mica-Interview mit Peter Böhm ( Klangregisseur beim Klangforum Wien, Komponist)

Peter Böhm ist seit 1986 im Klangforum Wien, seit 1985 hat er auch ein eigenes Studio. Neben der Entwicklung eigener Werke ist die Realisierung und Erstellung von Klangkonzepten mit Komponisten (etwa Roman Haubenstock-Ramati, Beat Furrer, Mauricio Sotelo, Olga Neuwirth, Clemens Gadenstätter, Daniel Rothman, Gerhard E. Winkler, Peter Ablinger u. v. a.) seine Haupttätigkeit. Über Elektronik, Elektroakustik,  Klangregie, Live-Elektronik  – und ihre Veränderungen – stand er Heinz Rögl im Café Heumarkt ausführlich Rede und Antwort.  
Peter Böhm besorgte die technische und künstlerische Realisierung von Werken österreichischer Komponistinnen und Komponisten auf den meisten europäischen und internationalen Festivals für Neue Musik, als Mitgründer des MusikLabor Wien konzipierte er auch interaktive Multimedia-Installationen in, er ist auch als Komponist tätig (wenn er dazu kommt – Werksliste siehe mica-Musikdatenbank). Als gelernter Geiger spielte er, in Prag geboren, seit 1969 in Wien ansässig, auch in diversen Bands (in eigenen wie “Violent Violins”, aber etwa auch bei Roland Neuwirths Extremschrammeln).

Seit 1987 ist er als Klangregisseur, Komponist und Programmierer, tontechnische Betreuung und Klangregie hauptberuflich tätig für das Klangforum Wien und machte zugleich den Aufbau eines eigenen – für zeitgenössische künstlerische Projekte konzipierten – digitalen Studios zur Erarbeitung und Realisation von live-elektronischen Werken im Bereich Neuer Musik. Seminare des MusikLabor Wien veranstaltete und leitete er etwa im Rahmen von Wien modern `93, er komponierte zahlreiche elektroakustische Werke, aber auch Kompositionen für Instrumente und Live-Elektronik, schuf Musik für Kunstvideos und Filme, Performances und Installationen und arbeitete mit Künstlern aus  den Bereichen Video, Medien und Bildende Kunst (Gertrude Moser-Wagner/A, Matta Wagnest/A, Corinne Schweizer/A, David Hobberman/USA, Daniel Rothman/USA, u. a.) zusammen. Von ihm stammte auch Konzeption und technische Realisation von interaktiven Installationen (CeBit Hannover `94 und `96, Internationale Funkausstellung Berlin `95, steirischer herbst `97 oder PLAYERS – TWILITEZONe, weiters eine Performance mit Uli Fussenegger, es gab eine weitere  Performance, gem. mit Corinne Schweizer, Burkhard Stangl, Seppo Gründler, im Echoraum, Wien 1997 und eine in ACE-Gallery Los Angeles `98;  DVD-Produktion und Performance FARBENLICHTSPIELE,  Rekonstruktion von Lichtspielpartituren des Bauhaus-Künstlers Hirschfeld-Mack, gemeinsam mit Corinne Schweizer, Marlies Fuchs, Burhard Stangl, Annabella Supper war im Museum für Modeme Kunst Bozen 2000

Peter Böhm hat seit 1997 einen Lehrauftrag für Klanggestaltung an der Meisterklasse für Gestaltungslehre an der Universität für Angewandte Kunst in Wien.

HR: Lieber Peter Böhm, unlängst tranken wir gemeinsam im fluc “Bloody Marys” und kamen auf Prag und Tschechien zu sprechen – und du erzähltest mir, dass du 1968 den Einmarsch der Sowjets und der “Bruderstaaten” miterleben musstest – damals musst du 8 Jahre alt gewesen sein. Du bist in Prag geboren?

Peter Böhm: Das ist richtig. Den Einmarsch hab’ ich nicht direkt erlebt, ich war mit meiner Familie gerade auf Urlaub – auf Skiurlaub .

. im August? .

