mica-Interview mit Norbert Sterk

Die Tatsache, dass Österreichs Orchester in den letzten Jahrzehnten immer weniger zeitgenössische Musik programmieren, beantworteten viele Komponisten mit einer verstärkten Zuwendung zu entsprechenden Spezialensembles. Anstelle großer Symphonien entstehen eine Vielzahl an Werken für drei, vier bis beispielsweise zwölf, fünfzehn oder zwanzig Instrumente. Mit seinen Stücken dabei regelmäßig vertreten ist der 1968 geborene Wiener Norbert Sterk. Seine Kompositionen entstanden zumeist als Auftragswerke u. a. für die Wiener Festwochen, die Gesellschaft der Musikfreunde in Wien, die Ensembles die reihe, Ensemble Kontrapunkte und Ensemble Reconsil, den ORF, die Musikalische Jugend Österreichs (Jeunesse), den Saarländischen Rundfunk, das Stuttgarter Kammerorchester, Wien Modern und das Festival „Hörgänge“. 2013 bringt erneut eine Reihe von Novitäten. Christian Heindl im Gespräch mit Norbert Sterk.

Am 29. Mai gibt es anlässlich der Eröffnung von Classical:NEXT 2013 im Wiener MAK eine Aufführung deiner KorollArien für Flöte und Streichtrio, schon am 16. Juni folgt im ASC die Uraufführung des Ensemblestücks „Notturno estinguendo“, eine CD der „KorollArien“ erscheint im Juni bei Spectral, etwa zeitgleich eine Porträt-CD bei Capriccio. – Das klingt nach einem Komponisten, der „gut im Geschäft“ ist. Ist das der künstlerische Alltag des Norbert Sterk oder eine ungewöhnliche Häufung?

Norbert Sterk: Ich fürchte, die meisten Künstler sind, wenn ich das wörtlich nehme, alles andere als gut im Geschäft und ich selbst würde sowieso einen miserablen Geschäftsmann abgeben … Diese Ballungen, die sich immer scheinbar „zufällig“ ergeben, erlebe ich recht häufig – und nicht nur ich. Woran das liegt, weiß keiner. Vieles befindet sich in Planung, ist ungewiss und plötzlich findet alles zugleich statt, dann wiederum gar nichts.

Im Herbst kommt es zur nächsten geballten Ladung: Am 2. November wird das Ensemble Wiener Collage im Rahmen von Wien Modern ein neues Werk in der Alten Schmiede aus der Taufe heben, ein neues Werk in sehr ungewöhnlicher Besetzung ist für die Paul-Hofhaymer-Gesellschaft Salzburg geplant, weiters ein Werk für Stimme und Streichquartett für ein Konzert von Ambitus, eine CD mit „Notturno estinguendo“ soll erscheinen. – Wie kommt es da zu einem geordneten Timing. Wie schaffst du es, zwischen gehäufter Auftragslage und „Durststrecken“ zu jonglieren?

Norbert Sterk: Eigentlich bin ich ja der „klassische“ Träumer und die Strukturierung von Zeit und der ökonomische Umgang mit ihr fällt mir nicht so ganz leicht. Den Spagat zu schaffen zwischen Familienmensch, Komponist und Logopäde, verschiedenen musikalisch-organisatorischen Arbeiten und den offenbar ganz normalen, täglichen, energiezehrenden Alltagswahnsinn empfinde ich als einigermaßen herausfordernd, da ist das Scheitern durchaus inbegriffen.

Ideal wäre es, in all dem einen gleichmäßigen Komponierrhythmus zu etablieren, den hab ich aber immer noch nicht gefunden. Es gibt  Verdichtungen: vorrangig für die Familie da sein, schließlich wieder intensiv Komponieren (nur ist das immer familienunfreundlich). Kreatives Arbeiten ist unberechenbar, ich bin nie wirklich imstande, genau abzuschätzen, wie lang ich für ein Stück brauche und das hängt sehr davon ab, ob ich einen eher depressiven Zugang oder eine wohlwollend bis enthusiastische Haltung zum entstehenden Stück entwickle …

Eine derartige Vielfalt an neuen Werken, wie du sie aufweist, ist nur möglich, wenn es sich um kleinere Besetzungen und kürzere Stücke handelt. Du scheinst seit geraumer Zeit in diesem Rahmen sehr gut unterwegs zu sein. Ist es für dich die „ideale“ Situation, wenn du weißt, du hast in einem gewissen Zeitraum, drei, vier Stücke in einer Ensemblebesetzung zu schreiben – bist du also der eigentlich neue Typus eine „Ensemble-Komponisten“ ?

