mica-Interview mit mel

Schon mit ihrer in Eigenregie veröffentlichten Debüt-EP “Changing” gelang der jungen Salzburger Singer/Songwriterin Melanie “mel” Mayr 2008 das Kunststück sofort einen FM4-Hit zu landen. Mit ihrem ersten Longplayer “Escape The Cold” verfeinert sie ihren elegant an den Westcoast-Sound der späten Sechziger wie frühen Siebziger angelehnten Folk-Pop und erntet prompt hervorragende Kritiken. Und das nicht nur nur, weil die CD in einem der legendärsten Studios von Los Angeles gemastert wurde. Das Interview führte Didi Neidhart.

Du hast dir mit 10 Jahren selber das Gitarre spielen beigebracht. Wie wichtig ist das Autoditaktische im Hinblick auf “Folk”.

Wenn man Bob Dylan erzählen hört, wie er sich vor seinem Durchbruch abertausende alte Folksongs aneignete, die Lyrics studierte und verinnerlichte und alles verschlang, was es zu diesem Thema gab, dann ist das für mich einfach nur beeindruckend.
Hinter dem Autoditaktischen steckt eine Leidenschaft, ein Wille und eine Eigeninitiative. Wobei der umgekehrte Weg sicher auch gut sein kann. Wenn man einen wirklichen Lehrmeister gefunden hat, der deine Talente erkennt, auf deine Wüsche eingeht und dir auch noch was zu erzählen hat, dann kann das sicherlich ziemlich spannend sein.

Was war der Anstoß 2007 eigene Songs zu schreiben?

In diesem Jahr 2007 änderten sich ein paar Dinge in meinem Leben. Ich war auf der Suche nach einem neuen Job, dachte massiv darüber nach, was ich eigentlich ernsthaft beruflich machen möchte – und mir fiel absolut nichts ein!! Ich hatte für drei Monate eine Auszeit, in der ich wieder begann, mich mehr mit Musik zu beschäftigen.
Seit ich 15 Jahre alt war, arbeitete ich Tag für Tag in einem Musikshop. Prinzipiell eine wunderbare Zeit, doch ich war irgendwie blockiert selbst etwas auf die Beine zu stellen. Ich traute es mir nicht mehr zu und hatte einfach auch den Mut verloren. Vielleicht weil ich den ganzen Tag von Musikern umgeben war und mir dachte, irgendwelche, für mich unerreichbar scheinende Ansprüche erfüllen zu müssen.

Wir wurdest du eigentlich “entdeckt”?

Als ich Stootsie von The Seesaw meine ersten, geheim am Mac aufgenommenen, Songs vorspielte, war er ziemlich erstaunt und lud mich sofort als Support für ein Seesaw-Konzert ein. Da waren einige Leute vom Rockhouse anwesend, u.a. Stefan Kalser, der dort den Yeah! Club organisiert. Er „buchte“ mich vor Ort gleich als Opener für einen Yeah! Club-Abend. Zudem riet er mir, die wenigen Songs die ich zu der Zeit hatte, aufzunehmen, um sie auf Internetportalen präsentieren zu können. Ich erledigte das mit Hilfe von Stootsie und stellte die Songs auf MySpace und den FM4-Soundpark. Letztendlich wurde ein Song davon – „Changing“ – von der FM4-Redaktion aufgegriffen und bald täglich gespielt. So hörten mich Veranstalter im Radio und wollten mich für Konzerte haben, Radiohörer bombardierten mich mit e-mails, um zu fragen, woher sie eine Platte von mir bekommen könnten.

War das reiner Zufall?

Für mich kam es völlig überraschend. Ich glaube, es war eine gute Zeit für die Art von Musik, die ich mache. Auch in Österreich boomte gerade der Singer/Songwriter-Markt und „sensible, musizierende Frauen“ waren bzw. sind besonders gefragt.

Hat dich die Nominierung für den FM4-Amadeus-Award überrascht? Immerhin war das ja ein sehr intensives Jahr, nachdem du erst 2007 mit deiner Musik angefangen hast.

Es war eine Ehre für mich, dass ich von FM4 nominiert wurde. Weil, wie du sagst, gab es Mel erst sehr kurz.

Das ging ja alles relativ schnell. Aufnahmen im Homestudio von Stootsie, MySpace-Seite, Konzerte, massives Airplay deines Songs “Changing” beim “FM4-Soundpark”. Wie ist es dir dabei gegangen? Das zeugt ja von einem etwas anderen Tempo als jenem, dass du bei deiner Musik ansetzt.

