mica-Interview mit Wolfgang Muthspiel

Wolfgang Muthspiel, 2002 nach über 15 Jahren in den USA nach Österreich zurück gekehrt und in Wien sesshaft geworden, übt sich seit geraumer Zeit in klingender Introspektion – während es rein äußerlich um ihn recht geschäftig zugeht: Am 21. Juli 2007 stand in Zwettl die Uraufführung der Auftragskomposition “Logos” nach Texten aus Bibel und Koran sowie Schriften islamischer und christlicher Mystiker an, nur wenige Tage später traf Muthspiel im Rahmen des Kremser “Glatt & Verkehrt”-Festivals in Marc Ribot auf einen Gitarren-Antipoden.

Und kurz zuvor, beim Jazzfestival Montreux, hatte Jean-Yves Borgeauds Film “Return To Gorée” Premiere, in dem Muthspiel an der Seite von Afrikas Superstar Youssou N’Dour zu sehen ist. Mit Andreas Felber sprach er über diese und andere Projekte und über sein Bestreben, zum puren, unverstellten Ausdruck vorzudringen.

AF: Du bist jetzt 42 Jahre alt, hast schon ein Stück Weges hinter dich gebracht, verschiedene Entwicklungsphasen durchschritten. Wo, würdest du sagen, steht du zurzeit musikalisch, was beschäftigt dich gerade?

WM: Ich glaube, ich befinde mich in einer Entwicklung, in der die Rhetorik abnimmt. Die Rhetorik sind die Floskeln. Wenn sie aus einem bewussten Ort kommen, sind sie okay, aber sie sollen sich nicht unbewusst einschleichen. Letzten Endes geht es einfach darum, 100%ig das zu machen, was man spürt und hört. Das ist mittlerweile ziemlich stilunabhängig.

AF: Du hast zu deiner 2005 veröffentlichten CD “Bright Side”, der ersten mit den neuen Trio-Mitstreitern Matthias und Andreas Pichler, geschrieben: “Mein Ziel in diesen Tagen ist es, einfach zu spielen und zu schreiben, was ich innerlich höre. Kein Konzept oder Ehrgeiz soll dieser Stimme im Weg stehen.”

WM: Es geht in dem Fall nicht um ein Zurücktreten, sondern es geht darum, 100% von sich zu spielen. Es geht um ein Aufwerten. Es ist nicht, dass ich sage: “Ich bin nichts und die Musik ist alles”, sondern: “Alles, was mich interessiert, ist in der Musik und in mir.”

AF: Wenn man die Musik beschreiben will, die du in den letzten Jahren machst, fallen mir Begriffe ein wie: Transparenz, Reduktion, Introvertiertheit, Songform, Lieder ohne Worte. Lösen diese Begriffe in dir ein Echo aus?

WM: Was “Transparenz” betrifft, auf jeden Fall. Was “Introvertiertheit” anbelangt: Ich muss manche Dinge noch musikalisch beschützen, damit sie existieren können. Ich glaube, das werde ich einmal nicht mehr tun müssen. Ich habe beim Projekt “Logos” persönlich eine schöne Erfahrung gemacht, die für mich selbst radikal war, obwohl das vom Zuhörer wahrscheinlich überhaupt nicht als radikal wahrgenommen wurde. Ich habe versucht, beim Schreiben die Dinge zu finden, bei denen in mir 100%ig etwas mitschwingt, und alles andere wegzulassen. Das war ein sehr schönes Erlebnis, auch wie es geklappt hat mit dem Mitspielern und im Raum – ich habe diesen riesigen Hallraum der Kirche bewusst mitkomponiert. Es hat etwas Leichtes gehabt. Es gibt natürlich immer auch Situationen, wo man arbeiten muss, aber prinzipiell, glaube ich, ist alles eine Frage der Herangehensweise und des Bewusstseins und das regelt dann das Weitere. Das ist natürlich auch anzuwenden auf’s Leben.

AF: Inwiefern?

WM: Man kann sich in allen Dingen des Lebens ausdrücken. und das, was man innerlich spürt oder beobachtet, hat immer Recht. Man muss der Intuition nur wirklich vertrauen.

AF: Ich finde es interessant, dass du auf diesem Weg der Selbstfindung – ich bezeichne ihn so – im Zuge deiner letzten Platte “Friendly Travelers” auch Brian Blade ein Stück auf dieser Reise mitgenommen hast.

