mica-Interview mit Michael Fischer

Dieser Tage veröffentlicht das grandiose Vienna Improvisors Orchestra auf Doppel-CD eine Werkschau aus fünf Jahren Gruppen-improvisation. Die perfekte Gelegenheit, VIO-Dirigent Michael Fischer zum Interview zu bitten, zumal der umtriebige Saxophonist die Impro-Szene auch in und mit vielen anderen Formationen nun schon seit geraumer Zeit kräftig aufmischt. Mit dem Feedback-Saxophon hat er zudem die klanglichen Ausdrucksmöglichkeiten des altehrwürdigen Holzblasinstruments gewaltig erweitert. Das Interview führte Michael Masen.

Kannst du ein wenig über deine musikalische Sozialisation erzählen? Wie bist du generell zur Musik gekommen?
Musik war immer in der Familie, mein Vater hat Ella Fitzgerald, Firehouse Five gehört, bei meiner Großmutter hab’ ich den Zigeunerbaron usw. sehr gut kennen gelernt. Ein Onkel hat Klavier gespielt, ein Bruder meiner Großmutter hat ein Salonorchester gehabt, so war Musik immer irgendwie präsent. Mit vier fünf Jahren wollte ich unbedingt Klavier spielen lernen und habe dann zehn Jahre lang Unterricht gehabt, mit 13 die erste Tanzband, wo wir für Kirchenfeste gespielt haben, mit 17 die erste Jazzband.

Schon auch immer Jazz von Anfang an präsent gewesen. Bei jungen Leuten steht ja meistens eigentlich mehr die Rockmusik im Vordergrund.
Der Rock ist schon auch mit 14 gekommen, Deep Purple, Led Zeppelin und so, mit 17,18 dann in der Jazzrockband Fender Rhodes gespielt, Birdland, Stratus, Jean Pierre von Miles Davis…mein Vater hat erzählt, daß er mir als Kind immer Louis Armstrong, Billie Holiday oder Kid Ory aufgelegt hat.

Vom klassischen Jazz ist ja deine Musik heute meilenweit entfernt, wo waren bei dir die ersten Berührungspunkte zu avantgardistischerer Musik?

Wirklich avantgardistischere Musik, das ist später gekommen, erst nach dem Diplom, ich hab erst mit 22 Jahren mit dem Saxophonstudium begonnen, damals war ja Bebop total angesagt, aber das war für mich nie so interessant, die Leute haben mich immer gefragt, warum spielst du nicht Bebop. Charlie Parker ist super, toll, aber es hat mich eigentlich nie interessiert so zu spielen, Coltrane war für mich ab dem 2. 3. Studienjahr viel interessanter. Nach dem Diplom hab’ ich dann begonnen ein eigenes Arbeitskonzept zu entwickeln, erweiterte systematisierte praktische Übungen, z.b. alle Kombinationen, Bewegungen von zwei bis fünf Tönen, bezogen auf Harmoniefolgen, alle rhythmischen Variationen von 16tel Triolen bis zu halben Noten durcharbeitend und das verbunden mit Studien von John Coltrane’s Spiel mit der Fragestellung: Was hat er geübt, daß er so spielen konnte? Auch klassische bis zeitgenössische Moderne hab ich damals viel gehört, irgendwann ein paar Vorlesungen zu Komposition an der Hochschule besucht. Das Arbeitsprogramm hat sich, mit neu Dazukommendem und Wegfall von Durchgearbeitetem ca. 14 Jahre hingezogen, sieben Tage die Woche, später fünf. Drei Jahre nach dem Diplom habe ich mit Obertonübungen begonnen und extended techniques mit dem Tenor- und dem Sopransaxophon. Von da weg hat sich dann die Physik des Klangs mehr erschlossen.

