2008 erhielt der damals 30-jährige Šimon Voseček für seine Oper „Biedermann und die Brandstifter“ den Förderungspreis der Republik Österreich. Denkwürdiges Kuriosum am Rande: Als skurriler Auswuchs bürokratischer Politrealität und bizarrer Kontrast zur Vernunftvorstellung vom Leben in einer aufgeklärten demokratischen Gesellschaft im Mitteleuropa des 21. Jahrhunderts hatten Bürger des damals immerhin schon seit vier Jahren ebenso wie Österreich zur EU gehörigen Nachbarlands hier (bis 2011) keine allgemeine Arbeitserlaubnis. Dass unsere Kulturnation Komponieren freilich offenbar nicht als „Arbeit“ ansah, lässt sarkastisch schmunzeln …
Es nimmt sich versöhnlich-positiv aus, dass der in Wien lebende Prager nach vielem früher hier erlittenen Verdruss die bedeutende Auszeichnung erhielt. In der Jury zur Förderpreisvergabe: Walter Kobéra, Leiter der Neuen Oper Wien, der schon damals entschlossen bekundete, das prämierte Werk unbedingt produzieren zu wollen. Fünf Jahre später ist es nun so weit: Am 17. September wird im Wiener Semperdepot die Uraufführung von „Biedermann und die Brandstifter“ stattfinden. Christian Heindl im Gespräch mit dem Komponisten.
Die Verleihung des Förderungspreises der Republik zog seinerzeit einige Aufmerksamkeit auf sich. Immerhin wurde „Biedermann und die Brandstifter“ unter rund 100 Einreichungen als die mit Abstand auszeichnungswürdigste ausgewählt. Ist es für dich so etwas wie eine Genugtuung, eine Erleichterung, eine Befriedigung, dass die so aufwändige Arbeit endlich eine Aufführung nach sich zieht und du dein Werk nun auf der Bühne erleben können wirst?
Šimon Voseček: Ja, auf jeden Fall. Irgendwie alles, bis auf die Genugtuung. Es freut mich echt. Ich bin in den Jahren durch einige Phasen gegangen – von Zuversicht über Verdruss bis zuletzt zu so etwas wie Resignation; ich dachte mir einfach: dann halt nicht. Das hängt auch damit zusammen, dass ich mich immer weiter von der Tonsprache der Oper wegbewegte. Dafür aber wurde ich mit der Zeit immer mehr mit diversen österreichischen Realitäten vertraut – und auch ein bisschen mit den schweizerischen, denn das Stück spielt schließlich recht eindeutig in der Schweiz. Naja, ich habe vieles nicht gewusst, als ich die Oper geschrieben habe, aber eigentlich passt vieles immer noch, so dass ich mir dachte: Schau, der Biedermann ist jetzt quasi „alt“, machʼ eine gescheite Überarbeitung und dann schauen wir weiter.
Als ich von der Neuen Oper Wien verständigt wurde, dass es jetzt tatsächlich produziert wird – und zwar innerhalb eines Jahres –, da musste ich zunächst zweimal schlucken. Ich habe dann einen Blick in die Partitur geworfen und es hat sich bestätigt, dass ich das en détail unter keinen Umständen jetzt so hören wollte, aber dass es insgesamt eine wirklich gute Arbeit zu sein schien. AIso sagte ich ein paar Dinge ab und machte die ganze Partitur von Grund auf frisch. Das Stück stammt ja ursprünglich aus meiner Studienzeit, und da war ich doch viel weniger erfahren als jetzt. Die Erfahrungen sind nun drinnen, und ich bin mit dem Ergebnis sehr zufrieden.
Wann und wie hast du das Drama von Max Frisch kennengelernt? War dieses Stück auch in der früheren ČSSR bekannt? – Immerhin war es partout die kommunistische Machtergreifung in der Tschechoslowakei 1948, die Frisch seinerzeit inspiriert hat, wobei der Zusammenhang im Stück nicht explizit beschrieben wird.
Šimon Voseček: In der sozialistischen Tschechoslowakei war das Stück völlig unbekannt, was ja nicht wirklich überraschend ist, aber Max Frisch spielt auch heute in den tschechischen Spielplänen so gut wie keine Rolle. Mir ist in den letzten Jahren nur eine Produktion vom „Biedermann“ bekannt – als Hörspiel im Tschechischen Rundfunk, und das war schon 2007. Das heutige Tschechien ist ein ziemlich abgekapselter Raum.
