mica-Interview mit Rosivita & Klaus Karlbauer

Eine faszinierende, berührende und auch sehr eindringliche filmisch-musikalische Reise durch die verschiedensten emotionalen Gefühlszustände, genau eine solche ist das spartenübergreifende Projekt „Fool`s Island“ von Rosivita (Lyrics/ Gesang) und Klaus Karlbauer (Komposition/ Altklarinette/ E-Zither/ Elektronik) sowie Markus Moser (Gitarre/ Elektronik). Das Trio versucht sich an der Verschmelzung der beiden Kunstformen zu einer einzelnen, zu einer, welche alle Sinne ansprechen soll. Zum  Thema hat Fool`s Island den Zustand des Verlorenseins, des Fremdseins und des Exils des einzelnen. Rosivita und Klaus Karlbauer im Gespräch mit Michael Ternai, über die Herausforderung der Umsetzung eines solchen Projekts, welches nach eigenen Angaben, wohl nie ein absolutes Ende finden wird.

Euer Projekt ist ja ein zu vielen Seiten offenes. Inwieweit entspricht das eurer Auffassung, sich nicht einengen zu lassen?

Rosivita: Es entspricht ganz meiner Natur, nicht in Kategorien zu denken. Ich sehe keine Grenzen zwischen den einzelnen Genres und komme auch aus keiner spezifischen Ecke. Ich bin Autodidaktin und tue das, was ich im Moment fühle und empfinde. Und die Einflüsse kommen aus allen Richtungen. Konstruieren, wenn man das so nennen will, tut es Klaus, er ist der Komponist. Ich habe die Rolle der Interpretin.

Klaus: Ich würde nicht von „konstruieren“ sprechen. Es ist so, dass viele Leuten, die uns schon lange kennen, sagen, dass das was wir bei Fool’s Island Project tun, sehr gut zu uns passt. Also dass unsere Persönlichkeiten sehr gut mit dem Projekt übereinstimmen. Und ich glaube, dass dem so ist, hat auch damit zu tun, dass bei uns eben nichts konstruiert ist. Ich kann von mir sagen, dass ich einen sehr diversen Hintergrund habe und dieser ganz zwanglos in die Arbeit einfließt. Man kann sagen, dass es sich inzwischen um keine bewusste Vermeidung mehr handelt. Ich komme ja aus der Blasmusik,  habe auch klassische Musik studiert und lange Zeit auch Neue Musik gemacht. Daher habe ich einen ganz breiten musikalischen Hintergrund. Mir gefällt der experimentale Ansatz unserer Arbeit, der aber nie ins obskure hinein kippt. Es soll nicht, wie es in der Neuen Musik oftmals der Fall ist, akademisch oder verkopft klingen. Vielmehr soll die Emotion, welche über die Musik transportiert werden soll, im Vordergrund stehen.

Rosivita: Wichtig ist, dass hinter dem was man tut, die Leidenschaft zu spüren ist.

Klaus: Mir sind die vielen Dinge, die dahinter stecken, aber schon sehr wohl bewusst. Ich weiß schon, in welchem Feld wir uns bewegen. Diese Referenzen an die Winterreise und diesen Ocean of Sound, die Klangkunst und die elektroakustische Musik, die habe ich ja vor hundert Jahren bei Dieter Kaufmann studiert habe, oder die selbstgebaute Zither, die ich elektronisch verstärkt habe. Es ist Analoges, das Elektroakustisches, welches auf das Digitale trifft. Aber eben mit dem Ergebnis, dass am Ende, obwohl die Grenzen geweitet sind, dann doch so etwas Songhaftes entsteht. Es soll nicht irgendwie zerrissen oder zertrümmert erklingen. Vielmehr soll der Begriff Song ausgelotet werden. Er soll gestreckt werden bis hinein in einen Soundscape, in dem aber eine gewisse Strophenform oder Ähnliches noch vorhanden sein sollte.

Kann man, wenn man eure Musik in wenigen Worten zusammenfassen will, von einer Art popularmusikalischer Kunstmusik sprechen?

Klaus: Das könnte man schon so sagen.

Rosivita: Ja, wenn man muss. Aber eigentlich ist das recht schwierig.

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Inwieweit seht ihr das Projekt Fool`s Island auch als ein spartenübergreifendes? Ihr arbeitet ja viel mit Bilden und Filmen…

Klaus: Es kommt daher, dass ich auch sehr viele Filme, vor allem analoge und experimentelle gedreht habe. Auch lange Formate, aber eben immer mit einem experimentellen Ansatz. Film war irgendwie immer schon eine Art zweite Schiene für mich. Und gemeinsam haben wir jetzt auch schon mehr als ein Jahrzehnt multimediale Musikperformances gemacht.

