mica- Interview mit Thomas Daniel Schlee (Komponist und Festivalleiter)

Der Carinthische Sommer startete am 10. Juli seine Jubiläumssaison. Seit nunmehr 40 Jahren stellt die barocke Stiftskirche am Ossiacher See das Zentrum des bedeutendsten Sommerfestivals in Kärnten dar. 1972 kam als weiteres Standbein vor allem für die größeren Orchesterkonzerte Villach hinzu. Im Cafe Sperl, unweit des Wiener Büros des Festivals, traf Heinz Rögl den langjährigen Intendanten Thomas Daniel Schlee zum Gespräch. Schlee ist auch ein bedeutender österreichischer Komponist mit Faible für Zeitgenössisches und für – Frankreich.

Das ersieht man regelmäßig an den Programmen. Zeitgenössisches gehört einfach dazu. Das liegt nicht zuletzt an Schlees eigener  Biographie. Er ist selber auch Organist, hat in Paris unter anderem bei Olivier Messiaen Komposition studiert, in Wien Musikwissenschaft und Kunstgeschichte, dann bei Francis Burt. Thomas Daniel Schlee ist neben seiner Tätigkeit für den Carinthischen Sommer auch als Komponist derzeit sehr gefragt und tätig (siehe dazu auch unseren Bericht über das kürzliche Konzert der “Reihe” im Wiener Funkhaus unter Christian Muthspiels Leitung).  Für das Staatsorchester Stuttgart komponierte er gerade das Werk  “Spes unica” für großes Orchester, Manfred Honeck dirigierte die Uraufführung am 12.7.2009. In Konstanz wurde bereits Schlees Konzert für Klavier und Orchester von der Südwestdeutschen Philharmonie Konstanz uraufgeführt. (1./3.4.2009). Seine Kirchenoper “Ich, Hiob” wurde im März nun auch in der Minoritenkirche Linz gespielt. Dazu kamen Uraufführungen  von Kammermusik: “Vom Abend zum Morgen”, op.62 für Sopran und Altflöte in G, sowie der “Jubilus” op. 35a für Violine, Violoncello und Klavier durch das JESS-Trio in Neuberg an der Mürz.

Der Vater des Komponisten war der legendäre Alfred Schlee (1901-1999), der als Direktor der Universal Edition selbst in den schwierigen Jahren der Nazi-Diktatur die bedeutendsten Komponisten des 20. Jahrhunderts protegierte und an das Haus binden konnte. Bis an sein Lebensende war Alfred Schlee ein aufmerksamer Konzertgeher und hellwacher, auch durchaus kritischer Beobachter der Neuen Musik. Thomas Daniel Schlee ist sich der Verantwortung seiner Herkunft mehr als bewusst, trägt sie gerade aber auch dadurch, dass er als Komponist eigene Wege geht. Er wird international derzeit vor allem in Deutschland mit Aufträgen bedacht und durch namhafte Dirigenten und Ensembles uraufgeführt.

Bei der Pressekonferenz zum heurigen Carinthischen Sommer sagte er: “Unser Jubiläumsprogramm ist besonders vielfältig, prominent besetzt, und setzt inhaltlich wieder starke Akzente auf dem typisch carinthischen Weg von Tradition zur Moderne.”

Vergangenen Freitagabend ist in Ossiach der heurige Carinthische Sommer eröffnet worden, einst 1969 vom Philharmoniker  Helmut Wobisch gegründet, bald schon wurde die zeitgenössische Kirchenoper zum Markenzeichen des Festivals. Ein zweitägiges Fest mit der Bevölkerung in Ossiach und Villach bildete den unkonventionellen Auftakt, Bundespräsident Heinz Fischer lobte in seiner Eröffnungsrede “Pluralismus und Toleranz” des Festivals 2009 und die “spezifische Handschrift”, die es in den vergangenen Jahrzehnten entwickelt habe. Mit der deutschen Erstaufführung der Kirchenoper “Passion & Auferstehung” des Briten Jonathan Harvey geht es in seine Jubiläumssaison.