Ich selber habe „Biedermann“ in Österreich kennengelernt. Mein Mann hatte es mir zu lesen gegeben, und ich fand die Mischung aus der völlig grotesken Situation, dem peinlichen Humor und der absoluten Offenheit total reizvoll. Von vornherein ist klar, was passieren wird; und die Spannung besteht gerade darin, dass alles klar ist. Die moralisierende Komponente, die im Originaltext viel Raum bekommt, sagt mir gar nicht zu, und daher habe ich die bei der Libretto-Bearbeitung auch möglichst weit in den Hintergrund geschoben. Ich finde, dass die Wirkung ohne irgendeine moralische Keule viel direkter ankommt, als wenn man quasi um die Notwendigkeit gebracht wird, sich selber was dazuzudenken.
Dass das Stück von der kommunistischen Machtübernahme in der ČSSR inspiriert wurde, habe ich erst viel später erfahren. Aus dem Text selber ist es wirklich nicht herauszulesen. Vielleicht gabʼs das in der Urfassung. Die definitive Version deutet eher an, dass Biedermann aus Opportunismus in der NSDAP war. Und ob die Brandstifter nun Kommunisten sind oder etwas anderes repräsentieren, das sollte unbedingt für jeden offen bleiben und es ist gut, dass auch Frisch das so hält.
Abgesehen von diesen vielfältigen Aspekten – was hat dich spezifisch am Stück gereizt?
Šimon Voseček: Dass man ständig lachen muss und sich auf den Kopf greift, sich dabei aber permanent die Unsicherheit einschleicht, dass man womöglich selbst gar nicht anders handeln würde. Mir liegt so eine Verschränkung von einem ernsten Thema mit groteskem Humor sehr.
Worin besteht die Aktualität des Stoffes oder ist eine solche gar nicht zwingend nötig?
Šimon Voseček: Oh ja, ich finde den Stoff super-aktuell. Als ich die Oper geschrieben habe, war gerade Bush junior an der Macht, und ich habe mich die ganze Zeit damit beschäftigt, wer heutzutage eigentlich ein Biedermann und wer wohl ein Brandstifter sein soll. Im Grunde ist das Stück ein Plädoyer für eine offene Sprache und ein Zu-sich-Stehen. Es ist ja unglaublich: Im Text spielt bis zum letzten Moment eine viel größere Rolle, wer was von wem hält, als wer jemand wirklich ist. Zu sagen, dass hier Brandstifter in eine heile Welt eindringen und sie mutwillig zerstören, wäre ja ein totaler Unsinn, weil diese „heile“ Welt eigentlich voller Arschlöcher ist, die brutal Macht über andere ausüben und es bloß durch Sprachgebrauch tarnen, oder nicht einmal das. Aber diese Welt einfach niederzubrennen, scheint mir auch keine wirklich gute Lösung zu sein, ganz abgesehen davon, dass die Brandstifter am Ende selber zugeben, dass ihnen jegliche politische Motivation fehlt. Die Aktualität besteht letztendlich darin, dass sich das Stück eben nie an etwas Aktuelles aufhängt, sondern ganz archetypisch aufgebaut ist.
Wie weit hast du Frischs Text übernommen bzw. wie hast du ihn für dein eigenes Libretto adaptiert?
Šimon Voseček: Ich denke nicht, dass ich ein besserer Frisch wäre, und der Text ist derart genussvoll zu lesen, dass es schade wäre, wenn man ihn verfremden würde. In einer Oper kann vieles auch über Musik ausgedrückt werden, und vieles ist wiederum zu subtil. Das heißt, ich habe einige wichtige Randbemerkungen zentraler gestellt und einige andererseits ausgelassen und stattdessen musikalisch umgesetzt. Die wichtigsten Eingriffe sind gegen Ende zu finden: Die Figur des Dr. phil. habe ich gestrichen, weil sie gar so sehr den Eindruck eines erhobenen Zeigefingers erweckt, und die abschließende Rede der Feuerwehr gibt es auch nicht. Die Feuerwehr ist ja weggelaufen zu anderen Bränden, was sollen die da jetzt noch einmal, noch dazu derart belehrend. Ich habe auf eine musikalische Umsetzung der Explosion und des Brands verzichtet. Ich finde die Atmosphäre der Angst und Lähmung knapp davor viel spannender. Was sich am Ende abspielen wird, hängt gänzlich von Béatrice Lachaussée ab, die die Regie führt.
