mica-Interview mit Raphael Wressnig

Die Karriere von Raphael Wressnig scheint einen umgekehrten Weg zu nehmen. Als international gefragter Organist auf der Hammond ist der junge Steirer drauf und dran, auch in Österreich seinen Durchbruch zu schaffen. Ein hartes Stück Arbeit im Zeichen des Souljazz.Raphael Wressnig im Gespräch mit Otmar Klammer.

“Vom Virus befallen”

Raphael, mit 27 Jahren hast Du eine imponierende Reihe von Jazz- und Bluesclubs – darunter so prominente wie etwa das “New Morning” in Paris, den “Stadtgarten” in Köln und das “Porgy & Bess” in Wien – aufzuweisen und vor allem unzählige Festivals, auf denen Du immer wieder spielst. Ob auf Tour mit Larry Garner oder mit eigenen Projekten, Du bist ja fast ständig unterwegs. Du scheinst also sehr gut ausgelastet zu sein?

Raphael Wressnig: Ja, das stimmt. Aber als junger Musiker bleibt einem ja nichts anderes übrig, weil man ja auch sein Geld verdienen muß. Und wenn man kein Superstar ist, wo man mit ein paar Konzerten auskommt, hat man halt einen dichten Terminkalender. Aber für mich ist das ja Passion, und es macht Spaß. Und es muss ja so sein.

Du bist ja Autodidakt, noch dazu auf einem Instrument, das ja nicht gerade jeder junger Mensch anstrebt. Wann hast Du Dich denn dazu entschlossen, diesen Weg einzuschlagen? Wie verlief denn überhaupt Dein Weg zur Hammond-Orgel?

Wressnig: Naja, ich habe ja schon als Kind Klavier gespielt, wie das halt viele irgendwann einmal machen. Das war aber für mich zutiefst langweilig, und ich wollte eigentlich immer damit aufhören. Im Alter von 15 oder 16 Jahren bin ich dann draufgekommen, daß man versuchen muss, das zu spielen, was einem gefällt und was man so hört. Und dann habe ich eben mit so bluesigen, souligen Sachen begonnen.
Und wenn man eben als Pianist angefangen hat, spielt man zuerst halt Bluespiano und kommt dann drauf, daß es in diesen Stilistiken Sounds gibt, die richtige Klasse haben: das Klavier sowieso, Wurlitzer-Piano, Rhodes und Clavinets und diese klassischen Vintage-Instrumente – aber in erster Linie die Hammond, bei der ich dann hängen geblieben bin. Das probiert man dann halt alles aus, spielt auf einem Keyboard oder Stage-Piano immer mehr Hammond-Sounds und irgendwann einmal denkt man sich, man muss auch das eigentliche, richtige Teil einmal probieren. Und später, so mit 19 Jahren, habe ich mir dann mit allem Ersparten eine Hammond zugelegt. Seitdem bin ich vom Virus befallen.

Die Hammond-Orgel erlebt ja seit rund fünfzehn Jahren wieder so etwas wie eine Renaissance, und es spielen auch wieder mehrere bekannte Musiker auf diesem Instrument. Wo siehst Du Dich denn in diesem Zusammenhang?

Wressing: Vielleicht hat es mich indirekt auch beeinflußt, weil es zu dieser Zeit mehr und bessere Produktionen gegeben hat als zuvor in den 80er Jahren und man deshalb auch mehr zu hören bekommen hat. Da war dann auch mehr dabei, das mir gefallen und mich beschäftigt hat. Momentan ist es aber so, daß ich eher ältere Sachen ausgrabe und mich damit beschäftige. Es ist aber sicher so, daß es diese Renaissance gibt und wieder mehr und vor allem bessere Leute, die damit wirklich gute Sachen machen. Angefangen vielleicht mit Joey DeFrancesco, der das ein bisschen traditioneller angeht, aber zweifelsohne sein Ding macht und auch seinen Stil kreiert hat. Er ist zwar von allen traditionellen und klassischen Organisten beeinflußt, macht aber bessere Produktionen als etwa die Leute in den Achtzigern.

Und weiter geht´s mit Leuten wie John Medeski oder Larry Goldings.