Ich glaube, das war ein wichtiger Schritt hin zu einer eigenen Auffassung. Es ist mir mehr um das Physikalische gegangen, wie und wo verbinden sich singuläre Klänge und dann selbstverständlich auch, welchen Bezug haben die Konstellationen zum Hörgewohnten. Mittlerweile arbeite ich seit zehn Jahren mit Feedbacks, dieser dichten klanglichen Information, was letztendlich wieder mit der Obertonreihe zu tun hat, aber wegen der Maßgeblichkeit der Reflexionen im Raum und seinen manchmal sich bewegenden Objekten, mit dem großer Faktor der Instabilität. – Je nachdem, wo ich mich mit dem Instrument hinbewege, ändert sich das verfügbare Tonmaterial manchmal zur Gänze, manchmal nur teilweise; mich interessiert da sehr, mit dieser Wandelbarkeit mit dieser instabilen Konstellation umzugehen, ein unerschöpflicher Vorrat an Tonleitern und Klangfarben, den man da untersuchen kann. 1997, damals hatte ich mit freier Improvisation gerade mal im Ansatz etwas zu tun, war ich ein halbes Jahr in New York, bin mit der afroamerikanischen Free Jazz Szene in Kontakt gekommen, hab mit William Parker und Denis Charles gespielt, unter anderem in der Knitting Factory, mit ihnen eine CD aufgenommen. Das war ein wesentliches Erlebnis, eine Bestärkung vom immer experimenteller werdenen Zugang seit Mitte der 90er, eine Inspiration, die ich aufgenommen habe, die diese beiden Musiker auch als Menschen mir eröffnet haben.

Kannst du ein wenig erklären, wie Feedback-Saxophon funktioniert.
Ich habe im Saxophon ein Mikrofon und man kann mit jeder einzelnen Klappe einen eigenen Feedback-Ton erzeugen. Je nach Bewegung, Distanz zum Lautsprecher, Räumlichkeit, Resonanzen, Reflexionen im Raum, ergeben sich verschiedene klangliche Möglichkeiten. 1999 hab ich im Proberaum Aufnahmen für eine Solo-CD gemacht, hab mit der Aufnahmeposition experimentiert, Distanz Stereomikrofon – Saxophon und mit billigen Sony-Lautsprechern abgehört. Dann kam irgendwann die Idee, das Mikrofon im Saxofon zu fixieren, habe dabei aber vergessen, den Record-Button auszuschalten und mich geschreckt, weil es gepfiffen hat, dann aber begonnen, die verschiedenen Klappen auszuprobieren und festgestellt, dass bei Betätigung jeder Klappe ein anderer Feedback-Ton erzeugt wird.

Wie weit ist das steuerbar. Kannst du beispielsweise eine Komposition immer gleich nachspielen mit dem Feedback-Saxophon?
Prinzipiell ist es so, dass man da sehr im Moment sein muß, ich muß sehr schnell entscheiden, was jetzt grade… Es ist ja ein sehr instabiles System. Es kann natürlich auch sehr stabil sein, aber dann spielt sich nichts mehr ab. Anderseits ist es sehr flüchtig, wenn du das Feedback halten willst. Im Grunde ist es so, dass ich immer schauen muss, wo der Sound ist und den Klang finden bzw. einfangen muss, und oft erschließt sich dann erst die Klanglichkeit und die Funktionalität. Das ist eine Art lebendiges Wesen, dieses Instrument, das ich da vor mir habe, ich muß schauen, wie, wo es am besten zwischen mir und dem Instrument funktioniert, die Kommunikation Sinn macht. Letztendlich geht es darum, die Entwicklungsmöglichkeiten der Textur, des einzelnen Klangs zu erforschen. Es ist eine Klanglichkeit und eine Erscheinung…

Minimale Änderung der Position von Instrument und Lautsprecher können ja alles verändern. Bei einer quasi falschen Bewegung ist alles anders. Auch mit dem very trashy und low fi setup, das ich meistens verwende ist es ein weites Feld, es ergeben sich viele Möglichkeiten. Das komplexeste Setup waren bisher vier verschieden eingestellte 15“-Monitore in einem Quadrat von 3 x 3 Meter, wo ich durch Positionswechsel die Klanglichkeit ausgelotet habe. Das kompositorisch niederzuschreiben, auch zu reproduzieren, ist zum Beispiel möglich, wenn man als Basis die Position des Instruments mit einem Mikrofon zum Lautsprecher nimmt. Man muss quasi die Resonanzen des Raumes kennen; dann kann man das schon punktuell festmachen. Winkel, Klappen-, Stimme, Lautstärken, Technik, Raumgröße, Reflexionen plus Publikumsbewegung und -anzahl, Bewegung, das alles könnte theoretisch festgehalten werden, ist aber sicher nur partiell sinnvoll einsetzbar.

Ist dir noch irgendjemand anderes bekannt, der Feedback-Saxofon spielt und die diesbezüglichen Möglichkeiten auslotet?

