mica-Interview mit Markus Hinterhäuser

Kein Geld, keine Lehrer und keine freien Stellen – Markus Hinterhäuser, seines Zeichens Konzertchef der Salzburger Festspiele, über das Grundnahrungsmittel Musik, Identitätsaufgabe und lasche Politik. Das Interview führte Markus Deisenberger.

Den Geist, den Daniel Barenboim mit seinem überaus erfolgreichen westöstlichen Diwan nach Salzburg brachte, wird heuer das Bolivar Youth Orchestra fortführen. Ist das nicht eine riesige Chance, dass politische Botschaften Eingang in die musikalische Rezeption finden?
Wenn das von der Politik als Riesenchance gesehen würde, wenn ein Bewusstsein dafür entstehen würde, was man da alles machen kann, wäre das sehr schön. Das Bolivar Youth Orchestra und die ganze Bewegung, die ja viel weiter geht als es der reine Orchesterbetrieb vermuten ließe, wurden vom Wirtschaftsprofessor José Antonio Abreu ins Leben gerufen, der auch Träger des alternativen Nobelpreises ist.

Neulich war in der Zeitung zu lesen, dass über 1.000 Kinder darauf warten, im Musikum aufgenommen zu werden, weil es kein Geld, keine Lehrer und keine freien Stellen gibt, die man bezahlen könnte. Das Bedürfnis scheint also da zu sein, nur die Möglichkeiten sind nicht da, weil sie vielleicht auch gar nicht mehr als so wesentlich angesehen werden. In einem Land wie Venezuela, in dem es so etwas wie die Festspiele, die Staatsoper, das Burgtheater oder andere identitätsstiftenden Hochtempel und Strukturen nicht gibt, gelingt es jemandem wie Abreu, 250.000 Kinder mit Musikunterricht, Instrumenten und Orchesterspiel zu versorgen.

Das also, was eine selbst ernannte Kulturnation wie Österreich längst nicht mehr schafft, ist woanders möglich. Wir haben uns wirklich zu fragen, was es bedeutet, dass etwas Derartiges hier nicht mehr in Anspruch genommen wird, sondern man sich darauf verlässt, dass es da ohnedies die großen Dampfer gibt, die Kultur in die Welt hinaus transportieren. Wir haben uns zu fragen, ob das ausreicht oder wir nicht Gefahr laufen, einen Riesenteil unserer Identität aufzugeben. Ich hoffe und ich wünsche mir, dass die Präsenz eines solchen Orchesters, eines solchen Organismus auch zum Nachdenken über unsere Situation anregt. Ich bin zwar nicht wahnsinnig optimistisch, aber wenn man´s nicht versuchen würde, wäre es noch schlimmer.

Ist diese Situation nicht umso skurriler, als Österreich die Unesco-Konvention, die das Recht auf Musik vorsieht, ratifiziert hat?
Österreich hat auch das Kyoto-Abkommen zum Klimaschutz ratifiziert. Ratifizieren kann man schnell einmal etwas. Es wird aber einfach nichts mehr getan. Das muss man einmal in aller Deutlichkeit sagen.

Neulich wurde eine parlamentarische Enquete zum Thema Zukunftsmusik abgehalten. Wenn Du eine Forderung formulieren könntest, was hättest Du dort sagen?
Ich bin nicht gut in diesen Dingen. Im Verlesen von Manifesten meine ich. Ich kann nur versuchen in dem, was ich mache und durch das, was ich mache, etwas auszudrücken.

Wenn es möglich ist, dass von so luxuriös ausgestatteten Festivals wie den Salzburger Festspielen Projekte wie der westöstliche Diwan oder das Boivar Youth Orchestra mitgetragen, mitgestützt werden, damit man das wahrnimmt und sieht, es gibt starke Akzente und starken Willen in diesen Dingen und nicht nur lasche Politik, die es schleifen läst, weil andere Dinge derzeit vermeintlich wichtiger sind, ist das ein Anfang.

Wir müssen wissen, dass Kultur, was immer das heißt, Teil unserer Identität ist, und wir sollten vor allem, was Kinder anbelangt, beträchtlich sorgsamer damit umgehen und mit allen Mitteln danach trachten dass sie ihr Grundnahrungsmittel bekommen. Und diese Modelle zeigen, dass das möglich ist. Und nicht nur das: Es hat auch schöne Auswirkungen, aufeinander zu hören. Das ist nicht irgendetwas, wenn ein paar Leute zusammen sind und aufeinander hören müssen, sondern ein starker Prozess, der die soziale Sensibilisierung fördert und viele weitere Konsequenzen nach sich zieht.

 

 

 

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