mica-Interview mit Mirjam Unger

In ihrer Musik-Doku „Oh Yeah, She Performs“ begleitete Regisseurin Mirjam Unger die Musikerinnen Gustav, Clara Luzia, Teresa Rotschopf und Luise Pop zwei Jahre lang bei ihrer täglichen Arbeit. Heraus gekommen ist dabei ein intimer Film über Musikarbeit zwischen Selbstbestimmung, Nacktheit und Krise. Das Interview führte Markus Deisenberger.

Wieso genau dieser Film?
Der Film ist aus meiner Radio-Arbeit erwachsen, da ich ja über zwanzig Jahre bei fm4 als Radiomoderatorin gearbeitet habe. Da war die Musik, die von Frauen gemacht wird, immer ein Thema. Da gab es auch immer Debatten, und Kolleginnen und ich haben uns auch wiederholt dafür eingesetzt, dass mehr Musik von Frauen gespielt wird. Die Bestandaufnahme nach der Jahrtausendwende war dann eine äußerst erfreuliche, weil sich damals sehr viel tat. Und aus dieser Beobachtung heraus dachte ich mir, könnte man eigentlich einen schönen Film machen.

Würdest Du sagen, dass es diesen Boom, den es zur Jahrtausendwende gab, als gleichzeitig viele Musikerinnen den Durchbruch schafften, immer noch gibt, oder ist er mittlerweile abgeflaut bzw. überholt?
Der Boom ist ungebrochen. Immer mehr Frauen machen auf die verschiedensten Arten Musik. Gerade im Indie-Bereich tut sich da wahnsinnig viel. Es hat sich eine Selbstverständlichkeit eingestellt, die eine ziemliche Kraft und Sogwirkung hat.

Wie kam es zur Auswahl genau dieser vier Künstlerinnen? War das Zufall?

Nein, zufällig war das gar nicht. Eine zahlenmäßige Beschränkung wollte ich natürlich, weil es sonst nicht möglich ist, die Musikerinnen wirklich kennen zu lernen. Sonst kann man nur das Phänomen an sich darstellen. Mir war aber wichtig darzustellen, was das Musikleben im persönlichen Leben, in der Tiefe bedeutet, wie die Arbeit aussieht, woher die Lieder kommen, wer die Personen dahinter sind.

Und da habe ich mich dann für die Gustav und die Clara Luzia als die österreichischen Pionierinnen entschieden. Teresa Rotschopf und Luise Pop kamen dann über intensive Recherchen dazu – einerseits um Genres abzudecken, um Rock, aber auch Elektronik dabei zu haben; andererseits aber auch, um der Verschiedenheit der einzelnen Wege und der Art und Weise, wie das eigene Rollenbild nach außen getragen wird, gerecht zu werden. Die Auswahl ist mir nicht leicht gefallen. Es wäre schon schön gewesen, wenn andere Musikerinnen auch noch dabei gewesen wären, die das Bild vervollständigen würden. Aber das wäre dann ein anderer Film, den es in Kurzform („She Pop“) ja schon gibt. Und es sollte eben gerade nicht eine Wiederholung dessen werden, was es schon einmal gab.

Die vier Protagonistinnen und ihre Wege sind sehr unterschiedlich, was im Film auch sehr gut raus kommt. Gibt es über die Tatsache hinaus, dass sie alle Frauen sind, eine weitere Gemeinsamkeit?

Die unbedingte Selbstbestimmtheit. Der Traum, eigene Musik zu texten, zu komponieren, zu produzieren und davon leben zu können. Zwar mag die eine auf dieser Reise schon weiter vorgedrungen sein, während die andere noch darum kämpft, aber das, wofür sie kämpfen, wollen sie sich unter keinen Umständen nehmen lassen, nämlich Musik so machen zu können, wie sie das wollen.

Gibt es einen spezifisch feministischen Zugang und wenn ja wie würdest Du den umschreiben?
Grundsätzlich ist es ein Musikfilm. Als spezifisch feministischen Film sehe ich ihn nicht. Es ist auch kein Film, der die feministische Debatte speziell ausbreiten würde. In erster Linie ist es also ein Film über Musik, Rock´n´Roll und Konzerte. Ein feministischer Zugang entsteht aber dadurch, dass die Portraitierten eben alle Frauen sind, die sich bei der Arbeit zuschauen lassen und sich auch dazu äußern. Dadurch erfährt man, wie es ihnen dabei geht. Und damit ist ein Statement gemacht. So einfach sehe ich das.