Es gibt sehr wenige SaxophonistInnen, die konsequent damit arbeiten, in Europa zum Beispiel John Butcher in England, mit einer anderen Ästhetik, bei ihm geht es nicht so sehr um Noise, denke ich, sondern eher ums Melodische. Letztes Jahr hab ich mit Takumi Ito in Tokio ein Feedback-Saxophon Duo gespielt, der wieder mit einem anderen setup spielt. Die Leute, die ich kenne, arbeiten eher mit dem klassischen, dem ganz klaren Feedback Sound und sozusagen weniger Parametern. Was für mich sozusagen das Spannende ist, wenn du mit der Luft zu tun hast, die Stimme einsetzt, dann kannst du auf vielfältigste Weise modulieren. Ich vermische percussive Strukturen mit den Klappen mit feedbacks, Bewegung und Stimme, die verschiedenen Ebenen.

Wie lange hat es gedauert, von der Entdeckung des Feedbacks mit dem Saxophon als Ausdrucksform für dich bis du damit vor Leuten aufgetreten bist, diese Spielweise der Öffentlichkeit zu präsentieren. Wie lange hast du gebraucht, um es so weit dir anzueignen, dass es „öffentlichkeitstauglich“ war?
Ende der 90er Jahre hab ich begonnen, mit Feedbacks in verschiedenen Kontexten zu experimentieren, auch in Konzerten mit dem Saxophon oder auch in meiner Radiosendung auf Orange mit dem Studioequipment, also Kopfhörer über die Mikrophone, parametrische Filter für diese Kanäle. Auf der Solo CD, die 2002 erschienen ist, gibt es erste Arbeiten zum Feedback-Saxophon.

Wie schaut das dann aus, wenn du in größeren Formationen Feedback Saxophon spielst. Zur Kommunikation zwischen dir und dem Saxophon kommt ja dann noch die Kommunikation mit den anderen Musikern dazu. Wird da anders gearbeitet, gehst du da anders an die Sache heran oder funktioniert das genau gleich wie beim Solospiel?
Das ist natürlich anders. Die Schwingungen der anderen Instrumente manipulieren ja die Luftsäule in meinem Instrument, also auch die Feedbacks. Da spielt also noch mal ein zusätzlicher Faktor mit rein, der das ganze instabil macht. Quartett war bisher die größte Formation, in der ich Feedback-Saxophon gespielt habe. Da muss man sehr fix sein, was die Wahrnehmung und die Reaktion betrifft. Es bedarf eines sehr konzentrierten Agierens, was ist gerade und was bietet sich an.

Wie ist dabei die Situation für die Mitmusiker? Für die wird es ja auch nicht gerade leicht sein, mit so einem Unsicherheitsfaktor umzugehen. Bzw. ist es schwer, überhaupt Leute zu finden, die da mitspielen wollen?
Mittlerweile klingt es eigentlich nicht mehr so, als ob es unbestimmt wäre, da ich die Parameter kenne, die die Veränderungen auslösen und sehr schnell reagieren kann. Die Projekte in denen das sehr gut funktioniert sind z.B. Duos mit Schlagzeugern, mit Bernhard Breuer oder Marcos Baggiani. Sehr interessant war’s auch mit Ken Okami’s Neonröhren-Licht-Lärm live set, da haben wir u.a. auch mit Tänzerinnen in Kyoto gearbeitet oder mit John Edwards am Kontrabaß beim Donaufestival in Krems.

Gibt es mittlerweile auch Leute, die möchten, dass du ihnen Feedback-Saxophon beibringst?
So direkt nicht, aber die Leute fragen nach den Konzerten immer, wie das funktioniert.

