mica-Interview mit Martin Grubinger

„Die Perkussion ist das Instrument des 21. Jahrhunderts“. Anhängern sowohl der Neuen Musik als auch des Jazz und der „Weltmusik“-Improvisation ist der junge Schlagzeuger Martin Grubinger längst kein Unbekannter mehr. Kürzlich hat er bei der Deutschen Grammophon (DG) ein bemerkenswertes Debut-Album vorgelegt. Heinz Rögl wurde von Universal-Music eingeladen, mit dem Weltklasse-Schlagzeuger ein Interview zu führen. Zum Zweck der Promotion seiner CD wurde Grubinger dafür ein Zimmer in einem repräsentativen Hotel am Ring („Imperial“) zur Verfügung gestellt. Martin Grubinger erwies sich im Gespräch als engagiert und sehr offen. Ganz besonders auch für die Neue Musik – und für gesellschaftliches Engagement.

1983 in Salzburg geboren, hat Grubinger die Liebe zum Schlagzeugspiel schon als Kind entdeckt. Ersten Unterricht erhielt er vom Vater, früh gewann er internationale Wettbewerbe, auch einen Marimba-Wettbewerb. Kürzlich spielte er mit dem RSO Wien eine neue Komposition seines philharmonischen Kollegen Bruno Hartl, das „Konzert für Marimbaphon, vier Pauken, Percussion und Orchester“. Weitere Auftritte: „Showdown at Vienna Musikverein“, damit erregte er 2006 internationales Aufsehen, ein Latin-Projekt bei „glatt + verkehrt“ 2008, ein Doppelkonzert für Violine, Percussion und Orchester von Christian Muthspiel, aber auch Friedrich Cerhas „Concerto für Perkussion und Orchester“ (UA 2009 mit der Deutschen Radio Philharmonie unter HK Gruber in Leipzig). Die Reihe des Einsatzes für zeitgenössische Musik lässt sich (wird sich) fortsetzen (lassen).

„Drums ‚n’ Chant“, sein bemerkenswertes Debüt-Album bei „Deutsche Grammophon“ kommt Mitte Oktober auf den Markt und wird zweifellos ein großer Erfolg werden. Das ist gregorianischer Gesang, komplett umhüllt von Perkussion jedweden Instrumentariums. In monatelanger Auseinandersetzung entstanden um diese Gregorianik herum von Martin Grubinger und seinen Kollegen, nicht nur Perkussionisten, völlig neue Kompositionen mit durchaus vielfältiger Stilistik. Nach zweimaligem ersten Hören der Presse-CD hier der hundertprozentige Tipp, sie sich nicht entgehen zu lassen. Man taucht in unterschiedlichste Klangwelten ein, einmal meditative, dann wieder dramatische – jeder und jede wird die eigenen „Favoriten“ für sich entdecken. Das kann einmal türkischer Gesang sein, dann wieder afrikanische Trommeln, auch eine (Berliner) philharmonische Oboe oder Flügelhorn und Trompete. Die Messtexte und Proprien, gesungen vom Mönchschor einer Benediktinerabtei, werden so zu einer Liturgie aller Weltreligionen und – des Lebens.