Die in der Verfassung verankerte Freiheit der Kunst müsse auch in Zukunft geachtet werden, meinte der Bundespräsident. “40 Jahre – das ist ein eindrucksvoller Zeitraum”, erklärte Fischer und lobte das Engagement aller Beteiligten. Intendant Schlee warnte davor, sich in einer Jubiläumssaison zu wenige Gedanken über die Zukunft des Festivals zu machen. “Die Gefahr bei einem Jubiläum liegt darin, die Augen verschämt zu senken. Dabei müssen wir gerade jetzt die Augen heben und in die Zukunft blicken”, sagte Schlee.

HR: Sie machen die Intendanz seit 2004. Ehrlich gesagt, war ich noch nie dort.

Thomas Daniel Schlee: Wollen Sie mich gleich zu Beginn des Gespräches melancholisch machen? .

Aber Sie machen das doch gerne?

Natürlich. Aber – das ist nicht relevant für das Interview: Es ist ein Opfer das man bringt. Ich sehe meine Kinder während der schönsten Zeit des Jahres nicht und es stellt sich privat natürlich die Frage, ob es dieses Opfer wert ist. Wir sind in  Kärnten in einer Grenzlandsituation. Oder wie Paul Klee das so schön formuliert hat, “an der Grenze des Fruchtlandes” Es stellt sich ja die Frage, wie viele Menschen halten sich in Kärnten auf, die bereit sind, eine Form von Kunst mit zu tragen. Aus eigenen Kräften geht es nicht, man hat jahrelang vielleicht salopp gesagt eine etwas törichte Tourismuspolitik betrieben. Das ist auch etwas, womit wir uns zu beschäftigen haben. Wer kommt nach Kärnten von den Touristen, sind die an komplexen kulturellen Fragestellungen interessiert?

Wie ist die Publikumssituation des Carinthischen Sommers generell – ich habe gesehen, es gibt jetzt schon Konzerte die ausverkauft sind.

Jaja. Was sich in den vergangenen Jahren verschärft hat, aber nicht nur in Kärnten, ist die Tatsache, dass Kaufentscheidungen kurzfristiger werden. Das macht es ein bisschen schwierig, dass man zielsicher Werbung macht. Wir waren auch so vorsichtig, die Preise ein bisschen zurückzunehmen, besonders für die großen Orchesterkonzerte. Was aber nur mit Maßen fortsetzbar ist. Wenn man in einer Region arbeitet, wo schon von vornherein weniger Menschen ansprechbar sind als in einer Metropole, müssen Sie kaufmännisch anders agieren. Die Orchesterkonzerte von reisenden Orchestern sind mittlerweile ziemlich teuer geworden, in Wahrheit würde man einen Saal von rund 2000 Plätzen brauchen um halbwegs auf gleich zu kommen. In Kärnten haben wir im Kongresszentrum Villach einen Saal mit 900 Plätzen, das heißt die kaufmännische Frage stellt sich schon allein dadurch extrem verschärft. Wenn Sie auch dann noch sagen müssen, wir können keine Hochpreispolitik fahren, wir können abseits der großen Festivals keine Salzburger Preise machen. Auch nicht bei Veranstaltungen die vom künstlerischen Niveau her toll sind wie etwa heuer mit Bruno Ganz, der einen Rilke-Abend macht .

 … Rilke, gelesen von Bruno Ganz, noch dazu mit dem gar nicht so häufig angesetzten „Marienleben“ von Paul Hindemith … Sprechen wir über das Programm und auch über die 40jährige Bestandsgeschichte des Carinthischen Sommers. Allein wenn man die heurige Programmierung ansieht: das sind beileibe keine „08/15-Programme“, da gibt es viele innovative, moderne, auch zeitgenössische Sachen zu finden, mit Uraufführungen von Füssl, Fheodoroff, Helmut Jasbar, der 20. Todestag Thomas Bernhards wird begangen, die wunderbare Anne Bennent kommt mit einem „überwiegend französischen“ Programm … Inwieweit trägt das alles Ihre Handschrift? Sie müssen diese blöde Frage auch nicht beantworten!

Sie trägt sie noch viel zu wenig. Das ist das große Glück einer solchen Tätigkeit – manchmal vergleiche ich das mit dem, was ein wirklich guter und kluger Dirigent zustande bringen kann. Nämlich Werke zum Leben zu bringen. Es gibt ein riesiges Repertoire bei mir, nämlich das 20. Jahrhundert, man muss da aufpassen. Manche Leute (meiner Generation) assoziieren damit “Gegenwart”. Ich meine damit ja schon Vergangenheit, aber das 20. Jahrhundert ist das, das ich als das eigentlich “meine” betrachte wobei Sie wissen, dass ich mit einem ungeheuren Erbe aus dem 20. Jahrhundert in meinem Leben .