Norbert Sterk: Gibt’ s so einen Typus? Tatsächlich komponiere ich sehr gerne für Ensemble. Unter einem Ensemble stelle ich mir eigentlich ein kleines Orchester vor, dass sich aus einer Vielzahl hervorragender Solisten zusammensetzt, eine unbändige Buntheit des Klanges ermöglicht und auch eine Durchhörbarkeit und Klarheit und Schärfe, die bei einem großen Orchester vielleicht aufgeweicht, eingefettet würde. Also jahrelang war für mich das Ensemble eigentlich das „bessere Orchester“.
Das Komponieren an Stücken innerhalb eines relativ kurzen Zeitraums ist für mich – hoffentlich! – zu bewältigen, wenn ich  zyklisch arbeiten will, das heißt an Stücken, die bis zu einem gewissen Grad zusammenhängen, aufeinander Bezug nehmen, ein ähnliches Material aufweisen etc. oder ich Stücke komponiere, die ich selbst als „Entwurf“ zu einer größeren Konzeption ansehe. Diese Stücke können in sich abgeschlossen wirken, für mich persönlich müssen sie allerdings noch erweitert werden, was von außen gar nicht bemerkt werden muss und irgendwann ist dann ein ganzes Violinkonzert da, wie bei „Die dunckle Nacht fahrt aus“, einer W. G.  Sebald-Hommage. Ursprünglich gab‘s nur  „Die Ankunft des Atemzugs“, das ich 2005 komponierte und 2012 mit „Is this the promis‘d end?“  zu jenem Violinkonzert erweiterte. Dennoch besteht auch die „Ankunft …“ als eigenes, selbständiges Stück.
Und klar, Termine helfen, damit ich es überhaupt schaffe, ein Stück fertigzustellen, und mich zu fokussieren.

Für Ensemble zu komponieren ist die logische Konsequenz aus dem Umstand, dass Aufführungen neuer Werke insbesondere durch die Wiener Orchester während der letzten 25 Jahre drastisch zurückgegangen sind. Ist das Ensemble eine Nische für den Komponisten? Quasi die aus der Not folgernde Tugend?

Norbert Sterk: Derzeit ist es offenbar viel eher möglich, einen Auftrag zu einer Ensemblekomposition zu bekommen als für Orchester. Das ist sehr schade! Der „orchestrale“ Klang lässt sich durch das Ensemble zwar relativ leicht herstellen, dennoch ist es eine ganz andere Erfahrung für ein großes Orchester zu komponieren. Ich glaube, fast jeder Komponist würde für Orchester anders komponieren als für Ensemble.

Viele Komponisten sind an „ihr“ Ensemble gebunden – Wiener Collage, Reconsil, xx. jahrhundert, EIS, LUX, Kontrapunkte, die reihe u. a. haben doch zum Teil ihre Stammkomponisten. Du bist praktisch bei fast allen Ensembles willkommen, offenbar also für alle interessant, aber auch ästhetisch für alle „kompatibel“. Wie kommst du zu den Aufträgen? Trittst du an die Künstler, treten diese an dich heran?

Norbert Sterk: Ob ich bei allen willkommen und kompatibel bin, bezweifle ich. Vielleicht verhält es sich manchmal auch so, dass Veranstalter, die mich bitten, ein Stück zu schreiben, eben ein ganz bestimmtes Ensemble zur Verfügung haben ohne Rücksicht auf Kompatibilität. Ich hab aber den Eindruck, dass Ensembles wie z. B. die reihe, Reconsil oder Kontrapunkte neugierig sind und offen für unterschiedlichste ästhetische Richtungen, was ich großartig finde.

Selbst an Ensembles herangetreten bin ich selten. Beispielsweise wollte ich seit langem für einen Obertonsänger komponieren und habe die reihe gefragt, ob da ein Auftrag möglich wäre. Daraus ist „land of closed eyes“ für Obertonsänger, Sitar und Ensemble entstanden.