Martin Grubinger – am Anfang selber skeptisch – hörte sich in diesen gregorianischen Gesang immer mehr ein und dann setzten sich auch seine mitwirkenden Kollegen mit den berühmten Aufnahmen des Chores der Mönche des Benediktinerstifts Münsterschwarzach für „Archiv Produktion“ intensiv auseinander.  Die eingeladenen Musiker, außer Grubinger sieben weitere Perkussionisten wie Martin Grubinger sen. – darunter auch der afrikanische Perkussionist Louis Sanou – , weiters der Oboist der Berliner Philharmoniker Albrecht Mayer, der Flügelhornist und Trompeter Josef Burchartz, ein Ney-Spieler und ein türkischer Sänger, ein Elektrobassist und ein Fender Rhodes-Musiker sangen die Melodien gemeinsam auch selbst. In mehreren Aufnahmeverfahren wurden dann ihre subtilen Kompositionen in 12 Tracks Schicht um Schicht über den Gesang der Mönche gelegt. „Vielleicht“, so Martin Grubinger, „ist dieses Projekt so faszinierend, weil Gesang und Perkussion einander an sich überhaupt nicht ähnlich sind. Perkussion basiert auf Rhythmus und Metrum mit vielen klanglichen und farblichen Möglichkeiten, während Gesang auf dem Text basiert, der von einer einzelnen Stimme vorgetragen wird, und äußerst spirituell und lyrisch ist. Letztendlich hoffen wir, dass die Zuhörer Freunde haben an den verschiedenen Traditionen und Kulturen, die wir zusammengeführt haben: unterschiedliche Stile, unterschiedliche Bedeutung, unterschiedliche Systeme.“

Heinz Rögl: „Drums’n’Chant“ war ursprünglich eine Idee, die ihnen DG-Produzent Christian Leins am Rande der Salzburger Festspiele 2009 vorgeschlagen hat. Sie haben sich damit sehr lange Zeit auseinandergesetzt, auch mit dem auf den gregorianischen Gesang konzentrierten Gelehrten Pater Rhabanus, der sich letztlich Neuem, einem „echten Dialog zwischen Gesang und Perkussion“ als sehr aufgeschlossen erwies und zu etwas „ganz Neuen“ ermutigte. Sie müssen mir jetzt auf die Sprünge helfen, wo liegt eigentlich Münsterschwarzach?

Martin Grubinger: Das ist zwischen Nürnberg und Würzburg, vielleicht vierzig Minuten Fahrzeit von Nürnberg aus.

Die Mönche des dortigen Klosters singen gregorianische Gesänge bei ihren Gottesdiensten und Gebeten und haben diese auch erfolgreich veröffentlicht. Seit einigen Jahren ist das ja fast ein „Boom“ – es gibt auch in Österreich berühmte Stiftschöre …

… Heiligenkreuz.

Für den Hörer – aller Spezies der Musik – sind Ihre Aufnahmen auf der neuen CD zunächst vielleicht gewöhnungsbedürftig, aber dann im Nu sehr faszinierend. Es klingt über weite Strecken durchaus meditativ – in großer stilistischer Vielfalt – dann aber zwischendurch wieder fast eruptiv. Ich kann sagen, schon nach einmaligem Anhören …

(lacht) … einmal und nie wie wieder? …

… gefällt es mir sehr.

Sie haben das sehr schön beschrieben … Sie haben recht, ich habe mich am Anfang auch schwer getan. Ich glaube, dass man sich in die CD vielleicht ein bisschen einhören muss. Ich glaube auch, dass nicht unbedingt alle Titel jedermanns Sache sein müssen. Man wird sich seine Sachen rausziehen, die man gerne hört. Manche lässt man vielleicht für immer oder für längere Zeit liegen. Warum ich mich am Anfang schwer getan habe? – Weil ich diese religiösen Dinge immer mit tagespolitischen Themen verbunden habe, die ich mit katholischer Kirche sonst so assoziiere. Sogar beim Hören habe ich auch an die Missbrauchsfälle gedacht oder wie die katholische Kirche mit Frauen umgeht und so weiter und so fort. Erst mit der Zeit habe ich verstanden, dass ich anfangen muss, das zu trennen.

Das kann man ja.

