mica-Serie "Urheberrecht": Interview mit Wolf-D. Schoepe

Das Urheberrecht ist momentan Gegenstand von auf internationaler Ebene sehr intensiv geführten Diskussionen. Allerdings überwiegen in der öffentlichen Debatte oftmals oberflächliche Beiträge, die der Bedeutung des Themas nicht gerecht werden. Das Urheberrecht ist für Musikschaffende von enormer Wichtigkeit: es schützt ihre geistigen Interessen und ist die Grundlage, um mit ihren Werken Geld verdienen zu können. Dieses Thema darf daher nicht oberflächlich behandelt werden. Es darf nicht nur im Interesse von Musiknutzern gedacht werden, insbesondere die Interessen der Musikschaffenden, aber auch die ihres wirtschaftlichen Umfelds sind hier prioritär zu beachten. Diese Serie soll einen Beitrag zu einer differenzierten Auseinandersetzung mit diesem sehr komplexen Thema leisten. Denn die Diskussion sollte weiter geführt werden, um gesellschaftliche Realität und rechtliche Rahmenbedingungen besser in Einklang zu bringen. mica – music austria lässt daher heimische, wie auch internationale ExpertInnen zu Wort kommen, die das Thema aus unterschiedlichen Blickwinkeln beleuchten sollen. Gestartet wird die Serie mit einem Interview mit dem Münchner Musik- und Medienanwalt Wolf-D. Schoepe. Markus Deisenberger spricht mit dem deutschen Experten über knochenharte Anwälte, das Programm der Piratenpartei und die schlechte PR der GEMA.

„Da nutzt das Jammern nichts“

Herr Schoepe, wie wurden Sie Medien-und Musikanwalt?
Grundsätzlich ist es eher so, dass man schon einen Stallgeruch hat, wenn man in dieses Business rein kommt. Einer meiner Kollegen etwa war vorher in der Rechtsabteilung der Firma Koch, bevor sie an Universal verkauft wurde, und war schon als Referendar bei der GEMA. Bei mir aber war es reiner Zufall, weil ich einen Anwalt kennenlernte, der Gefallen an mir fand und mich deshalb als jungen Anwalt akquirierte. Viele meiner Kollegen aber waren vorher in den jeweiligen Rechtsabteilungen der Musikindustrie oder waren selber Musiker und kommen daher aus diesem Umfeld. Wir haben, müssen Sie wissen, in Deutschland eine ungeheure Anwaltsdichte. Allein in München gibt es im Stadt- und Landkreis 13.000 Anwälte, was dem Doppelten der gesamten österreichischen Anwaltschaft entspricht.

Wie finden diese vielen Anwälte ihr Auskommen? Ist das überhaupt möglich?
Klare Antwort: Nein. Das durchschnittliche Einkommen ist nicht überragend. Freilich sind einige auch nur als Teilzeitanwälte tätig, weil sie auch noch etwas anderes machen. Ein junger Anwalt aber tut sich schon schwer, wenn er keine Kontakte mit bringt oder nicht irgendwo andocken kann. Von Stunde null anzufangen und irgendwo ein Geschäft aufzuziehen, ist ausgesprochen schwer.
In Österreich hat man den unschätzbaren Vorteil, dass der Zugang zur Anwaltschaft etwas beschränkter ist. Bei uns gibt es immer noch die Ausbildung zum Universaljuristen: Nach den ersten Staatsexamen ist man zwangsweise im Staatsdienst, die Ausbildung ist umfassend. Und nach dem zweiten Staatsexamen ist man Volljurist und hat die Befähigung zum Richteramt. Um Anwalt zu werden, brauche ich nichts mehr. Das heißt, dass auch der, der so gerade mal eben das Staatsexamen geschafft hat und den deshalb weder der Staat noch die Wirtschaft braucht, aus der Not heraus Anwalt wird. Man stellt den Antrag, muss zugelassen werden und los geht’s.
Stellen Sie sich vor: Der, der sich aus der Not heraus zulässt, sitzt jetzt da und wartet händeringend auf Mandate. Und dann kommt ein Mandant und fragt, ob sich der Anwalt in der ihn existenzbedrohenden Materie auskennt. Dann wird dieser Anwalt doch nie und nimmer ehrlich sein und zugeben, dass das nicht gerade seine Stärke ist. Denn er braucht jedes Mandat. Wenn er halbwegs intelligent ist und sich einarbeitet, wird er´s ja vielleicht auch hinkriegen, aber die Erfahrung fehlt. Da kann man einem Spezialisten nicht das Wasser reichen. Das ist das große Problem der deutschen Anwaltschaft. Die einzige Qualitätskontrolle ist der Fachanwalt. Das wird geprüft und durch die Verpflichtung zur Fortbildung reglementiert und kontrolliert.