Haha…Das Tempo kann man oftmals nicht beeinflussen. Weder karrieretechnisch und als Songwriterin! Mir ging es unglaublich gut und es war ein unglaubliches Jahr. Komisch war es nur, weil ich zuvor für sehr lange Zeit keine Gitarre mehr in den Händen gehabt hatte. Für meine Begriffe kam ich mir unvorstellbar ungeübt vor. Zudem hatte ich ja auch keine Bühnenerfahrung. Ich wurde also regelrecht ins kalte Wasser geschmissen und musste erst lernen, meine Schüchternheit zu besiegen. Wobei mir das so ganz noch immer nicht gelungen ist.

Live zu spielen ist in letzter Zeit wieder verstärkt in den Focus gekommen. Viele Acts kommen mit Verkäufen nicht mehr auf ihre Rechnung und das Live-Geschäfts boomt Was fasziniert dich am Live Spielen? Deine Songs entstehen ja eher in einer kleinen, intimen Atmosphäre.

Für mich ist das Live-Spielen die absolute Essenz des Musikmachens. Man kann die Menschen erreichen und bekommt meistens auch etwas zurück. Auch weiß man eigentlich nie, was genau auf einen zukommt – das ist spannend! Mittlerweile versuche ich ohne Erwartungshaltungen zu einem Konzert zu fahren. Es ist egal ob der Gig nun stimmig oder weniger stimmig war. Jedes einzelne Konzert ist eine Erfahrung, die bleibt und aus der man lernt. Ich mag auch das ganze Drumherum: Die langen Autofahrten, die Orte, die man ansonsten wahrscheinlich nie im Leben gesehen hätte. Zudem trifft man immer nette Menschen.
Ich hab auch keine Angst vor bestimmten Spielsituationen. Trotzdem sind mir auch die Grenzen bewusst, die sich ergeben, wenn man die Musik macht, die wir machen. Gerade weil wir als Duo auftreten Da gibt es immer gewisse Grenzen. Es geht nicht darum, in alle Konzertsituationen hineinpassen zu müssen, sondern darum, was man machen möchte und das dann so es überzeugend und authentisch rüberzubringen.

Nach dem “FM4-Soundpark” kam ja die “FM4-Soundselection Volume 19”, wo du auch mit “Changing” vertreten bist. Laut deiner Bio wurde der Song jedoch auch bei einem in Los Angeles sitzenden Indie-Label veröffentlicht. Wie kam es denn dazu?

Ein kleines Label aus Los Angeles, 272 Records, entdeckte den Song auf MySpace und wollte ihn unbedingt auf ihrem Indie-Sampler “Akustika, Vol 11” veröffentlichen. Der Song wurde dann auch in College-Radio-Stations gespielt.
„Karrieretechnisch“ hat sich jedoch in Amerika trotzdem noch nicht viel mehr ergeben. Aber es macht sich gut im Lebenslauf!

2008 standen dann vor allem Konzerte und deine Debüt-EP “Changing” an. Der Song “Read Your Mind” enterte gleich die FM4-Charts. Hast du mit diesem Erfolg gerechnet?

Das war ganz witzig. Als ich “Read Your Mind” Stootsie zum ersten Mal vorspielte, war er sehr angetan davon. Ich hingegen war total verunsichert und dachte mir immer nur, “Read your Mind” ist eine Drei-Akkorde-B-Seiten-Nummer. Doch das, was mit dem Song dann passiert ist, hat wieder bewiesen, dass man möglichst nur seine eigenen Ansprüche erfüllen muss und nicht zu sehr nachdenken sollte.

Du warst bisher dreimal in Los Angeles und hast dort u.a. das Material zum Video “Read Your Mind” gedreht. Warum L.A.?

In Los Angeles entwickelte sich in den 1960ern eine Musikszene, die ich sehr interessant finde und die mich magisch anzieht. Musiker wie Neil Young, Carole King, Joni Mitchell, Crosby, Stills, Nash & Young, und noch viele mehr lebten zu der Zeit alle in Los Angeles. Es gab ein starkes Gemeinschaftsgefühl und jede Menge Vernetzungen. Ich habe einfach die Möglichkeit genutzt, diese Einflüsse in einem Video einzufangen. Davon ganz abgesehen: Wer würde denn nicht die Möglichkeit nutzen, in L.A. ein Video zu drehen? Es ist eine Stadt mit so vielen Gesichtern, es gibt dort phänomenales Licht und die Sonne scheint fast 365 Tage im Jahr.