Wäre für dich ein interessanter Orchesterauftrag vorrangig vor drei, vier Ensemblestücken?

Norbert Sterk: Ein Orchesterauftrag ist tatsächlich etwas Besonderes, zumal – wie vorhin angesprochen – selten überhaupt einer vergeben wird, aus diesem Grund hab ich selbst nur wenig in dieser Richtung geschrieben. Ich würde das sehr  gerne machen, mich dieser Herausforderung zu stellen, ein Stück zu schreiben, dass ausschließlich als Orchesterwerk funktioniert.

Wie müsste ein „interessanter“ Orchesterauftrag für dich aussehen?

Norbert Sterk: Die Gewissheit, ein großartiges, in neuer Musik engagiertes Orchester wird das spielen, und ich habe genügend Zeit, tief ins Detail zu gehen für ein 15- bis 30-minütiges Stück. Das würde schon ausreichen als Motivation, sich dieser Wahnsinnsaufgabe zu stellen.

Dein groß besetztes Orchesterwerk „Am Rand des Augenblicks“  aus dem Jahr 2003 wurde bislang nicht aufgeführt. Ist es nicht unbefriedigend, wenn ein so aufwändig erarbeitetes Stück in der Schublade ruht.

Norbert Sterk: Ja, dieses Stück wurde bisher noch nie aufgeführt und außer Ruhen im Schrank ist nichts passiert damit. Für eine Aufführung müsste ich es allerdings grundlegend bearbeiten und ausbauen.

Auch bei einem Ensemblestück kann es durchaus vorkommen, dass es zwar eine Uraufführung erlebt, darüber hinaus aber nicht nachgespielt wird. Ist es „ausreichend“ für den Schöpfer, wenn er sein Werk einmal in guter Interpretation hören kann?

Norbert Sterk: Das trifft für mein für heutige finanzielle Verhältnisse groß besetztes „die sonne stand still. der mond trieb davon” zu. Es wurde 2004 im Auftrag der Gesellschaft der Musikfreunde komponiert und bislang erst einmal aufgeführt. Das schmerzt mich schon ein bisschen, zumal es auch keinen Mitschnitt davon gibt. Ich überlege manchmal, eine kleiner besetzte Variante davon herzustellen, damit es leichter wieder aufgeführt werden kann. – Aber andererseits kostet das Zeit und die investiere ich lieber für ein neues Stück. Und ich muss sagen, ich bin sehr dankbar, dass meine Sachen überhaupt gespielt werden.

Dennoch meine ich: Eine Aufführung ist zu wenig. Jedes Stück wächst mit mehreren Aufführungen, da gibt’s einen Entwicklungsprozess. Ich selbst lerne mein eigenes Stück durch mehrfaches Hören erst wirklich kennen mit seinen Tücken und verborgenen Geheimnissen, und ich schätze es, wenn sich nicht alle „magischen Momente“ – falls die wirklich da sind – klären (es ist gar nicht so, dass der Komponist immer alles weiß, zumindest erhoff ich mir das). Jede Aufführung offenbart also auch für mich etwas Neues. Das richtige Tempo beispielsweise erschlüsselt sich manchmal erst nach einigen Aufführungen. Das hängt damit zusammen, dass Stücke für mich irgendwie Lebewesen ähnlich sind. Ich schreibe sie und währenddessen entwickeln sie bereits Eigenleben und lassen sich kompositorisch nicht einfach irgendwo hinzwingen. Schließlich ist es dann draußen, außerhalb von mir in der Form einer Partitur. Wenn die Stücke dann nicht zum Klingen gebracht werden, sind sie zwar da, gleichen aber bestenfalls Zombies. Erst die Interpreten hauchen ihnen wahrhaftiges Leben ein, machen sie – und das jedes Mal auf unterschiedliche und nicht wirklich berechenbare Weise – sinnlich erfahrbar und die Zuhörer haben an diesem Lebendigsein auch ihren Anteil.

Jede gelungene Interpretation ist ein Geschenk und eine wunderbare Belohnung für die riesige Arbeit, die zuvor stattgefunden hat. Die Begegnung mit den Musikerinnen und Musikern ist immer bereichernd für mich: Wie setzt sie, er das Notierte um, was an kreativer Kraft bringen sie selbst ein, wo gibt‘s kritische Punkte etc., da findet im Idealfall wirklich ein Austausch statt, eine Kommunikation, die verändert.

