mica-Interview Pia Palme

Am 14. und 15. Mai findet heuer die nunmehr dritte Auflage des e_may Festivals statt, einem Festival für Neue und Elektronische Musik. Nach zwei Gastspielen im Kosmostheater wird die Veranstaltung nun erstmals im Konzerthaus über die Bühne gehen. Komponistin Pia Palme im Interview über das Festival.

Am 14. und 15. Mai findet das diesjährige e_may Festival statt, dessen künstlerische Leitung du inne hast. Kannst du ein wenig etwas über das Festival erzählen?

Ins Leben gerufen wurde das Festival im Jahr 2007. Die Idee dazu stammt eigentlich von Gina Mattiello, einer Schauspielerin und Stimmperformerin, die den Wunsch hatte, die Kräfte der Wiener Komponistinnen-Szene zu bündeln. Ich sage jetzt absichtlich “Komponistinnen”, weil wir viele Frauen kennen, die sowohl als Komponistinnen als auch als Interpretinnen tätig sind. Ihre Arbeit ist noch zu wenig sichtbar. Ich wurde von ihr gebeten, mitzumachen, wobei ich anfangs nicht wirklich wusste, worauf ich mich da einlasse – wir beide nicht. Wir haben einfach angefangen, obwohl wir vom Ausmass der organisatorischen Belange keine Ahnung hatten. Es war nur der Wunsch da, diese Idee zu verwirklichen.

Begonnen haben wir im KosmosTheater. Wir haben uns in Wien relativ viele Orte angeschaut, wir haben einen Platz gesucht, der eine flexible Bühnengestaltung zulässt. Wir wollten von vornherein weg von einer normalen Konzertsituation, wo auf der einen Seite das Publikum sitzt und auf der anderen die Musik stattfindet. Es war uns wichtig, das zu öffnen, eine spezielle Raumgestaltung zu finden. Auch die Raumakustik war ein wichtiger Punkt, den das KosmosTheater voll und ganz erfüllen konnte.

Wir haben uns dann bemüht, finanzielle Unterstützung zu bekommen, was auch überraschend gut gelaufen ist – wir sind wohl im Duo überzeugend aufgetreten. Die Intendantin des Theaters, Barbara Klein, ist auch sehr hinter uns gestanden.

Unser Ziel war es, ins Konzerthaus zu kommen – der Neue Saal war auf jeden Fall etwas, das wir angepeilt haben. Natürlich kommt man da nicht so einfach hinein, weil erstens das Konzerthaus viel langfristiger plant und zweitens, man da nicht so einfach kommen kann und sagen, “wir wollen jetzt da drin spielen”.

Vom ersten Festival an war es uns wichtig, Kompositionsaufträge zu vergeben. Die Arbeit von Komponist/innen wird im Allgemeinen zu wenig geschätzt. Man spielt alle möglichen Konzerte und Gigs, und es wird verlangt, stets Neues zu machen, aber es bleibt dafür relativ wenig Vorbereitungszeit. Dafür steht kaum Geld zur Verfügung. Wir wollten die Arbeit des Komponierens zumindest ansatzweise honorieren. Besonders konzentriert haben wir uns hier auf Künstlerinnen, die sowohl Komponistinnen als auch Interpretinnen gleichzeitig sind.

Kompositionsförderung ist vergleichsweise teuer. Diese Kompositionsförderung haben wir im Laufe der dreijährigen Geschichte des Festivals gesteigert, worauf wir schon stolz sind.

Hat es bezüglich dieser Kompositionen von eurer Seite aus irgendwelche Vorgaben gegeben, oder wurde den Künstlerinnen hier völlig freie Hand gelassen?

Das Festival heißt “Festival für zeitgenössische und elektronische Musik” – wir wollten Elektronik als selbstverständlichen Bestandteil der Komposition dabei haben – in welcher Form auch immer. Im Großen und Ganzen war das aber auch die einzige Vorgabe – ansonsten haben wir den Leuten völlig freie Hand gelassen – auch was die Art und Größe des Ensembles betrifft, sofern in unserem Rahmen finanzierbar.  Die Beiträge sind dementsprechend stilistisch unterschiedlich ausgefallen, was wir aber sehr interessant fanden.

Nach welchen Kriterien habt ihr die teilnehmenden Künstlerinnen ausgewählt?

Am Anfang war alles sehr stark Wien-zentriert, wir sind hier zu Hause und arbeiten mit vielen lokalen Komponistinnen zusammen. Uns war schon beim zweiten Mal klar, dass es besser für das Festival ist, es über einen lokal beschränkten Bereich hinweg auszudehnen. Angestrebt war also eine österreichweite Ausbreitung und jetzt, im dritten Anlauf, ist e_may international geworden.

