mica-Interview mit Peter Androsch

Mit dem Projekt „Hörstadt“ und dem dazugehörigen Akustikon wollte Peter Androsch, Musikverantwortlicher für Linz 09, die oberösterreichische Landeshauptstadt zu einem internationalen Kompetenzzentrum formen. Ob ihm das gelang bzw. was auch nach Linz 09 Bestand haben wird, erzählte er dem mica. Ein Gespräch über die Kultur einer Hauptstadt, beschallungsfreie Zonen und politische Akustik. Das Interview führte Markus Deisenberger.

„Wenn uns so viel ins Maul gestopft würde wie in die Ohren, dann hätte es schon längst eine Revolution gegeben“ – mit diesem Satz ließen Sie als Musikverantwortlicher für Linz09 aufhorchen. Als Befürworter beschallungsfreier Orte muss ihnen jeder Christkindlmarkt eigentlich ein Graus gewesen sein.
Ich bin nicht unbedingt ein Befürworter beschallungsfreier Orte, ich bin vielmehr für eine Wahlfreiheit zwischen Beschallung oder Nicht-Beschallung.

Diese Wahrfreiheit habe ich aber nicht, wenn ich durch die Linzer Innenstadt gehe…
Im Rahmen der Aktion „Beschallungsfrei“ ist wichtig, dass wir Orte finden, die schon beschallungsfrei sind und sie auszeichnen, um damit klarzumachen wie wichtig, wie wertvoll sie sind, und sie zu schützen.

Gibt es überhaupt noch viele beschallungsfreie Orte?

Sehr viele. Genau lässt sich das auf unserer Homepage eruieren. Wir haben allerdings schon den Überblick verloren, weil sich das selbst weiter treibt. Offiziell sind es derzeit weit über 2000 Orte. Alleine die Bank Austria hat ja schon über 400 beschallungsfreie Filialen.

Aber um Missverständnissen vorzubeugen: Rigoros gegen Hintergrundmusik zu sein, bringt nichts. Da gab es ja auch schon viele Initiativen, die letztlich aus nahe liegenden Gründen alle gescheitert sind. Im Amerikanischen wurde „Elevator Music“ ja erfunden, um den Menschen in den Aufzügen der Wolkenkratzer ihre Angst zu nehmen. Es gibt also durchaus Situationen, in denen Hintergrundbeschallung – es muss ja nicht immer Musik sein – durchaus Sinn macht: Dann nämlich, wenn ich den Leuten Angst nehmen kann, oder einen Raum dadurch strukturiere oder einen anderen Einfluss abschwächen kann. Akustik ist in sehr komplexes Thema, mit dem sich sehr schnell Öffentlichkeit gewinnen läst, was uns bei der Planung von Linz 09 durchaus bewusst war.

Warum ist man in England und andernorts an der Durchsetzung beschallungsfreier Zonen gescheitert?
Weil sie alle mit Verboten arbeiteten. Das Symbol für „Pipe Down“ etwa ist ein durchgestrichener Lautsprecher, der noch dazu rot ist. So lange man aber in einer rein ästhetischen Diskussion verharrt, wird man keinen Erfolg haben. Deshalb versuchen wir im Rahmen der Hörstadt nur aus der Perspektive des Konsumenten- und Arbeitnehmerschutzes zu argumentieren. Aber „Beschallungsfrei“ war ja nur eine Facette des Programms. Die Basis, das Konzept von Martin Heller, besagte, dass eine Kulturhauptstadt keine Kunsthauptstadt ist, was auch viele der Konflikte erklärt, die Sie mitbekommen haben.

Die vor allem daher rühren, dass Bereiche, die üblicherweise von Kulturhaupstadt-Inszenierungen profitieren, von Linz 09 nicht unbedingt profitiert haben.
Wen meinen Sie damit?

Ortsansässige Künstler zum Beispiel.

Ja, aber es geht auch um Institutionen. Eine Kulturhauptstadt heißt ja nicht umsonst so. Die bisherigen Kulturhauptstädte, die den Auftrag mit dem einer Kunsthauptstadt verwechselten, sind allesamt nicht gut damit gefahren. Darum ist ein kultureller Zugang gefragt. Schauen Sie: Wenn man über die Kultur der Römer spricht, meint man ganz sicher nicht nur die Art, wie die Römer Bilder malten oder musizierten, sondern ein wesentlich breiteres Spektrum:  Wie das Leben organisiert wurde, politische Meinungsabläufe, Generationenfragen bis hin zu militärischer Organisation. Kunst ist nur ein kleiner Teil davon und das war dementsprechend auch bei Linz 09 so.