Ist es nicht bei deinem Komponieren für Ensembles so, dass durch die vielen Uraufführungen die älteren Stücke ins Hintertreffen gelangen und ebenfalls nach der Premiere leicht liegenbleiben können, oder entwickeln diese durchaus ein Eigenleben?

Norbert Sterk: Interessant ist, dass viele Komponisten nicht 100-prozentig zu ihren älteren Stücken stehen und lieber etwas neueres, vermeintlich „besseres“ anbieten wollen. Und natürlich sollte man nicht vergessen, dass Komponisten eben am liebsten komponieren (nehme ich jedenfalls an), deswegen geben die meisten Uraufführungen den Vorzug. Für den Veranstalter sind Uraufführungen oft attraktiver. Jedoch: Ein bereits bestehendes Stück in ein sinnvolles Programm zu integrieren, also ein Programm sozusagen zu komponieren, sollte eine Herausforderung für jeden Veranstalter sein. Das passiert leider zu wenig.

Ein paar Stücke von mir sind mehrmals aufgeführt worden ohne dass ich das zu beeinflussen versucht habe. Und dann gibt’s jede Menge „Zombies“, die bei mir im Schlafzimmerschrank herumkugeln …
Manche Kompositionen entwickeln auch insofern ein Eigenleben, indem ich weiterkomponiere an ihnen, sie lebendig halte für eine neue Uraufführung.

Am 16. Juni erklingt die UA von Notturno estinguendo „Ae farewell, alas!“ für Viola, Klavier und Ensemble im Rahmen der 100-Jahr-Feiern des ÖKB mit dem Ensemble Reconsil im ASC. Was war für dich der Ansatz bei diesem Stück? Was erwartet uns?

Norbert Sterk: Es gibt eine kurze und vollkommen anders instrumentierte Frühfassung dieses Stücks, die 2009 im Auftrag des Moskauer Centre for Contemporary Music entstand. Es sollte ein Stück werden, das sich in irgendeiner Weise auf Josef Haydn bezieht. Ein paar Jahre zuvor habe ich Haydn sozusagen für mich entdeckt und mich intensiv mit ihm und seiner Musik beschäftigt. Ich wollte mich ihm kreativ, kompositorisch nähern, meiner Faszination Ausdruck verleihen, und deswegen habe ich diesen Auftrag dankbar angenommen.

Meiner Meinung nach ist mir dieses Stück aber nicht gelungen. Ich habe bald bemerkt, die Musik atmet nicht richtig, die Gedanken haben nicht den notwendigen Raum zur Entfaltung. Als mich Roland Freisitzer einlud, anlässlich des 10-jährigen Bestehens des Ensemble Reconsil ein „Doppelkonzert“ zu schreiben, entschied ich, wieder auf diesen frühen Entwurf zurückzugreifen, ihn neu zu komponieren: den Strukturen die notwendige Zeit zum Klingen zu gönnen und einige Gedanken klarer zu formulieren. Ich hoffe, mir ist das diesmal gelungen.

Die Idee ist die gleiche geblieben: ein komponiertes Nachdenken über den alternden Haydn, der laut seinem Biographen Griesinger geklagt hätte: „[…] Ich habe an dem Klavier zuweilen noch gute Ideen, aber ich möchte weinen, weil ich nicht imstande bin, sie nur zu wiederholen oder aufzuschreiben.“ – Er muss sehr gelitten haben. Er hat Visitenkarten drucken lassen – das also mutig öffentlich gemacht – mit der Aufschrift „Hin ist alle meine Kraft, / Alt und schwach bin ich“.

Diese Szene der nachlassenden Kraft Haydns spielt sich ab vor dem Hintergrund von Euridices Abschiedsarie aus seiner letzten Oper „L’ anima del filosofo“, für mich eine auskomponierte Musik des Verlöschens … Mein  Notturno  ist ein vielfach gebrochener Spiegel dieser Abschiedsmusik. Haydn bzw. seine Musik betrachtet sich oder besser: wird reflektiert durch diesen alten, eingetrübten Spiegel. So ähnlich könnte das gedeutet werden. Was ich hier sage ist lediglich meine eigene Interpretation, andere werden unterschiedliche Assoziationen dazu haben. Meine Quellen waren jedenfalls genannter biographischer Aspekt und verschiedene Werke Haydns, die ich besonders liebe vor dem Hintergrund dieser Abschiedsmusik …

Du gehörst zu jenen Komponisten, die einen nicht-künstlerischen Zweitberuf haben, arbeitest seit vielen Jahren als Logopäde. Gibt es dabei Wechselwirkungen mit deiner Kompositionsarbeit?