Wir haben versucht, Kooperationen mit anderen Institutionen einzugehen, die österreichweit tätig sind, was beim IMA, dem Institut für Medienarchäologie in Hainburg der Fall ist. Wir möchten Möglichkeiten für Zusammenarbeiten in den Bundesländern finden, um Stücke dann auch dort aufzuführen. Es ist schade, wenn hochqualitative Kompositionen entstehen und diese dann bloß ein einziges Mal gespielt werden.

Die Frage, wie wir die Künstler und Künstlerinnen auswählen, nach welchen Kriterien, ist nicht so einfach zu beantworten. Wir versuchen, die Kräfte der, Komponistinnen-Szene zu bündeln, sichtbarer zu machen, zu fördern – und zwar nachhaltig. Personen, die gute Arbeit leisten, unabhängig von ihrem jeweiligen Bekanntheitsgrad. Wir stehen zum Risiko.

Wir möchten Aufbauarbeit leisten, nachhaltig Komponistinnen fördern. Ich möchte darauf hinweisen, dass wir auch Kompositionen von Männern aufführen, dass wir uns nicht ausschließlich nur Komponistinnen widmen. Ich mag Abgrenzungen nicht wirklich. Es ist viel notwendiger, für Komponistinnen etwas zu machen, als für ihre männlichen Kollegen, aber nicht ausschließlich.

Heuer ist mit Emmanuel Holterbach ein französischer Musiker dabei, der eine seiner Kompositionen spielen wird. Zudem ist er als Archivar von Eliane Radigue tätig.

Diese Komponistin kommt persönlich nach Wien, ihr ist ein Schwerpunkt des heurigen Festivals gewidmet. Eliane Radigue ist eine Altmeisterin der Elektronik, überhaupt eine der ersten Frauen, die sich mit elektronischer Musik befasst hat, und das auch sehr fundiert gelernt hat. Sie ist jetzt über 80 und lebt in Paris. Eine außerordentlich beeindruckende Frau, ein Vorbild.

Bei Festivals, die regelmäßig veranstaltet werden, besteht ja auch oft ein gewisser Druck, das jeweils letztjährige noch übertreffen zu müssen. Gibt es das bei euch auch?

Heuer ist das bei uns sicher die Möglichkeit, das Festival im Konzerthaus machen zu können – das ist für uns ganz neu. Ebenfalls neu ist heuer die internationale Ausdehnung des Festivals.

Dann gibt es auch das Stück von Elisabeth Schimana mit dem Max Brand Synthesizer, eine tolle Sache, aber natürlich auch ein großer Aufwand. Der Synthesizer war ja zuvor in Klangmaschinen-Ausstellung in Hainburg zu sehen, wurde zerlegt, transportiert und wird im Konzerthaus wieder zusammen gebaut.

Inwiefern wird dieser Synthesizer in eine Komposition eingebaut?

Elisabeth Schimana hat ein Stück namens “Höllenmaschine” geschrieben, speziell für diesen Max Brand Synthesizer, der dabei von zwei “Operateuren”, von Manon Liu Winter und Gregor Ladenhauf bedient werden wird.

Hinter den Kompositionen steckt ja doch auch einiges an Aufwand – gibt es irgendwelche Pläne, die Sachen in irgendeiner Weise, etwa auf Bild- oder Tonträger, festzuhalten?

Das gesamte Festival wird jedes Jahr aufgenommen, und es gibt auch jährlich eine Zeitton-Sendung auf Ö1, wo die Stücke dann gespielt werden. Und die Stücke werden vielfach wieder aufgeführt!

 

 

Du bist ja nicht ausschließlich als Kuratorin, sondern auch als Künstlerin beim e_may Festival tätig. Was wird man da von dir zu hören bekommen?

Ein Stück mit dem Titel AX.WHO. Das ist inspiriert von einem Werk eines zeitgenössischen japanischen Dichters, Toshio Nakae. Der gesamte Text des Werkes besteht aus einer langen Auflistung von Wörtern, eine Wortliste. Wortlisten sind eine Art fortlaufendes Lebensprojekt von Toshio Nakae. Der Titel ist eine Zeile aus der ausgewählten Liste.

Das Stück ist für sechs Musikerinnen entworfen, ein tiefes Streichtrio und ein Trio aus sehr individuellen Instrumentalistinnen; klanglich sehr entgegengesetzt – genau mein Thema.

Die Performance dazu und das Konzept für die Performance macht Yoshie Maruoka, eine in Wien lebende japanischen Künstlerin. Sie wird auch den Text in japanischer Originalsprache rezitieren.

Ist dieses Stück, die Musik betreffend, komplett durchkomponiert oder wird es auch improvisierte Teile geben?