Hubert von Goisern und seiner Aktion wurde von Andreas Kump von Shy und anderen Kulturimperialismus vorgeworfen. Auf fm4 wurde ein Protestsong auf und abgespielt. So viel Wirbel und fundamentale Kritik schon im Vorfeld gab es selten…
Ach, den Wirbel gabs´ in Graz auch. Da haben sie den kaufmännischen Direktor fast davon gejagt. Dass man das heute nicht mehr so sieht, liegt an der Milde der Erinnerung. Auch in Graz gab es viel Kritik. Ich sag die Summe jetzt bewusst in Schilling, weil sie so einfach noch beeindruckender ist: Wenn „eine Milliarde“ Schilling verteilt wird, gibt es immer Krieg, so ist das nun mal.

Gehen wir zurück zum Konzept: Da hat man sich bewusst in einen (sozial-) politischen Bereich bewegt. Der umfassende Kulturbegriff, den man sich zurechtlegte, ist dafür wahrscheinlich nur ein Grund.
Richtig. Seinen Ausgang nahm es mit dem Anfangskonzept, das sehr gewissenhaft war. Im Falle Linz hat man sich nämlich auch angesehen, wie es mit den Kulturhauptstädten anfing und wie die Erfahrungen sind. Und die sind ganz eindeutig: Konzentration auf Kunst tut den Städten nicht gut. Eine nachhaltige Entwicklung ist in Gang zu setzen, dh eine Stadt soll nach der Kulturhauptstadt mehr Chancen haben als vorher. Was das heißt, ist meines Erachtens im Bereich der Musik ganz klar:

Geographisch liegt Linz zwischen Wien und Salzburg. Wien ist circa so weit von Linz entfernt wie die Pariser Vororte vom Pariser Stadtkern. Ich kann also heute in Wien in die Oper gehen und dann noch mit dem Zug nach Linz fahren. Da die dritte Kulturhaupstadt der Musik gründen zu wollen, ist idiotisch und steuerlich einfach nicht zu verantworten. Es musste also irgendetwas sein, was der Stadt etwas bringt und schon da ist. Entwickeln lässt sich ja nur, was schon da ist. Aufgabe war es also, die Stärke einer Region zu finden, nicht erfinden, und weiter zu treiben. Und das ist im Falle Oberösterreichs und Linz ganz klar die Akustik. Die größte Akustik-Firma Österreichs, die etwa das Lärm-Management der Wiener U-Bahn macht, hat schon jetzt ihren Sitz in Linz. Und durch den Bau von über 100 Musikschulen in Oberösterreich ist ein unglaubliches Know How angesammelt worden, was akustisch optimiertes Bauen anbelangt – in Bezug auf Heizungssysteme, Belüftung etc, dh das genaue Gegenteil von der gerechten Verteilung von Lärm, wie sie sonst so oft üblich ist. Dieses Know How gilt es zu nutzen. Und zwar in einer europäischen Dimension, weil die Situation in Linz prototypisch europäisch  ist: Der durchschnittliche Europäer lebt ja in einem Ballungsraum, in dem  zwischen 100.000 und 500.000 Leute leben. Und wenn man den Großraum Linz, Wels Steyr nimmt, sind das genau 500.000 Leute. Ein weiteres Faktum: Schon jetzt sind im EU-Raum 125 Mio. Menschen hörbehindert, das ist ein Viertel der Gesamtbevölkerung – eine erschütternde Zahl. Erschütternd ist auch, dass ein Drittel aller Herz-Kreislauf-Erkrankungen inklusive Herzinfarkt auf akustischen Stress zurückgeführt wird und es trotzdem kein politisches Handeln im akustischen Bereich gibt. Luft und Wasser werden rein gehalten, der akustische Raum aber nicht. Das ist ein notwendiges Entwicklungsgebiet, das Linz sehr viel bringen kann. Unser Grundlagentext hat Unmengen an Reaktionen aus der ganzen Welt, keine aber aus Österreich nach sich gezogen. Auch eine interessante und bezeichnende Entwicklung… Aus diesem Prozess ist dann die Hörstadt entstanden, die nichts anderes als der Versuch ist, Akustik politisch zu denken.

Wie waren die Reaktionen aus dem Ausland?

Allesamt positiv. Aber gehen wir noch mal zu den Anfängen: Der einzige Sinn der ersten Kulturhauptstadt Athen war es damals, Athen zu retten. Um Geld in die nach der Militärdiktatur kaputte Stadt zu pumpen, hat man nichts unversucht gelassen und wollte einem Sammelsurium von Ansprüchen gerecht werden.