Was hat sich, seit sie Mitte der 1980er Jahre Anwalt wurden, am dramatischsten geändert?
Ich muss vorausschicken, dass die Tätigkeit als Anwalt im Musikbereich nicht auf das Urheberrecht beschränkt ist. Das Urheberrecht macht sogar nur einen vergleichsweise kleinen Teil des Tätigkeitsfeldes aus, spielt aber natürlich schon eine Rolle. Die Vertragstrukturen, denen man sich gegenüber sieht, sind heute über die Auswerter weitgehend vorgegeben. Als Anwalt, der Künstler vertritt, hat man eher bescheidene Möglichkeiten. Man muss natürlich auf der Höhe sein, muss sich Gedanken machen. Aber die Möglichkeiten, etwas zu bewegen, hängen auch sehr vom Stellenwert des Künstlers ab. Wenn sich für einen bestimmten Künstler keine Company interessiert und plötzlich will ihn aber eine, dann ist der Verhandlungsspielraum deutlich geringer als wenn man einen Künstler vertritt, bei dem die Plattenfirmen nur so Schlange stehen.

Aber die Verträge haben sich doch auch geändert, oder?
Die haben sich natürlich geändert. Zum einen fließen gesellschaftliche Änderungen ein. Zum anderen hat die Digitalisierung zu tiefgreifenden Veränderungen geführt.
Wobei erstaunlicherweise immer noch Verträge abgeschlossen werden, die sich wenig von denen vor zwanzig Jahren unterscheiden. Manchmal ist so eine Vertragspraxis auch lang- und zählebig. Dann gibt es aber Sachen wie die berühmten 360-Grad-Verträge, wo die Plattenfirmen die Fühler nach Beteiligungen am Live-Income ausstrecken oder man den Künstler wirklich umfassend unter Vertrag haben will, sich Merchandisingrechte sichern will udgl. mehr. Das sind alles Dinge, die es vor zehn Jahren noch nicht gab. Daher muss man sich damit auseinandersetzen und aufpassen, nicht zu viel herzugeben.

