Das Vokalensemble CANTANDO ADMONT versteht sich als klingende Brücke zwischen Alter und Neuer Musik. 2016 von der gebürtigen Schweizerin und Wahlgrazerin CORDULA BÜRGI gegründet, bringt das Ensemble Werke aus Renaissance, Klassik und Romantik in zeitgenössischer Interpretation auf die Bühne – mit großem Erfolg. CANTANDO ADMONT bespielte prestigeträchtige Festspiele wie Bayreuth und Salzburg, gastierte in Singapur und arbeitet mit Beat Furrer zusammen. Christoph Benkeser und Michael Franz Woels erzählt CORDULA BÜRGI, woher ihr Interesse für liturgische Choräle stammt, warum Gesprächskonzerte auf immer größeren Zuspruch stoßen und wie einzelne Stimmen ihre Individualität zum Ausdruck bringen, um sich gleichzeitig zu einem homogenen Klang zu vermischen.
Sie sind 2014 aus der Schweiz nach Österreich gezogen. Was hat sie 2016 zur Gründung von Cantando Admont bewogen?
Cordula Bürgi: Ich hatte schon lange den Wunsch, ein Vokalensemble zu gründen, das sich mit anspruchsvoller, zeitgenössischer Musik beschäftigt. Der Umzug nach Österreich gab mir die Möglichkeit, dieses Vorhaben zu verwirklichen.
Woher stammt Ihre Faszination für liturgische Choräle und deren Verbindung mit Neuer Musik? Was macht die Faszination aus?
Cordula Bürgi: Von Kind auf habe ich die Faszination für Alte, insbesondere die großartige Vokalmusik der Renaissance und für die Neue Musik. Das mag familiär begründet sein. Mich hat schon immer Unkonventionelles aufhorchen lassen. Musik, die ich nicht auf Anhieb verstehe, die nicht offensichtlich ist, zu der ich aber eine ganz starke, innere Verbindung verspüre. Außerdem habe ich in meiner Jugend als Geigerin im Orchester gespielt. Daraus hat sich das Interesse für die große Orchesterliteratur ergeben.
Sie haben Violine, Dirigieren und Gesang studiert, sich mit gregorianischer Aufführungspraxis auseinandergesetzt. Welche speziellen Aspekte ihrer Studien fließen in Ihre Arbeit mit Cantando Admont ein?
Cordula Bürgi: Alle Aspekte. Die Auseinandersetzung mit kompositorischen Werken, welcher Art auch immer, erfordern stets ähnliche Herangehensweisen: als Erstes verschaffe ich mir einen Zugang zum musikalischen Werk, indem ich mich auf künstlerischer wie auch musiktheoretischer, musikhistorischer und analytischer Ebene damit auseinandersetze. Obschon ich bereits über einige Erfahrung und Wissen verfüge, ist es mir dennoch wichtig, das Gelernte zu hinterfragen und für neue Erkenntnisse offen zu sein. Auch ziehe ich immer den Rat von Spezialistinnen und Spezialisten bei.
„DER IMMENSE REICHTUM DER VOKALTRADITIONEN DER RENAISSANCE INSPIRIERT GERADE HEUTE WIEDER KOMPONISTINNEN UND KOMPONISTEN ZU NEUEM MUSIKSCHAFFEN.“
Sie interessieren sich für das Verhältnis von Neuer und Alter Musik. Wo setzen Sie in Ihrer Arbeit an? Welche Anknüpfungspunkte lassen sich aus diesem Verhältnis destillieren?
Cordula Bürgi: Ich sehe die gesamte Musikwelt als ein großes Geflecht von Beziehungen zwischen Komponistinnen und Komponisten, Musiktheoretikerinnen und Musiktheoretikern, Autorinnen und Autoren, Interpretinnen und Interpreten und anderen Kunstschaffenden. Beleuchte ich ein bestimmtes Werk, eine bestimmte Komponistin, einen Interpreten oder eine Musiktheoretikerin, ergeben sich daraus automatisch Beziehungen zu Kunstschaffenden aus verschiedenen Zeiten. So sehe ich die Neue Musik kontinuierlich mit der Alten verbunden. Das Neue existiert durch das Alte und das Alte existiert durch die Wahrnehmung des Neuen. Letztlich geht es um die Erfahrung eines aktuellen „in der Welt seins“. Der immense Reichtum der Vokaltraditionen der Renaissance inspiriert gerade heute wieder Komponistinnen und Komponisten zu neuem Musikschaffen.
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Die Videos auf ihrer Website geben die erstaunliche stilistische Bandbreite der Vokalstücke von Cantando Admont wider. Vom sphärischen „Das atmende Klarsein“ von Luigi Nono mit dem Elektro-Akustik-Duo Nimikry über die dadaistisch anmutende „Weisse Litanei“ von Peter Ablinger bis zum theatralen, repetitiven „TEN BULLETS THROUGH ONE HOLE“ vom Performer-Komponisten Laure M. Hiendl. Welche Experimente beziehungsweise Ausflüge in ungewöhnliche Vokalwerke erwarten die Hörerinnen und Hörer von Cantando Admont in naher Zukunft?
