mica -Interview mit Peter Herbert

Der Kontrabassist Peter Herbert ist wohl einer der international umtriebigsten österreichischen Komponisten. Als versierter und einfühlsamer Sideman tourt er zur Zeit viel mit dem libanesischen Oud-Spieler Marcel Khalifé. Er komponierte aber auch für das Koehnen-Quartett und arbeitete viele Jahre lang eng mit dem Gitarristen David Tronzo zusammen. Nach Jahren in New York hat er nun seinen offiziellen Erstwohnsitz in Paris – und lebt den Großteil des Jahres “on the road”. Nina Polaschegg sprach mit ihm über wichtige musikalische Stationen und Projekte.

Du hast viele Jahre in Boston und New York verbracht, bist viel unterwegs und lebst nun in Paris. Ist es für Dich als Musiker ein Unterschied, jetzt in Paris zu leben? Unterscheiden sich die Musiker- und Publikumskreise stark voneinander?

Peter Herbert: Für mich ist es mehr global, da ich dreiviertel des Jahres unterwegs bin. Jetzt lebe ich in Paris, wobei ich im Jahr zwei Monate in Paris bin und den Rest on the road. Die Standortwahl, irgendwann ist es egal, wo man lebt, wenn man sowieso immer dort hinfahren muss, wo die Musik passiert und das Publikum ist.

Angefangen Bass zu spielen hast Du schon als Jugendlicher, doch dass Du das Bassspielen zum Beruf machen wirst, war einem eher ungewöhnlichen Umstand zu verdanken. Und: Hast Du eigentlich von Anfang an Jazz gespielt?

Peter Herbert: Nein, ich habe klassisch begonnen, das war noch in Bregenz am Stadtkonservatorium. Dann habe ich mir dann aber 11/2 Jahre später eine Sehnenscheidenentzündung zugezogen aufgrund von irreführenden Instruktionen meines Lehrers damals und habe dann quasi aufgehört mit dem Kontrabass spielen bis ich 21 war. In dieser habe ich Zeit mein Schwergewicht von Musik aufs Sportklettern gelegt und habe schwerpunktmäßig fürs Klettern trainiert, jeden Tag 3-4 Stunden. Mit 21 wurde mir klar, dass klettern nicht unbedingt eine Karriere ist. Ich habe mich entschlossen, Musiker zu werden und habe den Kontrabass wieder ausgepackt. Nachdem mein Körper so gut trainiert war durch die Kletterei, hatte ich auch nie mehr Konditionsprobleme oder Kraftprobleme.
Ich bin nach Graz gegangen und habe über glückliche Umstände die Aufnahmeprüfung geschafft, Klassik & Jazz. Dabei konnte ich anfangs nicht einmal einen Blues spielen.

Doch schon in Deinen Anfangsjahren als Jazzbassist allerdings war ganz klar Amerika das Ziel.

Peter Herbert: Ja, nach Amerika bin ich über ein Stipendium gekommen. Ich habe nach dem Studium in Graz ein Fullbright-Stipendium bekommen. Und mit diesem Stipendium, das ursprünglich nur für zwei Semester war, bin ich nach Boston an die Berklee School of Music und habe dann dort verlängert und auch das Diplom gemacht. Im zweiten Jahr habe ich dann auch schon sehr viel in New York gespielt und dann war es eigentlich ganz logisch, dass ich von Boston nach New York ging.

Was hat Dich fasziniert an New York – von der Tatsache, dass sich dort die Musiker die Klinke in die Hand geben einmal abgesehen?

Peter Herbert: Sich in der Szene aufzuhalten, ist natürlich besonders. Die großen Stars, die in Europa nur auf großen Festivals auftreten, die kann man dort in New York im Club erleben und die sind alle ganz freundlich und zugänglich. Und es gibt eine schöne Solidarität unter den Musikern, weil es in New York sowieso völlig unmöglich ist, mit anspruchsvoller Musik Geld zu verdienen. Es hat niemand was zu gewinnen oder zu verlieren. Es gibt zwar schon Fördermittel, aber die Förderung funktioniert ganz anders. Nur etwa 1,2% ist staatliche Förderung, der Rest sind Privatstiftungen, die auch kommerzielle Sachen fördern. McDonalds fördert z.B. eine kommerzielle Bigband.

Du warst also recht bald mitten drin in der New Yorker Jazzszene. Wie aber hast Du die improvisierte Musik jenseits des Jazz-Mainstreams für Dich entdeckt?