Zusammen mit Stootsie habt ihr euch ja mit Orten wie Laurel Canyon, Topanga Canyon, Zuma Beach ebenso legendäre wie mystisch verklärte Plätze der 1960er/1970er-Westcoast-Szene ausgesucht. Das kommt ja nicht all Tage vor. Wie wichtig ist es für dich auch all jene Sachen zu wissen (von Tratsch und Klatsch bis hin zu Sound-Ideen und Studio-Tricks), die sich nicht alleinig aus der Musik ableiten lassen?

Musik geht mit gesellschaftlichen Phänomenen und Umstände einher. Deshalb ist dieses Wissen mit Sicherheit spannend. Ich versuche schon, alle Dinge rund um die Musik auch „mitzunehmen“. Meistens indem ich Biografien lese oder mir DVDs über Künstler anschaue, die mich faszinieren. Je umfassender die Informationen sind, desto mehr ziehen sie dich dann auch in ihren Bann. Dadurch bekommst du auch mehr Inputs und Inspirationen als wenn du dich nur um die Musik alleine kümmern würdest. Aber zu „nerdig“ gehe ich dann doch nicht an die Sache heran. Denn ich denke schon, dass Musik trotzdem etwas sehr Intuitives ist.

Aber Intuition beruht ja auf einem zuvor schon erarbeiteten Wissen. Wäre es da nicht auch mal an der Zeit “das Nerdige” positiv zu besetzen? Oder ist das für dich eher ein reines Jungsding, mit dem du aus guten Gründen nichts zu tun haben willst?

Das “Nerdige” ist positiv besetzt! Besonders im Zusammenhang mit Musik. Das ist auch gut so! Wenn man sich große Musiker anschaut, dann ist hinter deren Beweggründen, Musik zu machen, immer etwas Nerdiges und auch viel Fantum zu finden! Aber Wissen allein reicht nicht, um einen guten Song schreiben zu können mit dem man die Menschen erreicht. Es muss hier einfach mehr zusammenspielen. Das ist ja auch das Geniale an der ganzen Sache!

Du hast einen der Helden des so genannten “New Weirdo Folk”, nämlich Scott Matthew supportet. Gibt es da Gemeinsamkeiten?

Scott Matthew ist ein intensiver Sänger, der mich sofort in seinen Bann gezogen hat, als ich ihn live gesehen habe. Diese Intensität auf der Bühne möchte ich auch gerne ausstrahlen. Ansonsten sehe ich nicht wirklich prägnante Gemeinsamkeiten.

Wie ist die neue CD “Escape The Cold” entstanden?

Die neue CD ist im Homestudio, einer alten Mühle in Salzburg entstanden. Die meisten Songs habe ich auch dort geschrieben.

Hattet ihr da spezielle Aufnahmetechniken, Tricks, damit ihr einen speziellen Sound hinkriegt? In diversen Reviews werden ja immer auch Assoziationen zu Holzhütten, etc. bemüht.

Es gab keine Tricks. Ich habe das Glück, dass Stootsie seiner „stark ausgeprägten“ Sammelleidenschaft immer freien Lauf lies. Er besitzt eine unglaubliche Sammlung an Equipment und Instrumenten. Das kommt mir täglich zugute, weil er mich gottseidank damit arbeiten lässt! Und es macht schon Spaß, mit gutem Equipment zu arbeiten. Und den Unterschied hört man natürlich auch. Ich wollte das Album so natürlich und authentisch wie möglich aufnehmen, spielte die Songs deswegen ohne Click in einem Take ein. In den meisten Fällen gefällt es mir besser, wenn Songs Live vom Charakter her ähnlich sind wie auf dem Tonträger. Bestes Beispiel sind für mich die Fleet Foxes. Eine unglaubliche Liveband, die ihr Schaffen auf Platte fabelhaft umgesetzt haben.

Stootsie steuert ja einige zusätzliche Instrumente bei. Wie kann man sich das vorstellen? Geht da die Initiative von dir aus, vom ihm, oder gemeinsam? Bei einigen Tracks scheint es ja so zu sein, dass er hier spezielle Westcoast-Vorleiben ausleben kann, die im doch eher auf Brit-Pop fixierten Universum von The Seesaw nie so wirklich zu Tragen gekommen sind.