Das kann man, das sollte man können.  Ich bin in diese Musik hineingekommen. Und wenn man etwa den ganzen Tag Rihm probt und am Abend nach Hause kommt und diese Musik einlegt, bekommt das mit der Zeit einen echten Kontrapunkt. Ich habe mich da hineingearbeitet, die Texte übersetzt, die Notation analysiert. Das Nachsingen – mit den Kollegen – hat vielleicht  schrecklich geklungen, aber wir haben es immerhin probiert. Wir haben rhythmische Schablonen darunter gesetzt, Click-Tracks dazu angefertigt. – Kurz gesagt, es ging uns darum einen Querschnitt aus verschiedenen Stilrichtungen zusammenzustellen – um das Multikulturelle der Perkussion dem Multikulturellen, das die Kirche als Weltkirche darstellt gegenüberzustellen. Die katholische Kirche hat ja in Afrika –das bestätigen mir meine afrikanischen Trommler, mit denen ich zusammenarbeite immer wieder – einen ganz anderen Stellenwert als bei uns.

Und in manchen Stücken gibt es ja auch westafrikanische Doundouns, „Djembe“ (Bechertrommel), Balafon (den Urahn der Stabspiele),  „Talking drum“ (Tama Sprechtrommel) „Congas“, dann aber auch „chimes“ (Metallspiel), „cajón“ (peruanische Kistentrommel), afro-brasilianischer Agogô, sodann (persisch-arabisch-türkische) Ney und türkischer Gesang, Bhodrán (irische Rahmentrommel) und Riq  (arabisches Tamburin), Darabukka (arabische Trommel), auch die Marschbandtrommel Tom Tom, kubanische Bongos  … Das sind noch gar nicht alle. Das ist der Querschnitt. Und man kommt ja auch dazu sagen zu können: Alle Religionen haben etwas miteinander zu tun, decken ein Bedürfnis ab. Und gute Musik auch –etwa Haydns „Schöpfung“.

Ja, die ist unglaublich. Und man muss nicht bei einer Kirche dabei sein – die Mönche drücken mit gregorianischer Musik etwas spirituell aus, aber auch die afrikanischen Trommler machen eine spirituelle Erfahrung, wenn sie sich in Trance hineinspielen und wir, wenn wir das hören. Und beim türkischen Sänger, beim Ney-Spieler, beim Oboisten, beim Trommler, beim Flügelhornisten ist immer bei dem was er macht etwas Spirituelles dabei  – ganz losgelöst von irgendwelchen Religionen oder gar von dogmatischen Überzeugungen, die ich sowieso nicht mehr hören kann. Ob die „Schöpfung“ oder Iannis Xenakis’ „Persephassa“, das ist völlig losgelöst von irgendwelchen Dingen, die mir der Vatikan da alle erzählen will …

Wie sind Sie – aufgewachsen in einer musikalischen Familie – eigentlich zum Trommeln gekommen?

Da war natürlich mein Vater …

… selber ein anerkannter Schlagwerker, Lehrer und Ensembleleiter… und Ihre Begabung! Aber wie sind sie so berühmt geworden?

Das frag ich mich selber, das ist eine gute Frage! Wissen Sie, ich glaube das liegt ein bisschen am Instrument.

Der Perkussion?

Ja. Ein Instrument das jetzt gerade so am Durchbruch ist. Ein Instrument, das sehr viel mit dem 21. Jahrhundert assoziiert wird, mit unserer Lebensweise. Perkussion ist in so vielen Bereichen glaubwürdig und präsent. Nehmen wir Funk, Fusion, Pop, Rock, Salsa, Tango, Samba, afrikanische Musik, zeitgenössische Musik. Zeitgenössische Komponisten setzen stark auf Perkussion, weil sie die Klangsprache erweitern kann. Jeden zweiten, dritten Monat treten neue Perkussionsinstrumente auf, weil es ein wahnsinnig vielseitiges, ein ganzkörperliches Instrument ist.

Das hat Sie schon in frühester Jugend fasziniert?

Das hat mich auch besonders fasziniert.

Und jede Musik, gleich welcher Genres? Sie waren wahrscheinlich auch kein reiner „Klassikfreak“?