Peter Herbert: Es war eine relativ organische stilistische Entwicklung für mich. In Graz habe ich das Handwerk gelernt, das habe ich noch perfektioniert in Amerika. In New York die ersten paar Jahre habe ich tatsächlich versucht, in der Mainstreamszene Fuß zu fassen und habe mit großen Namen gespielt, Art Farmer z.B. war ein ganz wichtiger Gig. Anfang der 1990er Jahre bin ich in die Free-improvising-Brooklyn-Szene reingerutscht, Leute wie Phil Haynes, Ellery Eskelin oder Tim Bernes und habe dann diese freie Improvisation für mich entdeckt. Das war plötzlich wahnsinnig spannend, so anders wie dieser Mainstreamjazz. Und parallel dazu habe ich mir Gedanken gemacht, ob ich als Walking Bassist alt werden will, ob ich bis ich 60 oder 65 bin in irgendwelchen Jazzclubs Viertelnoten zupfen möchte. Und ich habe mir gedacht, nein, das will ich nicht. Ich habe dann angefangen, eigene Musik zu schreiben und Bands zusammen zustellen. Das hat wieder eine Eigendynamik entwickelt. Es haben Leute gehört, dann gabs Kompositionsaufträge und so ist es immer weiter gegangen. Begegnungen, die passiert sind.

Und diese Begegnungen waren nicht nur solche mit Jazzmusikern oder Improvisatoren:

Peter Herbert: Nein, ich habe mir auch viel zeitgenössische komponierte Musik angehört, vor allem amerikanische Komponisten: Cage, Feldman, habe “Spurensicherung, Feldforschung”, betrieben, denn viele der Komponisten konnte ich ja live erleben. Gunter Schuller war in Boston, ich habe oft mit seinem Sohn George Schlagzeuger gespielt. Mir gefällt vor allem der unbeschwerte Zugang zur Musik bei den amerikanischen Komponisten. Da gibt’s kein ehrfürchtiges Traditionsbewusstsein wie in Europa. Die komponieren ganz frisch drauf los und bedienen sich aus den verschiedenen stilistischen Kisten, ohne nachzudenken, ob man das darf oder nicht. Und diese Frechheit hat mir ungemein imponiert nachdem ich ja aus Europa komme und mit einer gewissen Ehrfurcht der Tradition gegenüber aufgewachsen bin.

Und diese Art des Komponierens hat Dich inspiriert, Deine Variante des “Third Stream” zu entwickeln. Du hast dann auch begonnen, für traditionell-klassische kammermusikalische Besetzungen und auch für große Orchester zu schreiben.

Peter Herbert: Anfang der 1990er Jahre gabs bei Orchestern allgemein ein Bedürfnis nach zeitgenössischer Musik, die nicht so akademisch belastet ist oder spröde, unzugänglich ist fürs Publikum. Die Orchester wollten moderne Musik spielen, die aber gleichzeitig auch für die Zuhörer zugänglich sein sollte. Und dafür gabs dann Aufträge für Orchester und Kammermusikensembles. Ich selbst habe natürlich auch verschiedene Ansätze beim Komponieren. Eine Anregung ist die Musik vieler amerikanischer Komponisten. Dann komme ich sicher aus einer spätromantischen Tradition oder vielmehr ist diese Tradition wahrscheinlich das Urerbgut, mit dem ich musikalisch aufgewachsen bin. Vielleicht haben meine Stücke auch deshalb immer schöne Melodien, die sind mir wichtig. Der zweite Aspekt, der mir wichtig ist, ist, Musik zu schreiben, die auch Musikern Spaß macht zu spielen. Ich bin ja selber oft genug Interpret und kenne Situationen, in denen die Probenarbeit für ein Stück wahnsinnig viel Arbeit ist, obwohl das Stück musikalisch keinen Sinn macht und es nur einmal aufgeführt wird. Niemand im Ensemble hat Spaß, das zu spielen und der Dirigent muss sich auch überwinden; wie soll dann unter solchen Voraussetzungen das Publikum mit dem Stück umgehen, wenn die Unlust schon auf der Bühne zu spüren ist? Wenn man Musik schreibt, die offensichtlich Spaß macht auf der Bühne – und ich meine damit nicht Humor oder Klamauk – sondern Spielfreude verursacht, dann ist das eine ganz andere Ausgangsbasis für das Publikum.

Sind die Titel der Stücke dann als eine Art Hörhilfe zu verstehen?

Peter Herbert: Die Titel sind für mich oft programmatische Leitlinien. In den letzten paar Jahren habe ich mir z.B. sogenannte Oxymorons ausgesucht für Titel. Ein Oxymoron, das ist ein Gegensatz, der sich widerspricht wie z.B. “military intelligence” oder “deafening silence”. Besonders im Englischen gibt’s besonders viele Oxymorons, die im täglichen Gebrauch vorkommen und niemand hinterfragt, warum heißt das so, zwei Wörter, die sich gegenseitig aufheben. Und diese Titel geben sehr viel her als programmatische Inhalte.