. das war in einem Ort, wo die Firma, bei der mein Vater arbeitete, so eine Art Ferienhäuser zur Verfügung stellte. Das war ein Staatsbetrieb für alles Mögliche, die haben sogar einen eigenen Fußballverein gehabt – Ducla Prag. Mein Vater war dort Elektrotechniker,  Konstrukteur. Der Ort hieß Marianski Lasne (Anm: Marienbad), und das Haus wurde als Wintersport- und Rekreationshütte verwendet, also auch für Sommeraufenthalte. Man ist unendlich lang mit dem Bus gefahren, kann ich mich erinnern, und dort habe ich eigentlich den Einmarsch erlebt – aber nicht direkt, sondern hauptsächlich über die Medien, sprich Radio. Dieses Radio hat dann mein Vater in einen alten Socken eingewickelt und in irgend so eine Thermoskanne, das hat er versteckt, denn die Besatzer hätten es einem genommen,

. damit man keine “feindlichen” Meldungen oder “Radio Free Europe” hören kann, oder den Portisch? Welche Nachrichten habt ihr da gehört?

Das war grundsätzlich so, die haben einfach alle Radioapparate “einkassiert”, damit man nicht frei hören kann und sie haben darauf geachtet, dass das nicht Funkanlagen sind, im dem Sinn, dass du irgendwas empfangen könntest, was sie nicht unter Kontrolle haben .

… vielleicht den Grenzschutz des Österreichischen Bundesheeres? .

. je weniger Taschenradios, umso besser, war das Motto.  Da gab es die berühmten Witzchen, dass angeblich Studenten mit schwarzen Briketts in Prag auf der Straße herumgegangen sind und die Sowjettruppen haben geglaubt, das sind Radios, die da drinnen verpackt sind, das muss man sich vorstellen. Man war sehr eingeschüchtert auch .Ich hab das als Kind ja zunächst noch nicht alles verstanden, aber ich kann mich erinnern, dass wir mit dem Bus nach Prag kamen und eine Art Schutzsperre erreichten. Wir haben in Liben gewohnt, nicht sehr weit vom Zentrum und da sind Hügel, da haben die Truppen Station gemacht, der Kinderspielplatz von mir war besetzt.

Und du kamst 1969 nach Österreich?

Das war damals im Sommer, wir waren in Brünn bei einer bekannten Tante und die hat da ein kleines Gartenhäuschen, meine Mutter, meine Schwester und ich wollten nach Wien zu meiner Großmutter fahren, meine Mutter war ja eigentlich Wienerin.

Bist du zweisprachig aufgewachsen? Du warst ja in schon der tschechischen Schule.

Ich war zwei Klassen in der tschechischen Schule. Es war eher so, bis zu dem Zeitpunkt, als ich in Wien angekommen bin, hab’ ich nicht viel Deutsch können. Es wurde eher Tschechisch gepflegt. Und da ist ein Telegramm von meinem Vater gekommen – er war bei der Gewerkschaft und viele hatten bereits ihren Job verloren und mussten “anderweitig” arbeiten – dass er die Wohnung geräumt hat. .

Na, und dann sind wir mit dem Bus an der Landstraße in Wien angekommen und die Großmutter hat uns abgeholt. Ein paar Tage später fragte uns meine Mutter, was wir davon hielten, wenn wir in Wien bleiben würden. Ich hab’ das für einen Scherz meiner Mutter gehalten zunächst, es war noch schulfrei, so ,ewige Ferien’, aber ich hab’ gewusst, die Schulpflicht kommt bald wieder. Das war aber ernst gemeint und ich kam darauf, das ist jetzt wirklich so eine Art Entscheidung und da hab’ ich natürlich ja gesagt ohne irgendein Kriterium zu haben wie, was, wann. Ich glaub’ das war prophylaktisch von meiner Mutter, weil sie uns eben fragen wollte. Mein Vater hatte arbeitsbedingt noch ein älteres Visum und ist fünf Tage, bevor die ganzen Grenzen geschlossen worden sind, mit dem Zug über Bratislava nach Österreich hereingekommen – ich bin mir nicht ganz sicher wo das war. Wir haben dann sehr lange Zeit bei meiner Großmutter gelebt, im 10. Bezirk in so einem Familienbetrieb, denn mein Großvater hat orthopädische Einlagen und Schuhbedarfsartikel, Polituren, Wachs, Schnürsenkel gemacht. Ich bin dann öfter beim Ausliefern mitgefahren, das hat mir Spaß gemacht. Der konnte zum Beispiel Bodenwachs, auch Seife herstellen, er hatte im Keller ein paar Maschinen, das hat mich immer sehr interessiert. Da hab’ ich gesehen, wie mein Großvater Gummi aus Rohkautschuk herstellen konnte.