Wenn ich nichts missverstanden habe, gibt es doch bis heute keine rigiden Vorgaben, wie eine Kulturhauptstadt bzw. ihr Wesen auszusehen hätte…
Genau, der Anspruch kommt von innen, wobei Linz 09 schon als Role Model angesehen wird – besonders was die Interpretation des Kulturbegriffes und den ernsten Umgang mit dem Geld betrifft. Ausgangspunkt war eine seriöse Analyse des Ist-Zustandes, was in einer Stadt strukturell da, ausbaufähig ist und  europäische Relevanz hat. Dann kommt das Studium der Geschichte anderer Kulturhauptstädte, wobei sich Erfahrungen aus einer Stadt wie Paris natürlich nicht 1:1 auf Linz übertragen lassen. Dennoch gibt es eine Gemeinsamkeit aller bisherigen Kulturhauptstädte: Stadtentwicklungsmodelle haben immer gut funktioniert.

Eine Frage beschäftigt mich. Als Komponist zeitgenössischer Musik, der Sie ja sind: Schneidet man sich mit solch einem Konzept, das der Akustik einen so hohen Stellenwert einräumt, nicht auch ins eigene Fleisch?

Komponieren ist nicht der Nabel der Welt. Ich war auch nie ein Komponist, der geglaubt hat, hinter dem Notenblatt hört die Welt auf. Ich habe Ökonomie studiert und war alles Mögliche, nicht nur Musiker und  Komponist. Aber ich werde ja auch bezahlt, etwas Richtiges zu machen und nicht unbedingt das, was mir gefällt, wobei mir das, was wir auf den Weg gebracht haben, auch besser gefällt als irgendein beliebiges Musikprogramm. Und schließlich gibt es auch Interessanteres als avancierte Musik.

Man muss ja auch dazu sagen, dass in Linz ja trotz allem auch Musik stattfand…
So ist es. Die Fokussierung wurde von einer Fülle von Musik umkreist. Der Zirkus mit seinen mehr als hundert Aufführungen rund um die Uhr war europaweit einmalig. Noch dazu ist keine der Vorstellung nur einmal gespielt worden. Das hat sich herum gesprochen und die Leute sind wieder gekommen.

Als zeitgenössischer Komponist weiß ich ja auch, dass wir wunderbare Uraufführungen haben und dann meist kein Hahn mehr danach kräht – eine Urschwäche, die durch die Strukturen verstärkt wird. Denn wenn es Förderungen gibt, dann für die Uraufführung. Kein Direktor wird also dafür belohnt, Sachen neuerlich aufzuführen, um Erfahrungen zu sammeln und uU auch verschiedene Interpretationen kennen zu lernen. Genau deshalb haben wir extremen Wert darauf gelegt, dass alles, was wir um das Zentrum Akustik gruppieren, unseren Kern stärkt. So haben wir avancierte Produktionsorte wie das Jazzatelier Ulrichsberg gestärkt, damit sie nach 2009 besser da stehen als vorher. Auch das Festival 4020 wurde verdoppelt. Wichtig war uns auch die Wiederholung der Aufführungen, damit wir Dinge wirklich zugänglich machen. Renald Deppes Musik aus dem Osten ist allein zwölf Mal gespielt worden und konnte dadurch unglaubliche Besucherzahlen generieren, von denen andere Festivals nur träumen können.

Jetzt haben wir von Akustik gesprochen, von Uraufführungen zeitgenössischer Musik, avancierten Festivals, Pop kam bislang gar nicht vor. Linz war für mich als in Salzburg Geborenen in meiner Jugend immer so etwas wie die inoffizielle Pop-Hauptstadt. Muss man nicht auch schauen, dass das so bleibt?
Abgesehen davon, dass ich durch und durch Linzer bin und selbst im Pop angefangen habe und das nie so gesehen habe, weil für mich das nie eine relevante Szene war, die Stahlstadtkinder etc. hab ich eher als idiotisches Label gesehen: Nein, es geht eben nicht darum, dass man irgendeine Szene bedient, denn das müsste man ja dann bis zu den Landwirten durchdeklinieren. Als ich den Job bekam, was schon klar, wohin de Hase laufen wird. Mich haben immer die Akustik und die Strukturen, die einen sehr avancierten Zugang zum Hören liefern, interessiert. Musik ist für mich persönlich wichtig, für dieses Vorhaben aber nicht. Diese Trennung können viele Musiker nun eben schwer nachvollziehen. Viele hat es auch wütend gemacht.