WM: Im Live-Konzert hat er vorher noch nicht zur Gitarre gegriffen, aber dass ihm das Schreiben und diese Singer/Songwriter-Welt sehr wichtig sind, ist klar. Man braucht nur seine “Fellowship”-Stücke hören, da bemerkt man den Singer/Songwriter-Einfluss und die Liebe dazu. Zudem weiß man um seine Arbeit mit Joni Mitchell. Das wussten wir, da haben wir uns einfach getroffen. Wir haben schon bei unserer ersten Begegnung vor neun Jahren beim Jammen alle Beatles-Lieder, an die wir uns erinnern konnten, gespielt.

AF: Diese Selbstfindung geht, so mein Eindruck, mit einer stärkeren Fokussierung einher. Dein Bruder Christian hat mir erzählt, dass du dich zurzeit auf bestimmte Projekte konzentrierst. Und dass ein Aspekt dessen auch deine Entscheidung ist, in der Zusammenarbeit mit ihm eine längere Pause einzulegen. Was steckt dahinter?

WM: Wir haben 20 Jahre lang sehr viel miteinander musiziert und auch viel gemeinsamen Weg zurück gelegt. In dieser Dynamik haben wir sehr viel ausgereizt, z.B. von einem Projekt wie “Cy”, das ich nach wie vor für eines unserer gelungensten halte, zu “Echoes of Techno”, “Early Music” und zu Interpretationen von Haubenstock-Ramati-Grafiken. Wir haben einfach irrsinnig viel ausgelotet, und ich habe das Gefühl gehabt, dass in diesem Kontext, mit diesem Instrumentarium und uns beiden, ein gewisser Raum abgeschritten ist. Und dass jetzt einmal einfach etwas anderes dran ist.
Aber never say never. Und es gibt natürlich Dinge abseits des Duos, die wir weiterhin gemeinsam machen. Etwa das vier Konzerte umfassende Projekt “Mozart Loops”, das 2006/07 in Essen und Salzburg aufgeführt wurde, wo Christian das Programm kuratiert und das Orchester [Münchner Kammerorchester bzw. Camerata Salzburg; Anm.] dirigiert hat. Ich improvisierte als Gast jeweils vier Songs [u. a. von Prince, Sting, Thelonious Monk, Billie Holiday; Anm.], die thematisch genau reingepasst haben, d. h., ich musste etwa nach dem Ende von Benjamin Brittens “Simple Symphony” weiterspielen, zu meinem Song finden, und ihn in einer bestimmten Atmosphäre beenden, damit darauf Helmut Lachenmanns Klavierstücke folgen konnten. Diese 90-Minuten-Programme waren wirklich wunderschöne Reisen, entstanden in Christians Kopf. Auf diese Art und Weise gibt es weiterhin eine Zusammenarbeit.

AF: Auf welche Projekte konzentrierst du dich nun?

WM: Ich möchte einerseits mein Trio weiter pflegen. Mittlerweile hat sich mit den Pichler-Zwillingen einiges getan. Die waren schon am Anfang gut, nun haben sie sich weiter entwickelt, jedes Mal, wenn sie wichtige musikalische Erfahrungen gemacht haben, hört man das. Jetzt geht es darum, für unsere Herbst-Tour – u. a. wird es Konzerte in den USA geben – ein neues Programm zu schreiben, dann gehen wir ins Studio. Ein neues Kapitel unseres Trios steht also an, darauf freue ich mich sehr. Und wahrscheinlich kommt jetzt noch ein Pianist dazu. Dann gibt es ein Projekt mit zwei anderen Gitarristen, Ralph Towner und Slava Grigoryan. Das Trio heißt “MGT”, im Dezember gibt’s eine Aufnahme in Australien. Im August 2008 ist eine gemeinsame Australien-Tour geplant, 2009 eine Europa- und Amerika-Tour. Das ist eine sehr angenehme Band, drei Kollegen, drei verschiedene Herangehensweisen ans Gitarrespielen, auch drei Generationen. Slava ist sehr jung, wir sind altersmäßig alle etwas 15 Jahre auseinander, es gibt viel gegenseitiges Interesse.
Und dann gibt es noch ein Projekt, das ich für 2009 im Kopf habe. Das soll eine größere Band werden, ein Septett oder Oktett mit Klavier, zwei Bläsern, vielleicht mit Drums und Percussion. Ab und zu gibt es auch Duo-Konzerte mit Rebekka Bakken. Und es gibt diese CD mit Dhafer Youssef, die im Herbst herauskommt. Sie heißt “Low Glow”, ich habe sie in vielen Arbeitsschritten produziert, relativ viel auch zuhause mit ProTools ediert. Und bin sehr glücklich über das Resultat. Dhafer ist der Hauptdarsteller, ich bin der Regisseur.