Nein. Natürlich ist die zeitgenössische Musik sozusagen mein zentraler Bestandteil, warum ich in den Musikverein oder ins Konzerthaus eingeladen werde. Man kann in einem Schlagzeugkonzert Xenakis spielen, Rihm spielen, Stockhausen. und dann spielt man Piazolla, dann eine Fusion-Nummer, dann macht man Punk …

Man kann „quer durch“ …

… und bleibt immer glaubwürdig.

Es gibt den alten Spruch von „guter“ und/oder „schlechter“ Musik. Es gibt aber auch Musik, bei der man zuhören muss, auf die man sich voll konzentriert, die man verinnerlicht  so tief es nur geht… und dann auch Musik zum Tanzen, oder auch was Meditatives, wo ich an ganz etwas Anderes denke.

Absolut, ich sehe das ganz genau so. Bei Klassik oder Neuer Musik – da muss man zuhören. Ich komme gerade von einem Xenakis-Konzert, da haben wir den ganzen Abend Xenakis gemacht.

Was denn?

„Okho“ [(für 3 Djembé-Spieler, 1989], „Persephassa“ [1969] und im zweiten Teil die „Pleiades“ [1978]. Mit diesem Programm kommen wir nächste Saison auch ins Konzerthaus. Und: Wenn Xenakis bei „Persephassa“ diese Unruhen, diese bürgerkriegsähnlichen Zustände in Athen darstellt, wenn die Leute mit Steinen werfen, die Massen sich durch die Gassen zwängen …

… er hat das ja auch selbst erlebt …

… so ist es. Dann entsteht Emotion. Das ist hochkomplexe konzeptionelle Musik, die mit mathematischen Formeln ausgerechnet wurde, aber die hat auch einen politisch-gesellschaftlichen  Hintergrund. Wenn die Sirene losgeht, die Rettung kommt, die sogenannten Führer der Bewegung halten Brandreden…  Xenakis hat da eine Augenverletzung erlitten. Ich glaube, das ist der Zugang zu zeitgenössischer Musik: Dass wir Emotionen vermitteln müssen. Und ich bin völlig überzeugt, dass immer mehr Menschen zeitgenössische Musik hören werden wollen. Es laufen heute noch Intendanten herum, die glauben –zeitgenössische Musik ist doch nur etwas für die 250 ewiggleichen Leute. Ich glaube dagegen, dass heute besonders auch die jüngere Generation, auf die es ja ankommt, beim Publikum von morgen, auf neue musikalische Reisen mitgenommen werden will, Neues entdecken will. Da kann man doch den einen oder anderen Fehlschlag auch in Kauf nehmen.

Vielleicht auch neue Konzertformen?

Was wir derzeit in Köln machen, ist eine „Guerilla-Aktion“. Wir gehen mit Xenakis in den Supermarkt, in eine Ford-Fabrik, wir gehen natürlich auch in den Konzertsaal. Aber es soll ein gesamtheitliches Erlebnis auf hohem Niveau sein. – Man sagt immer, zeitgenössische Musik sei so schwer zu verstehen. Aber das liegt nicht am Publikum, es liegt an uns Musikern wenn wir nicht in der Lage sind, neue Musik mit Emotion zu transportieren. Es heißt immer, Mozart „interpretiert“ man, die zeitgenössische Musik „realisiert“ man. Und das ist falsch.

Friedrich Cerha konnte Pierre Boulez überzeugen, dass man Webern letztlich auch mit emotionellem Engagement und Espressivo spielen muss. Es gibt nicht nur die Strukturen, sondern auch sinnliche Komponenten.

Weil sie Cerha ansprechen, sein Concerto für Perkussion und Orchester habe ich uraufgeführt …

… im Februar 2009 in Leipzig!

