mica-Interview mit Petra Stump und Heinz-Peter Linshalm

„Stump-Linshalm“ ist in der zeitgenössischen Musik längst zu einer Marke geworden. Wo das Klarinetten-Duo auftaucht, ist „von sphärischen Arabesken bis zu zornigem Gekreische” (Ursula Strubinsky, Ö1) das ganze Spektrum an Klangfarbe zu genießen, die ein Instrument zu bieten hat. Mit dem mica sprachen Petra Stump & Heinz-Peter Linshalm über enge Beziehungen, exaktes Spiel und die kleinen Versuche, die einen weiter bringen. Das Interview führte Markus Deisenberger.

= Was bleibt und was geht =

Ihr macht schon länger gemeinsam Musik, habt unterschiedliche Ausbildungen genossen und seid auch unterschiedlicher Herkunft. Wie habt ihr euch gefunden?
S: Wir sind zuerst im Leben und dann erst musikalisch zusammen gekommen. Und dann dachten wir zunächst einmal lange Zeit, dass zwei Klarinetten als Duo nicht so interessant wie zwei Geigen oder zwei Klaviere sind. Bis wir es einfach ausprobierten. Komponistenkollegen schrieben uns Stücke und überraschenderweise erwies es sich auch für die als sehr interessant, für zwei Instrumente zu komponieren, die es in der Konstellation noch nicht gab.

“Mr. Vertigo”, von Bernhard Gander für zwei Bassett-Hörner und Tonband war euer erstes Stück als Duo. Seitdem taucht Gander immer wieder als euer Partner auf. Dadurch, dass es wenig bis gar nichts für zwei Klarinetten gibt, muss man ein Naheverhältnis zu Komponisten pflegen. Empfindet ihr das als Segen oder Fluch?

S: Weder noch. Es ist einfach Schicksal, wenn man sich so wie wir für Neue Musik interessiert. Und es ist ungeheuer spannend, jemandem gegenüber zu sitzen, der für einen arbeitet, und man selbst arbeitet umgekehrt auch für ihn.

Nehmt ihr selbst Einfluss auf die Entwicklung der Komposition?
S: Wir beginnen nicht, ästhetische Fragen zu stellen, weil es einfach das Stück des jeweiligen Komponisten ist und auch bleiben soll, aber Kleinigkeiten, an denen gearbeitet wird, kann man schon beeinflussen.

Und bei Stücken, wo wenig ausnotiert ist und den Interpreten große improvisatorische Freiräume zukommen?

S: Solche Stücke sind uns im Laufe unserer Karriere bisher nicht wirklich begegnet. Die Komponisten, denen wir bislang begegneten, freuen sich, wenn man ihre Ideen möglichst genau umsetzen kann – und zwar nicht nur ungefähr, sondern so, dass man die Dinge auch wiederholen kann. Vieles spielt sich ja auch im Geräusch-Bereich ab. Dann gibt es Mischungen aus modernen Spieltechniken, die nicht einfach sind. Und auch nicht jeder Klarinettist hat Lust, das zu betreiben. Wir beide probieren gerne neue Sachen aus, indem wir etwa Schläuche auf die Klarinetten spannen, unter Wasser spielen und dergleichen mehr. Aber das ist nicht jedermanns Sache. Es gibt also viele Komponisten-Typen, die sehr genau aufschreiben, was sie hören wollen und es auch schätzen, wenn es dann exakt umgesetzt wird.

Was unterscheidet eure gemeinsame Arbeit jetzt von der Arbeit in den Ensembles?

S: Dort macht jemand anderer die Programme, stellt die Musiker zusammen.
Die kleinen Projekte ohne Dirigent sind einfach die, wo wir selber bestimmen können, was kommt und wen man sich sonst noch ins Bord holt etc. Es ist einfach schön, wenn man mitreden kann.

Gehen wir zu den „Short-Cuts“, eurem aktuellen Album, einem Kompendium von 34 vielfältigen Miniaturen von Komponisten und Komponistinnen aus vier Kontinenten. Ursula Strubinsky sprach in der Neuen Zeitschrift für Musik von einer tiefen Sehnsucht, das Leben in seiner ganzen Fülle zu erfahren, und einer nicht zu stillenden Sehnsucht, die das Werk auszeichne. Ist das pures Pathos oder zutreffend?

L: Das kommt schon hin. Es ist ein Drang und man hat keine andere Wahl.
S: Ich hab mir schon oft gedacht, dass ich vielleicht gerne anders wäre, etwas normaler, aber irgendwie funktioniert es nicht.

Was genau würde einen „normalen“ Klarinettisten auszeichnen?
S: Unterricht in der Musikschule geben, zufrieden damit sein und nicht überlegen, was man noch alles mit dem Instrument machen kann. Einfach nur arbeiten und danach nach Hause gehen und fernsehen. Das funktioniert bei uns beiden einfach nicht.