Norbert Sterk: Als Logopäde arbeite ich v. a. mit Menschen, die Probleme mit ihrer Stimme haben, ich arbeite als Stimmtherapeut. Und das hat, insbesondere natürlich dann, wenn ich für Stimme komponiere, einen  Einfluss darauf, wie ich mit Stimme umgehe. Mich interessiert sehr der „psychologische“ Aspekt der Vokale, sozusagen deren verschiedene Physiognomien. Das ist sowohl therapeutisch als auch kompositorisch spannend für mich.

Ich liebe langsame Vokalverwandlungen, das habe ich einmal mit einer Weltreise (allerdings zu Fuß oder wenigstens mit dem Motorrad!) verglichen. Innerhalb dieser sehr langsamen Verwandlung, z. B.  vom a bis zum i, also a-o-u-ü-i, hören wir viele nicht näher definierte, „unbekannte“ Zwischen-Vokale. Ein sehr reiches, farbiges Spektrum an Klanglandschaften tut sich da auf und damit ist man dann bereits beim Obertonsingen angelangt. Das habe ich erst genauer über die Logopädie kennen gelernt, daraus ist dann das erwähnte Stück für den Obertonsänger Bernhard Li Bruckboeg entstanden …

Deine Frau Elisabeth Holzer ist künstlerisch als Malerin aktiv. Mehrere deiner Stücke –„Vertigo. Saxophon. Desaster“, „… aus Finsternissen losgelöst“ und „land der wachen spiegel“ – entstanden auf ihre Gemälde. Weitere Stücke sollen folgen und den Zyklus „Ins Innere des Bildes“ formen.  Wie kann man sich das praktisch vorstellen: Nimmst du ein Bild von ihr als Inspirationsgrundlage oder erarbeitet ihr parallel eure Arbeiten entsprechend einer gemeinsamen Vorlage?

Norbert Sterk: Es gibt auch bereits „…und leuchteten das Dunkel aus“ für Horn und Ensemble und „Mandragora“, ebenfalls wieder ein Ensemblestück, das übrigens am 2. Dezember 2013 mit dem Ensemble Kontrapunkte im Gläsernen Saal zur Aufführung gelangt.

Im Falle meines Klaviertrios „… aus Finsternissen losgelöst“ hab ich auf ein fertiges Gemälde reagiert, das wiederum durch besagtes Hornkonzert inspiriert wurde. Die weiteren Bilder entstehen zeitgleich mit meinem Komponieren. Elisabeth hört meine Musik – zumindest das, was ich ihr am Klavier darstelle – und setzt malend fort, erfindet das Gehörte neu und ich setze an dem an, was ich sehe und beobachte. Wir reagieren auf unterschiedlichste und komplexe Art aufeinander. Musik und Bild bringen einander hervor. So lässt sich schließlich Musik sehen und das Bild hören.

Das nächste Projekt dieser Reihe ist ein Auftrag der Internationalen Paul-Hofhaymer-Gesellschaft, das kommenden Herbst zur Uraufführung gelangt in der Altkatholischen Kirche im Mirabellgarten in Salzburg. Es ist das Stück mit der ungewöhnlichen Besetzung, von der du anfangs erzählt hast, nämlich wieder für Obertonsänger, aber auch für Alt und einen Bariton, der auch ein phantastischer Countertenor ist, also eine ungemein flexible Stimme besitzt, für Flöte/Altflöte/Bassflöte, Trompete, Schlagwerk und Violine. Hier werden Gemälde von Elisabeth zu sehen sein, zusätzlich gibt es eine literarische Ebene mit einem neuen Text von Semier Insayif und einem Gedicht von Octavio Paz, die auf originelle Weise unser beider Kommunizieren scheinbar kommentiert.

