mica-Interview mit Velojet

VelojetDie Popband um den in Wien lebenden Oberösterreicher und Sixties-Aficionado René Mühlberger meldet sich nach einer Auszeit mit ihrem vierten Album „Panorama“ zurück. Es klingt wie ein psychedelischer Traum und überzeugt besonders mit seinen ambitionierten Arrangements und Sounddetails – dass er Songs schreiben kann, hat Mühlberger sowieso längst bewiesen. Für die Aufnahmen zum neuen Album hat er seine Bandkollegen Marlene Lacherstorfer (Bass), Elisabeth Neuhold (Keyboards) und Michael Flatz (Schlagzeug) in seinen Hippie-Bus gelockt und die skandinavische Inselgruppe Åland angesteuert. Warum Velojet reif für die Insel waren, hat er Sebastian Fasthuber erzählt.

Dem neuen Album ging eine längere Pause voraus. Hattest du das Gefühl, die Band verträgt nach drei Alben einmal eine Auszeit?
Durchaus. Man stellt sich das ständige Touren ja immer sehr romantisch vor, und das ist es auch, wenn man sich hundertprozentig darauf konzentrieren kann, Musiker oder Künstler zu sein. Wenn dann aber unter der Woche der Brotberuf wieder ruft und man dadurch ständig mit einem Gefühls- bzw. Stimmungswechsel konfrontiert ist, muss man seine Kräfte bündeln. Ich mag es nicht, wenn man bei Bands das Gefühl hat, sie machen eine Platte, weil das immer so war, aber hörbar irgendwo die Inspiration fehlt. Für mich war es nötig aus dem gewohnten Rad auszubrechen. Das hieß: Geld verdienen, VW-Bus herrichten und reisen. Für mich war das ein guter Weg, um abzuschalten und neue Inspiration zu schöpfen.

Inwiefern hat sich die Entstehung der neuen Platte von den Vorgängern unterschieden?
Bei den früheren Platten haben wir die Songs im Studio immer sehr stark an den Livesound angelehnt. Bedingt durch die Tourpause haben wir aber die neuen Songs das erste Mal im Studio  oder im Proberaum gespielt und nicht gleich an Livegegebenheiten angepasst.  Die Herangehensweise von unserem Produzenten Magnus Henriksson und uns war aber auch, die Songs durch den Studioraum und die Umgebung Form annehmen zu lassen. Das Schlagzeug wurde zum Beispiel eher reduziert, da der Hall des großen Raumes auch eine einzelne Trommel schon sehr episch klingen lässt. Der Studioraum als weiterer Produzent quasi, frei nach Brian Eno.

Instrumentation und Arrangements der Songs bedeuten dem Hörer: Diese Band will weg vom geläufigen Gitarren-Indierock.

Nicht zwingend. Ich für meinen Teil hatte schon einige Gitarren im Gepäck. Aber durch die filigrane, feine Akustik des Raumes fand sich einfach nicht der richtige Platz für die klassische Rock-Instrumentation. Auch die Stimmung auf der Insel war sehr intim und ruhig. Und wenn man drei Wochen lang fast isoliert in einem Haus wohnt, liegt doch nichts ferner, als einen rebellischen Rocksong aufzunehmen.  Retrospektiv gesehen war das beim Songwriting bei mir schon immer so: Auf unserer zweiten Platte „This Quiet Town“, die in Steyr aufgenommen wurde, hört man auch teilweise die Vorstadt raus. Oder zumindest die Vorstadtdisko. „Heavy Gold…“ wiederum hört man an, dass sie in Wien produziert wurde, eine Großstadt, in der klassische Musik immer eine große Rolle gespielt hat.

Ihr geht mit den Arrangements in die Tiefe gehen und teils auch ins Extrem. Wie hat sich diese Entwicklung ergeben?
Wenn das Album oder die Band etwas bewusst wollte, dann war es wohl, den Dingen freien Lauf zu lassen, dadurch haben sich vielleicht manche Extreme ergeben. Das bezieht sich aber vermehrt auf die Sounds und Aufnahmetechniken.  Im Grunde sind trotzdem noch etliche Popsongs auf „Panorama“, nur muss sich der Hörer zuerst durch einige Schichten Sounds und Hall graben.

Manche Neuerungen im Sound haben sich bei schon am letzten Album angedeutet. War das im Nachhinein betrachtet ein Übergangswerk?
Bei „Heavy Gold…“ haben wir uns in einer gewissen Weise als Band geöffnet – also vielleicht ja. Wir haben das erste Mal als Band mit vielen Gästen und einem Produzenten gearbeitet. Das ist dann immer ein Experiment. Manchmal passt ein Horn oder eine Geige, manchmal nicht. Es gibt auch unterschiedliche Ansichten darüber, was das gemeinsame Arbeiten interessant macht. Marlene hat sich diesmal wie schon auf „Heavy Gold…“ wieder zwischendurch ein paar Tage mit Musikerfreunden im Studio eingebunkert und diverse Instrumente aufgenommen. Ich finde das sehr spannend, da ich da meistens nicht dabei bin und die Sounds erst im Nachhinein höre.