Ich könnte stundenlang über Stootsies Gabe schwärmen, sich konstruktiv in andere Projekte einzubringen. Er ist nicht nur Frontman von Seesaw und Songwriter. Die Initiative geht insofern von mir aus, weil ich ja die Songs schreibe. Aber seinen Part erledigt Stootsie ebenso in Abgeschiedenheit und Einsamkeit wie ich. Natürlich hat er völlig freie Hand. Denn wenn ich einem Musiker (und dessen Geschmackssicherheit) vertrauen kann, dann ist es er.

Ihr habt die CD dann bei Keith Blake in Los Angeles mastern lassen. Keith Blake ist Director of Engineering bei Warner Bros. Rec. und arbeitete unter anderem schon mit Künstlern wie Morissey, Neil Young, Joni Mitchell, Crosby, Stills, Nash & Young, REM, Van Dyke Parks, Randy Newman oder Tom Petty. Das klingt sehr nach genialem Masterplan. Wie es zur Idee gekommen und wie hat sich das dann abgespielt?

Gerade wenn man z.B. aus finanziellen Gründen keine perfekten Aufnahmebedingungen hat, ist ein gutes Mastering umso wichtiger. Man kann hier noch viel rausholen. Und mit dem Internet sind Transfer und Kommunikation kein Hindernis mehr und dadurch wesentlich leistbarer geworden. Mein Wunsch war es, eine Person zu finden, die zum Thema des Albums und zu meinem Geschmack passt – deshalb Californien, deshalb Keith Blake.

Im “Standard” gab es zu “Escape The Cold” ein Lobeshymne von Christian Schachinger. Er schrieb von einem “reifen Albumdebüt” und stellte dich in eine Reihe mit Sängerinnen wie Marilies Jagsch oder Paperbird und verglich dich sogar mit Alanis Morissette, wenn bei der “alles gutgegangen” wäre. Wie gehst du mit solchen Kritiken um? Erzeugen die nicht auch einen ungeheuren Erwartungsdruck?

Im Moment sind es einfach nur Lorbeeren! Ich fürchte, einen Erwartungsdruck werde ich erst spüren, wenn es schlechte Kritiken regnet! Ich glaube, man muss sich schon ein gewisses Schutzschild aufbauen und sich immer wieder auf sich selbst und den eigenen Willen konzentrieren, um den Fokus beim Songwriting nicht zu verlieren!

Was ist eigentlich das Thema bzw. die Themen des Albums? Wir haben jetzt viel über Musik gesprochen, aber noch gar nicht über die Texte.

Ich glaube das Thema des Albums wird sehr gut durch den Titel erklärt. “Escape The Cold” ist ein zweischneidiger Titel. Zum einen weil wir ja des öfteren schon dem bitterkalten Salzburger Winter entflohen und nach L.A. gereist sind. Aus diesen Beweggründen heraus habe ich z.B. “California Lights” geschrieben. Zum anderen soll der Titel aber auch das Emotinale ansprechen. Also die emotionalen Kälte einer Gesellschaft aus der man oftmals einfach entfliehen möchte.

Wie wichtig ist die dabei das Verhältnis von Text und Musik?

Mir fällt es schwer, das genau zu erklären. Ich wähle lyrisch und musikalisch den Weg der Einfachheit und Direktheit. Ich glaube, damit kann ich die Menschen am besten erreichen. Nicht unwesentlich ist dabei anscheinend meine Stimme. Das höre ich am öftesten. Das Singen macht mir ja auch sehr großen Spaß. Am liebsten würde ich in jedem meiner Songs achtstimmige Refrains einbauen! Was live dann aber leider schwierig wird, weil ich mich ja nicht klonen kann.

“Escape The Cold” klingt zuerst wie ein ideale Platte für den Frühling und den Sommer. Dennoch ist sie von einer tiefgreifenden Melancholie geprägt. Wenn wir Melancholie als eine Reaktion auf einen Verlust definieren, dem aber die Liebe zum verlorenen Objekt noch nicht abhanden gekommen ist, dann stellt sich die Frage, um welchen Verlust, um welche Verluste geht es bei dir?

Das Thema Verlust in meinen Songs hat eher etwas mit Menschen im Hier und Jetzt zu tun. Es gibt unendlich viele Themen über die man im Zusammenhang mit Verlusten schreiben kann. Das Melancholische, Nachdenkliche, Beobachtende beschäftigt mich seitdem ich denken kann. Ich machte rein interessenshalber auch eine Ausbildung im psychosozialen Bereich und konnte in der Zeit sehr viel über soziologische und psychologische Dinge lernen. Das war eine ganz lehrreiche und inspirierende Zeit zum Songs schreiben. Über den direkten Sinn eines spezifischen Songs rede ich aber nicht gern. Ich finde, dann verlieren die Songs den Zauber. Ich mache ja auch deshalb Musik, weil ich eine schlechte, eine furchtbare Rednerin bin!