Wie kam es zur Idee der „Short Cuts“?
L: Die Idee ist uralt bzw. gibt es viele verschiedene Ideen, die zusammen den Anstoß gaben. Eine Idee war es, ein großes Stück von Jorge Sanchez-Chiong zu vertonen. Dann wurde es ein kleines.

Albert Ayler als Ausgangspunkt dieses Stückes ist ungewöhnlich, denn Ayler ist doch pure Improvisation.
S: Bei Jorge Sanchez-Chiong ist es ausnotierte Improvisation.

Und als solche wohl sehr schwer zu spielen.
L: Am Anfang haben wir uns daran die Zähne ausgebissen. Und zu diesem Stück kamen dann andere Sachen dazu, es waren plötzlich einige Komponisten da, die gerne etwas mit uns machen wollten. Zuerst wollten wir auch nur mit Komponisten arbeiten, die noch nie mit uns gearbeitet hatten, aber das fiel dann auch…

Weil Dauerbrenner Gander wieder mit an Bord ging…
L: … unter anderem, ja. Irgendwann gab es dann keine Beschränkungen mehr. Außer dass es ein Stück sein sollte, das nicht länger als drei Minuten ist und für zwei Klarinetten oder für zwei Bassklarinetten komponiert wurde. Das waren die Vorgaben. Aber auch an das haben sich die Komponisten nicht gehalten, manche Stücke sind länger.

War Ayler eigentlich auch ein Einfluss für euch beide?
L: Jorge (Sanchez-Chiong , Anm.) hat ihn mit einmal vorgespielt. Das ist schon ein ganz besonderer Sound. Und er fragte uns damals, ob man das auch auf Klarinette nachahmen könnte, speziell diesen hohlen Ton, der unstabil und wackelig ist. Und daraufhin probierten wir herum. So ging es los.

War die unheimliche Breite der Stile auf Short-Cuts angedacht, mit Komponisten aus mehreren Kontinenten?

L: Nein, überhaupt nicht. Neuseeland und Australien haben sich einfach so ergeben, weil wir dort auf Urlaub waren.

Wie schließt man sich da mit ausländischen Komponisten kurz? Macht man vorher eventuelle Kooperationspartner ausfindig?

L: Wegen einem sind wir überhaupt hingefahren: Michael Norris (Ars Moriendi). Michael hat uns dann nach Christchurch weiter vermittelt, dort haben wir einen Workshop gemacht und weitere Komponisten kennen gelernt. Das Gleiche in Auckland. Und in Australien waren wir in Perth auf einen Festival für Neue Musik und haben dort Andrew Ford, mit dem wir vorher schon in Mail-Kontakt standen, persönlich kennen gelernt. Nach unserem Pierluigi Billone-Projekt (auf Kairos erschienen, Anm.) war das einfach ein guter Kontrast.

Zu solch einem Projekt gehört eine Menge Idealismus, kann ich mir vorstellen. Der Aufwand ist gewaltig, das Einkommen wohl kaum. Steht beides in irgendeiner Relation?
L: Wir konnten froh sein, dass wir unsere Ausgaben durch Sponsoren rein bekamen.
S: Es ist sich gerade noch ausgegangen, aber man macht das auch nicht fürs Geld.

Kann man in eurem Bereich überhaupt gutes Geld verdienen?
L: Nein. Ich finde es ist eine gute Dokumentation für uns und letztlich auch eine Visitenkarte für Veranstalter.

Und ergeben sich daraus auch direkt Konzert-Aufträge?

L: Nein, eigentlich nicht.
S: Es kommt zwar immer wieder einmal was, aber dass sich aus solch einem Projekt in weiterer Folge zwangsläufig viele Live-Auftritte ergeben würden, ist leider überhaupt nicht der Fall.
L: Traurig wenig. Das Billone-Projekt ist ein gutes Beispiel dafür: Die CD gibt es weltweit in Plattengeschäften, sie ist auf amazon, itunes etc. überall erhältlich. Und wir haben das Programm nur insgesamt zwei Mal aufgeführt. Jetzt erst spielen wir einmal in Zürich und einmal in Israel. Aber trotzdem ist das am Aufwand gemessen noch viel zu wenig. Bei den Short-Cuts liegt das Problem nun darin, dass man die kurzen Stücke auch schlecht live nacheinander spielen kann. Das wäre für uns und das Publikum zu viel. Deshalb auch verbindet man die kurzen Stücke mit Literatur oder nimmt ein längeres Stück dazu, aber nur Short-Cuts zu spielen wäre einfach zu anstrengend.