Cordula Bürgi: Dieses Jahr bringen wir im Rahmen des Musiktheaterprojekts „Once to be realised“ zusammen mit dem aus Thessaloniki stammenden Instrumentalensemble dissonArt Werke von Younghi Pagh-Pann, Samir Odeh-Tamimi, Beat Furrer, Barblina Meierhans und Christian Wolff zur Uraufführung. Für unsere eigenen Gesprächskonzerte haben wir dieses Jahr drei Kompositionsaufträge an Alexey Retinsky, Orestsis Tsoufeksis und Florian Gessler erteilt. Diese Werke stellen wir unbekannten Vokalwerken aus der Zeit der Grazer Hofkapelle von 1564 – 1619 gegenüber. Im Januar haben wir beispielsweise eine Messe von Francesco Rovigo, der von 1582 – 1590 als Hoforganist in Graz gewirkt hat, aufgeführt. Diese Messe war sowohl für uns als Ensemble als auch für das Publikum ein ganz besonderer Moment. Ich bekam nachträglich viele Nachrichten von Kompositionsstudent*innen, die sich für diese „Entdeckung“ bedankt haben.
Im Sommer werden wir gemeinsam mit dem Klangforum Wien bei den Salzburger Festspielen mit Werken von Morton Feldmann und Dallapiccola zu hören sein. Im März wären wir ebenfalls mit dem Klangforum Wien mit Bruno Madernas Oper Satyricon am Tongyeoung International Festival in Südkorea aufgetreten. Glücklicherweise wurde das angesichts der aktuellen Lage auf Frühling 2021 verschoben. Ebenfalls auf 2021 verschoben ist die Uraufführung von Wolfgang Mitterers „am morgen als die sonne aufging“ für 7 Frauenstimmen, Klavier und Elektronik, das im Rahmen des Osterfestivals Imago Dei hätte stattfinden sollen.
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„WIR HABEN GEMERKT, DASS DIESE FORM DER GESPRÄCHSKONZERTE AUF EINEN GROSSEN ZUSPRUCH DES PUBLIKUM STÖSST.“
Seit 2019 findet im Bruseum in der Neuen Galerie Graz der Konzertzyklus „Gesprächskonzerte – concert talks“ statt. Wie kann kann man sich den Ablauf eines solchen Abends vorstellen?
Cordula Bürgi: In der Regel werden zwei Komponist*innen eingeladen, von denen wir ein bis zwei Werke aufführen – darunter Uraufführungen und/oder österreichische Erstaufführungen. Am Konzertabend stellen wir die Komponist*innen dem Publikum in einem Gespräch vor. Besonders fruchtbar erscheinen mir Gespräche mit zeitgenössischen Komponist*innen, die ihre besonderen Vorlieben für bestimmte Werke aus der Tradition zum Ausdruck bringen und durch diese auch ihr musikalisches Denken zur Darstellung bringen. Diese Form der Gesprächskonzerte stößt auf großen Zuspruch. Nach dem Konzert gibt es im Foyer eine kleine Bar, bei der sich die Zuhörer*innen, Sänger*innen und Komponist*innen weiter austauschen.
Alle Mitglieder von Cantando Admont sind ausgebildete Sängerinnen und Sänger. Von dieser Spezialisierung profitieren nicht nur zeitgenössische Komponistinnen und Komponisten, denen für ihre Vokalwerke ein Berufs-Chor zur Verfügung steht. Cantando Admont setzt auch auf eigens für unterschiedliche Zielgruppen entwickelte Formate der Vermittlung zeitgenössischer musikalischer Richtungen. Können Sie uns über ihre Erfahrungen berichten?
Cordula Bürgi: Die fachliche Kompetenz und Offenheit der Sängerinnen und Sänger von Cantando Admont ist eine Grundvoraussetzung unserer Arbeit. Einerseits muss sich eine Stimme mit anderen Stimmen zu einem homogenen Klang vermischen können, andererseits bringt sie ihre Individualität, ihre Einzigartigkeit zum Ausdruck. Das ist eine anspruchsvolle Arbeit, mit der viele Berufssängerinnen und Berufssänger schwer klarkommen, da sie in ihrer Ausbildung selten bis gar keine Gelegenheit zur Ensemble- und Kammermusik haben. Viele Gesangspädagoginnen und -pädagogen trainieren ihre Studierenden im solistischen Belcanto-Gesang. Das ist wichtig, ebenso wichtig aber scheint mir die Auseinandersetzung mit den zeitgenössischen vokalen Erfordernissen.
Ich erhalte viele Anfragen von Berufssängerinnen und Berufssängern, die bei Projekten von Cantando Admont mitmachen wollen. Dies meist mit der Begründung, dass sie sich für „etwas Anderes“ interessieren würden. Dass dieses „Andere“ anspruchsvoll ist und viel Übung braucht, ist den meisten kaum bewusst. Deshalb ist es mir ein Anliegen, durch verschiedene Formate möglichst viele Menschen für zeitgenössische Vokalmusik zu gewinnen. Das betrifft Gesangsstudierende ebenso wie Kinder, Jugendliche und erwachsene Menschen. Mit dem Workshop „Einfach Singen“, der sich an interessierte und singlustige Menschen mit oder ohne Vorbildung richtet, erlebe ich immer eine große Begeisterung für Neue Musik. Vorurteile und Blockaden verschwinden durch lustvolle und sinnliche Art der Vermittlung.