Nicht nur über die Titel verbindest Du Musik mit andern Künsten, Inhalten, Medien:

Peter Herbert: Ja, ich habe lange Theatermusik für das Aktionstheater in Wien gemacht. Von Anfang 1990 -2000. Gelegentlich, wenn sich’s ergibt, interessieren mich auch Multimediakompositionen. Ich habe z.B. ein “Filmreqiuem” für mein Sextett Bassinstinkt komponiert. Dazu gibt es einen Filmloop von Elisabeth Kopf.
Und Texte an sich sind natürlich sehr wichtig für mich. Das Wort an und für sich ist ja ein Universum für sich. Ich lese sehr viel, nachdem ich viel unterwegs bin. Im Jazz gibt’s genug abschreckende Bsp. von “Jazz & Lyrik”, die mich immer fast erschüttern, weil es so eine willkürliche Gegenüberstellung von Wort und Musik ist, mit der ich nichts anfangen kann. Wenn ich mit Texten arbeite, versuche ich, sehr genau auf die Sprache einzugehen und die Musik auch mit den Texten zu verweben. Literatur ist für mich fast so wichtig wie Musik. Einige meiner besten Freunde sind Schriftsteller, die inspirieren mich.

Was bedeutet es für Dich, genau auf die Sprache einzugehen?

Peter Herbert: Ich versuche, gerade auch bei Gedichten, die Persönlichkeit des Dichters zu respektieren. Ich lese dann nicht nur die Gedichte, sondern setze mich mit der Person auseinander und versuche draufzukommen, was war das für ein Mensch, wie sah er die Welt, hat er eher einen depressiven Charakter oder war es ein sehr positiver Mensch? In der musikalischen Verarbeitung geht’s dann auch um das Reflektieren dieser Person, um das Nachzeichnen, so oder so könnte es gewesen sein.

Kommen wir zu Deinem aktuellen eigenen Projekt, dem Kontrabasssextett Bassinstinct. Man kann nie genug Kontrabässe haben, das ist klar ;-). Warum eigentlich?

Peter Herbert: Das Reizvolle an diesem Sextett ist die Kombination von vier klassischen Bassisten und zwei improvisierenden Bassisten. Wir bemühen uns um eine Repertoire-Bibliothek im Graubereich zwischen Komposition und Improvisation. Bei Bassinstinct schreiben wir auch unsere eigene Musik, ich schreibe z.B. sehr viel für dieses Ensemble, und es gibt auch von uns den Wunsch, das Komponisten Stücke für uns schreiben und diesem Wunsch wird auch ganz rege nachgegangen. Unser Repertoire umfasst inzwischen 30-40 Werke. Natürlich ists auch spektakulär, wenn wir mit unseren sechs Bässen alle in der New Yorker U-Bahn fahren oder so. Aber das sind eher lustige Nebengeschichten. Aber wir hoffen natürlich auch, dass wir auch bei der Jugend Interesse dafür wecken mit unseren sechs Riesen auf der Bühne.

Was sind zur Zeit weitere wichtige Eigenprojekte?

Peter Herbert: Eigene Jazzformationen sind eher länger her – wenn, spiele ich eher im Duo mit Hugh Warren aus Wales oder mit dem Slide-Gitarristen David Tronzo aus New York. Für mich ist die Entwicklung der “extendet techniques” am Bass der letzten 50 Jahre ein großer Fundus. Denn in meiner ganzen Arbeit war auch der Solokontrabass ein wichtiger Fokus. Vor ein paar Jahren habe ich eine Solo-CD herausgebracht mit dem Titel “naked bass”. Das sind zum Großteil Improvisationen, die ich dann nachträglich transkribiert habe. Da gibt’s auch ein Notenheft dazu. Viele dieser “extended techniques” kommen da vor. Ich habe auch einen ganzen Katalog an Notensymbolen erfunden, die diesen Effekten gerecht werden. Ich denke, das wird eine Arbeit sein, die mich den Rest meines Lebens beschäftigt. Ich möchte noch viel mehr “naked Bass 2,3,4” mit Noten herausbringen. Denn es gibt zwar unter zeitgenössischen Bassisten ganz großartige Leute wie Mark Dresser oder Joelle Léandre, Stefano Scodanibbio oder Barry Guy. Aber es gibt keine eindeutig definierte Notensprache für diese “extended techniques”. Ich möchte einfach mal was auf den Tisch legen und sehen, ob Komponisten was damit anfangen können. Was Ähnliches hat ja Bertram Turetzky als Doyen des zeitgenössischen Kontrabassspiels schon gemacht, aber das war schon 1980 und seither hat sich natürlich Vieles getan.

Vielen Dank für den kleinen Einblick in Deine Arbeit! Bassisten und Nicht-Bassisten warten also gespannt auf weitere “naked basses”.

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