 
Deine technischen Interessen kamen über Vater und Großvater?

Vom Elektronischen her ist eher mein Onkel, der Bruder meiner Mutter, die ausschlaggebende Figur. Der war auch in der Tschechei, ist aber schon aus dem Grund, weil er für sein berufliches Fortkommen hier bessere Chancen gesehen hat, 1965 nach Wien gegangen. Wir waren sogar 1966 bei seiner Hochzeit, irgendwo in der Brünner Straße. Er war bei Philips, aber schon mit dem Ziel, in die USA weiterzureisen, er hat um 1970 ein  Ausreisevisum gekriegt. Der hat mir einmal zum Geburtstag ein Philips-Baukastensystem für Elektronik geschenkt, mit dem ich mich sehr viel herumspielte. Das hat mich fasziniert, da konnte man kleine Tongeneratoren und Lichtsteuerung und solche Spielereien basteln. Immer wenn es nicht funktioniert hat, hab ich ihn gerufen und er hat mein Problem immer in Blitzgeschwindigkeit gelöst. Er war ein sehr talentierter Elektroniker und hat dann in den USA bei “Panasonic” gearbeitet, ist jetzt schon in Pension, aber wird heute noch immer wieder angerufen. Er ist in der so genannten AES (Audio Engineering Society),  und in der SMPTE (Society of Motion Picture Engineers) sogar Ehrenmitglied. Er war in dieser Motion Picture-Gesellschaft sehr engagiert bei den ganzen Fernsehformaten, schon immer spezialisiert auf Fernsehübertragung, ein profunder Fachmann sowohl in der analogen als auch der digitalen. Er ist jetzt schon 71. Heuer im April, als das Klangforum in New York gastierte, war ich ihn kurz besuchen, er wohnt in New Jersey – zwei Stunden Fahrt. Hat mir im Keller stolz seine Fernsehsignaltonanordnungen gezeigt.

Du warst also früh an Elektrotechnik und Elektronik interessiert. Du hast aber auch sehr früh schon Geige gespielt und Unterricht gehabt?

Meine Mutter hat Klavier gespielt, sie wollte immer, dass ich mich musikalisch ausbilde. Ich habe seit dem vierten Lebensjahr Geige gespielt, bin in Prag in die Musikschule gegangen. Den Weg weiß ich heute noch. Wenn meine Mutter keine Zeit hatte, hat mich mein Großvater (der Vater meines Vaters) dort hingebracht.

Du warst bzw. konntest zwischen 1969 und 1889 nicht mehr nach Prag und in die Tschechoslowakei fahren?

Genau. Vielleicht wäre es möglich gewesen. Es ist so: Die damals geflüchteten Leute sind damals in Abwesenheit dann verurteilt worden, teils auch zu Haftstrafen. Ich war als Kind nicht direkt betroffen, hätte aber um ein Visum ansuchen müssen. Und da war die Gefahr, irgendwie als Pfandmittel benutzt zu werden, damit meine Eltern zurückkommen oder zahlen oder so. Und später war die Gefahr da, zum Militär eingezogen zu werden, die hatten ja zwei Jahre Wehrpflicht. Wir haben 1974 dann die österreichische Staatsbürgerschaft bekommen, aber trotzdem.

In Wien hast du weitergemacht mit Musikunterricht?