Der „Biedermann“ war in Österreich immer relativ bekannt, wahrscheinlich weil darin sehr viel an auch für die hiesige Mentalität typischer Charakterdarstellung vorhanden ist. Bemerkenswert, dass es nun – erstmals! – musikalisch von einem Tschechen als Oper umgesetzt wurde. Mich ließ ein erstes Hineinschnuppern durchaus an eine „österreichische Tradition“ denken – die Durchsicht der Partitur und das Hören einer Szene erweckten die Assoziation an ein organisches Anknüpfen bei Bergs „Wozzeck“. Ist das ein für dich nachvollziehbarer oder sogar gewünschter Effekt?
Šimon Voseček: Nein, erwünscht oder beabsichtigt ist es eigentlich nicht. Klingt aber nach einer guten Gesellschaft. Ich habe eine große Skepsis gegenüber nationalistischem Denken und hatte schon in Tschechien immer wieder Dispute auszutragen, weil ich die Traditionskette des musikalischen Schatzes der tschechischen Nation nicht als etwas Naturgegebenes nehme. Vielleicht ließe sich das quasi als ein altösterreichisches Denken bezeichnen, wo man seine Nationalität frei wählen konnte, je nachdem wo man sich zu Hause fühlte. – Das kann in Tschechien und überhaupt im ehemaligen Ostblock kaum jemand verstehen. Und ob ich nun Tscheche bin oder ein Österreicher – also, ich beobachte es mit einem großen Vergnügen, wie sich die Zuschreibungen zu meiner Person mischen. Du sagst jetzt, ich sei ein Tscheche, Walter Kobéra meinte in Ö1, ich sei ein österreichischer Komponist. Ehrlich gesagt, mir ist das egal, und welchen Pass ich besitze, sagt darüber schon gar nichts aus.
Zurück zu den Anfängen: Was hat dich überhaupt bewogen, ohne konkreten Auftrag eine abendfüllende Oper zu schreiben?
Šimon Voseček: Naja, es hat schon so etwas wie einen Auftrag gegeben. Es gab damals im Nationaltheater in Prag eine Veranstaltungsreihe, wo man mit einem Minimalbudget jüngeren Komponistinnen und Komponisten anbot, eine Oper im Ständetheater aufzuführen, und man hat mich angesprochen. Ich fand das interessant, war damals Student und hatte dafür Zeit. Aber dann ist es vollkommen ausgeartet, von der Dauer und vom Apparat her, und auch was die Schwierigkeit betrifft. Ursprünglich habe ich auch das Libretto übersetzt und das Werk von vornherein zweisprachig konzipiert, aber als sich immer mehr zeigte, dass in Prag nichts daraus werden wird (das Projekt wurde mit einem Intendantenwechsel abgeblasen) und dass es für Tschechien generell einfach für eine gute Aufführung zu schwierig werden würde, bin ich ins Deutsche zurückgekehrt und machte das Stück dann einfach so fertig, weil ich es gewohnt bin, Sachen fertig zu machen.
Du kommst aus Tschechien. Gibt es Überlegungen oder sogar schon konkrete Aktivitäten die Oper auch in deiner Heimat zu präsentieren?
Šimon Voseček: Nein, also meinerseits jedenfalls nicht. Es besteht auch kein Interesse, soweit ich weiß, und ob jemand von dort nach Wien kommt, um sich das anzuschauen, ist sehr fraglich. Ich will die Leute nicht unterschätzen, aber ich weiß, wovon ich spreche, wenn ich über einen abgekapselten Raum rede. – Außerdem müsstest du eigentlich schon wissen, dass meine „Heimat“ nicht mehr in Tschechien ist. Ich finde diese Diktion fahrlässig, weil sie impliziert, man könne nach beliebiger Zeit in einem „fremden“ Land in die „Heimat“ zurückkehren. Das ist ein totaler Unsinn, aber sehr wohl ein Traum der Rechtsradikalen.
Da du beide Länder sehr gut kennst: Wie siehst du im Vergleich die Situation der zeitgenössischen bzw. neuen Oper in Österreich und Tschechien?
Šimon Voseček: Das lässt sich gar nicht vergleichen.
Du bist sehr bald nach Abschluss deiner Studien bei Otomar Kvěch am Prager Konservatorium nach Wien übersiedelt, hast hier ein weiteres Studium an der Musikuniversität absolviert und bist hervorragend in der hiesigen Szene zeitgenössischer Musikszene vernetzt. Hattest du Gelegenheit, schon zuvor oder seither auch ein zweites Standbein als Komponist in Tschechien zu etablieren bzw. zu festigen und zu pflegen?