Jaaa! Aus meiner Sicht ein Meisterwerk. Ich darf es nächstes Jahr im Konzerthaus mit den Philharmonikern spielen und darauf freue ich mich. Wissen Sie, wenn ich Cerha spiele, dann habe ich im Hintergrund einen Komponisten, der aus der Wehrmacht desertiert ist, der im Widerstand war, der gegen viele unglaublich klingende Widerstände hat kämpfen müssen, der sich über Jahrzehnte für seine Werke und die Musik seiner Freunde, an die er geglaubt hat, eingesetzt hat, der aber nie zynisch geworden ist, der ein unheimlich liebenswerter Mensch ist, der jetzt in seinem Alter immer noch wahnsinnig produktiv ist. Wenn man das als Interpret im Hinterkopf hat, dann spielt man das Zeug auch anders. Ich habe es jetzt in Flensburg beim Schleswig-Holstein-Musikfestival gespielt. Und Flensburg ist keine Adresse, wo die Leute jeden Tag zeitgenössische Musik zu hören bekommen. Es war unglaublich. Die Leute sind beim Cerha von den Sesseln aufgestanden. Und ich versteh auch wieso. Weil diese Musik eine unheimliche Leidenschaft hat. Ich habe viele Schlagzeugkonzerte jetzt in Auftrag gegeben, aber das von Cerha ist ein echtes Meisterwerk.

Was gibt es sonst noch? Sie sind ein Salzburger. Was ist an der Musik von in Österreich tätigen Komponistinnen und Komponisten für Sie was Interessantes? Christian Muthspiel hat zum Beispiel mit Ihnen etwas gemacht.

Genau. Der Heinz Karl Gruber macht etwas, die Uraufführung ist m Herbst 2012 im Konzerthaus, es ist so, dass ich – ja wie soll ich sagen – es gibt hier diese starke und  gute Komponistenszene. Olga Neuwirth, Cerha, Gruber, Staud … helfen S’ ma weiter…

… wie sie alle heißen …

und es ist eine Komponistenszene, die extrem stark und kreativ ist, viele Einfälle hat, auch die Jungen, die nachkommen. Da sind wahnsinnig gute Ideen dabei. Auf der anderen Seite sehe ich – ich spiele jetzt gerade mit dem norwegischen Orchester Bergen Philharmonic eine große Tournee und die kommen zu mir und sagen, wir möchten gerne einen zeitgenössischen norwegischen Komponisten auf diese Tour mitnehmen. Weil wir erstens unsere Leute unterstützen möchten und zweitens der Staat das auch fördert. Ich schaue nach Österreich. Was seh’ ich? Dass das in der Hinsicht nicht so ist. Es besteht von den Orchestern keine sehr große Bereitschaft.

Na ja. In Österreich selbst vielleicht schon. Und bei Auslandstourneen? Ich versuche das ein bisschen zu verstehen. Die österreichische Szene ist schon seit dreißig Jahren ein bisschen anders, als die skandinavische etwa, die englische. Und wenn das Klangforum – sehr wohl auch mit österreichischen Kompositionen – irgendwohin eine Tournee macht, überlegen die manchmal und meinen, wir können das oder das dort nicht spielen, weil es zu schräg und kompromisslos ist oder so. Während es hier das im Konzerthaus ausabonnierte Klangforum gibt und auch andere Ensembles, wo das Publikum hier auf alles neugierig ist und auch zuhört. Bei uns waren die Komponisten vielleicht auch ein bisschen widerständiger – die wollten nicht das „Schöne“, Eingängige machen, sie wollten nicht populistische, sondern auch schwierige Musik machen. Die vielleicht im ferneren Ausland – etwa in England – noch nicht ankommt.