Sie haben jetzt schon mehrfach die Nachhaltigkeit angesprochen. Was wird von Linz 09 noch bleiben?

Ein großes Verdienst ist es, dass die Stadt kontrovers wurde. Dass man sah, dass Konfliktpotential da ist und dieses dann auch diskutiert wird. Sehr wichtig für uns war etwa der Kinderpunkt am Hautplatz in Linz, wo man ohne Kalkül den Kindern die Windeln wechseln kann. Sie werden nicht glauben, wie dieser Ort gestürmt wurde. Kindern im städtischen Gebiet einen Raum zu öffnen, ist enorm wichtig. Auch die Ruhepole, die wir eingerichtet haben waren ein Erfolg: über 40.000 Besucher wurden gezählt. Was wir nicht ahnen konnten: Jugendlich nutzten diese Plätze zum Tet-a-tete, einfach weil sich im gesamten städtischen Gefüge kein Platz mehr für einen Flirt findet. Dadurch haben wir geschafft, zu thematisieren, was Kultur ist, nämlich die Form, wie wir miteinander umgehen…

Per se wird natürlich die Hörstadt weiterleben. Und die Linzer Charta ist das erste akustische Stadtentwicklungsprogramm, das aus einer Studie heraus entstanden ist, die wir in Auftrag gaben und die sich damit beschäftige, ob es Akustik im europäischen Rechtssystem überhaupt gibt. Das Ergebnis was eindeutig: Es gibt keine Akustik, sondern nur Lärm, was Sinnbild dafür ist, wie mit der Problematik umgegangen wird. Lärm ist nämlich…

…negativ besetzt.
Nicht nur das, sondern auch nicht definierbar. Lärm ist der tropfende Wasserhahn – genauso wie der Düsenjet und damit keine Grundlage für politische Entscheidungen. Dennoch ist es das einzige akustische Wort, das im europäischen Rechtssystem Platz gefunden hat. Das hat uns dazu bewogen, die Linzer Charta zu entwickeln, die im Jänner einstimmig im Gemeinderat beschlossen wurde und damit Leitlinie des politischen Handelns geworden ist, was wiederum eine Welle von Problemen aufgeworfen hat, weil es nun in einem weiten Feld des Handelns auszutesten gilt, was dieser Katalog von Werten und Zielen tatsächlich wert ist.

Und was ist er wert bzw. was muss passieren, damit diese Charta nicht ein schöner Text bleibt, sondern auch Anwendung findet?
Das ist das Schwierige, denn es gibt Bereiche, in denen es leicht ist und dann wieder welche, in denen verschiedene Werte aufeinander treffen und es selbst für uns unmittelbar Beteiligte nicht fest zumachen ist.

Haben Sie ein Beispiel?
Barrierefreiheit und akustische Werte stehen oft diametral zueinander. Welchem von beiden Werten ist in solche einem Konfliktfall der Vorzug zu geben? Im Detail ist das oft sehr kompliziert.

Und was muss passieren, damit dieser unbestrittene Wert in einen Entscheidungsprozess mit einfließt? Einstweilen kann ich mich doch trotz Einstimmigkeit im Gemeinderat als Bauherr trefflich darüber hinwegsetzen, oder nicht?
Nein, eben nicht, weil es gültiges Recht ist. Natürlich ist es fast unmöglich, sich mit so einem Text auseinander zu setzen, weil er auf einer Meta-Ebene steht. Was wir aber nun im Akustikon machen: wir versuchen einen Kriterienkatalog für akustisch adäquates Bauen im Raum Linz zu entwickeln, damit der Bauherr Akustik berücksichtigen muss und der Katalog entsprechend in die Ausschreibung Eingang findet – ein harter Prozess, weil man das ja auch erst entwickeln muss. Wir stehen am Beginn. Aber die Stadt Erlangen hat die Charta bereits übernommen, Hannover ebenso. Die Charta ist einer der erfolgreichsten Texte und wird bald auch von Eva Lichtenberger im europäischen Parlament präsentiert.

Die zweite Säule ist „Beschallungsfrei“. Da geht es darum, akustische Themen unter Einbeziehung der Stadt Linz, Land OÖ, ÖGB und katholische Kirche, Umwelt-, Konsumenten- und Arbeitnehmerschutz breit zu verankern. Die dritte Säule ist das Akustikon, eine Erlebniswelt. Hier betreten wir die Vermittlungsebene. Schon 9.000 Schüler waren zu Gast. Derzeit befinden wir uns gerade in der Restrukturierungsphase. Im ersten Stock wird schon bald die europäische Forschungs- und Entwicklungsstelle zur nachhaltigen Entwicklung des akustischen Raums situiert sein.