Wressnig. Genau, die wollte ich gerade erwähnen. Da gibt´s dann Leute, die wirklich etwas Innovatives gemacht und das Instrument auch auf ein anderes Level gebracht haben. Medeski und Goldings machen ja Sachen, welche die Orgel nicht nur für die paar Organisten oder Keyboarder interessant macht, sondern für ein richtiges Publikum, nämlich so, daß Musikliebhaber das hören und nicht nur ein paar Freaks sich damit beschäftigen. Und das ist eher der wichtige Punkt an der Renaissance, daß es innovative Leute gibt, die mehr und mehr machen und sich damit auch an ein breiteres Publikum wenden.

Abgesehen von den potenziellen Innovationen der Hammond-Orgel, wie siehst Du denn diese Möglichkeiten im Blues und Souljazz im Allgemeinen, dort also, wo Experimente und Innovation – wenn überhaupt – schleppender vorangehen als etwa im Jazz oder anderen Bereichen?

Wressnig: Je mehr ich mich mit alten und ausgefalleneren Sachen beschäftige, umso mehr entdecke ich, woher die Jungs ihre Ideen haben und was da gerade passiert. Zuerst war ich auch immer von den hippen Ideen und all dem Zeugs begeistert, das die so daherbringen, aber eigentlich habe ich schon so viele Sachen gehört, daß ich weiß, daß ich das da oder dort schon gehört habe. Aber prinzipiell muß man es ihnen zuschreiben, daß sie es wieder aufgegriffen haben und mit ihren Band-Konzepten und Sounds und anderen Einflüssen in Verbindung gebracht haben. Das bringt vielleicht auch andere Leute darauf, alte Sachen auszugraben und den Mut dazu zu haben, was neues Eigenständiges daraus zu machen. Den John Medeski laden jetzt selbst viele Blues-Leute gern als Gast ein, weil er was Hippes macht. So trauen sich vielleicht dann auch andere daran, einmal etwas Abgedrehteres auf ihre Platten draufzuhauen ohne immer auf diesen eingefahrenen Strukturen, die es im Blues zweifelsohne gibt, zu beharren.

Du hast vorhin von älteren Sachen gesprochen, mit denen Du Dich beschäftigts. Welchen Zugang hast Du denn als junger Musiker zu dieser Zeit und zu diesen Leuten, vor allem der Ära der klassischen Blue Note- Aufnahmen der 60er Jahre?

Wressnig: Über das viele Orgelspielen bin ich draufgekommen, daß es da einen Organisten gibt, über den viele reden und den viele kennen und der eben auch für Blue Note aufgenommen hat – den Jimmy Smith. Dann habe ich eben begonnen – ich hab´ ja zuerst eher Blues gespielt – rund um das Instrument zu kramen, zu suchen, was es sonst noch für Leute gibt, und da gibt es natürlich eine Unmenge guter Sachen auf Blue Note. Und dann kramt man weiter und kommt dabei vielleicht auch einmal auf Larry Young, der dann schon viel interessanter und innovativer mit dem Instrument umgeht, wie etwa auf der Platte “Lawrence of Newark” mit James Blood Ulmer, wo sie dann total frei spielen. Das ist dann schon sehr weit von dem Blue Note-Sound und dem Instrument, das Jimmy Smith geprägt hat, entfernt.
So tastet man sich als junger Musiker vor, ausgehend von Sachen, die primär einmal bekannt oder verbreitet sind, und dann findet man verborgene Juwelen, die man für sich aushebt und für seinen Stil nützt.

Wir haben schon den Autodidakten in Dir angesprochen. Inwiefern siehst Du denn gerade im Jazz- und Blues-Bereich Vorteile eines Autodidakten gegenüber einem ausgebildeten Musiker? Kann die Unbefangenheit von Repertoirekunde, Jazzgeschichte und Harmonielehre von Vorteil sein?

Wressnig: Viele solcher Musiker haben – was Harmonien und theoretischen Background betrifft – sicher Vorteile. Andererseits ist das genau das, was einen lähmen kann beziehungsweise dem Spiel etwas von diesem akademischen Touch gibt. Die Gefahr besteht, daß man zu sehr an Harmonien und Skalen festklebt und weniger auf natürliche Weise kommt.
Wenn man einfach für sich zu Hause drauflos spielt und für sich ist, kommt man auf Sachen drauf, die supercool sein können, wenn man sich also gar nicht überlegen muss, in welchem Zusammenhang das mit dem Akkord steht. Es ist ja eigentlich eh egal, weil dem Zuhörer ist es ja auch Wurscht.
Obwohl mir schon auch manches ein wenig fehlt, man geht aber als Autodidakt freier an die Dinge ran und ist offener für alle möglichen Sachen. Viele Kollegen, die studiert haben – wie etwa Lukas Knöfler und Georg Jantscher aus meinem Trio – , erzählen mir immer wieder, daß sie sich während des Studiums dem so intensiv gewidmet haben, daß sie dann ein paar Jahre brauchten, um sich wieder davon lösen zu können. Und dann erst können solche frisch und frei als Musiker starten, wie man sich das so vorstellt, wo´s wirklich um die Musik geht.