Aber wissen Sie, ich werfe es auch ein bisschen der Institution vor. Wieso könnte man nicht verlangen, die Wiener Philharmoniker – unser Flaggschiff – bringen ein, zweimal pro Jahr auf ihren Tourneen einen zeitgenössischen österreichischen Komponisten. Zum Beispiel wollte die Philharmonie in Köln den Cerha, den wir machen, nach Köln bringen Das war leider nicht möglich. Ich denke, dass zum Beispiel das Ministerium, die Kunstministerin stärker, offensiver vorgehen könnte. Wir könnten unsere Komponisten mit gar nicht viel Aufwand unterstützen. Man könnte sagen, gut, wir leisten einen Beitrag wenn Orchester A oder B auf Tournee geht und das spielt. Oder man könnte sagen, hört zu, wir sind Subventionsgeber, aber wir knüpfen unsere Subvention an die Bedingung, dass ihr zeitgenössische neue Musik auf Tournee mitnehmt. Weil dann bringt ihr unsere Komponisten international voran, die werden international gespielt und nachgespielt – es multipliziert sich.

Unseren letzten Staatsoperndirektor hätte man schon früher aus dem Vertrag nehmen können, weil er kaum Uraufführungen spielte.

Wir alle müssen einen Druck ausüben – im positiven Sinne – der auch die Dirigenten, die jungen Dirigenten, die Institutionen, die Intendanten dazu bringt, dass zeitgenössische Musik unbedingt dabei sein muss. Auf den Tourneen, in den Konzerthäusern, in den Programmen. Weil das Publikum das auch durchaus fordert.

Bei uns hat das Radio-Symphonieorchester, wie Sie ja wissen, ums Überleben kämpfen müssen. Das ist ein Spitzenorchester, das mit internationalen Rundfunkorchestern auf einer Ebene, in einer Spielklasse spielt und das die Hauptlast Neuer Musik trägt. Wenn die Philharmoniker dann irgendwann in Salzburg einen guten Nono spielen, sind die eh happy.

Und wieso nicht auch auf Tourneen? Die Norweger tun das.

Und die haben auch ein sehr gutes Ausbildungssystem. Letzte Frage: Wir reden jetzt nicht davon, dass sie eine Talkshow mitgestalten. Aber Sie sind politisch durchaus engagiert. Ich habe im Web die Meldung gefunden, dass sie Anfang des Jahres das Kärnten-Konzert mit dem Birminghamer Symphonieorchester beim Carinthischen Sommer absagten – aus Protest gegen die Wiedervereinigung des BZÖ Kärnten mit der FPÖ Straches. [„Dass sich das BZÖ in Kärnten mit jemandem zusammentut, der (…) in Wien – davon müssen wir ausgehen – die unterste Schublade auspacken wird, war für mich der ausschlaggebende Punkt zu sagen: So, das war´s. In diesem Bundesland erst wieder, wenn dort ein Klima herrscht, das sich auch dem Multikulturellen (…) wieder verbunden fühlt.“] Der Intendant  Thomas Daniel Schlee zeigte sich enttäuscht, es würden die Falschen bestraft …

… der war bös. Wissen Sie, ich akzeptiere beide Standpunkte. Wenn jemand sagt ich geh dort hin und äußere im Konzert meine Meinung und zeige dort Flagge, dann ist das auch ok. Was mich einfach stört und womit ich nicht klarkomme ist, dass wir dort ein Bundesland haben, wo zusammengerechnet 50 % rechtsextreme, antisemitische, rassistische Parteien gewählt haben.  Dort herrscht ein Klima, wo Asylwerber auf irgendeine Alm weggesperrt werden, wo Politiker Verfassungsgesetze nicht umsetzen, wo scheinbar Korruption an der Tagesordnung war, wo offen gegen Juden, Slowenen, Muslime gehetzt wurde usw. Ich will aber in einem Land leben, das sich den humanistischen Grundprinzipien verschreibt –Multikulturalität, Chancengleichheit, Gerechtigkeit, Freiheit. Das habe ich dort nicht gesehen.

Das heißt: Ein Musiker kann nicht blind sagen, ich mache jetzt schöne Musik, er muss sich auch gesellschaftlich engagieren?  