AF: Was ist für dich das Herausfordernde an der Arbeit mit Dhafer Youssef, der ja auch bei “Logos” mit dabei war?

WM: Das Beglückende ist seine Stimme und ihr Ausdruck. Die Herausforderung liegt darin, Dhafer so zu umgeben, dass er einerseits total frei ist, andrerseits die Umgebung sich ständig ändert und harmonisch wandert und moduliert. Dass die Musik um ihn herum oszilliert und er trotzdem mehr oder weniger intuitiv agieren kann. Weil: Für jemanden wie Dhafer soll man keine Gesangslinie schreiben. Man kann vielleicht gewisse Anhaltspunkte schreiben, aber immer dann, wenn es richtig losgeht, ist es etwas, das er gerade im Moment empfindet.

AF: Zu “Logos”, das im Juli in Zwettl uraufgeführt wurde: Ein zentrales inhaltliches Motiv der Komposition scheint ein Gedanke zu sein, der zum vorher Besprochenen – Stichworte “Intuition” und “Selbstfindung” – zu passen scheint: Das Einssein mit sich selbst durch das Einssein mit einer transzendenten Instanz.

WM: Absolut. Prinzipiell: Ich habe Rumi, den persischen Sufi und Dichter, schon länger im Reisegepäck. Das ist eine Quelle von Leben und Wahrheit für mich, eine Art von Spiritualität, die sehr real und total undogmatisch, sehr spielerisch und sinnlich ist. Eine absolute Herausforderung für einen konservativen Lebensentwurf. Das sind Sprengsätze, die aus Licht bestehen.
“Logos” war ein Auftragsstück, bei dem klar war, dass eine gewisse Art von Messe gewünscht wird. Ich habe das ausgeweitet, habe den Koran erstmals gelesen und die Texte der Mystikerin Rabi’a al-`Adawiyya einfließen lassen, damit das nicht nur aus dem Katholischen kommt. Das Regelwerk und die Dogmatik von Religionen interessieren mich nicht. Ich gehe auch nicht in die Kirche, empfinde den Papst als höchst dubiose Figur. Das letzte, was ich will, ist, eine Art christlicher Musiker zu sein. Aber mich interessieren gewisse Wahrheiten, egal, woher sie kommen. An manchen Sätzen kann man sich wirklich zentrieren. Zum Beispiel am Satz, den ich vertont habe: “Furcht gibt es in der Liebe nicht, denn die Liebe vertreibt die Furcht, denn die Furcht rechnet mit der Strafe. Und wer sich fürchtet, dessen Liebe ist nicht rein.” Wenn man das ganz unsentimental anwendet, dann ist das eine richtige Ansage. Das ist eine Herausforderung. In dem Moment, wo Furcht und Angst im Spiel sind, liebt man nicht. Ich finde das phantastisch.

AF: Was stand hinter der Idee, die Texte auf die Stimmen von Dhafer Youssef und Rebekka Bakken zu übertragen, die ja recht gegensätzlich sind – und auch als Gegenpole interpretierbar sind?

WM: Eigentlich war am Anfang, als ich über das Projekt nachgedacht habe, klar: Wir brauchen Sänger, um diese Worte zu kommunizieren. Und das sind meine zwei Lieblingssänger. Komischerweise hat Rebekka ganz am Anfang unserer Beziehung, gleich im ersten Jahr, einmal gesagt, es wäre doch schön, wenn wir einmal ein Konzert in einer Kirche machen. Damals habe ich gesagt: Das ist das letzte, was ich will. Und jetzt, 15 Jahre später, haben wir das Projekt gemacht.

AF: Das Projekt entspricht offenbar auch den Bedürfnissen vieler anderer Menschen vor der Hintergrund der weltpolitische Lage. Es gibt eine Einladung, “Logos” im UNO-Hauptquartier in New York aufzuführen. Wie siehst du die Gefahr, dass die Komposition entgegen deinen Intentionen instrumentalisiert wird und als Projektionsfläche dient?

WM: Ich bemerke in den wenigen Tagen seit der Uraufführung viel Resonanz. Und es gibt sehr viele Events auf der Welt, Konferenzen, interkulturelle Dialoge und Anlässe auf politischer Ebene, wo dieses Stück absolut hinpasst. Ich muss da noch ein bisschen drüber nachdenken, ich bin mir noch nicht sicher, was da passieren wird. Das Projekt ist prinzipiell natürlich sehr leicht vereinnahmbar. Aber Logos” wird sicher ein weiteres Leben haben. Das UNO-Gastspiel – im Rahmen einer Konferenz zum Thema des interkulturellen Dialogs – geht sich terminlich nicht aus, da bin ich mit dem Trio auf Tournee.