Sie vertreten Musiker einerseits und Musikproduzenten andererseits, was teils sehr unterschiedlich Strategien erfordert. Ist es da nicht mitunter schwer, dem jeweiligen Mandanten klar zu machen, dass man auch tatsächlich auf seiner Seite steht?
Das ist eine Frage, wie man individuell damit umgeht. Ich lehne es zum Beispiel ab, einen Vertrag einseitig zu gestalten. Selbst wenn mein Mandant die stärkere Position hat, empfehle ich, nicht das maximal Mögliche in den Vertrag rein zu schreiben. Ein Vertrag ist für mich die Grundlage einer Zusammenarbeit und nicht die einer Gegeneinander-Arbeit.  Das aber ist eine Frage der Einstellung sowohl des Anwalts als auch der Mandantschaft. Da kann man nur Empfehlungen aussprechen. Wenn zu mir jemand kommt und meint, er hätte gerne einen Vertrag, der bis an die Grenze des Möglichen geht, muss ich mir in erster Linie einmal überlegen, ob ich das überhaupt mache. Ehrlich gesagt hatte ich solch einen Fall auch noch nicht. Meistens finden ja die passenden Leute zu einander, d.h. die Leute, die knochenharte Produzentenverträge wollen, finden zu den knochenharten Anwälten. Und ich glaube nicht, dass ich diesen Ruf habe. Daher kommt schon einmal gar niemand mit diesem Ansinnen.
Für mich geht es um die Kooperation. Für mich geht es um leben und leben lassen.
Natürlich kommen auch Produzenten, die den Künstler an irgendwelchen Produktionskosten teilhaben lassen wollen, aber dann rate ich ganz ausdrücklich, davon Abstand zu nehmen. Da geht es schon auch um eine Begradigung. Deshalb ist der von Ihnen angesprochene Unterscheid auch gar nicht so groß, denn der Produzent sollte auch an den Künstler denken und umgekehrt. Die Probleme – wie etwa Xavier Naidoos Streit mit seinem Produzenten – entzünden sich ja meistens daran, dass sich jemand über den Tisch gezogen fühlt. Wenn man erfolgreich zusammen arbeitet und fair miteinander umgeht, gibt es auch kaum Streit.
Je mehr ich eine Position ausreizen will, desto mehr komme ich auch in Randbereiche, in denen unter Umständen der Vertrag irgendwann als nichtig anzusehen ist. Das ist natürlich eine Gesamtbetrachtung. Aber vor zwanzig Jahren gab es noch Verträge, in denen die Künstler mit 3,4 Prozent am Umsatz beteiligt wurden. Das würde ich heute nicht mehr empfehlen, weil es sehr wahrscheinlich sittenwidrig ist.

Was mich zur nächsten Frage bringt: Wieviel Spielraum lassen die Buchstaben des Gesetzes zu?

Viel. Wir haben Vertragsautonomie. Die gesetzlichen Rahmenbedingungen sind schon weit gesteckt. Aber es gibt Usancen und die sollte man nicht zu sehr ausreizen, sonst kommt man in Randbedingungen, wo es relativ wahrscheinlich wird, dass ein Gericht, so es zu einer Prüfung angerufen wird, den Vertrag auch wegen Sittenwidrigkeit aufhebt.

Wobei sich auch die Frage stellt, ob heute eine Beteiligung am Händlerabgabepreis überhaupt noch irgendjemanden zufriedenstellt…
Die Frage stellt sich freilich zweifelsohne. Trotzdem wird dann aber doch immer noch eine Lizenzbeteiligung am physischen Verkauf definiert, und sei es nur, um sie als Grundlage für den digitalen Bereich heranzuziehen.

Zunehmend wird vertraglich auf Konstellationen gesetzt, in denen Verlagsbeteiligungen eine Rolle spielen. Kennen Sie andere alternative Finanzierungsmodelle?
Ja, gerade eben habe ich den Vertragsentwurf einer Major-Company auf den Tisch bekommen, in dem die in einem fixen Euro-Betrag festgeschriebene Beteiligung am Live-Geschäft vorgesehen ist. Gleichzeitig verpflichtet sich die Firma, genau diesen Betrag in die Promotion des Tonträgers zu stecken. Jetzt liegt die anwaltliche Kunst darin, das möglichst konkret zu fassen. Das heißt, ein genauer Promotion-Plan und gemeinsame Entscheidungen bzw. deren Verankerung sind gefragt.