Du spielst auch in größeren Formationen. Im Vienna Improvisors Orchestra beispielsweise. Kannst du darüber ein wenig erzählen?
Das Vienna Improvisors Orchestra basiert auf der Idee strukturierter freier Improvisation für Großensemble, wir verständigen uns über ein Handzeichensytem, das als Vermittler zwischen Dirigierendem und Orchester fungiert, 10 – 20 Handzeichen: zum Beispiel Handflächen nach oben – bitte lauter, Handflächen nach unten – bitte leiser. Die Interpretation der Zeichen ist also relativ offen. Es gibt ja in Europa ein paar Orchester, die auf ähnliche Weise arbeiten, die Zeichen sind sehr uneinheitlich. Es ist auch eine Arbeitsweise, die ein großes Spektrum an musikalischen Ästhetiken zuläßt. Das Spezielle beim Vienna Improvisors Orchestra ist sicher, daß wir sehr oft mit LyrikerInnen arbeiten – experimentelle Lyrik, meist zu bestimmten Themen. Es ergibt sich so eine bestimmte Kontextualisierung: wie klingt und welche Bedeutung hat das Wort, wie klingt der Klang und welche Bedeutung hat er und diese sozusagen zu vereinbaren und letztendlich zu verhandeln ist ein main focus. Es geht sozusagen um ganz spezielle Positionen der Lyrik, die sich mit dieser experimentellen Arbeitsweise ganz wunderbar vereinbaren lassen, insofern, als die Lyrik das Wort ja in einen neuen Kontext stellt. Und dadurch ergeben sich natürlich Ränder an diesen Worten, die mit der Klanglichkeit sehr viel zu tun haben. Ich lade dann auch Musikerinnen ein, die mit dem Thema zu tun haben, auch Amateure. Mittlerweile waren etwa 100 KünstlerInnen involviert, vor allem aus der Improszene, Klassik, Jazz. Zunehmend arbeite ich auch sehr gern mit mehr Stimmen wie z.B. in St. Johann letztes Jahr für das Artacts Festival mit einem kleinen Laienchor, der mit Phil Minton zwei Jahre vorher einen Workshop gemacht hat. In Japan war ich eingeladen, ein Workshop für 70 StudentInnen zu halten, das war ziemlich beeindruckend, mit so viel Stimmen arbeiten zu können.

Also eher eine Live-Sache. Oder würde das übertragen auf Tonträger auch funktionieren ohne diesen visuellen Effekt, dass der Zuhörer auch sieht, was da überhaupt passiert, wie die Klänge entstehen?
Es würde insofern etwas Maßgebliches fehlen, als die Möglichkeit des Publikums, die Handzeichen und ihre Wirkung, diesen Konnex zu verfolgen, wegfällt. Insofern ist es vielleicht mysteriöser, wie die Textur und die Form ensteht. Wenn wir mit Sprache arbeiten, wie z.B. letztes Jahr mit dem Gerhard Rühm im Radiokulturhaus zu seinem 80. Geburtstag, trägt zusätzlich sicher auch ein gewisser narrativer Strang das Gehörte ohne visuelle Eindrücke. Andererseits gibt’s im live Kontext manchmal auch Verwirrung bzw. Verblüffung. Nach unserem Konzert mit dem Gerhard Rühm bin ich öfter gefragt worden, wie das organisiert ist, wieso das so komponiert klingt, ob nicht irgendwelche Abmachungen getroffen worden sind. Tatsächlich war’s so, daß Gerhard Rühm mir am Vortag die Gedichte vorgelesen hat, sodass ich den Duktus ein wenig im Kopf gehabt hab und die Musik ist dazu eben als Echtzeitkomposition gemeinsam mit dem Orchester entstanden. Ich glaube, das Brennen des Moments ist gerade durch dieses Setting mit der visuellen Komponente noch ein wenig stärker in der Musik wahrnehmbar.

Du stehst also im permanenten Austausch mit den Musikern, die da spielen.
Ja, genau. Einerseits stehen die Musiker/Musikerinnen und ich im Austausch und natürlich auch die Musiker untereinander, denn die Handzeichen sind ja wie gesagt individuell interpretierbar. Da müssen alle dauernd aufeinander Bezug nehmen.

Stichwort Publikum. Eine kurze Einschulung vorausgesetzt, wäre es möglich dass irgendjemand aus dem Publikum ebenfalls das Orchester dirigieren könnte, so dass es halbwegs nach etwas klingt?
Sicher ist es möglich, dass man Leute die keine Erfahrung haben mit so einer Arbeitsweise vertraut macht. Gleichzeitig ist es ein komplexes Umgehen wenn man sich in dieser instabilen klanglichen, von Individuen getragenen Interaktionsgemeinschaft befindet; da eine Struktur zu geben, formal vorausblickend zu arbeiten ist immer eine Herausforderung. Gerade wenn es um Lyrik geht, um Text, das zu verbinden. Normalerweise arbeiten wir auch ohne Proben. Außerdem sind so gut wie immer neue MusikerInnen dabei, die noch nicht wissen, wie das läuft. Auch das ist eine besondere Herausforderung und natürlich sehr spannend.