Ich war in einer Musikschule im 10. Bezirk, auch Klavier. Es war der Wunsch meiner Mutter, dass ich einmal in einem Orchester lande. Ich konnte mir das selber eigentlich nicht so vorstellen, weil ich überhaupt keine “geregelte Arbeit” anstrebte.

Du hattest aber immerhin Violinunterricht bei Walter Schneiderhan.

Ja genau, das war ganz witzig, denn seine Frau, die Herta Schneiderhan hat eben in Favoriten unterrichtet und wenn sie einmal keine Zeit hatte – sie hat selber bei den niederösterreichischen Tonkünstlern gespielt – ist der Walter Schneiderhan aufgekreuzt und hat den Unterricht übernommen. Das hat halt normal angefangen in einer Stunde mit Tonleitern und irgendwelchen Etüden, dann hat er aber sehr schnell gesagt, das kann er sich jetzt nicht anhören und das gehört eigentlich eh zum Frühstück. Wenn  man Geige spielt, dann spielt man das nicht vor, machen wir gleich was Ordentliches – er hat sich zum Klavier gesetzt und ein “Vortragsstück” begleitet. Da hat er dann irgendwelche Fingersätze korrigiert im Stück, das war eigentlich immer sehr aufregend, er war kein Pädagoge in dem Sinn mit extremen methodischen Ansprüchen, sondern .

. ein Praktiker.

Ja, er hat gemeint, das könnte man jetzt auch so spielen, oder so. Er hat am Vortragsstück viel Musikalisches entdecken lassen. Ich hab erst viel später Aufnahmen von ihm entdeckt.

Das war ein sehr guter Geiger!

Er hat sich im Unterschied zu seinem Bruder Wolfgang, der die Professur gehabt auf der Hochschule, als Konzertmeister bei den Symphonikern seinen Namen gemacht, war weniger solistisch tätig .  Na ja, und dann hab’ ich maturiert und bin sehr auf Jazz und Rock abgefahren, war nicht mehr so auf Klassik. Ich bin auch von zu Hause ausgezogen und das waren dann Jahre der Entdeckungsfahrt. Nach dem Bundesheer habe ich die Aufnahmsprüfung aufs Jazz-Konservatorium in der Johannesgasse gemacht, aber parallel oder vorher wollte ich dann auch noch Komposition studieren. Ich habe dann in Wiener Neustadt einen Kurs besucht bei Robert Weiß, der als Pianist auch einmal mit Franz Koglmann zusammengespielt hat. Der hat “Lydian Concept” von George Russell unterrichtet, das hat mich interessiert,  dieser 2jährige Kurs war auch über Josef Matthias Hauer. Und außerdem wollte ich auch etwas mit Elektronik tun und hörte von dem Kurs in der Rienößlgasse zu Elektroakustik – damals war das sehr vom Dieter Kaufmann geprägt. Da habe ich dort die Aufnahmeprüfung gemacht und das war sehr spannend.

 
Das war damals ja noch Analogtechnik, mit Bändern und so .