Du hast Rock´n´Roll als Thema angesprochen. Wie gefährlich war es, beim Erzählen, in gewisse Klischees zu verfallen? Wie schwer war es, die richtige Balance zwischen markanter Aussage und Übertreibung zu finden? Ich denke da etwa an das bewusste ins Bild Rücken einer weiblichen Schlagzeugerin, aber auch an den Auftritt Teresa Rothschopfs in New York. Die Musikerin, die es in den USA schaffen will – allein das ist ja schon eine Geschichte, die allen möglichen Klischees Tür und Tor öffnet. Letztlich wurden sie dann aber doch gekonnt umschifft bzw. gebrochen.

Als Vorbereitung auf den Film habe ich mir sehr viele Musikfilme angeschaut. Ausgangspunkt für mich waren also Rock´n´Roll-Filme, in denen es um Männer geht – mit Ausnahme vielleicht der Dokumentation über die Dixie Chicks. Aber tatsächlich werden viele der Klischees, die man in solchen Filmen vorfindet, auch gleich wieder gebrochen – indem man nämlich merkt, wie viel Arbeit und Mühsal hinter der Musik steckt; dass es in Wahrheit um ganz andere Dinge geht. Und so war es auch bei diesem Film: Die Dreharbeiten haben mir gezeigt, was es heißt, diesen fehlenden Puzzlestein – eine Doku über Frauen, die Musik machen – in das große Puzzle der Musikfilme einfügen zu wollen. Was dann für Themen auftauchen. Die haben allesamt mit Klischees nicht das Geringste zu tun.

Die Anzahl der Orte, an die ihr die vier Protagonistinnen begleitet habt, und die Dauer der Dreharbeiten legen einen großen Aufwand nahe. War dieser Aufwand, diese Bandbreite zwischen slowakischer Kneipe und Hipster-Club in Brooklyn abbilden zu wollen, auch Grundbedingung, den Film überhaupt zu machen?
Auf jeden Fall. Mir war wichtig zu zeigen, wie toll diese Frauen sind; wie international anerkannt sie sind und dass sie hierzulande viel zu wenig bekannt sind. Und dafür war es unheimlich wichtig, den internationalen Kontext, in dem sie sich bewegen, zu zeigen. Das, was ich da jetzt sage, ist aber natürlich nicht auf Musik von Frauen beschränkt, sondern gilt für österreichische Musik im Allgemeinen. Dass sie viel zu wenig wahrgenommen wird. Dass es unfassbar gute Musik gibt, die auch internationale Anerkennung erfährt, der hierzulande aber viel zu wenig Anerkennung zuteil wird.

Macht einen dieser Mangel an Anerkennung nicht teilweise wütend?
Umgekehrt: Wenn ich sehe, wie positiv Jochen Distelmeyer im Thalia Theater auf Gustav reagiert oder wie euphorisch dort im Feuilleton über sie geschrieben wird, freut mich das. Weniger Wut also, dass es bei uns nicht passiert als vielmehr Freude darüber, dass es woanders schon passiert.

Wie intim darf man werden, wie intim muss man werden, um den Portraitierten gerecht zu werden? Gab es da Tabuzonen bzw. wie weit war es Dir erlaubt, in private Zonen einzudringen. Ich habe etwa nur zwei Lebenspartner der Protagonistinnen ausgemacht.
Bei der Eva (Jantschitsch alias Gustav, Anm.) haben wir bewusst gesagt, wir lassen Mann und Kind draußen, obwohl wir schon entsprechende Szenen gedreht hatten. Aber jede Protagonistin steht auch für eine gewisse Geschichte, die wir nicht doppeln wollten, da sind wir auch ein bisschen spielfilmartig rangegangen. Was Privates anbelangt, haben wir uns so entschieden, dass wir es, wenn es die Arbeit streift, mit rein nehmen. Sonst aber haben wir das Private auch privat sein lassen.

Wir haben ja einen Film über die Arbeit an der Musik gemacht – einen Musikarbeiterinnenfilm. Grundsätzlich waren aber alle sehr offen. Trotzdem gab es die Übereinkunft, dass sie, wenn es ihrem Empfinden nach eine gewisse Grenze überschreitet, einfach Stopp sagen und die Kamera dann abgedreht wird. Davon haben auch fast alle einmal Gebrauch gemacht.

Bleiben wir bei der Intimität: Inwieweit denkst Du, dass der Film auch Krisen abbildet – persönliche wie wirtschaftliche. Clara Luzia spricht einmal von schlaflosen Nächten, weil sie nicht weiß, wie sie die nächsten Rechnungen bezahlen soll. Dann gibt es die Szene, in der Luise Pop ein lächerliches Honorar einstreicht und es mit Humor nimmt. Wie weit bildet der Film die Krise ab – wie tief kann und darf man da gehen?