AF: Marc Ribot kommt im Herbst wieder ins Porgy & Bess, Christoph Huber hat dich kürzlich gefragt, ob du wieder mit ihm spielen willst, du hast sinngemäß gesagt: “Lass ihn doch alleine spielen!” Ist das ein Fazit eures gemeinsamen Auftritts in Krems?

WM: Aus meiner Perspektive war es sehr interessant. In Krems waren wir als Duo eingeladen, wenn er nun ein Solokonzert im Porgy hat und ich Gast bin, dann ist diese Dynamik anders. Das ist der Grund dafür, nicht, weil ich ihn nicht interessant finde oder weil ich nicht gerne mit ihm spiele. Es gibt Dinge, die Ribot macht, die mir wahnsinnig gefallen, die man nicht lernen kann, und die nichts damit zu tun haben, ob man gut Gitarre spielt oder nicht. Die finde ich toll. Das war spannend, und ich habe das Gefühl gehabt, während des Konzerts hat er gemerkt, dass ich für die Musik spiele, und nicht für mich. Und dann hat er sich entspannt, und es ist gut gelaufen.

AF: Mein Eindruck war auch, dass Marc Ribot ziemlich strikt sein Ding durchzog und du dadurch in den Part des Reagierenden und oft auch des Begleitenden gedrängt warst.

WM: Es war nicht wirklich ein Dialog. Zwei Menschen, die noch nie miteinander gespielt haben, treffen sich einen Nachmittag lang, proben fünf Stunden und machen am nächsten Tag 90 Minuten Musik – das funktioniert nur, wenn man sich entweder sehr gut vorbereitet oder sein Ego überwindet. Am besten beides. Übrigens habe ich die Stücke sehr interessant und gelungen gefunden, die mit Noise und Klängen sehr strukturiert gespielt haben, ohne konkrete Töne. Die kurze John-Zorn-Nummer mit den Ballons. Und dann die “Five Gestures” von Ribot, wo wir einfach fünf verschiedene Atmosphären, die je eine Minuten gedauert haben, hintereinander gespielt haben. Das habe ich sehr genossen. Ribot war gerade bei freien Improvisationen sehr überzeugend für mich. Was bei ihm auch mitschwingt, ist ein gewisses Spielen mit der Gitarrenrolle und Sounds von ganz früher.

AF: Seine Gitarre klang wie von einer Schellack.

WM: Das ist ein ganz anderer Zugang. Bei mir ist es oft so, dass ich einen Sound suche, der an sich nicht schon einen Stil beinhaltet. Mit dem 30er-Jahr-Amp-Sound spielst du einmal einen Klang, und sofort hast du Assoziationen. Ich mag gerne Klänge, die die Musik noch nicht stilistisch in ein gewisses Eck drängen. Ich glaube, ich bin einer der pianistischsten Gitarristen. Einerseits weil ich vielstimmig arbeite, und andrerseits weil das Klavier einen Sound hat, der sinnlich oder perkussiv sein kann, der aber immer im weitesten Sinne offen für ganz verschiedene Welten ist. Wenn du auf einem Fender-Rhodes-Electric-Piano einen Molldreiklang spielst, dann klingt das nach Lounge Music. Wenn du den Dreiklang am Klavier spielst, dann kann das sein: Schubert, Satie, der Anfang einer Paul-Bley-Improvisation. Da ist noch nichts verraten.

AF: Ein anderes Thema: Du hat kürzlich in Montreux die Premiere des Films “Return to Gorée” mit Youssou N’Dour erlebt, in dem du auch vorkommst. Deine Eindrücke?

WM: Es gibt zwei Filme. Der eine ist die Dokumentation “Return To Gorée”. In dem Film geht es um die Geschichte der Sklaverei, um die Entstehung des Jazz und um Youssou N’Dours Auseinandersetzung mit diesem Thema. Eine wunderschöne Dokumentation von Pierre-Yves Borgeaud. Der zweite Teil des Films ist das Konzert in Gorée, das wir gespielt haben, das war der Schlusspunkt dieser langen Reise. Youssou N’Dour singt phantastisch und ich glaube, wir begleiten das auch gut. Kernstück ist die Dokumentation, da geht es um viele Themen, um viel Schmerz. Das ist sehr interessant, der Drummer, Idris Muhammad, mit dem es ein großes Vergnügen war zu spielen, führt Youssou in New Orleans zu einer Perkussionstruppe. Diese – sie besteht aus Laien – spielt einen unglaublichen Groove. Youssou N’Dour sagt: Diesen Groove kenne ich aus Dakar und aus Accra. Das heißt: Diese Reise der afrikanischen Sklaven nach Amerika ist in der Musik nachzuvollziehen. Diese Kultur hat sich fortgepflanzt und neue Musiken entstehen lassen. Das ist in dem Film hörbar.