. Nur. Das heißt, das ist nicht ganz richtig, Synthesizer gab’s schon – damals ist 1985 von Yamaha der DX 7 herausgekommen mit einer FM-Synthese. Und es gab am Institut auch ein eigenes Computersystem – der Peter Mechtler hat das gemacht – AK 2000 hieß das, das war im Prinzip eine Computerhardware, die frei programmierbar war, wo man versuchte, kurze Stücke zu machen. Das war aber sehr anfällig, man kann sich das heute nicht vorstellen, man konnte 6 Sekunden  Klang digitalisieren, für heutige Begriffe ist das nix, denn jedes E-Mail mit Foto hat schon mehr Speicherplatz. Man musste sehr viel Akribie haben damals, um irgendetwas mit diesen Maschinen anzufangen. Also war das ein bisschen eine Nebenschiene, weil kaum jemand damit arbeiten wollte. Peter Mechtler hat über einige Förderungsgelder da so seinen Freiraum gehabt und hat alles selber geplant und konstruiert. Eine wirklich großartige Leistung eigentlich, zu der man eine Zukunftsvision haben musste. Die klassischen elektroakustischen Sachen mit Tonband, Schnitt, Transposition, Schleifenbildungen – alles eigentlich Dinge, die schon aus den fünfziger Jahren stammten, sind damals am Institut gelehrt worden. Großartig war für mich eigentlich schon damals: Mein Vater war immer schon sehr an Aufnahmen interessiert – es gibt sogar heute noch HiFi-Bänder, die ich mit der Geige bespielte, eher noch amateurhaft. Es gab also zwei Tonbandmaschinen bei uns zu Hause, und als mein Vater im Herbst `85 gestorben ist, hab ich dann eine dazu missbraucht, um damit Experimente zu machen. Neben dem Institut, weil es mich da schon ein wenig . anzipfte’ dort immer gestört zu werden. Das Institut war mit nur 2 Studioräumen auch sehr klein, die Räume schlecht getrennt. Allerdings: Diese ganz neue Welt hat sich schon sehr unterschieden von der “klassischen” Form.

Eine dumme Verständnisfrage: Es gibt ja immer schon auch die Tontechniker-Ausbildung, wurde das auch am ELAK gelehrt?

Nein, das sind eigentlich zwei Bereiche.

Aber das kann man verbinden?

Damals war das vielleicht alles noch mehr verbunden.

Ich kenne ja Tontechniker und Aufnahmeleiter beim Österreichischen Rundfunk, die sind in der Lage Partituren mitzulesen bei einer Übertragung – das ist insbesondere mit Solisten und Sängern wichtig . Und die müssen auch entscheiden, wie und welche Mikrophone hängen. Man merkt dann beim Hören im Rundfunk eine gute Aussteuerung, oder eben eine weniger gute.

Für mich war das immer ein Vorteil, dass ich eben technisch und musikalisch “vorbelastet” war könnte man sagen, und dadurch . ich habe da auch keine Grenzen gesehen, ich wüsste eigentlich nicht, was das sein soll. Warum soll man keine Noten lesen können, wenn man Tontechniker ist. Für meine Begriffe sind Trennungen längst extrem fragwürdig geworden. Ich war oft überrascht, dass es so was wie Spezialisten gibt, die nur eine Sache machen .

. der eine liest die Partitur und gibt Anweisungen und der Tontechniker muss das tun, was der sagt .

Genau. Das war mir nie ganz klar, warum man da oft so ein Rollenspiel betreibt. Ich habe jedenfalls mein Studium abgeschlossen und hab’ aber weiter auch Geige gespielt, zum Beispiel auch bei den Extremschrammeln des Roland Neuwirth eine Zeit lang.

Wirklich? Das wusste ich gar nicht, toll. Der Roland Neuwirth war mit Geigern ja immer sehr pingelig und hat ihnen alles abverlangt, hat sie auch improvisatorisch durch alle Tonarten gejagt und konnte ungeduldig werden, wenn das jemand nicht konnte, die extremsten Harmonien eben überraschend zu transponieren in eine andere Lage und so ..

“Terzel di zuwi” – war ein so ein Spruch von ihm.

Er hat immer wieder andere Geiger engagiert.

Ja, ich bin eigentlich im Guten von ihm weggegangen, weil mich dieses “Wienerlied” nicht mehr so sehr interessiert hat, obwohl ich das und auch ihn sehr schätze. Er ist auch ein Exponent dieser anspruchsvollen Inselhaftigkeit. Die scheint mir immer mehr verloren zu gehen. Mehr oder weniger wird sehr viel heutzutage glattrasiert. Im Sinn einer Verbreitung von “common sense”. Ich glaube, diese Einstellung etwas Eigenes ohne den Motor einer gleichzeitigen Verbreitung zu benutzen, ist immer weniger der Anspruch von Leuten. Ich tue mich extrem schwer, das zu formulieren aber mir scheint, dass wir unseren Individualismus nur noch scheinbar ausleben und in einer Konformität baden. Und das beginnt damit, um jetzt einen speziellen Bereich herauszuklauben in der Verwendung der Werkzeuge. Zum Beispiel haben sich die Elektroakustik und die Elektronik sehr gewandelt und sind zu einer Art Massenware geworden. Jeder muss damit umgehen können, das gehört dazu wie ein Salzstreuer.