Der Komponist Beat Furrer hat in seinen Werken (etwa in dem Bariton-Solo „Stimme – Allein“ von 1997) Gesang in seiner formalisierten Gestalt aufgelöst und auf ihre Wurzeln in der gesprochenen Sprache zurückgeführt. Wie hat sich dieser Zugang, diese Zusammenarbeit auf ihre Arbeit mit Cantando Admont ausgewirkt?
Cordula Bürgi: Das war eine interessante Erfahrung. Die Sprache ist im Schaffen Beat Furrers von großer Bedeutung. Seine Textauswahl ist für uns inspirierend. Oft ergibt sich während oder auch zwischen den Proben ein Austausch über den unterschiedlichen inhaltlichen Zugang der einzelnen Sängerinnen und Sänger. Das ist für die musikalische und klangliche Arbeit bereichernd. Dass im Schaffen Beat Furrers der kompositorische Weg vom Sprechen zum Singen immer wieder in verschiedener Weise zu seinem ganz spezifischen vokalen Ausdruck geführt hat, ist für uns eine wesentliche Erfahrung. Mittlerweile haben wir auch andere Werke von Beat Furrer wie „Begehren“, „A sei voci“, „Sei venuta di marzo“ oder „Enigma“ aufgeführt. Aktuell beschäftigen wir uns mit seinem neuesten vokal-instrumentalen Werk „akusmata“, dessen Uraufführung wir für den 15. Mai bei der Münchner Biennale planen (diese Konzert wurde aufgrund der Corona-Krise abgesagt, Anm.).
„BEI ALLER KOMPLEXITÄT IST MUSIK ABER AUCH EINE PHYSISCHE ERFAHRUNG, DIE UNS MIT DER WELT ODER MIT DEM ANDEREN AUßERHALB VON UNS SELBST VERBINDET.“
Der Komponist Florian Geßler hat das Stück „artios“ für Cantando Admont komponiert. 2010 hat der die Bedeutung, die er Musik als Komponist beimisst, so definiert: „Musik zeichnet sich vor anderen Künsten vor allem durch ihre unendliche Vielschichtigkeit im Gleichzeitigen aus, es ist diese Möglichkeit zur Komplexität, die mich interessiert. Die verschiedensten Ausformulierungen dieser Möglichkeiten zu suchen, zu untersuchen und so zu immer neuen, anderen musikalischen Verläufen oder Zuständen zu finden. Dabei können die unterschiedlichen Schichten und Ebenen ganz verschiedenen Gebieten entstammen: z. B. Sprache, Raum, Zeit, Ordnung usw. – mich interessieren assoziative Verbindungen oder Stränge ebenso sehr wie immanent musikalische oder musikgeschichtliche.“ Dieses Zitat könnte man auch auf die Vokalstücke von Cantando Admont umlegen, inwiefern entspricht dieses Musikverständnis ihren Vorstellungen und was würden Sie noch ergänzend anführen?
Cordula Bürgi: Das hat Florian Geßler schön formuliert. Bei aller Komplexität ist Musik aber auch eine physische Erfahrung, die uns mit der Welt oder mit dem Anderen außerhalb von uns selbst verbindet.
Das Ensemble Cantando Admont bereist seit seiner Gründung 2016 die ganze Welt, bespielt große Festspiele wie in Bayreuth und Salzburg. Wie erklären Sie sich diesen internationalen Erfolg?
Cordula Bürgi: Auf der einen Seite bestätigt sich damit ein großer Bedarf an einem Vokalensemble für Alte und Neue Musik, auf der anderen Seite hat es sich auch in Österreich sehr schnell herumgesprochen, dass wir unsere Programme mit Begeisterung und Sorgfalt vorbereiten. Dadurch, dass sich unser Klang an der Musik der Renaissance gebildet hat, ist diese Homogenität auch für die zeitgenössische Musik gegeben.
Sie sind auch ausgebildete Kulturmanagerin. Welche Chancen und Herausforderungen, vor allem auch finanzieller Natur, sehen sie in Anbetracht der derzeitigen kulturellen Ausnahmesituation?
Cordula Bürgi: Die Kulturmanagerin wird immer mehr von der künstlerischen Arbeit in den Hintergrund gedrängt. Gerade jetzt wären wir darauf angewiesen, eine geschäftsführende Leitung zu finden, die mich und das Ensemble unterstützt und uns eine kontinuierliche Weiterarbeit ermöglicht. Wir nutzen diese Zeit der Corona-bedingten Konzertabsagen, um uns für die Projekte im Sommer/Herbst und im kommenden Jahr vorzubereiten.
Herzlichen Dank für das Gespräch!
Christoph Benkeser, Michael Franz Woels
Link:
Cantando Admont