Ein Problem ist sicher auch diese ungeheure Vielfalt. Da ist es nicht leicht, einen roten Faden zu spannen bzw. nicht zu beliebig zu werden. Die Platte wirkt aber dennoch, trotz all der Vielfalt, wie aus einem Guss. Wie habt ihr das geschafft?
S: Es war von Anfang an mehr als Sammlung gedacht. Jeder soll sich nehmen und hören, was er mag, aus den verschiedensten Stilen. Und wahrscheinlich gefällt niemandem wirklich alles. Es war nie gedacht wie ein Album von Michael Jackson, das eine einzige Show und wie aus einem Guss ist. Was aber geplant und auch sehr schön wäre, ist, wenn sich manche Stücke erweitern. Teils sind schon größere Stücke entstanden, die auf den kleinen Stücken basieren und einen einzelnen Short-Cut so weiter führen. Wenn sich die Gelegenheit ergibt, kann das Projekt also noch wachsen. Und genau das ist auch die Idee dahinter: So oft sagt man doch: Machen wir doch was und dann wird nichts daraus. Geld und Möglichkeiten sind nie da, fehlen also praktisch immer. Man muss sich daher die Möglichkeiten selbst schaffen, sich selbst organisieren. Das sind also jetzt viele kleine Versuche, um zu schauen, was bleib und was geht.  Vieles bleibt auch durch andere, die es aufnehmen. Das freut uns natürlich auch sehr. Manche Stücke werden auch schon von anderen Klarinettisten gespielt, in Berlin und Zürich.
L: Natürlich wäre es schön, wenn man auch einmal eingeladen wird zu spielen. Aber in den Genuss, dass wir aufgrund einer CD eingeladen werden, kamen wir bisher selten bis nie.
S: Aber das ist die Zeit. Das geht allen so.

Für ein Projekt wie dieses muss man wohl auch einiges an Bereitschaft zu reisen mitbringen.

L: Schon, aber vieles geht auch via Internet. Wir haben teilweise sogar über Skype geprobt. Boston-Götzis sozusagen, was erstaunlich gut ging.

Ohne Verzögerungen?

S: Einige wenige, aber es ging wirklich erstaunlich gut. Mit Leuten, die man gut kennt, kann man auch über Internet sehr gut zusammen arbeiten.

Ihr seid mit Karl Heinz Stockhausen befreundet?
L: Wir durften ihn kennen lernen und haben uns sehr gut verstanden. Ein akribischer gründlicher und geradliniger Arbeiter, wie ich ihn noch nie kennen lernen durfte. Petra war das ganze letzte Jahr über in einem Projekt von ihm verfangen.
S: Er ist ein Genie, hört alles und merkt sich auch alles. Die Zusammenarbeit war sehr eindrucksvoll und bereichernd. Eine so lange Probenarbeit gibt es in keinem Orchester. Dafür war auch das Ergebnis einfach sehr besonders. In der Neuen Musik ist es so oft der Fall, dass man ein- zwei Mal etwas probt und dann gleich auf die Bühne muss. Eine so intensive Zusammenarbeit, wie wir sie mit Stochkhausen hatten, ist zwar fordernd, aber sehr befriedigend.

Gehen wir noch einmal zu den Stücken: Johannes Kretz griff für sein Stück “Hoquetus Africa” auf die mittelalterliche Hoquetus-Technik zurück, hab ich gelesen. Kann man das für einen Nicht-Musikwissenschaftler erklären?
L (lacht): Können wir nicht. Wir sind Musiker und spielen nur die Noten.
S: Hoquetus ist etwas, was hin- und hergeht. Wenn ich nicht irre, ist es eine Kompositionsform
L: Aber für genaueres musst Du ihn fragen. Fundiert können wir das nicht erklären.

Für Christof Dienz Stück stand der Song einer lettischen Post-Punkband Pate. Merkt man nicht wirklich, finde ich. Klingt ein bisschen wie der Hummelflug der Avantgarde…

L: Wir haben uns die Nummer im Original auf youtube angehört. Und wenn man den Rhythmus hört, kann man den Ursprung schon nachvollziehen.

Ihr habt auch ein neues Programm mit einem Kontra-Bassisten?

L: Genau. Das haben wir in Ulrichsberg und Wien aufgeführt.
S: Die Idee war, mehr in den Crossover-Bereich zwischen Neuer Musik und Jazz zu gehen, wo es einige Komponisten gibt, die wir kennen und schätzen wie etwa Tobias Klein, einen Deutschen, der in Amsterdam lebt, Fritz Keil, Christof Dienz und Jorge Sanchez-Chiong. Ein weiterer Versuch unserer Versuchsreihe, die dazu da ist, herauszufinden, was geht und was nicht geht.

Und ist es gegangen?
L: Sehr gut sogar.
S: Den Bereich wollen wir auf jeden Fall intensivieren.

Und klassische Musik interessiert euch nicht?
L: Doch. Wir sind sogar gerade dabei, eine CD mit Mozart-Stücken aufzunehmen.

Vielen Dank für das Gespräch.

Fotos © stump-linshalm

http://www.stump-linshalm.com