Das heißt, Sie wollen auch eine wissenschaftliche Schiene etablieren?
Wissenschaft und Forschung.

Wie wird das finanziert?
Die Vermittlungsebene wird von Stadt und Land unterstützt. Wir entwickeln ja auch Programme, die für Kinder und Schüler sind. Und die Forschung ist dort zu bezahlen, wo die Probleme sind: In der Infrastruktur und im Verkehr. Für eines der brennendsten Themen überhaupt gibt es europaweit keinen vergleichbaren Zugang. Das Zauberwort, das wir für uns in Anspruch nehmen, ist akustische Raumplanung, die ja nicht stattfindet. Es wir ja kaum oder gar nicht geplant. Die Rechnung ist einfach: Eine Milliarde Euro wird pro Jahr für Lärmschutzfenster ausgegeben. Wenn es unsere Arbeit ermöglicht, ein Prozent weniger dafür auszugeben, dann schwimmen wir schon im Geld. Eine Win-Win-Situation, wie man so schön sagt.  Die Kosten für den Ausbau des Akustikons werden weit niedriger sein als für einen Kilometer Lärmschutzwand – das sollte man auch vor Augen führen, wenn man über das Thema spricht.

Aber zurück zu den konkreten Auswirkungen: Auch der Ruhepol Mariendom wird wieder aufgenommen, wenn es die Temperaturen zulassen. Dann hoffen wir, dass Ulrichsberg und 4020 Wirkung zeigen, damit man auf das Finanzierungsniveau von 2009 nicht mehr zurückfallen wird.
Aber wir haben mit der Hörstadt etwas geschafft, was weit über unsere Erwartungen hinaus reicht. Dass das Thema Lärmberieselung in die Regierungserklärung der neuen Oö-Regierung aufgenommen wurde und die Linzer Charta beschlossen wurde, wagten wir nicht zu träumen. Dass es in Linz einen Studienzweig der akustischen Raumplanung geben wird – ein Feld, das thematisch eigentlich auf die BOKU gehören würde, dort aber nicht existent ist – freut uns ebenso.

Und akustische Fragen wurden endlich auch in den Gesundheitsmonitor integriert. Dh heuer wurde, wenn die Arbeitswelt durch Interviews untersucht wird, zum ersten mal  auch Akustik integriert.

Mit welchen Ergebnissen?
Lärm ist die Umweltkrankheit Nummer eins. Ganz eindeutig ablesbar. Das deutsche Bundsamt für Umweltschutz etwa führt 4.000 Herzinfarkte nur auf den Verkehrslärm zurück. Da sieht man, wie falsch die Vorstellung ist, dass Akustik die größten Schäden im auralen Apparat verursacht. Die größten Schäden entstehen nicht unbedingt am Organ, das mit dem Hören zu tun hat. Dass wir akustische Bedingungen haben, in denen Leute krank werden – das ist die politische Dimension, nicht die Musik selbst.

Wenn man jemals – so wie ich – aus berufliche Gründen auf einem Shaggy-Konzert war, merkt man dort schnell, dass man, obwohl man kein Album von ihm besitzt, doch jede dort zum Besten gegebene Nummer kennt. Man wurde Jahre lang damit penetriert.
Aber es kommt nicht drauf an, womit Sie penetriert wurden. Dass Sie es wurden, ist relevant. Dh Beschallung an sich ist das menschenrechtlich Relevante. Nicht, womit genau man beschallt wird, denn wenn die ästhetische Diskussion beginnt, sind wir in des Teufels Küche, in der bildungsbürgerlichen Falle. Stellen Sie sich vor, wir würden ständig mit Furrer und Staud beschallt…

Die Frage ist doch, wieso wird unser Körper zum Spielball ökonomischer Interessen wird – und zwar flächendeckend – ohne dass die Regeln, die sonst gelten, zur Anwendung kämen.

Welche Regeln meinen Sie?
Die Regeln für die Inwertsetzung von Gemeingütern. Kapitalismus ist ein ununterbrochener Prozess der Privatisierung. Öl wird in Wert gesetzt, unmittelbar nachdem es aus der Erde schießt. Dieser Vorgang ist der Motor. Das Eindringen nun von Akustik in den Körper ist ein ebenso explizit ökonomischer Akt. Rewe-Radio etwa ist das größte Radio Mitteleuropas, die erreichen pro Tag mehr als eine Million Leute… Auf Basis unserer Körper werden Gewinne erwirtschaftet. Wo ist der Gegenwert?

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