Wenn man sich so Deine musikalische Entwicklung im Bereich zwischen Blues und Souljazz ansieht, kann man Dich ja nicht gerade als expliziten Jazzmusiker einstufen. Ein Faktum, daß Du für die einen Veranstalter vielleicht zu wenig bluesig, für die anderen zu wenig jazzig bist? Oder: Bist Du mit Deiner Musik in einem Segment, wo man vielleicht unter heimischen Veranstaltern hin und her geschoben wird?

Wressnig: Das stimmt schon irgendwie, und Du hast die Antwort schon etwas vorweggenommen. Das ergibt sich aber aus der österreichischen Szene. In den USA etwa ist das viel mehr verbunden. Viele von den Bluesmusikern, mit denen ich spiele, können auch wirklich gut Jazz spielen. Und umgekehrt. Das gibt es bei uns praktisch gar nicht. Außer vielleicht der Charlie Ratzer, der das Feeling dafür hat.
Das zentrale Projekt von mir ist und bleibt ja das “Organic Trio”, das ist auch eher bluesig und souljazzig und funky und groovy. Und das soll doch eher die jazzigere Seite sein, vor der sich dann auch Jazzveranstalter nicht zu scheuen brauchen. Das soll auch in Zukunft offener und mit einem freieren Zugang an die Nummern bleiben. Unser Weg ist, an diesen Souljazz einerseits freier heranzugehen und andererseits alles kompakt und druckvoll mit ein paar Ideen aus dem Blues und mit mehr Punch und Einflüssen aus modernem R&B voranzutreiben.

Wie kann man sich denn als Österreicher auf diesem vorbelasteten Terrain international behaupten?

Wressnig: Ich glaube, meine Stärke liegt nach wie vor in diesem Crossover von Souljazz und R&B, und da gibt´s wiederum durch Freundschaften und persönliche Kontakte gemeinsame Projekte mit guten Gitarristen und Saxophonisten aus diesem Bereich, womit man einen größeren Wirkungsgrad erzielen und ein größeres Publikum erreichen kann. Zum Beispiel dieses Projekt von mir mit Alex Schultz aus New York und Sax Gordon, womit wir auch einen recht passablen Bekanntheitsgrad haben und als Paket einen recht großen Wirkungsgrad erreichen. Die beiden Jungs kommen auch mehr aus dem Blues-Sektor, womit es für viele Veranstalter glaubhafter wird. Jetzt haben wir etwa gerade eine dreiwöchige Tour von Slowenien über Kroatien bis Dänemark gespielt, die man wahrscheinlich mit meiner Band nicht zusammenkriegen wird. Aber  dennoch habe ich quasi ein Drittel von der Show mit meinen eigenen Nummern. So ist das auch ein gutes Sprungbrett für jeden von uns, seine eigene Musik zu transportieren.

Du hast eben auch die amerikanischen und österreichischen Bluesmusiker ein wenig verglichen, wie siehst Du denn die heimische Blues-Szene im Allgemeinen?

Wressnig: Ich finde, bei uns gibt´s immer nur Versuche. Es gibt nie den Punkt, wo das irgendwie abhebt oder wo mehr passiert.
Es gibt zwar Leute wie Oliver Mally oder Hans Thessink oder über Jahre die Mojo Blues Band, die konsequent daran arbeiten und es für sich und ihre Projekte schaffen, aber so, daß man von den Musikern aus Österreich spricht oder gar von einer Szene oder etwas Ähnlichem, das gibt es nicht. Vielleicht daß geradenoch der Hans der Einzige ist, der wirklich überregional arbeitet, den man vielleicht auch mal auf einem Festival auswärts trifft.
Und weil ich selbst sehr oft in einem Paket mit amerikanischen Musikern bin, wird das auch nicht so wahr genommen, daß ich Österreicher beziehungsweise Europäer bin. Das ist dann wiederum sehr oft mit dem Vorurteil verbunden, daß die Europäer nicht so gut und glaubwürdig Blues spielen können. Deshalb versuch´ ich dann auch gleich gar nicht, das unbedíngt zu unterstreichen. Es ist so, daß mich die Leute oft schon von vornherein kennen und es sich herumgesprochen hat, daß es da einen gibt, den manche Amerikaner gerne in der Band haben oder der mit seinen Projekten gerne gebucht wird. Die Leute wissen aber gar nicht unbedingt, daß dieser ein Österreicher ist, sondern für sie ist er halt irgendein internationaler Musiker.