Sehen Sie solch eine Beteiligung eher positiv, indem eine Promotion, an der es heute allerorts mangelt, verankert wird, oder negativ, indem mit dem Live-Geschäft jetzt auch noch der letzte Bereich, in dem sich als Musikurheber Geld verdienen lässt, beschnitten wird?
Grundsätzlich habe ich ein gewisses Verständnis für die Positionierung, Ich sehe es aber nur dann als positiv an, wenn derjenige, der ins Live-Geschäft einsteigen will, sich auch im Live-Geschäft engagiert. Zu einem Künstler zu sagen, er müsse fortan einen gewissen Betrag seiner Gage abgeben, ist ja erst mal leicht. Aber jeder Leistung muss eben auch eine Gegenleistung gegenüber stehen. Das muss in einem vernünftigen Gesamtzusammenhang stehen. Wenn man so einen Tonträger finanziert, den man aus den Tonträgerverkäufen eigentlich nicht mehr finanzieren könnte, kann das ein schlüssiges Argument sein. Auch wenn man dadurch eine wertigere Produktion schafft, warum nicht…

Urheberrecht ist in Deutschland wie Österreich eine politisch klassisch wertkonservativ besetzte Domäne. Es geht um Eigentum, eben geistiges Eigentum… Zunehmend beginnt man sich jetzt aber auch links der Mitte für das Urheberrecht zu interessieren – und zwar in sehr unterschiedlichen Ausformungen. Meine erste Frage in diesem Zusammenhang: Glauben Sie, eine Piratenpartei kann auch politisch konstant etwas bewegen?
Ich befürchte sogar, dass das möglich ist.

Wieso befürchten Sie das?
Ich bin jemand, der an der Grundstruktur des Urheberrechts eisern festhält. Über Detailfragen kann man diskutieren. Aber das Urheberrecht ganz grundsätzlich mal zu lockern, hielte ich für den falschen Weg. Die kulturelle Vielfalt, die wir in Europa haben, fußt ja auch ein Stück weit darauf. Ich glaube schon, dass sich das gegenseitig befruchtet. Ein Problem habe ich aber, wenn durch Aufweichung des Urheberrechts irgendwelche Leute an Kreativleistungen zu verdienen beginnen, während die eigentlichen Urheber leer ausgehen. Damit habe ich wirklich ein Problem.
Erst kürzlich war ich auf einer Fortbildung, auf der wir uns intensiv mit dem Programm der Piratenpartei auseinandersetzten. Diese Fragen stellt sich natürlich gerade jeder Urheberrechtler. Und wir haben einvernehmlich  festgestellt, dass dieses Programm total unausgegoren ist. Es ist einfach nicht durchdacht.
Das Problem ist aber, dass man mit solchen Plattitüden gleich mal auf acht, neun Prozent schießen kann. Und da besteht die Gefahr, dass dieser populistische Ansatz auch von den etablierten Parteien aufgegriffen wird.

Dem könnte man nun entgegenhalten, dass auch die andere Seite nicht gerade mit populistischen Maßnahmen gespart hat, wenn ich an die Ausdehnung der Schutzfristen denke.
Das ist richtig, dabei ging es aber nie um den großen Paradigmenwechsel. Dass es Lobbys gibt, die ihre Interessen durchsetzen, ist klar. Aber bei der Verlängerung einer Schutzfrist geht es noch nicht um den Kern des Urheberrechts. Die Piraten aber wollen sich ja einerseits vom Urheberrecht partiell verabschieden, gleichzeitig wird aber betont, dass am Urheberpersönlichkeitsrecht nicht gerüttelt werden soll. So unausgegoren wird das Urheberrecht relativ leicht zu einer politischen Manövriermasse. Was ich seit längerem laut bedauere, ist die unglaublich schlechte PR der GEMA. Sie ist schlichtweg nicht in der Lage, in der Öffentlichkeit klar zu machen, dass sie notwendig ist und auch eine wichtige Funktion erfüllt. In Deutschland hat die wichtigste Verwertungsgesellschaft einen Ruf wie die Gebühreneinzugszentrale.