Rosivita: Wir haben eigentlich schon immer Musik und Performance zueinander zu bringen versucht. Das sind ja schließlich auch jene Bereiche, aus welchen wir kommen. Aber dennoch ist Fool`s Island dann doch im Vergleich zu den anderen Sachen, die wir gemacht haben, ein ganz anderes Projekt, weil einfach der performative Charakter diesmal deutlich im Vordergrund steht. Jetzt geht es deutlich konzentrierter in die Richtung, Bild und Musik zu zusammenzubringen. Diese beiden Ausdrucksformen zu einer zu verweben.

Klaus: Eher Film und Musik. Früher waren es mehr installative und performative Sachen, die wir gemacht haben, wogegen das neue Projekt einen Crossover aus Filmen und Live-Musik darstellt. Ich würde sagen, dass es schon auch in die Tradition der Stummfilmvertonung hineingeht, quasi zurück in die Anfänge des Kinos, mit dem Unterschied, dass auch die Filme von uns gemacht worden sind. Wir haben ja zuerst die Musik gemacht und dann mit dem Film versucht, uns dieser anzunähern. Also eine umgekehrte Vorgangsweise. Die Musik ist ja schon viel weiter entwickelt als der Film. Der Film wird erst mit jeder Entwicklungsstufe dichter und mehr, bis er am Ende mit der Musik eben vollkommen verschränkt ist.

Rosivita: Es handelt sich zudem auch um ein offenes Projekt und kann sich über die nächsten zehn Jahre noch weiter entwickeln. (schmunzelt). Man tauscht einen Song aus oder ein Bild aus und alles baut sich dann in einem anderen Kontext, in einer anderen Konstellation zusammen. Wir haben uns ja immer schon ständig neu erfunden. Jedes zweite Jahr heißen wird anders und sind auch anders. Aber ich persönlich fühle mich dabei sehr wohl.

Ein Prozess, der eigentlich niemals endet.

Rosivita: Im Moment nicht. Zumindest heute endet er nicht. Morgen schauen wir einmal weiter (lacht)

Klaus: Vielleicht liegt der Unterschied darin, dass wir zwar früher immer auch schon versucht haben, den Begriff Song neu zu definieren, nun aber diesen Ansatz unter einem einzigen Projekttitel verfolgen. Das Projekt ist zunächst einmal als „Work in Progress“ definiert. Und es gibt im Rahmen dieses Projektes, welches eh weit genug gefasst ist, finden dieses Veränderungen und Anpassungen statt. Das macht auch die Kommunikation leichter.
Rosivita: Und wiedererkennbarer.

Klaus: Klar, es ist nicht von Nachteil, wenn die Leute den Weg mitverfolgen können. Denn mit jedem neuen Projekt fängst du ja aufmerksamkeitstechnisch immer wieder von vorne an. Du baust ja niemals auf der gleichen Stufe auf.

Rosivita: Das Ding ist, dass es uns beiden sehr schnell sehr langweilig wird. Und deshalb, versucht man sich immer zu verändern.

Welche Wirkung auf das Publikum erhofft ihr euch? Geht es um die alleinige Emotionalisierung oder steckt eine tiefergehende Geschichte hinter dem Projekt?

Klaus: Es gibt schon so etwas wie eine Geschichte. Für mich war das Ganze schon ein komplizierter Prozess, dahingehend, etwas einfach sagen zu können. Das Ganze ist eigentlich ein Versuch, den Zustand des Unterwegsseins und Fremdseins auszudrücken. Das Fremdsein im Sinne des Geographischen, irgendwo nicht zu Hause zu sein, aber auch im Sinne des Psychologischen, dass man nicht bei sich ist. „Ich bin der Welt abhanden gekommen“. Ein romantisches Motiv. Das Exil des einzelnen, aber auch das Exil im Hinblick auf die Migration und das in diesem Zusammenhang überall auf der Welt Passierende. Aber mehr sage ich dazu nicht. Entstanden ist alles auf einer Insel im Mittelmeer, auf der wir Leuten begegnet und mit diesen ins Reden gekommen sind. Dort hat das Projekt von seiner Idee her seinen Ausgang genommen.

Rosivita: Eigentlich ein ganz simpler Zugang. Wir haben dort Menschen getroffen, deren Geschichten und Erlebnisse ich begonnen habe aufzuschreiben und in Versform umzusetzen. Über ein, zwei Jahre haben sich aus diesen einzelne Szenerien entwickelt. Ich erzähle also Geschichten anderer Menschen. Die wiederum hat Klaus dann zum Anlass genommen, zu diesen kleine musikalische Miniaturen zu verfassen.

