittene“, bei denen das letzte Stück allerdings der Lehrerin beziehungsweise dem Lehrer vorbehalten bleibt, oder auch die frühen „Elf Bagatellen für Klavier“. Aber auch deutlich schwierigere Stücke werden oft von den Jüngsten und von Liebhabern gespielt, etwa das Solo für Geige oder das zweite Streichquartett. Das freut mich natürlich.

So manche Kolleginnen und Kollegen beneiden Sie um Ihre exzellente Vorstellungskraft, mit der Sie auch extrem dichte Partituren in Ihrem Inneren spontan zum Erklingen bringen können. Das macht Sie natürlich zu einem begehrten Juror, wenn es etwa um Kompositionswettbewerbe geht. Bei all Ihrer jahrzehntelangen Erfahrung: Wie urteilt man über andere? Ich gehe davon aus, dass das Maßstäbe sind, die Sie auch für sich selbst anwenden.

Erich Urbanner: Mir geht es um eine Strategie. Das ist auch bei Bewerbungen um Lehrstellen für Komposition so. Da sieht man viele, die mit einer Studentin beziehungsweise einem Studenten arbeiten und gleich am Anfang herummäkeln, ohne zu wissen, wohin es geht. Ich verschaffe mir zunächst einmal einen Überblick, sehe, dass da ein Übergewicht besteht oder dass dort etwas fehlt. Wenn aber etwas fehlt, etwa ein Kontrast, worauf ist es dann angelegt? Auf welchen Details baut es auf? Dann muss man die Vorstellungskraft einsetzen: Wie klingt dieses oder jenes Instrument in jener Lage und wie entsteht dadurch eventuell doch Kontrast? Mich interessiert, wohin es geht. Oft wird es am Schluss immer brüchiger, was aber manchmal nicht gut funktioniert, sondern einfach langweilig wird, weil die Proportionen nicht stimmig sind. Man sieht in Partituren immer wieder vieles, das überladen wirkt, das gar nicht gehört wird – aber wenn es dann ausgelassen wird, dann fehlt etwas. Außerdem lege ich auch großen Wert auf den Rhythmus; nicht im Sinn der Motorik, sondern in Bezug auf die rhythmische Beziehung der Instrumente zueinander. Der Rhythmus muss immer wieder neue Kraft erzeugen. Wenn das in einem Stück nicht der Fall ist, ist es nicht gut.

„Das, was man zu bieten hat, soll auch außerhalb dieser Jubiläen wahrgenommen werden.“

Über die Jahrzehnte haben Sie immer wieder in verschiedenen Gremien – gelegentlich auch still im Hintergrund – die Interessen Ihrer Kollegenschaft vertreten. Wie beurteilen Sie generell die aktuelle Lage?

Erich Urbanner: Ich möchte erreichen, dass das Interesse an einer Person, an einer Komponistin oder einem Komponisten nicht an einen Geburtstag gebunden ist. Das, was man zu bieten hat, soll auch außerhalb dieser Jubiläen wahrgenommen werden. Ich bin zufrieden mit meinen Aufführungszahlen, aber ich wünsche mir doch, dass mehr für meine Kolleginnen, Kollegen und mich – für die zeitgenössische Musik allgemein – getan wird. Die hohen Subventionsmittel sollten auch dafür eingesetzt werden. Wenn man das etwa bei den Wiener Symphonikern anschaut, ist das dramatisch!

Können die Komponistinnen und Komponisten selbst etwas tun, um ihre Position zu verbessern?

Erich Urbanner: Die Komponistinnen und Komponisten sollten auch ihre Interpretinnen und Interpreten „suchen“ und finden – das Interesse der Interpretinnen und Interpreten wecken. Über das Interesse kommt es zu erstklassigen Aufführungen auch außerhalb des Gettos. In meinem Fall denke ich beispielsweise an die wunderbaren Konzerte des Alban Berg Quartetts, das meine Quartette, eingebettet zwischen Mozart und Beethoven, auf der ganzen Welt gespielt hat.

Die klassische Schlussfrage im Rahmen eines solchen Gesprächs: Woran arbeiten Sie zurzeit, wie sieht der Blick in die Werkstatt aus, was sind Ihre Wünsche im Hinblick auf mögliche Aufträge?

Erich Urbanner: Was gerade fertig wurde, sind „15 Bauernregeln und ein Original“ nach Texten von Richard Bletschacher für Stimme, Gitarre, Akkordeon, Klarinette und Kontrabass. Jetzt komponiere ich ein Stück für Windkraft Tirol und Kasper de Roo, das im Juni zur Uraufführung gelangen soll: „Quasi una fantasia“. Da werde ich versuchen, eine unglaubliche Bewegung mit den Bläsern zu erreichen – ein Bezug auf die Bewegung überall, im Verkehr etc.; oft geht mir das Temperament durch und ich muss innehalten und schauen, dass das lyrische Element – ich bin ja auch in einem gewissen Grad Melodiker – zum Tragen kommt. De Roo wünscht sich eine Besetzung wie im „Kammerkonzert“ von Alban Berg. Daher habe ich mir das angesehen und geschaut, wie Berg Virtuoses behandelt hat. Ich habe mich damit auseinandergesetzt und versuche nun meinen eigenen Weg. Was danach kommt, weiß ich noch nicht. In der Regel ist alles möglich, im Kopf habe ich schon einige Sachen!

Vielen Dank für das Gespräch und alle guten Wünsche zu Ihrem Ehrentag!

Christian Heindl

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