Ich habe bei der Entstehung der Musik viel über das Zusammenspiel von geplanten und zufälligen Ereignissen nachgedacht. Wie greifen Planung und Willkür ineinander, wo beginnt und endet Kontrolle? Je mehr ich darüber reflektiere, desto mehr scheint mir der Übergang fließend zu sein. Das Stück ist von der Komposition her ein Zwischending. Es gibt ein willkürlich-unberechenbares Element, das man im Stück findet. Das beginnt schon bei den Instrumenten. Ein Innenraumklavier, wie es hier verwendet wird, ein quasi schrottreifes Teil, kann man gar nicht punktgenau spielen. Es hat ein gewisses Eigenleben und unkontrollierbares Potential.

Einerseits ist alles sehr genau festgelegt, vom Ablauf her, es gibt aber für jede Instrumentalistin Freiheiten. Das ist der rote Faden, der sich durch das ganze Stück zieht. Wobei ich aber immer mehr glaube, dass die Grenze zwischen dem genau Determinierten und dem Absichtslosen gar nicht mal so scharf ist, sondern vielmehr eine fließende Bewegung, was ich sehr spannend finde.

Ist es dir für deine Stücke wichtig, dass man sie gleich beim ersten Anhören versteht, oder gibt es auch Kompositionen, mit denen man sich vorher eingehender beschäftigt haben sollte, um sie vollständig erfassen zu können?

Ich denke bei der Enstehung der Musik wenig an ein Publikum. Die Dinge kommen aus dem Inneren heraus, wie sie sein wollen, und ich kümmere mich – zumindest vorerst – wenig um die Rezeption. Auf meiner ersten CD beispielsweise, einem langen Doppelalbum, war ein Teil sehr elektronisch gehalten, mit vielen Feedback-Klängen, improvisiert, und der andere Teil noch mit “normalen” Blockflöten eingespielt, vor allem komponiert. Zwei grundverschiedene Zugänge, was aber eben genau meinem Thema entspricht. Manche Kritiker haben das als zu viel empfunden, woran ich selbst gar nicht gedacht habe. Die Musik ist in dieser Form entstanden, Punkt. Es ist nicht meine Intention, Musik so zu gestalten, dass sie auf die Erwartungen des Marktes, des Publikums oder der Kritiker zugeschnitten ist.

Für viele stellt ja die Blockflöte in frühen Jahren ein Einstiegsinstrument dar. Was war bei dir der Beweggrund, dass du dabei geblieben bist?

Heute ist nicht mehr die Blocklöte das Einstiegsinstrument, sondern der Laptop. Es hat da ein Wandel stattgefunden, was ich sehr interessant finde. Ein Instrument lernen und üben hat schon fast etwas Anachronistisches.

Warum ich dabei geblieben bin, hat auch historisch-persönliche Gründe. Meine künstlerischen Ambitionen sind von meinen Eltern vehement verhindert worden. In dem Sinne war halt Blockflöte gerade noch etwas, das ich machen konnte. Die Alte Musik habe ich immer schon geliebt und die Qualitäten des Instruments habe ich mit der Zeit kennen und schätzen gelernt. Später habe ich dann Oboe studiert und auch als Spielerin ausgeübt. Ich bin aber wieder zur Blocklöte zurück gekehrt, weil sie in der neuen Musik sehr vielseitig einsetzbar ist.

Es gibt seit einigen Jahren neuartige Entwicklungen im Blockflötenbau, wunderbare Bassinstrumente, die gut klingen. In Wien sind wir mindestens fünf Instrumentalistinnen, die solche Instrumente in irgendeiner Form mit Elektronik kombinieren.

Generell ist der Sprung von der alten zur ganz neuen Musik sehr spannend.

 

 

Gibt es auch abseits des e_may Festivals irgendwelche Veranstaltungen, an denen du in planender Funktion tätig bist?

Ich bin relativ bald in die konzipierende und organisierende Schiene hinein geraten, weil ich mir Dinge in den Kopf gesetzt habe, die anders nicht zu realisieren gewesen wären.

Ich bespiele gerne interessante Orte, beispielsweise leere Fabrikshallen, oder einmal ein historisches Glashaus, kurz vor dem Abriss. Ich mag es, Projekte zu konzipieren, wo die Musik in einem speziellen Kontext oder Rahmen steht. An derartigen Orten gibt es keine Veranstalter, man muss selbst organisieren, wenn man dort spielen möchte.