„The Manic Depression Show“ heißt der Opener. Inwiefern ist das Programm? Die Songs schwanken ja gefühlsmäßig auch sehr zwischen den tiefsten Tiefen und den höchsten Höhen.
Da müsste ich jetzt länger ausholen.

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Wie vorher schon angedeutet ist der Musiker-/Künstlerberuf geprägt von Höhen und Tiefen, von extrovertierten Tour-, introvertierten Kreativphasen und in unserem Fall auch noch sehr bodenständigem Geldverdienen. Das Touren ist eine stark physische Tätigkeit, während der Kreativprozess doch eher im Hirn abläuft. Ist man dann zusätzlich noch sehr sensibel oder nicht übermäßig selbstbewusst, was auf viele Songwriter zutrifft, kann das schon in einer Art bipolaren Störung gipfeln.
In solchen Phasen lernt man sich zwangsweise selber besser kennen und ist gezwungen, diese Stimmungen ausgleichen, was bei mir zum Beispiel beim Songschreiben passiert. Im besten Fall findet man sich dann nach zwei Jahren Reflexions- und Ruhephase drei Wochen auf einer halbverlassenen Insel ein und produziert eine entspannte Platte.

Ist das ganze Album auf Åland entstanden?
Zwei der Songs am Album habe ich so wie die meisten Texte erst im Nachhinein in Wien geschrieben und aufgenommen, „Thecurseofbeingtotallylost“ und „A Pop Requiem“. Jetzt, wo ich drüber nachdenke, passen die Titel dann auch wieder gut zur wienerischen Winterstimmung.

Hat sich dein Songwriting verändert?  Das Strophe-Refrain-Schema scheint an Wichtigkeit verloren zu haben.
Ich glaube, das liegt mehr am offenen Aufnahmeumfeld auf Åland und an der Instrumentation, das war nicht unbedingt Teil eines Masterplans.
Den Großteil der Songs habe ich auf einem monophonen Synthesizer skizziert. Und weil Tasten nicht unbedingt meine größte spielerische Stärke sind, ergab sich dann vielleicht manchmal gar kein Refrain, sondern nur ein Thema mit einer gewissen Stimmung. Analoge Sounds, die bestimmte Stimmungen erzeugen, waren in der Entstehung von „Panorama“ eine große Inspiration.

Es geht auf der Platte sehr stark um Psychedelik, um Sound, Entrückung, für mich am schönsten in „Away! Away!!“ realisiert. Psychedelik ist leider fast schon zum Schimpfwort geworden, weil sich in den letzten Jahren viele damit geschmückt haben.
Ja, klar, die große Psych-Popwelle ist vorbei. Aber abseits von den aufgesetzten Modemagazin-Hippies, die vor angemieteten VW-Bussen posieren, find ich den Grundgedanken der Selbstfindung doch immer noch sehr erfrischend. Und ich gestehe, auch den ein oder anderen esoterischen Gedanken zu hegen. Die allgemeine Psych-Schublade wird sich in der Musik vermutlich bald wieder schließen, aber mir kann das ja auch egal sein. Dann werden die Leute halt wieder „Pop“ dazu sagen. Oder vielleicht sogar „Indie“.

Es scheint mir bei dem Unterfangen „Panorama“ auch um gewisse Maßlosigkeit zu gehen – man geht nicht einfach in ein Studio in Österreich und nimmt die zu Hause geschriebenen Songs auf, man reist erst einmal um die halbe Welt und nimmt dann im hohen Norden auf. Kann man sagen, die Erfahrungen während der Entstehung des Albums sind dann schon genauso wichtig wie das fertige Album?
Ich danke für die Frage! Tatsächlich ist es so, dass die Platte mehr ein Urlaubstagebuch als eine Ansammlung von Songs ist. Ich persönlich verknüpfe mit jedem Song einen Ort und eine bestimmte Zeit. Und durch die gemeinsamen Wochen in Finnland geht es den anderen Bandmitgliedern ähnlich. Als die gelbe Vinylplatte aus dem Presswerk kam, hab ich kurz überlegt, ob wir das Ding überhaupt verkaufen sollen. Damit unsere  Erinnerungen nicht von anderen beurteilt werden. Aber schlichtweg ist es doch so: Jetzt können die Hörer ihre eigenen Erinnerungen an der Musik anknüpfen bzw. aufbauen.