Das bedeutet beim Gebrauch des Computers, so wie ich ihn ,erlernt’ habe – man muss nicht programmieren können, man muss nicht Linux lernen, der Bill Gates tut’s schon, ich kann Bilder mit einfachen Mitteln bearbeiten und verfremden, ich kann mit ganz einfachem Mausklick einen Konzertsaalklang in einen “Höhle”-Klang oder irgendwas verwandeln .

Ich glaube, wir sind in eine Phase eingetreten, wo die Industrieabhängigkeit extrem groß geworden ist. Selbst innovative Entwicklungsgebiete werden alle sofort vermarktet, es gibt ganz wenige Institutionen und schon gar nicht individuelle, die sich eigene Entwicklungen  leisten (können). Außer sie sind sehr eigenwillig. Es ist eher die Ausnahme, dass sich jemand von der Pike auf mit etwas beschäftigt, als Erfüllung der eigenen Ideen macht das eben heute keinen “Sinn” mehr. Aber es steht da so viel dahinter – auf der einen Seite diese extrem gute Verbreitung und Transportierbarkeit. Dass man heute keine halbe Weltreise mehr unternehmen muss wegen eines Synthesizers – zum Herrn Moog ist auch klar und hat ja auch seine Vorteile. Andererseits hat sich der individuelle Wille, sich eine eigene Entwicklung zu leisten, verringert, außer bei Leuten, die sehr eigenwillig sind.  Es gibt ein Baden in Nichtigkeiten, ob jetzt ein Gerät irgendwie 70.000 mitgelieferte Sounds hat oder nur 17.000, das ist für mich ziemlich marginal. Aber das verleitet zu so einem Fast-Music-Gebrauch. Ähnlich wie es fast food gibt, gibt’s so was wie Gebrauchsfertiges in der Musik. Diese Strukturen sind allgegenwärtig geworden, in jeder kleinen Pension wird zum Frühstück irgendwie Musik dazu gespielt und die Leute regen sich auf, wenn man sagt, man könnte es sich auch ohne vorstellen.

. man kann ja schon die “Auswahl” der Nummern auf Wunsch wechseln, wenn sich wer darüber aufregt .

Oder im Lokal oder wo auch immer.

Man sollte eine Protestbewegung machen gegen Musik im Restaurant, im Cafè  .

Der Begriff der technischen Machbarkeit hat sich deswegen bei mir sehr verändert, teilweise auch zu einer kompletten Wandlung dieses Klangsucherlebnisses.

 
Peter, es gibt für Außenstehende diese klingenden Namen der führenden Studios, etwa IRCAM oder  Freiburger Experimentalstudio, Heinrich-Strobel-Stiftung vor allem, und gewisse “Gurus”, etwa ein André Richard, der ein wichtiger Verbündeter großer Komponisten – etwa Luigi Nonos – war und der auch wieder da ist, wenn es etwa in Salzburg darum geht, Bänder von Luigi Nono zu “remastern”.