Und wie betrachtest Du vor diesem Hintergrund die Auftrittssituation in Österreich, wie hat sie sich in den letzten Jahren verändert?

Wressnig: Prinzipiell gibt es ein paar tolle und professionelle Clubs – ob in Wien oder in Graz – und einige Kulturvereine, die auf hohem Niveau etwas machen, aber es gibt nichts drunter, es fehlt gewissermaßen der Mittelbau. Es sind einfach zu wenig gute Plätze, daß es reichen würde, nur die zu bespielen. So bleibt einem in Österreich nicht viel übrig, als ziemlich alles zu machen – was aus meiner Sicht musikalisch nicht viel Sinn macht.
Wenn man versuchen will, nur die professionellen Sachen zu machen, ist Österreich zu klein. Das ist vor allem für die vielen guten jungen Musiker, die es in diesem Land gibt, ein Problem. Für sie ist es fast unmöglich, den Sprung wenigstens ein bisschen in die internationale Szene zu schaffen, weil sie eben nicht auf professioneller Basis arbeiten können.

Auf welche Deiner verschiedenen Projekte und Kooperationen möchtest Du Dich in Zukunft besonders konzentrieren?

Wressnig: Das zentrale Projekt ist natürlich mein “Organic Trio”, dann kommen die Orgel-Combo-Projekte, wo man immer mal jazzig, mal bluesig diesen Crossover aus Souljazz und R&B macht. Dann das Projekt mit Enrico Crivellaro sowie jenes mit Sax Gordon und Alex Schultz. Und ein paar Touring-Aktivitäten für meistens sehr namhafte Blues-Acts wie Larry Garner. In jüngster Zeit gibt´s da noch so eine Art All Star Blues Band, ein Paket mit drei bekannten Sängerinnen aus Chicago und der hervorragend besetzten Ladies Men Band.

Wie schaffst Du es eigentlich, solche Engagements zu bekommen?

Wressnig: Es gibt einen Blues-Gitarristen, der in  Frankreich sitzt und bucht und für den ich schon mit Alex Schultz mehrere erfolgreiche Tourneen in Frankreich gespielt habe. Und der hat sich halt gefragt, warum er einen Keyboarder aus den Staaten holen soll, wenn einer vor Ort ist, der das ebenso machen kann, einer, der auch diese Stilpalette abdeckt. Denn eine dieser Sängerinnen ist eher jazzig, eine andere eher soulig und die dritte wiederum total erdig bluesig, und da hat er sich halt so was wie eine Idealband zusammengestellt.
Für mich ist das eine große Ehre, daß ich hier ein Teil davon bin. Das ergibt dann ein so zugkräftiges Paket, daß wir so namhafte “Vorgruppen” wie etwa den Robben Ford haben.

Kommst Du auch noch mit Leuten wie Louisiana Red oder Sugar Blue auf die Bühne?

Wressnig: Ich treffe diese Leute schon noch, aber eher auf Festivals, wo sie zu Gast sind. Das waren ein paar Jahre, in denen ich intensiver mit ihnen gearbeitet habe, und jetzt treibt halt wieder jeder mehr seine eigenen Geschichten voran.

Wie reifte denn bei Dir überhaupt der Entschluß zum Profi-Musiker?

Wressnig: Bei mir war das eher ein fließender Übergang, zumal es auch nie sowas wie einen bürgerlichen Brotberuf gegeben hat und ich immer schon gespielt habe. Die Lehrjahre waren bei mir eben die Jahre, wo andere studierten. Als Mittelschüler und dann vor allem als Zivildiener habe ich immer versucht, so viel wie möglich zu üben und zu spielen. Und irgendwann überlegt man sich dann halt, das auf eine professionellere Ebene zu bringen und sich richtig zu organisieren. Zum wirklichen Profimusiker bin ich dann vielleicht so mit 22 Jahren geworden.

Raphael Wressnig

Foto 1 Raphael Wressnig: Bernd Budich
Foto 2 Raphael Wressnig: Max Moser
Foto 3 Raphael Wressnig: Peter Purgar

 

 

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