In deinen frühen Jahren hast du in exzellenter Weise Klassiker des 20. Jahrhunderts neu instrumentiert – „Saties Parade“ für Saxophon, Schlagzeug und Klavier, Kurt Weills „Fünf Cabaret-Songs“ für Stimme und Streichorchester – bzw. sogar an Werke österreichischer Zeitgenossen angeknüpft wie in der Orchestercollage nach Gottfried von Einems Oper „Tulifant“. Eine abgeschlossene Jugendphase, um an den Vorgängern Techniken, Instrumentation etc. zu erproben, oder eine durchaus weiter vorhandene und einem Anlass gemäß auch wieder auftauchende Neigung, Vorhandenes mit „neuen Farben“ zu versehen?

Norbert Sterk: Was ich wollte ist, mich diesen Komponisten auf möglichst phantasievolle Weise zu nähern, also im Grunde eine kreative Art, andere z. T. alte Meister zu studieren und spezielle Aspekte vielleicht neu zu beleuchten – als „Musik über Musik“. Und ich hatte das Glück, dass das Aufträge von renommierten Ensembles/Orchestern waren. Ich hab ja damals noch bei H. K. Gruber studiert und sehr viel gelernt dabei. Offenbar ist‘s mir ein Anliegen, Musik anderer Komponisten, die mich interessieren, innerhalb meines eigenen Komponierens zu begreifen bzw. mit dieser Musik in Kommunikation zu treten.

In anderer Weise sind z. B. „Notturno estinguendo“ und auch „Adios Adagios“ (eine Mozart-Hommage) ein Anknüpfen und Weiterführen dieser Idee; in gewisser Weise auch die von mir so genannten „Replays“, z. B. „approaching white. replay“. Da studiere ich bzw. nähere ich mich noch mal auf ganz andere Weise dem zuvor entstandenen „Ins Weiße. Fast Nichts“.
Ähnliches vollzieht sich auch im zuvor beschrieben Zyklus „Ins Innere des Bildes“: „land der wachen spiegel“ spürt die Substanz von „…aus Finsternissen losgelöst“ und „Mandragora“ auf und spiegelt so nochmals diese Stücke, nicht nur Elisabeths Bilder.

Gerade die drei vorhin genannten Klassiker tragen auch in einen eher unterhaltenden, leicht rezipierbaren Charakter. Ist dieses Element in deinen „originalen“ Arbeiten auch spürbar bzw. überhaupt vorhanden?

Norbert Sterk: Vielleicht könnte das bei dem fast zeitgleich mit „Saties Parade“ entstandenen „The Old Piano Plays an Air“ so empfunden werden. Damals inspirierte mich u. a. Flamencomusik, was jedoch kaum jemand bemerken dürfte. – Generell kann ich das selbst schwer beurteilen, ich „unterhalte“ mich auch bei Werken, die mich erschüttern, wie z. B. Bruckners Neunte, Mahlers Neunte, Schuberts „Unvollendete“, Ligetis Violinkonzert, Griseys Quatre Chants etc.

In Beschreibungen deiner Arbeit sprichst du immer wieder davon, dass du „den Tönen zuhörst“. Dementsprechend verinnerlicht, ruhig, meditativ wirken viele Werke. Wie ist deine Erfahrung diesbezüglich bei den Zuhörern? Lassen sich diese in der schnelllebig-stressigen Zeit auf solche „Ruheoasen“ ein?

Norbert Sterk: Musik und überhaupt jede Kunst hat diese Kraft, ein Sein im Augenblick erlebbar zu machen, das Eintauchen in eine andere Zeitebene innerhalb einer Zeit, die außerhalb stattfindet … Das ist glaube ich nicht nur eine Sehnsucht von mir. Damit wirbt ja heute jedes Reisebüro, indem sie „Ruheoasen“ versprechen, fern von den tickenden Uhren… In meinen Stücken geht es mir jedoch überhaupt nicht um die Beschwörung idyllischer Oasen. Schon eher darum, einen Moment aus unterschiedlichster Perspektive zu beleuchten, ihn komponierend immer neu zu hören und so auf möglichst intensive Weise erlebbar werden zu lassen, dieser „Moment“ kann lärmend sein, jenseits jeglicher Ruhe…

Deine Vorlagen sind oft sehr avancierte, auch gesellschaftskritische bzw. politisch engagierte Schriftsteller – Nelly Sachs, Octavio Paz, Ingeborg Bachmann. Wo siehst du als Komponist deine Positionierung in der Gesellschaft? Kann ein heutiger Komponist zeitgenössischer Musik diesbezüglich überhaupt eine relevante Rolle einnehmen und mit seinen Aussagen wahrgenommen werden – oder bleibt es auf einen sehr kleinen Kreis ohnedies wohlgesinnter Freunde und Fachleute begrenzt?