Es ist ja nicht sehr massentaugliche Musik, die du machst. Wo findet man Auftrittsorte und Unterstützer. Wo findet man auch eine größere Öffentlichkeit, der man sich mit seiner Musik aussetzen kann?
In Improkontexten ist es mit dem Orchester insofern nicht leicht, weil die finanzielle Ausstattung ja oft limitiert ist, da ist es einfacher, mit vorort zusammentreffenden Großensembles zu arbeiten, wie z.B. zum Teil für Artacts oder beim V:NM Festival. Dabei würde ich ja gar nicht sagen, daß das vom Klanglichen her so ein Nischenprogramm ist, z.B. kommt die Musik zum Teil der Klangsprache komponierter zeitgenössischer Orchestermusik sehr nahe. Aber ja, andererseits ist es auch so, daß die Ergebnisse dieser Arbeitsweise tatsächlich sehr heterogen sind. Es ist nicht so leicht, Veranstaltern im Jazzbereich oder im Neuen Musik Bereich zu vermitteln, daß sie sich auf echte realtime Kompositionen für Großensemble, noch dazu mit immer neuer Besetzung einlassen können. Gleichzeitig braucht es natürlich auch ein Budget, es sind ja etwa 16 bis 20 Leute auf der Bühne.

Habt ihr mit dem Orchester Tonträger auch bereits veröffentlicht?
Noch nicht. Im Sommer wird eine Doppel CD veröffentlicht. Very low fi, bis auf einen track nur mit Stereo Mikrofon aufgenommen mit Aufnahmen von 2006 bis 2010. Von über 20 Aufführungen werden 7 in Ausschnitten auf Extraplatte veröffentlicht werden.

Planen kann man ja nicht, welcher Auftritt jetzt repräsentativ oder gut ist, wird jeder Auftritt mitgeschnitten und am Ende des Tages schaut man, was am besten klingt?
Ungefähr so. Zum Glück gibt es liebe Menschen im Orchester, die, wenn ich mein Aufnahmegerät vergessen habe, ihr Aufnahmegerät mithaben und das dann zur Verfügung stellen. Das ist definitiv bei zwei Aufnahmen, die jetzt veröffentlichen werden, der Fall, sonst würde es die nicht geben. Es würde natürlich mehr kosten, wenn man das ordentlich aufnehmen möchte. Ich glaube, dass das Stereomikrofon letztendlich die Klanglichkeit und Balance auch sehr gut darstellt, einfach so wie das Orchester geklungen hat, da gibt es keinen Schnickschnack. Das ist eine relativ repräsentative Aufnahme für den Ort, wo es stattgefunden hat. Das hört man sehr gut.

Wie sieht es generell mit der Verfügbarkeit von Spielorten aus, für so eine große Besetzung, für diese spezielle Art der Musik. Wo macht man das, wie oft kann man das machen?
Wir haben etwa 4 Aufführungen pro Jahr. Wir haben mit Gerhard Jaschke und Magdalena Knapp-Menzel im Porgy & Bess ein Programm mit dem wunderbaren Titel ‚ich spreche nicht : illusionsgebiet nervenruh’ gespielt, eine Synthese zweier Gedichttitel der beiden. Dort haben wir auch mit Gerhard Rühm das erste Mal zusammengearbeitet, vor der Aufführung im Radiokulturhaus; im Aktionsradius Augarten mit Rolf Schwendter. Vor drei Jahren gab’s ein sehr berührendes Konzert im Rahmen eines EU-Projekts bei sohoinottakring mit Zwetelina Damjanova und Semier Insayif, das war damals in der Brunnenpassage, mit Semier auch im Lokativ zum Thema Migration und Rassismus. Mit Gerhard Jaschke, der ein guter Kenner der Art Brut vor allem aus Österreich ist, waren wir bei den gugginger irritationen in der Villa des Art Brut Centers. Es gäbe schon noch einige Räume, die sich da eignen würden, der Kuppelsaal der TU am Karlsplatz beispielsweise.

Solo aber sicher einfacher Auftrittsorte zu finden. Was sind so die kleinsten Dimensionen, die noch Sinn machen?
Ich glaube, da gibt es mehr oder weniger…selbstverständlich ist es auch abhängig vom Equipment. Die Solo CD ist in einem 3 x 3 Meter Kammerl entstanden, mit zwei kleinen Sony Lautsprechern. Im Wohnzimmer von einem Kollegen habe ich Batterielautsprecher vom Eduscho mitgenommen und das ganze feedback-gear dort angehängt. Da geht’s dann um eine andere Textur.