Klaus: Es war eine Art Hin und Her spielen von Ideen. Dann ist Markus Moser als dritter hinzugekommen, der wiederum als einer von außen Kommender mit seinem eigenen Hintergrund dem Ganzen eine weitere Dimension hinzugefügt hat, auf welche wir ohne ihn wohl nicht gekommen wären. Das war eine schöne Sache.

Er hat dann das Projekt noch um zusätzliche Facetten erweitert.

Rosivita: Ja, er ist praktisch dieser Missing Link. Er öffnet aus seiner Perspektive Ansätze, die von uns vielleicht nicht kommen könnten.

Klaus: Wir spannen, kann man sagen eine Art Spielfeld auf, und er lotet aus, wo er mit seinen Möglichkeiten und Fähigkeiten Platz findet. Er war zwar nicht bei der Kreation des Ganzen dabei, weil er dazugekommen ist zu einem Zeitpunkt, an dem schon alles relativ weit gediehen war, aber er hat irrsinnig viel dazu beigetragen, dass alles noch viel, viel reicher geworden ist.

Wie würdet ihr euer Projekt selbst definieren?

Klaus: Es hat schon einen gewissen Aspekt von Singing/Songwriting, weil die Texte von der Interpretin selbst kommen. Und es hat auch diesen kompositorischen Zugang, der sich aus diesen verschiedenen Quellen speist. Im Singing/Songwriting ist es ja so, dass der Text und die Interpretation stark im Vordergrund stehen und die Musik eher begleitenden Charakter hat, wogegen es bei uns Text und Musik ebenbürtig aufeinandertreffen.

Rosivita: Wir versuchen halt, sehr vielschichtig an die Sache heranzugehen. Vielleicht ist es für manche vielleicht manchmal ein wenig zu komplex, aber es geht halt nicht weniger. Weil wir eben drei Persönlichkeiten sind, die alles auf allen Ebenen erfüllen wollen.

Klaus: 
Wobei ich glaube, dass wir drei schon alle die „Reife“ haben, den Dienst an der Sache selbst in den Fokus zu rücken. Keiner von uns will brillieren oder zeigen, was er nicht alles kann. Alles was wir tun, dient dem Ziel, die Geschichte rüberzubringen. Emotional und sinnlich.

Aber ich habe schon eine Antwort. Ich habe immer versucht, das Psychische beschreiben zu können. Am Anfang steht für mich immer die Emotion und nicht ein Konzept. Und zwar die Emotion des Verlorenseins. Die Emotion, dass du in deinem Leben an einen Punkt gelangst, und ich meine hier keine Depression oder Ähnliches, an dem du völlig die Orientierung verlierst. An dem du nicht mehr weißt, wo du bist. Dass du dich an jenem Punkt befindest, an dem alles, was du bisher gemacht hast, alle Strategien nicht mehr greifen. Das alles, was du erlernt hast, dir nicht mehr hilft. Und dass du aber noch nichts Neues an dieser Stelle hast, nichts was dich eventuell weiter- oder wegbringen könnte. Und das ist für mich Fool`s Island. Es ist ein Symbol für den Zustand, dass du irgendwo ganz alleine bist, wo dir keiner helfen kann, am wenigsten du dir selbst. Eine grauenhafte Situation eigentlich.

Rosivita: Und an solch einem Punkt, steht eigentlich jeder Künstler einmal. Und jeder andere Mensch wahrscheinlich auch.

Klaus: Was ich aber nicht will ist, dass ich aus einer subjektiven Perspektive erzähle, vielmehr will ich mit dem Projekt ein Gefühl treffen, welches für jeden irgendwie nachvollziehbar ist.

Rosivita: Und das ist uns, wie manche Reaktion zeigen, sehr gut gelungen. Bei unserem Konzert in Radiokulturhaus waren im Publikum genauso Zehnjährige  wie auch Achtzigjährige. Und wirklich die meisten haben etwas damit anfangen können.

Klaus: Was unser Ding definitiv nicht ist, ist Erwachsenenpop oder Adult Pop. Diese Bezeichnung ist wirklich die entsetzlichste. 45-Jährige, die so tun als wären sie 30-Jährige. So wurde oftmals unsere CD „Nachtblau“ beschrieben. Die hat zwar ein klassisches Rocksetting gehabt, aber sonst haben wir eh mit alle stilistischen Fragestellungen gebrochen.

Rosivita:
Naja, so richtig kann ich mich mit dieser CD inzwischen auch nicht mehr identifizieren. Die war einfach musikalisch noch zu brav.

Klaus: Man kann sagen, die CD war einfach ein Test. Wir, die aus einem experimentellen Umfeld stammen, wollten einfach einmal Popmusik machen. Und diese CD ist dabei eben rausgekommen. (Beide lachen) Aber dann wollte sie keiner mehr, für die einen war es kein Pop, für die anderen war es keine experimentelle Musik usw. Aber die Erfahrung will ich nicht mehr machen, sich irgendwo rein definieren zu müssen. Weil dann bist du ganz falsch. Ich selber bin kein Popmusiker, war ich auch nie einer, aber ich komme  dennoch aus der populären Musik, ich komme aus der Blasmusik, die auch um Verbindlichkeit bemüht ist.