Andererseits erwecken Branchen-Promis wie Tim Renner den Eindruck, man könne in Deutschland auch ohne GEMA Erfolg haben. Zoe Leela, eine der Künstlerinnen seines Labels Motor Music, ist nicht bei der GEMA und wirbt damit.
Im Einzelfall mag das ja, je nachdem was man macht, auch funktionieren. Wenn man dann auch tatsächlich die Kontrolle über das, was man macht, hat, oder einem die Kontrolle egal ist, wenn man etliches in Hinblick darauf freigibt, dass anderes, was man tut, wertig genug ist, um davon zu leben, kann das ja funktionieren. Das Problem aber ist: Ich kann das nicht alles über einen Kamm scheren. Es geht im Musikmarkt extrem unterschiedlich zu: Es gibt Musik, die läuft überwiegend in Clubs und im Radio, wird aber nicht live performt und wird auch nicht über Tonträger oder Dateien verbreitet. Wie will da ein Künstler überleben, wenn es keine kollektive Rechtewahrnehmung gibt? Was die GEMA aber machen muss, ist darüber nachzudenken, bei der Freigabe von bestimmtem Repertoire flexibler zu werden.

Dass also das GEMA-Mitglied Wahlmöglichkeiten hat, in welcher Intensität er oder sie gewisse Rechte wahrgenommen haben will oder ob man bestimmte Sachen nicht freigeben will. Das gibt es ja alles nicht. Das GEMA-Modell ist momentan sehr schwarz-weiß. Ich habe mich schlichtweg gefragt, ob es nicht möglich wäre, im Sinne einer Creative Commons-Lizenz bestimmte Entscheidungen frei zu halten. Die fehlende Flexibilität kann sich zu Lasten der Urheber auswirken. Und wenn Tim Renner mit einem solchen Thema kommt, hat das ja genau den Grund, dass es, wenn man bei der GEMA ist, eben nur auf eine bestimmte Art und Weise geht. Wenn man nicht bei der GEMA ist, kann ich in manchen Bereichen flexibler sein. Was wir brauchen ist eine Art Baukasten, der mir als Urheber die Möglichkeit gibt, Abstufungen zu schaffen, und so strukturiert ist, dass es handhabbar bleibt. Es kann nicht jeder seine eigenen Vorgaben haben – das ginge natürlich nicht.

Denken Sie, dass diese Flexibilisierung notwendig ist, damit die Verwertungsgesellschaften, so wie wir sie kennen, überhaupt überleben?
Im Interesse der Urheber wird mehr Flexibilität notwendig sein, und um den politischen Diskussionen, die von der Piratenpartei angestoßen wurden und das Kind mit dem Badewasser ausschütten, entgegen zu wirken. Man muss zeigen, dass man flexibel ist, die Probleme erkennt. Das Schwierige ist die mangelnde Kontrollfähigkeit durch die digitale Nutzung. Jetzt kann man natürlich sagen: Wenn es eh nicht kontrollierbar ist, dann kann man ebenso auch gleich die Gesetze und deren Einhaltung aufgeben. Das aber ist zu kurz gegriffen. Man kann ja auch nicht lückenlos kontrollieren, ob auf unseren Straßen alle die 100 km/h-Beschränkungen einhalten. Das kann man nur punktuell machen.  Dieses Argument, dass man der Gesellschaft gewisse kulturelle Entwicklungen vorenthält, weil die Urheber auf Rechten sitzen, die sie nicht frei geben – je flexibler die Möglichkeiten der Lizenzierung sind, umso weniger zieht dieses Argument.

Die Parlamentsfraktion der österreichischen Sozialdemokraten spricht in einem ihrer Positionspapiere von “zu stark ausgestalteten Schutzrechten”, die “bisweilen als Innovationsbarriere in künstlerischer wie auch in ökonomischer Hinsicht wirken”. Können Sie das nachvollziehen?
Ein Stück weit ja.

Wie kann man dem entgegenwirken?
Da wären wir wieder bei der Nutzung fremder Rechte und der Frage, wie weit es gehen darf. Möglichweise muss man das weiter fassen. Das große Problem aber ist, dass das immer Einzelfragen sind. Ich kann hier nur die gesetzlichen Rahmenbedingungen schaffen, die Latte mal höher mal niedriger legen, aber es wird immer eine Einzelfrage sein, ob ich noch in einem zusätzlichen Zitat drin bin oder in einem Plagiat oder ähnlichem. Das zu handhaben ist ausgesprochen schwierig.