André Richard ist neben einigen anderen, wie Hans-Peter Haller, sicher ein Mann der ersten Stunde und ein profunder Kenner der Kompositionen von Luigi Nono. Nono war ja künstlerischer Leiter des Experimentalstudios und hat in den achtziger sehr viele wichtige elektronische Werke dort erarbeitet. Es ist das halt eine Linie, die irgendwo dazwischen liegt und auch heute sehr wichtig ist. Ich möchte das mit Angeln vergleichen. Ich habe einen Bekannten am Bodensee, der dort – er ist jetzt achtzig – wahrscheinlich seit seinem zehnten Lebensjahr, also siebzig Jahren angelt. Ich bin mit dem hinausgefahren in das abgesteckte Gebiet, wo er das mit Genehmigung durfte. Aber was mich faszinierte, der hängt irgendwo den Köder hinunter und auf Grund von mir nichts sagenden Wind- und Wasserverhältnissen  – Wasserströmungen, Wind, – weiß er auch einfach, dass das dort besser ist als 25 Meter weiter.  Trotz möglicher Parameter, die man kennen soll ist das ein Schnittbereich hin zur Intuition, der mich schon immer extrem interessierte. Ich glaube, wir sind ganz komplizierte Wesen, in Zahlen nicht fassbar oder auf pseudowissenschaftlichen Ebenen. Und da ist die Strobel-Stiftung und besonders André Richard für mich jemand, der mir einen guten Weg aufgezeigt hat, nämlich, dass ein Klang eben zu gestalten ist, währenddem ein Stück abläuft.

Hat das nicht mit Handwerklichkeit und damit verbundnem sechstem Sinn zu – wenn etwa bei einer Papierrollmaschine etwas bei dem Motor nicht mehr so klingt wie es sollte, wird die Papierrolle gleich reißen zum Beispiel . ich habe solche Leute vor fünfunddreißig Jahren in Schweden erlebt . “fahren wir ein wenig langsamer”.

Wir sind eben fähig zwischen den Parametern zu denken. Wenn jemand sagt, spring’ möglichst genau einen Meter weit, dann gibt es vielleicht tatsächlich die Fähigkeit, dass du das erwischst. Aber: Es gibt kaum eine Möglichkeit den Flug selbst zu kontrollieren, außer durch irgendwelche Bewegungen, rein vom Sprung her. Und eigentlich gibt es diese Möglichkeit doch, weil du die Masseverlagerung deines Körpers anders landen kannst, auch wenn du nur einen Meter springst. Das hat mich vom Regeltechnischen, auch bei den technischen Apparaturen immer schon sehr interessiert. Wie kann so etwas ins Technische übertragen werden. Das ist nicht nur das Speichern und Abrufen aller möglichen Daten, das Spannende ist für mich auch, dass du einen Interpretationsvorgang einbringen kannst in diese Welt und das führt dann irgendwo weg von diesen ganzen Studiosachen. Deswegen bin ich eigentlich am Live-Geschehen immer mehr interessiert geworden.

Also auch an Live-Elektronik, aber auch schon vorher?