Norbert Sterk: Gemessen an der geringen Bekanntheit von sogenannter „Neuer Musik“ –  selbst die „berühmten“ Komponisten wie Pierre Boulez sind vermutlich nur den „Kennern“ wirklich bekannt – frage ich mich das ebenfalls … Aber die Enthusiastinnen und Enthusiasten, die Neue Musik lieben und ihren besonderen Wert kennen, die gibt es! Das klingt jetzt vielleicht pathetisch : Komplexe Musik, also auch z. B. „klassische“ Musik, selbst die „einfachste“,  birgt einen unermesslichen Reichtum in sich. Der erschließt sich, wenn wir uns Neuer Musik lauschend total hingeben, also wirklich genau hinhören. Alles andere macht sie sinnlos. Neue Musik ist die radikale Absage an jegliche Oberflächlichkeit und damit bereits Beweis höchster Relevanz. Insgeheim halte ich ja die Leute, die wissen, was relevant sei, für größenwahnsinnig. Eigentlich hab ich gar kein Interesse daran, die Notwendigkeit Neuer Musik erklären zu müssen, denn dessen bedarf sie nicht. Für mich ist existentiell, dass es sie gibt.

Wir beschwören immer noch gerne die Königsdisziplinen der Musik – Symphonie, Streichquartett, Oper. Du hast von allen drei bislang die Finger gelassen. Brichst du diesbezüglich bewusst mit der Tradition? Wann kommt die erste Sterk-Oper

Norbert Sterk: In meinen Anfängen habe ich mich enthusiastisch mit Theater und Oper beschäftigt, in Zusammenarbeit mit dem Schriftsteller Jan Christ lustvoll theatralische Ideen entwickelt und wieder verworfen, schließlich ist sogar ein Libretto entstanden, allerdings nicht mehr, da ich mich damals handwerklich noch nicht so weit fühlte. Die theatralischen Ideen sind dann eher eingeschlafen, da mich anderes herausgefordert hat.

Die Lust am Theatralischen konnte ich immerhin in „Saties Parade“ ansatzweise ausleben. Da versuchen drei Clowns mit Hilfe von ausgefallenem Schlagwerk, Saxophonen und Klavier ein ganzes Orchester zu imaginieren und veranstalten auf diese Weise eine Parade für Saties „Parade“, also das Ganze ist eine Theatralisch-musikalische Aktion.

Für eine richtige Symphonie habe ich momentan kein Konzept, keine für mich glaubwürdige Idee wie die Symphonie in unserem Jahrhundert ausschauen könnte, obwohl das in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts immer wieder gelungen ist: Berios Sinfonia, einige Symphonien Schnittkes oder auch die 3. von Lutosławski beeindrucken mich. – Aber ein Stück als Symphonie zu bezeichnen empfinde ich für mich immer noch als zu hochtrabend, pathetisch, erdrückend. Titel sind für mich sehr wichtig. Dieser Titel hätte vermutlich eher lähmende Auswirkungen auf meine Kreativität. Überdies hätte ich dann wohl das Gefühl, ich müsste mich jetzt zum Symphoniker entwickeln, damit ich da weiterwachsen kann – wie Bruckner, Mahler. Der formale Anachronismus wäre dann aber schon wieder  sympathisch.

Ein Streichquartett wäre eine wundervolle Herausforderung, da stehe ich dann natürlich ebenfalls in einer angeblich schwerwiegenden Tradition, die aber formal in keiner Weise gebunden ist. Ein Streichquartett zu schreiben, das regt, im Gegensatz zur Symphonie, meinen Ehrgeiz an. Leider gab es noch keinen Auftrag. Ich glaube, die Auftragslage muss ich diesmal selbst  in die Hand nehmen …

Fotos Norbert Sterk: Stephan Trierenberg
Bild Elisabeth Holzer, „…und leuchteten das Dunkel aus“, Foto: Roman R. Fuhrich