Sie haben die mangelnde Flexibilität der VerwGes angesprochen. Die territoriale Lizenzierung grenzüberschreitender Dienste ist ein weiteres Problem. Was denken Sie, wird sich hier ändern müssen?
Die GEMA-Vermutung ist eine heilige Kuh. Wenn die mal geschlachtet wird, dann brechen die Dämme.

Aber de facto ist sie dadurch, dass das anglo-amerikanische EMI und Warner-Repertoire für Online-Verwertungen von den Verlagen zurückgerufen wurde und man dieses Repertoire jetzt woanders lizenzieren muss, doch schon jetzt obsolet…

Das waren natürlich alles tiefe Schnitte in diese Vermutung. In der deutschen Rechtsprechung aber wurde sie noch nicht in Frage gestellt. Angewendet wird sie noch. Die EMI und die GEMA haben auch ein Joint-Venture gegründet, wobei sich hier wieder die Frage stellt, ob das für sich nicht wieder eine neue, eigene Verwertungsgesellschaft ist…

…und die Frage aufwirft, ob es eigentlich immer noch komplizierter werden muss.

Sie sagen es. Wir befinden uns in Deutschland und Österreich in der Situation, dass die Verwertungsgesellschaften ein relativ breites Spektrum an Rechten wahrnehmen und verwalten. Damit fängt es an: Die Vermutung kann sich ja immer nur auf das erstrecken, was auch an Rechten bei der GEMA ist. Wenn man nun tatsächlich irgendwann zu dem Ergebnis käme, dass die Online-Rechte nicht mehr bei der GEMA sind, dann würde die Vermutung in sich zusammen fallen. Dann müsste die GEMA darlegen, ob sie die Rechte hat oder nicht. Das wäre die erste Durchbrechung. Das wäre dann in Verfahren äußerst schwierig mit der Aktivlegitimation. Und das meine ich damit, wenn ich sage, dass die AKM-Vermutung eine heilige Kuh ist, die nicht geschlachtet wird. Wenn die AKM nämlich in jedem einzelnen Fall ihre Aktivlegitimation nachweisen muss, braucht sie eigentlich auch gar nicht mehr gegen Rechteverletzer vorzugehen.

Was wäre die Alternative zur AKM-Vermutung?

Das kann ich nicht beantworten, weil ich keine ernsthafte Alternative dazu sehe. Das zweite Thema, das sie angesprochen haben, ist die Territorialität. Die wird schon noch heiß werden. Thema: Zentrallizenz. Ich warte nur auf den Moment, in dem ein Tourneeveranstalter wie Live Nation für eine Welt-Tournee die Performance-Rights zentral einkaufen will. Und dann geht er halt shoppen…

Sie haben anfangs von Detailfragen gesprochen, die im Urheberrecht zu klären wären. Wo orten Sie noch Handlungsbedarf?
Wir haben einiges zu tun, was die Stringenz bei der Nutzung von Rechten anbelangt.
Als man vor Jahrzehnten bei der Einführung der Musikkassette vor dem Problem stand, sich mit der massenhaften Nutzung von Musikrechten auseinander zu setzen, hat man ja auch eine Lösung gefunden. Heute muss man sich eben den Problemen stellen, die die Digitalisierung mit sich gebracht hat. Und dieses Problem hat man ja auf alle Ebenen. Es geht ja schon lange nicht mehr nur um Tauschbörsen, sondern auch etwa um Live-Mitschnitte von Konzerten. Es gibt immer mehr Möglichkeiten, geschützte Darbietungen zu nutzen, und zwar außerhalb der Rechtsordnung.