Ich mache das gerne, weil ich dabei viele Leute kennen lerne und ungeahnte Zusammenarbeiten entstehen. Und vor allem eröffnet das auch ein ganz neues Publikum, abseits des typischen Kenner-Publikums der zeitgenössischen Musik. Im Juni werde ich beispielsweise ein Projekt gemeinsam mit dem Tiroler Seiltänzer Walter Moshammer machen. Er ist professioneller Zirkusartist und tritt viel bei Jahrmärkten und Stadtfesten auf. Wir werden in der Sommerszene Mistelbach, einem Sommertreff, einen Auftritt bestreiten, Seiltanz und elektronische Musik. Dort werde ich dieselbe Musik spielen, die ich sonst im Konzertsaal spiele. Ich werde mich nicht in den Mainstream begeben, und mich der Umgebung anpassen – das könnte ich gar nicht. Ich werde das Stahlseil mit einem Mikrophon versehen, und die entstehenden Geräusche dann elektronisch weiter verarbeiten. Darauf freue ich mich, weil es wieder ein ganz anderes Publikum und ein neuer Kontext ist.

Ein anderes, von mir genau durchkonzipiertes Projekt ist eine MAKNITE namens VARIETIES am 29. September. Das mache ich in Kooperation mit der Höheren Bundeslehr- und Versuchsanstalt für Gemüseanbau Schönbrunn. Wir werden dort ungefähr 800 Kilo Nachtschattenfrüchte ausstellen – 150 verschiedene Melanzani-Sorten in verschiedensten Farben und Formen. Dazu gibt es eine Musik-Installation, einen großen Chor mit einem experimentellen Stück von mir: Wir stellen die Stimmenvielfalt eines Chores dieser Früchtevielfalt gegenüber.

Da dir dieses performativ-visuelle Element bei deiner Musik sehr wichtig ist, stellt sich die Frage, ob es dann schwierig ist für dich, Stücke nur für eine CD, die ja nur gehört werden kann, deinen Vorstellungen gemäß umzusetzen?

Wo sich meine Projekte hinbewegen, ist sehr offen. In den letzten Jahren hat sich meine Musik sehr stark entwickelt und ich lasse diese Entwicklung zu. Zum performativen Element, der visuellen Komponente: ich finde die Idee einer multimedialen, künstlerisch sich ausdrückenden Tätigkeit im Sinne einer “Oper” spannend. Historisch gesehen ist eine Oper nichts anderes als der Einsatz aller damals zur Verfügung stehenden Medien, also Mittel. Interdisziplinär zu denken finde ich wichtig.

Der Begriff “Oper” ist natürlich sehr belastet. Ich habe mit Kollegen darüber diskutiert, ob man dieses Wort überhaupt in einen neuen Kontext stellen kann. Ich finde es spannend, wirklich aus dem Vollen zu schöpfen. Wobei die Musik immer im Zentrum steht, weil sie auf eine ganz bestimmte Weise den Raum bündelt.

Wenn ich Musik irgendwo höre, in einem Konzertsaal oder einem Jazzclub, so ist immer eine Umgebung dabei. Auch das Porgy & Bess ist eine Umgebung, genauso wie der Neue Saal, oder was auch immer für Orte. Manchmal habe ich die Wahl, Umgebungen selbst zu gestalten, oder ich muss sie nehmen, wie sie sind, und mich in diesen Kontext stellen. Ich bin eine Raumfanatikerin. Wenn ich die Möglichkeit dazu habe, greife ich in den Raum ein.

Andrerseits: ich spiele nach wie vor sehr gerne einfach nur Blockflöte, als Interpretin ohne besondere Performance. Ich habe vor kurzem ein Stück von meinem Kollegen Christoph Herndler, gespielt, den ich sehr schätze – einfach nur Subbassblockflöte, ohne jegliche Elektronik-Erweiterungen. Sehr fein.

Musik ohne explizite visuelle Komponente mache ich auch im Duo mit Klaus Lang – mit Orgel und Elektronik, sozusagen unsichtbar am Kirchenchor oben. Das ist eine Arbeit, die in Richtung “intensive Klänge” geht.

Wenn sich aber dann jemand deine CD zu Hause am CD-Player anhört, so kannst du ja nicht mehr irgendwie eingreifen. Siehst du da die Gefahr, dass die Musik, durch Wegfall dieses visuellen Elements, an Wirkung verliert?

Das Dilemma zwischen Live-Musik und Aufnahmen, wir kennen das alle: Konzerte wirken live gut und wenn man sich die Aufnahme dann zu Hause anhört, bekommt man einen anderen Eindruck. Umgekehrt gibt es das natürlich auch.

Kannst du noch kurz einen Ausblick über deine nächsten anstehenden Projekte geben?

Juli und August werde ich hauptsächlich in Neuseeland verbringen und dort eine Reihe von Konzerten geben, und vor allem mit lokalen Musikern und Komponisten zusammen arbeiten. Deren Zugang zur neuen Musik ist für mich ungewohnt, man findet dort nicht so eine gewachsene Musikgeschichte wie bei uns. Dort hat man ein etwas anderes Verständnis von neuer Musik, aber gerade dieses Frische und Unbelastete finde ich, wie gesagt, sehr spannend.

Danke fürs Interview.