AF: Du hast auf der Duo-CD “Friendly Travelers” ein Stück nach Youssou N’Dour benannt. Welchen Eindruck machte er auf dich als Musiker, was spricht aus diesem Stück?

WM: Das ist eine direkte Inspiration der unglaublichen rhythmischen Welt seiner afrikanischen Band, mit der er in seinem Club in Dakar – ich glaube – einmal in der Woche spielt. Und natürlich ist Youssou auch als Mensch sehr inspirierend, sehr bewusst, sehr stark, er setzt viel in Bewegung. Aus meiner Sicht ist das alles in der Musik enthalten. Wenn er nur eine Phrase singt, ist da für mich alles drin.

AF: Dein Label Material Records hast du schon implizit angesprochen, die zweite Trio-CD ist in Planung, eine Duo-CD mit Dhafer Youssef am Erscheinen. Kann man sagen, die Aufbauarbeit ist abgeschlossen?

WM: Es entwickelt sich. Aber es ist natürlich ein Prozess, der ist noch lange nicht abgeschlossen ist. Es geht hauptsachlich um ein wirklich globales Vertriebsnetz. Es gibt gewisse Märkte, wo wir gut vertrieben sind. Aber es gibt auch Märkte wie Frankreich, wo wir uns bisher die Zähne ausgebissen haben. Da ist es als Label schwer reinzukommen, und schwer, gut repräsentiert zu werden. Immer mehr werden diese legalen Internet-Downloads, die uns sehr willkommen sind, da kriegen wir ja dafür bezahlt. Im September kommt auch die neue CD “Alma” von Martin Reiter. Eine Besetzung mit Mathieu Michel, Matthias Pichler, Christian Kronreif, Alegre Correa, einer Viola-Spielerin, Bertl Mayer. Ana Paula da Silva singt zwei Stücke. Schöne, vielstimmig-kontrapunktische, sehr feine Musik, Brasilien-inspiriert. Im Oktober kommt die erwähnte Produktion mit Dhafer Youssef. Und im nächsten Frühjahr kommt eine neue CD des holländischen Saxofonisten Joris Roelofs sowie die DVD “Live – Friendly Travelers” mit Brian Blade.

AF: Welche ist die bisher bestverkaufte von den Material Records-CDs?

WM: “Beloved” [von Rebekka Bakken und Wolfgang Muthspiel; Anm.].

AF: Die Marke, bei der der Break-even erreicht wird, wird bei jeder CD anderswo liegen. Kannst du eine durchschnittliche Orientierungszahl nennen?

WM: Das kommt wirklich auf den Aufwand an, mit dem man das betreibt. Aber nachdem wir bei jeder Produktion ein gewisses Promotion-Budget verwenden, da man das sonst gar nicht rauszubringen braucht, muss man schon so zwischen 2500 und 4000 Stück verkaufen.

AF: Das geht sich aus?

WM: Teilweise. Der Ferrari, der vor meiner Wohnung steht, gehört nicht mir.

AF: Noch nicht.

WM: Nein.Ich verdiene ja als Musiker mit meinen Konzerten gut. Ich habe aucheine kleine Professur an der Musikhochschule in Basel. Ich lebe inkeinster Weise von meinem Label. Ich sehe es als Plattform, Dingemachen zu können, wie ich sie mir vorstelle. Einerseits meine Sachen,aber auch Leute, die ich mag, und deren Musik ich gerne begleite oderan die Öffentlichkeit bringe. Das ist eine wachsende Familie. Und esbedeutet 100%ige künstlerische Freiheit. Ich brauche niemanden zufragen, ob ich eine CD mit gregorianischen Mönchsgesängen aufnehme odereine Straight-ahead-Jazzplatte – ich mache es einfach.

Das Interview führte Andreas Felber.

Wolfgang Muthspiel
Foto Wolfgang Muthspiel 1: Carmen Brucic
Foto Wolfgang Muthspiel 2: Erich Reismann