… Sie waren immerhin Messiaen-Schüler .

. ja, nicht nur, ich meine die vierzig Jahre meines Lebens, in denen mein Vater lebte.  (.) Eine bereits historische Vergangenheit, ein ungeheures Erbe eben, er war vierzig Jahre der Direktor der UE, er war eine lebende Geschichte des 20. Jahrhunderts (.) Es gibt so viele schöne und gute Werke aus dieser Zeit, die drohen, der Vergessenheit anheim zu fallen. Als ausübender Künstler ein Festival leiten zu dürfen, ist ein großes Glück. Das als Komponist zu tun, bietet besondere Möglichkeiten, wieder andere als die von Interpreten, als die von Nikolaus Harnoncourt, der Musiker und Dirigent und Kenner der Alten Musik ist. Jedenfalls: Ich bin glücklich, wenn es etwa gelingt, ein unbeschreibliches Meisterwerk von Darius Milhaud aufführen lassen zu können, den ich auch noch gekannt habe, eines seiner herrlichsten Stücke, die niemand kennt. Ich kenn’s [Anm.: Milhaud, Cantate de l’Enfant et de la Mère, am 2. August mit Anne Bennent].

Oder Hauer, und eben Karl Heinz Füssl [1924-1992], einer der bemerkenswertesten Komponisten nach 1945, den ich so geliebt habe, den ich wirklich seit meiner Kindheit kannte – kein Mensch erinnert sich heute an ihn.

Evident ist: Der Carinthische Sommer hat weder die Mittel noch die Spielstätten, die mit Wien, Salzburg; Baden-Baden  usw. vergleichbar wären. Selbst Beethoven hatte in Bonn, wo ich vorher war, größere Möglichkeiten [Schlee war von 1999 – 2003 Stellvertreter des Intendanten beim Internationalen Beethovenfest, Bonn]. Eine sinnstiftende Inhaltsdefinition des Carinthischen Sommers kann nur über die ausgewählten Werke gehen. Das kommt mir als Komponist sehr entgegen. Dann: Kirchenoper, deren Urheber dann auch Composers in residence sind. In Bezug auf die Kirchenopern musste ich immer wieder mehrere Entscheidungen, oft auch abseits vom ,Mainstream’, treffen. Auch für 2010, da kommt ein ganz junger finnische Komponist dran, und finnische Interpreten um ihn herum.

Ich ärgere mich oft immer noch, und früher war’s noch schlimmer für mich persönlich, es hat mich am Anfang persönlich gekränkt, über diese unerträglich gewordenen ,Terrorregimes’ mancher Dramaturgen. Es gibt Häuser in Wien, da werden die Programme nicht von einem allein gemacht, sondern von sogenannten ,Spezialisten’. Und gerade auf dem Gebiet der ,Neuen’ Musik, wenn Sie da nicht in den ästhetischen Kram passen, dann kriegen Sie eine auf die Finger geklopft. Ich habe es auch an mir erlebt, dass ich den ,Hauptströmungen der Avantgarde’ gegenüber ungehorsam gewesen bin, von denen man meint, ich müsse ihnen auf Grund meiner Geburt ein ganzes Lebern lang dienlich sein. Nein – wieso? – ich denk nicht dran!

Im letzten Jahr hatten wir John Taverner in den Mittelpunkt gestellt – um Gotteswillen! Wo viele Intellektuellen aufjaulen – so ein ,Sakro’-Kitsch und so. Es ist aber eine Musik von unglaublicher Wirkung – auch international gesehen. Es ist doch kindisch sich dem zu verweigern – aus ideologischen Gründen!  Und das ist die schöne Freiheit der Provinz. Dass ich solche Entscheidungen treffen kann, und dass unser Publikum solche Sachen mit rührender Offenheit begleitet, das sind heute teils Weißhaarige. Bei den Jungen ist das oft ein Problem, die gehen eher zu den Sachen, die wir in der ,Alternativschiene’ [“cs-alternativ”] haben, die gehen viel weniger in die Orchesterkonzerte. ,Meine’ Leute gehen dagegen fast überall hin, auch zum Rap-Abend mit Anne Bennent und anderen Veranstaltungen.