Eklatant ist ja das fehlende Bewusstsein dafür, dass man etwas Illegales macht. Ein Konzertbesucher, der einen Mitschnitt online stellt, glaubt doch erst einmal, dass er der Band damit etwas Gutes tut. Jetzt gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder man erzieht die Leute dahingehend, dass sie wissen, dass sie Rechte verletzen und sie lassen es künftig bleiben. Oder man kommt zum Ergebnis, dass es sich nicht verhindern lässt und man daher neue rechtliche Rahmenbedingungen schaffen muss.
Und da geht es vor allem auch darum, welche Funktion Recht hat. Irgendwie muss es ja die gesellschaftliche Realität widerspiegeln. Über eine Flat Rate kann man partielle Freigaben kompensieren. Aber das wirklich große Problem ist ja: Wer gibt Geld für etwas aus, das er um die Ecke gratis kriegt?

Reden sie jetzt der Festplattenabgabe das Wort? Irgendwo muss das Geld ja schließlich auch herkommen aus Sicht der Verwertungsgesellschaften. Ist die Flat Rate die Lösung?

Das sehe ich ambivalent. Ein bisschen ist der Ruf nach einer Flat Rate ein Offenbarungseid, wonach man es rechtlich nicht mehr handhaben kann und halt nur noch das Mitkassieren als letzter Ausweg bleibt. Da nutzt ja das Jammern nichts: Alle Restriktionen haben nicht funktioniert. Irgendwo muss man den Dingen mal ins Auge schauen, genau wie die katholische Kirche irgendwann einmal sagen muss: Na gut, dann verhütet halt!
Wenn man rechtliche Rahmenbedingungen setzen will, muss man aufpassen, dass man den Kontakt zur Gesellschaft nicht verliert, denn irgendwann interessiert es die Gesellschaft nicht mehr. Besser als zu bezahlen, weil man Angst vor Strafe hat, wäre doch zu bezahlen, weil man eingesehen hat, dass es einfach etwas kostet, einen Wert hat. Wenn die Situation aber so ist wie sie ist, so bedauerlich das auch sein mag, weil es im Grunde genommen eine Kapitulation ist, ist es aber umso wichtiger, diese Situation zu erkennen und die Konsequenzen daraus zu ziehen. Und eine weitere Frage ist, ob der Rechteinhaber es nicht schafft, ein Produkt anzubieten, dass wieder mehr Wertigkeit hat.

Kommen Sie im Beratungsalltag manchmal in das Dilemma, dass sie als Anwalt von einer bestimmten Vorgehensweise abraten müssten, während der Kunstliebhaber in Ihnen sagt: „Augen zu und durch!“
Ja, klar. Letzten Endes ist es in der Beratung immer auch eine Frage der Verhältnismäßigkeit. Gerade bei multimedialen Produktionen kommt man leicht an diesen Punkt, wenn sich ein oder mehrere Rechteinhaber nicht auffinden lassen und man entscheiden muss, ob man das Recht trotzdem nutzen oder lieber weglassen will. Da kann man der Kunst zuliebe raten: Wenn sich einer meldet, muss Du halt zahlen. Deshalb tu dir was auf die Seite!“ Aber eigentlich ist es natürlich nicht korrekt.

Vielen Dank für das Gespräch.

Seit 1986 ist Wolf-D. Schoepe als Rechtsanwalt zugelassen. Noch während der Referendarzeit hospitierte er 1985/86 in der Kanzlei Mershon, Sawyer, Johnston, Dunwody & Cole in Miami. Seit seinen Anfängen als Anwalt beschäftigt er sich mit Rechtsfragen aus dem Bereich der Musik. Ab den 1990er Jahren kamen Rechtsfragen der Live-Entertainment-Branche dazu. Heute ist er Teil der, wie er es nennt, „Entertainment-Boutique“ Schoepe – Fette – Pennartz und Reinke in München. Er ist Board Member der International Association of Entertainment Lawyers und Mitherausgeber des „Live Entertainment Handbook“ (2011) eine Buchveröffentlichung von IAEL.

Foto Schoepe © Rechtsanwälte SCHOEPE FETTE PENNARTZ REINKE

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