Ihr wart unterwegs mit dem Hippie-Bus, bis Indien und Thailand. Wie sehr haben sich die Reisen auf die Musik ausgewirkt und in die Songs eingeschrieben?
Der Einfluss ist sicher stark vorhanden. Aber wo das anfängt und aufhört, ist schwer zu beurteilen. Da waren zu viele Orte und Gefühlszustände im Spiel, um es konkret auf den Punkt zu bringen.  Und am interessantesten ist es ja, wenn Einflüsse wie asiatische Musik zwar vorhanden, aber nicht sofort hörbar sind, weil sie in den eigenen Musikkosmos integriert wurden. Da wir zumindest während der Aufnahme in Finnland immer zu fünft waren, ist für uns die Platte einfach unser „Soundtrack of Åland“.

Ihr seid eine Band, auch wenn die Songs von dir kommen. Inwiefern trägt der Rest der Band den Kurs mit und hat denselben, ich sag’s jetzt mal ganz hippiemäßig, Spirit wie du?

Unsere musikalischen Vorlieben sind doch sehr eng miteinander verknüpft. Klar, manchmal muss ich Überzeugungsarbeit leisten und Michi, unserem Drummer, Synthesizer-Koryphäen wie Jean-Michel Jarre schönreden. Aber am Ende des Tages scheint jeder voll und ganz mit den Songs der Band zufrieden zu sein. Das ist mir auch wichtig, sonst wäre Velojet ja ein Soloprojekt. Den Bandspirit muss man natürlich so gut wie möglich pflegen. Manchmal ist das nicht ganz einfach, weil abseits der Konzerte oder Proben oft die Zeit für private Unternehmungen fehlt. Aber bis jetzt haben wir es ganz gut geschafft, eine Clique zu bleiben.

Finanziell war das Ganzes wahrscheinlich ein Wahnsinnsunterfangen?

Ja. Der Kredit läuft. Aber wenn man einen Weg geht, der sich gut anfühlt, sollte man ihn auch zu Ende gehen.

Von Wohnzimmer Records seid ihr zu Schoenwetter Schallplatten gewechselt, von einem Indie zum anderen. Warum?
Wir hatten nach einer sehr guten Zusammenarbeit mit Wohnzimmer Records über drei Alben einfach mal Lust auf Neues gehabt, dem Label ging es da vermutlich ähnlich. Den Blick zu öffnen war wahrscheinlich auch auf eine Art Thema auf „Panorama“. Recht weit entfernt haben wir uns trotzdem nicht: Über unsere langjährige Booking-Agentur InkMusic, die auch Schönwetter Schallplatten betreibt, haben wir schon lange mit Hannes Tschürtz zu tun gehabt. Zudem sind wir über den Hannes auf unseren Produzenten Magnus Henriksson aufmerksam geworden. Da war es nur konsequent die Platte, dann auch auf demselben Label zu veröffentlichen.

Wie waren die ersten Konzerte mit dem neuen Material? Wie setzt ihr die Songs live um?

Wir haben schon im Oktober 2012 einige Songs vom Album auf Konzerten gespielt, da wurde uns dann auch eine große soundmäßige Veränderung attestiert.  Aber im Grunde wird live der Unterschied von alten und neuen Songs sicher durch Tempo und Adrenalin ein wenig kompensiert. So wie auf Platte klingt’s dann zwar nicht ganz, aber das ist durchaus gewollt. Wir rocken live zwischendurch doch immer wieder gerne, und das zeichnet uns auch aus – die introvertierte Liveband sind wir nicht. Die ganze Soundvielfalt der Produktion ließe sich ohnehin nicht umsetzen, außer man spielt Halb-Playback oder gleich mit einem Orchester. So wird im Moment aus der 60köpfigen Musikarbeiterinnenkapelle, für die wir für „Away! Away!!“ ein komplettes Arrangement geschrieben haben, halt ein 8-Bit-Lo-Fi-Sample.

Wie stellst du dir die Zukunft von Velojet vor, haben sich durch „Panorama“ neue Wege eröffnet?    
Diese Platte macht klar, dass es in viele Richtungen weitergehen kann, und das tut uns und der Musik gut. Es muss ja in erster Linie für uns spannend bleiben und es geht als Musiker immer darum, sich selber zu inspirieren, die Hörer zu überraschen und etwas zu machen, was in der Form sonst niemand macht.  Es macht sich außerdem schon bemerkbar, dass die neue Platte im Ausland Anklang findet, durchaus auch bei Menschen, die wir selber sehr schätzen. Das pusht natürlich mein Selbstvertrauen, ich traue mich jetzt auch meine Lieblingsbands anzuschreiben und dadurch im besten Fall neue Menschen und Orte kennenzulernen. Und um das soll es langfristig auch gehen: Output und Input, es soll spannend bleiben. Das Leben ist wie ein großes Tour-Tagebuch, leider kommen nur die wenigsten dazu es aufzuzeichnen.

Fotos Velojet: Julia Grandegger

 

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