Mir war wichtig, dass die Krise als Grundzustand spürbar ist. In jedem Treatment, in jedem Drehbuch war die prekäre Situation Thema. Wir wollten es aber nicht explizit debattieren.

Ihr wart drei Jahre am Ball. Würdest Du sagen, dass sich die Situation in dieser Zeit noch verschlechtert hat?

Es ist konstant schlecht würde ich sagen. Und es ist auch noch nicht heraußen, wie das Problem gelöst werden kann. Das Szenario, dass man für die Musik, die man veröffentlicht, gar nichts mehr bekommt, weil niemand mehr dafür zahlen möchte, droht.

Dass Clara nicht mehr schlafen konnte, war auch nicht bloß so dahin gesagt. Tatsächlich konnte sie monatelang nicht schlafen. Das ist tatsächlich in dieser Ernsthaftigkeit zu sehen. Sie hat ja auch ihr Label reduziert bzw. den Traum, den sie hatte, auf ihrem Label viele andere Künstler herausbringen zu wollen, aufgeben müssen. Ihr Label hat sie heute nur noch für sich selbst. Finanziell, gesundheitlich und organisatorisch hat sie das einfach nicht mehr anders geschafft. Die Krise in der Musikindustrie setzt ihnen allen zu. Ich bewundere deshalb auch sehr, wie die vier das machen.

Eingangs des Filmes spricht Gustav über die Nacktheit auf der Bühne. Später im Film wird Teresa Rotschopf von ihrem Lebenspartner beschieden, sie müsse noch an ihrer Bühnen-Performance feilen. Wie hast du diesen Gegensatz zwischen Ehrlichkeit und Performance, zwischen Rolle und Person, wahrgenommen?
Ich finde, dass beides gleichzeitig existieren kann. Sobald man auf die Bühne tritt und sich so präsentiert, wie das alle vier Musikerinnen machen, ist man nackt, weil man sich in seiner ganzen Verletzlichkeit zeigt. Andererseits geht es um die Selbstbestimmtheit, wie man sich zeigt. Zu entscheiden, unter welchen Voraussetzungen es passiert, also. Und dabei geht es ganz klar darum, von einem bloßen Rollenbild weg und hin zu mehr Authentizität zu kommen. Um den Weg zu beschreiten, muss man sich immer offener, immer „nackter“ zeigen. „Und diesen Mut, sich immer mehr zu zeigen, habe ich bei allen vier Musikerinnen feststellen können.

Auch der Druck, aufgrund der wirtschaftlichen Situation kommerziell Dinge machen zu müssen, die einem vielleicht widerstreben, wird immer wieder thematisiert. Ich denke an den Ford-Dreh von Bunny Lake, der in den Medien kontrovers diskutiert wurde. Clara spricht einmal davon, dass sich ihr Anspruch, mit der Musik keine Werbung zu machen, nicht aufrecht erhalten ließ…
Mir war das wirtschaftliche Thema ein großes Anliegen. Es gab da auch diesen einen Satz von Gustav, der es leider nicht in die Endversion des Filmes schaffte: Es gäbe viele Ideale, meinte sie, die man im Laufe solch einer Musikerkarriere einfach über Bord werfen muss. Dinge, die sich als Sprüche an der Wand gut lesen, aber nicht lebbar sind. Ich wollte ja eigentlich noch viel weiter gehen und mit Bunny Lake bei Sitzungen in der Plattenfirma (Universal) dabei sein.

Warum wurde daraus nichts?
Es hat einfach nicht geklappt. Mal waren die Sitzungen schon vorbei, dann war Bunny Lake schon draußen aus dem Label.

Aber grundsätzlich hätte man Deine bzw. eure Anwesenheit dort zugelassen?
Das weiß ich nicht. Ein definitives ja oder Nein gab es nie. Letztlich kam es einfach nicht dazu, was ich ein bisschen schade finde, andererseits muss man sich als Filmemacher an die Dinge halten, die machbar sind. Aber spannend wäre es schon gewesen.

Und warum hat es Gustavs Satz nicht in die Doku geschafft?

Rein zeitliche Gründe. Am Schluss muss man sich einfach von vielem trennen, weil es sonst ausufert. Es gibt noch so unglaublich viel Material von tollen Konzerten und interessanten Interviews, das man hoffentlich irgendwann auf einer DVD-Version zugänglich machen kann. Das wäre sehr schön.

Vielen Dank für das Gespräch.

Foto Mirjam Unger: Pamela Russmann

http://www.ohyeahsheperforms.com