Gibt es musikalisch irgendwelche äußeren Einflüsse, oder Künstler an denen ihr euch in gewisser Weise orientiert?

Rosivita: „Escalator over the Hill“ liebe ich zum Beispiel. Die Jazzoper von Carla Bley. Manche Teile sind so schön schräg und auch nicht in irgendeine Kategorie wirklich einordenbar. Und irgendwie war und ist es mein Ziel, einmal so ein Werk zu schaffen. Mit Fool`s Island sind wir dieser Vision ein bisschen näher gekommen. Aber auch eine Patti Smith liebe ich heiß.

Klaus: Für mich lange wichtig waren Kurt Weil und andere Leute wie etwa Scott Walker, bei dem mir vor allem das Musikalische interessiert hat. Es handelt sich aber um Einflüsse, die ich alle schon irgendwie vergessen habe. Im Moment bin ich schon voll in meinen Fool`s Island Kosmos eingetaucht.

Kann man eigentlich sagen, dass, solltet ihr jemals das Ideal von dem erreicht haben, was ihr euch vorstellt, das Projekt eigentlich gestorben betrachtet werden muss?

Rosivita: Ja, wahrscheinlich.

Klaus: Das werden wir sehen. Das kann schon sein. Das ist eine gute Frage. So wie die Chinesen sagen, wenn das Haus fertig gebaut ist, stirbst du. In einem Projekttext zum  Opus Magnum bei den Alchemisten habe ich einmal geschrieben: Solange du an einem Werk arbeitest, solange du tätig bist, wächst es und wächst du. Aber irgendwann einmal, ist es dann vorbei. Aber das sehe ich bei unserem Projekt noch lange nicht.  Jetzt haben wir zunächst einmal einen nächsten Schritt geplant.  Und zwar wollen wir aus dem Ganzen einen Musik-Essay-Film machen, in dem wir auch unsere Live-Aufnahmen dokumentieren und einarbeiten und unsere Recherchen, die wir am Balkan gemacht haben, einfließen lassen wollen. Und genau dieser nächste Schritt spiegelt auch den erwähnten Aspekt des Arbeitens an einem Projekt sehr gut wider. Das ständige Transformieren des Vorgefundenen in eine Form der Kunst.

Rosivita: Für mich hat es auch einen Reiz, mit so einem Projekt einmal auch einer richtig großen Bühne zu stehen. Zumindest so lange möchte ich das machen. Das ist mein Ziel.

Klaus:
Wir machen jetzt auch eine CD. Und die muss ja ohne Bild auskommen. Und natürlich muss und wird die Dramaturgie eine ganz andere sein. Live spielen wir ja mit Übergängen in einem Stück durch. Und es entsteht dadurch ein echtes Filmerlebnis. Die CD wird dagegen natürlich einzelne Stücke beinhalten. Und so haben wir auch vor einmal testweise zu spielen. Also alleine auf die Musik reduziert.

Glaubt ihr euer Projekt konnte auch Leute begeistern, die sonst wenig mit einer solchen Kunstform zu tun haben?

Klaus: Ich glaube schon. Und zwar aus mehreren Gründen. Zum einen ist es nicht nur Musik, sondern mehr. Es wird auch eine Geschichte erzählt. Es hat einen Inhalt und es wird etwas kommuniziert. Und natürlich könnte es auch Leute ansprechen, die mehr das Kino oder der Film interessiert, weil es eine ganz eigenwillige Ästhetik hat. Also, warum nicht. Ich denke schon.

Was noch fehlt ist, dass irgendein großer Fisch anbeißt. Eine Person, die sagt: „Das gefällt mir, machen wir was daraus.“ Ein Booker, der international gut vernetzt ist und gute Kontakte hat. Wobei ich nicht sagen will, dass sich nicht jetzt auch schon Leute für uns begeistern. So etwa sind wir mit den Leuten den Leuten von der Diagonale zusammengekommen, weil sie das Projekt interessiert gefunden hat. Ähnlich war es auch beim Konzert im Radiokulturhaus. Aber alle Rollen zu übernehmen, die des Produzenten, des Interpreten und Verkäufers … Da bist du natürlich überfordert.  Also dahingehend wäre eine zusätzliche Unterstützung schon schön.

Viel Dank für das Gespräch.

Foto Klaus Karlbauer: Klaus Karlbauer
Foto Rosivita: Michael Rosenkranz

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Klaus Karlbauer