Wenn man genau schaut: Schlee hat sich heuer selbst ganz wenig ,programmiert’, wiewohl es UAs von Ihnen gibt und schon gab, in Deutschland, Wien etc .

. ein kurzes Stück für Orchester ist schon da [Thomas Daniel Schlee, Konzertouvertüre “Musik für ein Fest” op. 64 am 13. Juli, Congress Center Villach]

Aber Sie haben 2007 hier eine Kirchenoper gemacht. Ich schrieb damals in den Musiknachrichten: Wenn der Intendant komponieren kann, geht es sich doch aus – Weil die geplante Uraufführung eines Werks von John Tavener auf das nächste Jahr verschoben werden musste und/aber, weil die Kirchenoper als Genre zum Carinthischen Sommer gehört wie die Stiftskirche zu Ossiach, hat Thomas Daniel Schlee sich hingesetzt und kurzerhand selber eine geschrieben. “Ich, Hiob” hatte am Sonntag Premiere.

Das war ein schöner Erfolg, das darf ich sagen. Aber die hab’ ich nur gemacht – es liegt mir  viel daran, das zu sagen – weil ich das große Projekt mit dem John Tavener [„Maria von Ägypten“] vorbereitet  hatte und eine aufwändige Bühnenversion mit dem Herbert Kapplmüller umsetzen wollte. Der Staatssekretär Morak hat mir damals gesagt – er hat mich durchaus unterstützt damals – ihr müsst jetzt in der Regie einen Schritt weitergehen! Szenisch, nicht nur oratorisch aufgelöst. Das hat man sich vorher lange Zeit kaum getraut, nicht wegen des Kirchenraums, den man respektieren muss, sondern weil es einen Rattenschwanz von aufwändiger Technik, an Umbauten usw. bedeutet – und wir sind ja kein Theaterbetrieb, wir müssen alles zumieten, jeden Scheinwerfer, jeden Bühnenarbeiter und so weiter. Ich sagte, ok jetzt machen wir das und dann hat Morak mir eine zusätzliche Unterstützung die’s einfach braucht zugesagt und er hat das Geld letztlich nicht gegeben. Es war eine entsetzliche Situation – ich musste ein weiteres Jahr einschieben und wollte eine Opernproduktion machen, die so reduziert im Aufwand war, dass ich soviel Geld einsparen kann, dass ich mir im nächsten Jahr diese szenische Tavener-Aufführung  leisten kann.

Da hab ich mir gesagt – ohne Schmäh – der einzige Komponist, der genau das macht was der Intendant will, bist du, ich mach es selber. Ich brauchte bloß 7 Instrumente und zwei Sänger. Meine Rechnungsprüfer sind nach der Abrechnungsprüfung herausgekommen und haben gesagt, Herr Schlee, niemals in der Geschichte des Carinthischen Sommers war eine Kirchenoper so sparsam wie der “Hiob”. Und ich hab darauf gesagt – Nie wieder. Die Oper ist in Linz in der Minoritenkirche nachgespielt worden und wird auch in Deutschland kommen – und in Wien, vielleicht kommt sie beim ,Osterklang’, wir werden sehen!

Wie steht es mit ihrer Präsenz bei WIEN MODERN?

Bei Wien Modern bin ich ideologisch nicht tragbar, glaub` ich.

Das ist doch unglaublich. Seit es Wien Modern gibt, seit 20 Jahren, werden auf einer Österreich-Schiene alle möglichen Komponisten von Urbanner bis Schwertsik portraitiert und aufgeführt. Einige sehr spät . Gösta Neuwirth etwa.

Es gibt in Wien einige Dinge, die mich sehr kränken, zum Beispiel dass ich in Wien niemals vor einer Situation gestanden bin, dass man mich gefragt hat, ob ich hier auch arbeiten möchte. Das betrifft im Besonderen das Konzerthaus. . Bei der Uraufführung eines Stücks von mir bei der “reihe” im Funkhaus .