Neben deiner aktiven spielerischen Tätigkeit machst du ja auch Radio. Radio Connex. Kannst du darüber ein wenig erzählen. Was ist das Konzept dahinter. Es gibt daneben ja auch noch Radio Connex Context. Worum geht es bei den beiden Formaten?
Mit der Radiosendung auf Orange 94.0 habe ich begonnen 98, kurz nachdem das Radio ins Leben gerufen worden ist. Ich war damals beim Aufbau mitbeteiligt und eine zeitlang im Vorstand. Ich habe mir damals gedacht, improvisierte Musik ist kaum im Radio vertreten und hab begonnen, Neuerscheinungen vorzustellen. Neben improvisierter Musik auch komponierte neue Musik, elektroakustische Komposition und Improvisation und sogenannte ethnische Musik. Eine zeitlang, vielleicht ein Jahr, hab ich Aufnahmen zur Geschichte der elektroakustischen Musik vorgestellt. Irgendwann hab ich angefangen, das Studioequipment als Instrument zu verwenden – Kopfhörer, Mikrofone, Mischpult, Feedbackschleifen, zwei Turntables und die wunderbaren Mikrofonständer, die haben vier Stahlfedern, die, mit Mikrophonen abgenommen, zusätzlich noch distorted amplified spring sounds ergeben, die wieder die feedbacks der Kopfhörer/Mikrofonschleife triggern.

In der Reihe connex:context arbeite ich seit ca. fünf Jahren mit Autorinnen und Autoren experimenteller Lyrik, d.h. in der live on air Situation tragen LyrikerInnen Texte vor und ich produziere an 3 CD-Playern mit dem Klangmaterial von etwa 20 CDs eine interagierende Klangumgebung, es geht um eine permanente vice versa Bezugnahe, auch die LyrikerInnen arrangieren ihre Texte im Moment. Da entstehen wunderbar assoziationsreiche Ideen- und Interpretationsfelder. Mittlerweile waren die Sprachklanglandschaften auch live vor Publikum zu hören z.B. mit Petra Ganglbauer, mit Marietta Böning oder Ilse Kilic und Fritz Widhalm. Mit Dieter Sperl haben wir auf dieser Basis für das Ö1-Kunstradio das Stück ‚long seconds’ produziert.

Wie wählst du das Material aus?

Für die Arbeit mit den AutorInnen wähle ich sehr genau aus, welche klanglichen Texturen und auch formalen Verläufe sich mit dem gesprochenen Wort im Sinne der Sprachlichkeit des Klangs am besten verbinden. Dem Duktus des Vortrags der jeweils Lesenden folgend, wähle ich dann aus Aufnahmen neuer Musik, Feldaufnahmen, Maschinengeräusche, elektroakustische Improvisation, frei improvisierte Musik, ethnische Musik und eigene Kompositionen.

Habe ja auch gelesen, dass du das gesprochene Wort in Musik transformieren möchtest. Wie funktioniert das?
Da gehe ich unter anderem von dem Gedanken aus, daß irgendwann in der Menschheitsgeschichte Klang und Wort noch nicht unterschieden waren. Das heißt, die Klanglichkeit der Stimme bzw. die Laute haben einen großen Interpretationsraum gelassen. Mich interessiert, wo beginnt wo endet das Wort mit seiner Bestimmtheit, wo wird es immer offener in der Interpretation, genauso beim Klang, auch der narrative Aspekt. Welche Bedeutung hat der Klang in einem bestimmten sprachlich interpretatorischen Sinn. Der Klang ist ja auch kontextualisiert durch Geschichte, durch Instrumente und künstlerische Konzepte. Da arbeite ich seit einiger Zeit dazu in unterschiedlichen Kontexten, mit dem Feedback-Saxophon und der Stimme bzw. der Sprache, akustisch auch an der Geige, auch mit dem Orchester. Das ist auch das, was mich bei der Arbeit mit LyrikerInnen fasziniert und wir bei connex:context bzw. den Sprachklanglandschaften gemeinsam untersuchen.