Deine Affinität zu den Sixties hat aber auch dunklere Färbungen. Wie kommen die da rein?

Mit rosa Brillen, blauen Himmeln und blumigen Leben kann ich sowieso nichts anfangen – außer auf meinen Kleidern. Die Sixties faszinieren mich eher, weil musikalisch so viel Neues passiert ist bzw. weil ich viele Musiker aus der Zeit einfach gut finde. Und die dunkleren Färbungen waren auch zu der Zeit da – man betrachte das Leben und die daraus resultierenden Songs einer Joni Mitchell oder Carole King. Wo Licht ist, ist auch Schatten und retrospektiv betrachtet hatten die Sixties viele Schattenseiten, was teilweise aber erst später zu spüren war.

Ist Neil Young auch deshalb für dich so wichtig?

Neil Young fasziniert mich als Musiker und als Ego. Seine Musik fasziniert mich, weil sie weit weg vom Perfekten ist. Das macht sie auch so spannend. Wenn man den mittlerweile auch schon in die Jahre gekommenen Typen live an seiner Stromgitarre miterlebt, bläst es einem das Hirn weg. Er besitzt eine große Kraft und Intensität. Mir gefällt auch das Sture bei ihm. Denn wäre er das nicht, wäre er an bestimmten Tiefpunkten seiner Karriere einfach zerbrochen. Oder er hätte erst gar nicht zu Singen begonnen, denn es ist ihm bekanntlich in seinen Anfängen geraten worden, am besten das Gesangsmikro nie wieder in seine Hände zu nehmen.

Welche Bedeutung haben der Ozean und die Wüste für dich (für deine Songs)? Das sind beides ja auch so Sehnsuchtsorte. Andererseits kann man von dort auch manchmal nie wieder zurückkehren, weil man einfach verschwindet.

Beides sind Orte mit einer magischen Anziehungskraft. Wahrscheinlich weil wir “zivilisationskranke” Menschen hier der Natur viel mehr “ausgeliefert” sind als an den meisten anderen Orten. Und somit betrachten wir den Ozean sowie die Wüste mit einer bestimmten Ambivalenz. Zum einen die Freiheit und vollkommene Ruhe im Einklang mit der Natur, zum anderen aber auch das “Ausgeliefert” sein, das Ungewisse und Gefährliche. Für meine Songs sehe ich diese Orte als große Inspirationsquellen. Jetzt nicht unbedingt als Thema, sondern eher als Rückzugsort zum Grübeln und Loslassen.

Das Video zu “Be Honest” entstand erneut in Los Angeles. Nun aber unter “professionelleren” Bedingungen. Wie kam es dazu?

Edwin Steinitz, der Regisseur, ist Stootsies Bruder. Er arbeitet seit 13 Jahren in Amerika als Filmcutter und hat auch schon Viedeos für die Editors und einige HipHop-Acts gemacht. Als wir im Jänner 2010 bei ihm waren, hatte er zufällig ein paar freie Tage zur Verfügung. Es bot sich somit perfekt an, das Zepter jemandem zu übergeben, der Erfahrung und das entsprechende Werkzeug besitzt.

Während “Changing” noch im Eigenvertrieb erschien, gibt es nun bei “Escape The Cold” mit Hoanzl einen Vertriebspartner. Wie kam es dazu und was sind die Erwartungshaltungen?

Nachdem ich auf “Changing” so viel positives Feedback bekommen habe und die CDs über MySpace und den FM4-Soundpark gut verkaufen konnte, war es für uns ganz klar, dass der nächste Schritt ein Vertrieb sein muss, damit die CD auch in den Läden erhältlich ist.
Ich habe eigentlich überhaupt keine Erwartungshaltung. Denn wenn die zu hoch sind, wird man oft enttäuscht.

In den letzten Jahren gibt es in Österreich einen regelrechten Boom an Singer/Songwritern beiderlei Geschlechts. Siehst du dich da als Teil eines Trends?