… von dem ich sehr begeistert war . [Anm.: “Enchantement vespéral”, eine phantastische, ruhige, ins “Innen” schauende, nie atemlos verlaufende oder gar überladen wirkende  Komposition mit dem selben Titel wie ein Gemälde Chagalls]

. war auch Lothar Knessl da und ich habe ihm vor Beginn des Konzertes gesagt, ich weiß schon, das wird Ihnen wahrscheinlich gar nicht zusagen, gehen Sie doch in der Pause. Er hat gelacht  und mir eine sehr gute Antwort gegeben: Ja, wer sagt Ihnen denn, dass ich will, dass es mir gefällt. Ich hab’ gesagt: Ja das stimmt.

Ich bin jetzt einfach zu alt, dass ich versuche, Dinge zu machen, die nicht meinem inneren Ohr entsprechen. Es vergeht kein Tag, an dem ich nicht an meinen Vater denke und an die Welt, die mich in meiner Kindheit und Jugend umgeben hat und die jetzt weg ist. Ich fühl mich heute auch manchmal ein bisschen alleingelassen. Aber die eigene Musikalität ist so wie sie ist und es war eine der großen Lektionen von Messiaen, der gesagt hat: Was immer Sie tun und erdenken an neuen Systemen  – am Schluss muss das Ohr entscheiden und was Ihr Ohr als richtig empfindet, das lassen Sie stehen.

Kirchenoper im Zentrum gab es in Ossiach schon, als Sie begannen.  “Mussten” Sie damit leben, dass das so ist?

Bei mir passt diese Formulierung gar nicht. Für mich ist das ein ganz zentrales Thema. Musica sacra, noch dazu in zeitgenössischer Auseinandersetzung, halte ich für unendlich wichtig und aktuell. Diese Tradition der Kirchenoper wurde im Carinthischen Sommer schon zur Gründungszeit mit dem legendären “Verlorenen Sohn” von Britten (“The Prodigal Son”, 1968) begründet. Das war eine großartige Inszenierung von Frederic Mirdita, die ging über fünfzehn Jahre immer wieder, das war eine Art “Jedermann”. Frau Fröhlich, meine Vorgängerin hat dann ein Forum für zeitgenössische österreichische Komponisten gemacht, das war an sich sehr sympathisch, aber durch die Limitierung auf das doch begrenzte Repertoire hierzulande ist zwangsläufig auch ab und zu ziemlich Schwaches herausgekommen und hat sich dann organisatorisch reduziert, es waren oft nur zwei Aufführungen mit einem aber ungeheuren Aufwand. Und ich habe gesagt, als ich antrat, jetzt bin ich mal nicht patriotisch. Es gibt so bedeutsame Werke im Bereich der Kirchenoper, auch als Kammeropern, notabene in England, wo nach Britten eine Tür aufgemacht worden ist und sich viele interessante Leute damit beschäftigt haben, eben Peter Maxwell Davies, Jonathan Harvey oder John Tavener. Wir wollen international auswählen und die Oper zum strukturellen Rückgrat des Geschehens machen. Die Kirche von Ossiach hat ja nur 200-250 Plätze mit Sicht auf die Bühnen im Altarbereich. Deswegen können wir das “mal acht” alle 14 Tage machen und alle Touristen und Menschen, die an Kärnten interessiert sind, können es auf jeden Fall sehen. Dazu kommen die damit verbundenen  “composers in residence” und die auf sie bezogenen Schwerpunkte, es gibt an den durchaus ,familiären’ Schauplätzen Anwesenheiten dieser Komponisten an etwa 10 Tagen, damit man sie auch persönlich kennenlernen kann. Mit einem so kommunikativen Menschen wie Peter Maxwell-Davies funktioniert das ganz besonders herrlich [Anm.: Eight Songs for a Mad King zeigte man übrigens kürzlich in der Wiener Kammeroper; King of the birds – Queen of the blood, zwei ausdrucksstarke Werke von Maxwell-Davies sowie Salvatore Sciarrino gibt es in einer Produktion des Kabinetttheaters (Christopher Widauer) ab 20. Juli in der “Hölle” im Theater an der Wien mit dem oenm-Österreichisches Ensemble für Neue Musik (Dirigent: Johannes Kalitzke, Regie: Philipp Harnoncourt)]

Ihr musikalisches “Credo” ist ansonsten Frankreich, – lieben Sie an Franreich den Umgang mit Musik, die Stimmungen, die Gerüche, wo Sie ja auch in Paris einen Wohnsitz haben?