Treten wir einen Schritt zurück und schauen uns das große Ganze an. Wie schwer ist es für dich, mit einer extremen Nischenmusik, die du machst, in die du involviert bist, Präsentationsraum zu finden?
Ein Problem ist sicher, daß das organisatorische und das künstlerische Denken und Arbeiten so auseinanderfällt, eine Situation, die natürlich infrastrukturell so hergestellt wird. Für mich ist es z.B., vielleicht leider, null thrill ein gutes ‚Verkaufsgespräch’ zu führen. Eigentlich müßte man dafür zumindest zwei unterschiedliche Menschen in einer Person sein. Einerseits ist es manchmal schwierig, wenn durch die vielen inspirierenden Begegnungen die Entwicklung von neuen Ideen und Projekten so geschwind geht, daß man nicht genug Zeit findet für konkrete Umsetzungspläne, andererseits eröffnen sich Räume, wie z.B. in der Arbeit mit LiteratInnen, das Spektrum an Orten ist dann ein anderes; oder im performativen Bereich wie letztes Jahr z.B. in Japan, wo eine Tour mit Kooperationen und Solo Feedback-Saxophon an 14 verschiedenen Orten möglich war.

Irgendwie habe ich generell den Eindruck, als ob es gerade in Japan für extremere Formen der Musik ein größeres Publikum gibt. Ist das tatsächlich so oder täuscht dieser Eindruck bloß?
Ja, offenbar experimentierfreudiger, kommt mir vor. Ob es ein größeres Publikum dafür gibt, kann ich nicht wirklich sagen. Vielleicht – wenn die Leute im täglichen Leben ziemlich strengen Konventionen unterworfen sind, glaube ich ist der Noise eine Möglichkeit, sich ziemlich gehen zu lassen, diese Formalismen, diese emotionale Grenze, aufzubrechen. In diesem Lärm wird vielleicht das Wir – man spricht ja auch weniger als bei uns vom eigenen Ich – wieder in gewissem Sinn zu einem Ich. Eine sozial eingebettetere Lösung, vielleicht wie ein Ventil für eine innere Balance ist wahrscheinlich das gemeinsame Trinken nach Büroschluß, wo dem Chef angeblich alles an den Kopf geworfen werden kann und am nächsten Tag wie vergessen ist. Japanischen Kindern wird ja, solang sie klein sind, fast alles erlaubt, wir haben später mehr individuelle Freiheiten; und eine irgendwie andere Noisegeschichte.

Ist es manchmal schwierig für dich, zu wissen, höchstwahrscheinlich nie mit deiner Musik aus einem kleinen Kreis Interessierter heraus zu kommen; wenn du in deiner Ausdrucksform eine so extrem gegensätzlich zum Mainstream positionierte Variante wählst?
Mir ist es schon ein Anliegen, für diese extremen Positionen wie beispielsweise dem Feedback, aber auch bei der Orchesterarbeit, einen Zugang zu ermöglichen, mir geht es darum, auch gerade in extremen Positionen, zu versuchen, das auch zu vermitteln. Mein Umfeld ist gleichzeitig seit Jahren vom Mainstream weit entfernt, sodaß der Mainstream mir eigentlich schon wieder exotisch anmutet, – vielleicht ein improzentristisches Weltbild.

Du bist ja jetzt demnächst wieder in Amsterdam, nicht zum ersten mal. Ein besonderer Bezugspunkt für dich und deine Musik?
Ja, in Amsterdam hab ich 2004 bei einem Feedback/Tanz Projekt den argentinischen Schlagzeuger Marcos Baggiani kennengelernt, mit dem sich sehr schnell Kooperationen in den verschiedensten Richtungen ergeben haben. Angefangen haben wir mit Tänzerinnen und Tänzern in einer Lab-Reihe im Bimhuis, The Meeting Point, meist 4 Tänzerinnen, Musikimprovisation, Lichtimprovisation, bei den Zusammenarbeiten habe ich auch Daisuke Terauchi, japanischer Komponist und Performer, kennengelernt. Diesen Frühling bin ich mit Marcos Baggiani mit  Konzerten in Den Haag und Amsterdam, dann werde ich mit dem Genetic Choir arbeiten, und im Quartett mit Angel Faraldo, der mit eigener software arbeitet, mit Ofir Klemperer am Korg MS 20 und Stefan Nussbaumer, der einen super collider open source synth mit einem smart phone per Gravitation und GPS ansteuert.

Danke fürs Interview.
Fotocredit: Kurt Prinz

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