Wie bereits zuvor erwähnt, hat der schnelle (kleine) Erfolg sicher damit zu tun, dass sensible Frauen an der Gitarre zur Zeit noch sehr modern sind. Das Schwierige wird für mich werden, das Trendige durch Beständigkeit zu ersetzten. Was aber nicht heißt, dass ich mich nicht in irgendeiner Form musikalisch noch entwickeln und ausprobieren möchte. Mich beeindrucken Künstler wie Robert Rotifer, der schon etwas länger in der Szene ist, mit seiner Musik Beständigkeit beweist und macht, was er für richtig hält.
Auch die Szene in Deutschland, speziell die Hamburger Schule fasziniert mich. Das sind Musiker, die seit den 1990ern präsent und im eigenen Land erfolgreich sind. Dementsprechend werden sie gefeiert.
Das gibt es in dieser Form in Österreich weniger. Was ich sehr betrauere und was mir natürlich auch Angst macht. Denn wo sehe ich mich in 10 Jahren? Wenn wir uns ehrlich sind, wären wir alle ohne FM4 „Nackerpazerln“. Was es jedoch auch schwieriger macht, weil man muss alles auf eine Karten setzten. Und wenn es bei FM4 nicht klappt, dann sieht es eher mager aus, seine Kunst unters Volk bringen zu können.

Was hältst du von den Entwicklungen innerhalb der österreichischen Musik-Szene? Die Herkunft ist mittlerweile ja kein Hinderungsgrund mehr auch im Ausland bekannt zu werden und dort Erfolge zu haben?

Es gibt definitiv gute Musik in Österreich und eigentlich kann man die beschauliche Größe unseres Landes äußerst positiv sehen. Ich bin ein großer Fan von Acts wie Velojet, Pieter Gabriel, Martin Klein, Jonas Goldbaum, den Jaybirds, Freud, den Staggers, Norb Payr. Selbst in Salzburg gibt es tolle Bands wie die Steaming Satellites, Olymique, Koexx, The More or the Less, Plastotype, Drumfree, The Helmut Bergers, usw.
Teilweise vermisse ich aber den Zusammenhalt und die gegenseitige Unterstützung. An schlechten Tagen bezeichne ich es als Lethargie der Österreicher. Aber wenn man das Erfolgreich-Sein beim Musikmachen in den Vordergrund stellt, dann wird dir definitiv nirgendwo etwas geschenkt.

Ist eigentlich eine Tour geplant?

Eine klassische Österreich-Tour ist nicht geplant. Aber ich möchte in diesem Jahr schon zumindest einmal in jedem Bundesland ein Konzert spielen.

Wie sieht es mit mel ausserhalb von Österreich aus?

Der Wunsch, es im Ausland zu probieren, war schon lange da, bevor ich den ersten Song für “Escape the Cold aufgenommen habe. Wahrscheinlich dadurch, weil bereits mit der EP einige Leute aus Deutschland und der Schweiz auf uns aufmerksam wurden. Außerdem muss ich gestehen, dass ich noch nie in Hamburg, Köln oder Berlin war – und jetzt endlich unbedingt mal diese drei Städte sehen möchte! In Verbindung mit Live-Konzerten wäre das natürlich genial.
Die deutschen Radiosender wurden bereits mit mel-CDs versorgt. Nun wird es an der Zeit, eine nette, innovative Booking-Agentur zu finden, die uns Konzerte in Germany und der Schweiz verschafft.

Hast du den Traum von deiner Musik leben zu können, oder siehst du das eher pragmatisch?

Im Moment bin ich schon sehr zufrieden. Ich habe meinen Halbtagsjob im Musikshop und nebenbei noch genug Zeit zum Musizieren.
Auch respektiert es mein Arbeitgeber, dass ich aufgrund des Musikmachens flexibel sein muss. Das heißt, er stellt mir nichts in den Weg, wenn ich spontan zwei Tage nicht kommen kann, weil sich Konzerte ergeben haben. Das ist schon mal sehr viel wert, zumal mir die Arbeit auch wirklich Spaß macht. Aber ich würde mich auch nicht wehren, wenn es in den nächsten Jahren so gut läuft, dass ich von der Musik leben kann. Wer würde da schon nein sagen?
Aber letztendlich habe ich jetzt mal viel mehr den Traum, als Musikerin noch einige Abenteuer zu erleben: so viele Konzerte wie möglich zu spielen, wie ein Vagabund durchs Ausland touren, usw. Es ist schön, wenn die Musik nicht zum Alltag wird und etwas besonderes und aufregendes bleibt und man nicht den Druck spürt ausschließlich davon leben müsste.

Danke für das Interview.

Nächste Konzerte:
10. Juni Support von Kate Nash im Rockhouse Salzburg
26. Juni Am Berner in Bad Waltersdorf

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