Meine Frau ist Pariserin und das ist eine wunderbare Sache, ich kann dort der Welt abhanden kommen und schreibe dort gerne meine Orchesterstücke weiter, die ich fertig stellen muss.

Sie schreiben nach wie vor .

Sehr viel in den letzten 10 Jahren, das bedeutet auch Komponieren am Abend und in der Nacht, in Urlaubsphasen, ist manchmal auch ein bisschen anstrengend, aber ich habe mich nie über diese ,Doppelbelastung’ beklagt. Ohne dieses regelmäßige Eintauchen in eine eigene künstlerische Welt wäre die administrative Arbeit nicht zu ertragen. Ich könnte das eine Gleis ohne das andere überhaupt nicht befahren.

Wie steht es mit Ihren Bezügen auf die österreichische Musiktradition, auch auf die Zweite Wiener Schule?

Das mit der Zweiten Wiener Schule ist ein bisschen heikel. Ich bin mit dieser tiefen Verehrung aufgewachsen. In der Wohnung meiner Mutter steht nach wie vor der Flügel von Anton von Webern. Also diese Dinge gehören zu mir, aber musikalisch sind sie mir etwas ferner gerückt. Es hat sich bei mir eine Entwicklung vollzogen, die eigentlich von fast erschreckender Banalität ist. In dem Moment, wo ich von Wien weg war, das war relativ früh nach meinem Studium – Salzburg, Linz, dann eben Bonn – ist das dann in Bonn sehr stark geworden. Ich habe mir gesagt, man muss etwas in sich verstärken, um sich nicht zu verlieren. Ich habe dann ein für mich heute unglaublich  sentimentales Stück (unlängst wurde es im Schönberg-Center von einem Universitätsensemble gespielt) komponiert, das sich das “Wiener Stundenbuch” nennt. Es bezieht sich auf eine Folge von 12 Ländlern von Michael Pamer, dem eigentlichen ersten Komponisten, der die Ländler allmählich in die Walzermusik übergeführt hat. Pamer war ein Lehrer von Johann Strauß Vater und von Lanner. Dieser mein Bezug auf Pamer hat auch zu tun mit meiner Zeit in Linz, wo ich neun Jahre im Brucknerhaus tätig war – wir wohnten in einem wunderhübschen Haus direkt an der Donau – das war der Ort, wo ein bissl die Donau aufwärts die Flößer vorbeigefahren sind, die vom Schwarzenberg-Kanal kommend das Holz nach Wien gebracht haben – und über diesem Weg ist bekanntlich musikhistorisch betrachtet der Landler nach Wien gekommen, da versuchte ich daran anzuknüpfen . Jetzt schreibe ich seit einigen Jahren schon, wann immer ich dazukomme, zum Beispiel einen Zyklus für Klavier, der sich “Tränen” nennt, in Anspielung auf die “Lacrimae”in der Barockmusik. Das sind etwa 10 Stücke, wo jedes dem Andenken eines Freundes oder Familienangehörigen gewidmet ist – es gab ja auch tragische Seiten bei meiner Familie mütterlicherseits, die eine jüdische Familie gewesen ist. Und das sind Wiener Tänze – sie sollen ohne irgendwelche Zitate das Tänzerische, das ich in diesen unglaublich schönen, oft traurigen Schubert-Stücken finde versuchen, in ein eigens Idiom zu überführen. Auch ich bin nicht verschont von Sentimentalitäten älterer Herrn, sagen wir so. Und insofern ist das Österreichische für mich eine zärtliche Angelegenheit, die mich in den letzten Jahren zunehmend beschäftigt.

Foto Thomas Daniel Schlee © Ferdinand Neumüller
Fotos © Carinthischer Sommer

 

 

http://www.carinthischersommer.at/
http://findarticles.com/p/articles/mi_qa3870/is_199907/ai_n8874673/
http://www.kleinezeitung.at/nachrichten/kultur/2078116/40-carinthischer-sommer-ossiach-eroeffnet.story
https://www.musicaustria.at/musicaustria/liste-aller-bei-mica-erschienenen-interviews