Jaja. Der Begriff Live-Elektronik kam eigentlich erst genau zu dieser Zeit, denn Live-Elektronik ist etwas, das im Zusammenhang mit Digitalisieren stand. Elektronik hat ja unheimlich viel Zeit in Anspruch genommen. Vom Digitalisieren bis zu einem gerechneten Klang hat es oft Stunden und Tage gedauert. Diese Prozesse hat es gebraucht, um wieder das Klangverfahren herzustellen. Bei analogem Klang ist es ja sozusagen gleich da, das ist auch das Schöne und gleichzeitig Einmalige dran. Das Analoge hat ja auch weniger Korrekturmöglichkeiten. Wenn das einmal irgendwo eingraviert ist, geht es nicht mehr leicht zurückzurechnen. Live-Elektronik ist hauptsächlich durch diese Transformation der Klänge im digitalen Sinn entstanden. “Echtzeit” heißt eigentlich, dass es von einem Zeitfenster ausgeht, das unterhalb einer Zeitschwelle liegt. Zwei sehr knapp hintereinander kommende Ereignisse verschmelzen irgendwann zu einem Ereignis. Sobald die Rechengeschwindigkeit so groß ist, dass du den Klang quasi verändert-transformiert wiedergeben kannst, merkt man den zeitlichen Unterschied. Das ist natürlich in der Digitaltechnik sehr lange nicht machbar gewesen und wurde in den achtziger Jahren langsam spruchreif – extrem schnelle Prozessoren. Das IRCAM zum Beispiel hat eine eigene Hardware entwickelt, davor hat glaube ich Max Matthews solche Programme entwickelt, aber im Konzertgeschehen gab es Weniges. Das ist heute noch schwer, auf marktgängigen Computern eine Latenzzeit (die Zeit die vom Eingang bis zum Ausgang gebraucht wird) zu kreieren, die kleiner ist als die Hörschwelle, die man in zeitlicher Achse hat – das Verschmelzen des Originalklanges zum prozessierten Klang. Im Jahr 1985 gab es schon diese Maschine am Institut. Als Komponist, der quasi “Fertiges” abliefert, habe ich mich damals schon sehr unwohl gefühlt. Werke von Haubenstock-Ramati habe ich bewundert, oder auch im Jazzbereich und in der improvisierten Musik: Dinge, die auf der Zeitachse nicht völlig fixiert sind und auch nicht in der Struktur. Ich habe auch bei diversen Bands noch mitgespielt, nicht nur bei den Violent Violins, wo es mehr um Improvisationen ging. Dann habe ich den Beat Furrer getroffen, so 1985/86, wahrscheinlich war das gerade die Zeit der Au-Besetzung, das war in der Nähe der Rienößlgasse, weil Haubenstock, bei dem Furrer damals studierte, damals Leiter der Kompositionsabteilung I war. Wir kommen ins Reden und Furrer sagte mir, demnächst gäbe es ein Konzert im Palais Liechtenstein – das war eines der ersten Konzerte der “Societé des Arts Acoustiques” [Anm.: später “Klangforum Wien”]. Das hat mich interessiert, da spielte man Haubenstock mit Carol Morgan, Bruno Liberda. Christoph Herndler, Mauricio Kagel, Peter Ablinger. Es hat mich fasziniert, das war eine neue Welt, ein Aufbruch. Das hat zwar wenig zu tun gehabt mit diesen wirklich elektroakustischen Verfahren, es war eine Kombination einer Live-Tätigkeit, die aber auch etwas Klangliches verändert, Strukturen hineinbringt, die zwischen elektronischen und quasi-natürlichen Klängen liegen. Ich habe dann im Theater Gruppe 80 ein, zwei Jahre als Tontechniker gejobbt. Beat hat das Stück “Die Reise” zum Brecht-Lehrstück “Die Ausnahme und die Regel” komponiert, von einem deutschen Regisseur inszeniert. Da lernten wir uns näher kennen und dann bin ich ein bisschen beim “Klangforum” gelandet, immer wenn es etwas mit Elektronik gab. Es wurde sogar ein Stück von mir aufgeführt, das war glaube ich ( …sucht in einem Ausdruck der mica-Komponistenbank.) “Stenimals”. Das war mit dem Marcus Weiss, Ernesto Molinari und anderen.

1988 hat Luigi Nono seine Verfahren erklärt bei Wien Modern, Ausgabe 1 .

… das hat mich sehr fasziniert. Ich machte auch was für Videofilm (z.B. Filme von Gertrude Moser-Wagner). Es gab in der Zeit keine Tätigkeit, die ich mir nicht hätte vorstellen können. Nur so ein Pragmatismus,  Musik g’schwind abliefern, jetzt mach ich Werbemusik, das hätt’s nicht gegeben. Ich wehrte mich gegen so ein Kastenwesen.

Warst du ausbildungsmäßig auch am IRCAM?

Ja. Auch auf anderen Instituten. Das heißt, “ausbildungsmäßig” nicht, ich war auf keinem Institut ausbildungsmäßig, das war ich eigentlich nur in der Rienößlgasse. Ich muss noch dazusagen, beim IRCAM war eher im Vordergrund dieses extrem Geschlossene, die Erfassung und Verwaltung möglichst aller Parameter, die ein Werk bestimmen. Das hat sich zum Beispiel sehr unterschieden vom Freiburger Studio, da hat man gedacht, aha, die sind immer auf der Suche, das hatte etwas mit diesem Nono-Geist zu tun. Auf der Suche nach dem Brüchigen, dem Nicht-Einordenbaren, nach etwas, das man nicht tausendmal wiederholen kann – das hat mich am Freiburger Institut sehr interessiert.