Das ist eine gute Frage. Ich mache zum Beispiel Workshops mit Migranten, mit sozial benachteiligten Kids, zum Beispiel in Hamburg-Harburg – einem Brennpunkt von einstigen 9/11-Attentätern, da haben einige dort studiert. Dort haben wir einen 4-tägigen Workshop gemacht, mit afrikanischen Trommlern, mit Südamerikanern und so fort. Ich habe gemerkt wie dort mehr und mehr ein Zusammenwachsen stattfindet. Wo sich die Kinder nicht mehr gefragt haben, woher kommst du, was hast du für eine Religion, wie schaust du aus, sondern – wir machen gemeinsam Musik. Und: Es geht nicht nur um gemeinsame Sprache, sondern auch um Musik, wir müssen Musik viel mehr auch in den Unterricht verankern. Die Musik gibt uns die Möglichkeit, auch in dieser Hinsicht pädagogisch zu wirken. Denn über die Musik entsteht ja auch eine Bewunderung für andere Traditionen und  Respekt vor den anderen. Wenn ich mit meinen Freunden aus Afrika in die Schulen hineingehe, dann entsteht da Bewunderung. Und da kommt der Heinz Christian Strache und sagt diese Leute sind kriminell, die müssen wir abschieben? Da dreht sich bei den Kindern was um: Ich habe mit Schlagzeugern aus Burkina Faso etwas ganz anderes erlebt, als das was mir der Strache da verklickern will. Wenn wir Musik von hochpolitischen Menschen wie Mozart oder Beethoven machen, dann können wir doch nicht sagen, interessiert uns nicht. Es kommen immer wieder so viele die sagen: Äußere dich nicht politisch, das schadet nur deiner Karriere, du verkaufst weniger CDs, es kommen weniger Leute ins Konzert, du wirst angefeindet, es gibt weniger Veranstalter die dich engagieren … Ok, wenn das der Preis ist, dann nehme ich den in Kauf. Aber einfach nur …

Können Sie bei Universal machen was Sie wollen?

Absolut! Und ich hoffe, dass auch eine jüngere Generation, die unsere CDs kauft ausdrücklich  von uns verlangt, dass wir uns nicht immer nur wegdrücken. Dass man gegen ein Plakat „Stop der Überfremdung“ gnadenlos und mit absoluter Überzeugung auftritt.

Es scheint sich jetzt eine neue Generation von Jugendlichen zu entwickeln … meine Tochter hörte nie „Techno“ und so, aber sie fährt auf Rock-Festivals und die Musik die sie hört, gefällt mir auch, weil sie an die 70er Jahre erinnert …

Und wissen Sie, die Rockmusiker sind meist viel stärker engagiert als wir eher im klassischen BereichTätigen. Bob Geldof, Phil Collins und wie sie alle heißen … Wieso sollten wir klassischen Musiker uns immer in die Büsch’ haun?

Letzte Frage: Eigentlich sind Sie ja Thalgauer. Wie halten Sie das Tempo das Sie haben durch und die vielen Aktivitäten, das ständige Unterwegs-Sein?    

(Lacht). Na ja … sporteln, Rad fahren, Chi Gong, dann natürlich Fußball, das ist meine Leidenschaft – san Sie Fußballfan?

Gelegentlich.

Grün-weiß oder violett?

Ich bin oder war eher grün-weiß. Wann Weltmeisterschaft ist, schau ich mir manchmal alle drei Spiele an einem Abend an.

Für wen waren Sie?

Spanien.

Ah, ich war für Deutschland …

Die Deutschen waren diesmal eine sehr gute und junge Mannschaft. Italien und Frankreich waren ja ….

.. eine Katastrophe. Die Spanier haben aber verdient gewonnen.

Lieber Martin Grubinger, ich bedanke mich herzlich für das Gespräch.

http://www.martingrubinger.at
http://www.zeit.de/kultur/2010-08/martin-grubinger
http://www.universalmusic.at/pop/whatsnew/news
http://www.deutschegrammophon.com/