Šimon Voseček: Ich bin in Tschechien ein unbeschriebenes Blatt. Das war vor zwölf Jahren nicht unbedingt so, eigentlich gab es schon Interesse an meiner Musik. Mit der Übersiedlung nach Wien ist das aber komplett abgerissen. Es war eine spannende Erfahrung, vor einem halben Jahr nach Kiew zu einem Konzert als „Tscheche“ eingeladen zu werden. Ich schreibe jetzt eine völlig andere Musik und muss bei gelegentlichen Kompositionsseminaren am Prager Konservatorium mit Studenten streiten, ob solche Musik eine Daseinsberechtigung hat. Um es einmal klar zu sagen: Für mich war der Wechsel von Prag nach Wien nicht einfach, weil ich noch einmal von Null anfangen musste, aber letztendlich eine richtige Befreiung. Das hört sich für gebürtige Österreicher vielleicht seltsam an, und ich kenne auch Leute, denen Wien nicht gutgetan hat und die lieber weitergezogen sind. Aber in meinem Fall war es wirklich so.
Verschiedenste Austauschmodelle zwischen Ländern haben bei uns immer nur punktuell funktioniert. Es gibt einen kurzzeitigen Bulgarien-, Irland- oder eben Tschechien-Schwerpunkt, der mehr oder weniger auf Interesse stößt, jedoch kaum dauerhaft das Bewusstsein für die Musik anderer Nationen schärft. Auch unter Musikkennern könnte kaum jemand bei uns spontan einen lebenden bulgarischen, irischen oder tschechischen Komponisten nennen. Verlangt man zu viel, wenn man fordert, intensiv an der Bildung dieses Bewusstseins zu arbeiten? Können wir, auch im Musikbereich, durch die Kenntnis der Nachbarn das Verhältnis zueinander verbessern? Kann ein zwei Ländern so eng verbundener Musikmensch wie du dazu beitragen, oder ist die eigene Arbeit individuell zu sehen und auch individuell zu vermarkten?
Šimon Voseček: Ich glaube nicht, dass ich den ganzen Themenkomplex beantworten kann. Grundsätzlich habe ich den Eindruck, dass nach wie vor jede größere Stadt eine eigene Kunstszene entwickelt, die mehr oder weniger selbstgenügsam ist. Die Frage ist eher, wie wird diese Szene von außen gesehen bzw. auch nach außen sichtbar gemacht? Die nationalistischen Staatskonzepte, die gerade jenseits des ehemaligen Eisernen Vorhangs wuchern, sind mit einer Internationalisierung der Kunst schwer in Einklang zu bringen. Sehr vieles hängt von Einzelpersonen ab, so schafft in der Ukraine Bohdan Sehin mit dem Ensemble Nostri Temporis eine echte Vernetzung mit den europäischen Szenen, aber ich bin mir nicht sicher, ob es die weiter geben wird, wenn er aus welchen Gründen auch immer keine Austauschprojekte organisieren können wird.
Zurück zum „Biedermann“. Da sich ja das lange Warten auf die Realisierung nun doch gelohnt hat: Juckt es dich bereits, an eine weitere Oper heranzugehen?
Šimon Voseček: Also jetzt bin ich erst einmal völlig fertig, weil die Neubearbeitung unter einem sehr großen Zeitdruck geschehen ist und ich davor, daneben und dazwischen auch andere Dinge getan habe: in einer Theaterproduktion mit Jugendlichen gearbeitet, ich bin nochmals nach Kiew gefahren – diesmal als ein Österreicher –, habe als Dirigent mit dem Ensemble Platypus vier Stücke aufgenommen … Meine Sehnsucht ist jetzt nicht, wieder eine Oper zu schreiben, sondern einfach nur wohnen. Allerdings habe ich die Stimmen noch nicht geschrieben und zwei kleinere Auftragsstücke muss ich auch noch bis Ende Juli unterbringen.
Aber Oper ist schon DAS Genre, das mir liegt. Ich habe im Kopf zumindest drei spannende Stücke, die ich einmal als Oper machen möchte – wenn ich mich ein bisschen erholt hab. Und vielleicht gibt es einmal keine Aufträge, und vielleicht werde ich nicht mehr so viele Konzerte mitorganisieren und betreuen müssen, und dann mache ich die Tür zu, setze mich hin und fange mit einem neuen Monsterstück an; so aus Spaß!
Fotos 1 Šimon Voseček: Leah Muir
Fotos 2 Šimon Voseček: Johannes Langer