mica-Interview mit Manon-Liu Winter

Seit zehn Jahren können Studierende der Instrumental(Gesangs)Pädagogik an der Universität für Musik und darstellende Kunst in Wien innerhalb ihres Studiums den Schwerpunkt Improvisation wählen. Er umfasst zwölf Semesterwochenstunden, die die MusikerInnen in Gruppen vor allem mit Manon-Liu Winter, Burkhard Stangl und Gunter Schneider verbringen. Dazu kommen ergänzende Lehrveranstaltungen von Katharina Klement, Harald Huber und Thomas Lang sowie Workshops internationaler GastdozentInnen wie Gene Coleman, Isabelle Duthoit oder DJ Sniff (Takura Mizuta Lippit).

Die StudentInnen sind größten Teils dem Schwerpunkt sehr angetan: Katharina Hauk erkannte zum Beispiel so, „dass es voll ok ist, auch mit dem klassischen Instrument musikalische Grenzen zu überschreiten und auszuloten; seine Kreativität nicht zu verstecken“ sondern sie auszuleben. Alex Hofmayr konstatiert, dass er sich in keiner anderen Lehrveranstaltung seines Studiums musikalisch so weiterentwickeln konnte wie in diesem Schwerpunkt. Und so ist es auch kein Wunder, dass Manon-Liu Winter schätzt, 50 bis 60 Prozent aller TeilnehmerInnen würden nach Beendigung des Studiums weiter öffentlich improvisieren. Einige Namen finden sich so auch öfters in den österreichischen Konzertprogrammen, unter anderem Bernadette Zeilinger und Lukas Lauermann. Aus ehemaligen Studierenden des Schwerpunktes ist snim hervorgegangen – Spontanes Netzwerk für Improvisierte Musik. Aus diesem „fluiden Kollektiv von Musiker_Innen“ entstanden immer wieder neue Konstellationen und Initiativen, wie die „Schlichtungsstelle für antidogmatische Musikauffassungen“ im Salon Goldschlag in Wien oder „das kleine symposium“/ “der kleine schubladenkasten“, der kommenden Herbst zum sechsten Mal im Echoraum stattfinden wird.„Ein Jubiläum zu veranstalten für etwas derart Fluktuatives wie Improvisation ist schon kurios!“ findet Klaus Haidl. Wir wollen es dennoch versuchen und haben Manon-Liu Winter zum Interview eingeladen. Die Fragen hat Philip Röggla gestellt.

Öffnet Improvisieren das Ohr?
Manon-Liu Winter: Die Momentbezogenheit beim Improvisieren führt auf jeden Fall zu einer Aufwertung der sinnlichen Seite der Musik, ohne eine schriftliche Referenz läuft die ganze Wahrnehmung über das Ohr. Das betrifft sowohl den Verlauf als auch den Augenblick. Die Unmittelbarkeit zur Musik erfordert, dass, während Musik wahrgenommen wird, gleichzeitig auch bereits Gespieltes nicht vergessen werden darf und auch wieder reproduziert werden sollte. Die klangliche Wahrnehmung wird so gefordert und entwickelt. Denn bei der Improvisation kann man sich nicht am Notentext orientieren, wenn man zwischenzeitlich Konzentrationslücken haben sollte, ist es einfach aus.

Zwei Begriffe, die relativ häufig vorkommen, sind „strukturelle“ und „freie“ Improvisation. In der strukturellen Improvisation wird vorher ein Konzept festgelegt, das kann zum Beispiel graphisch notiert aber auch anders kommuniziert werden. In der „freien“ Improvisation wird der Verlauf im Moment bestimmt, die MusikerInnen lassen die Musik auf sich zukommen, fließen. Im Schwerpunkt wird beides praktiziert?
Ich denke ja, wenn man es so einteilt. Egal, ob vorher sehr viel oder sehr wenig bestimmt wird (die Grenze zur Komposition ist sehr fließend), es hat immer eine Auswirkung auf den formalen Ablauf. Musiker, die in der Improvisation sehr geübt sind, können ad hoc sehr strukturierte Formen spielen. Wenn nicht so erfahrene Musiker aber im vorherein keine Struktur festlegen, entstehen oft Reihenformen A -B-C-D-E-F-G… usw. ohne innerer Logik. In formaler Hinsicht ist das der Einstiegsklassiker in der Improvisation. Da können sehr schöne Momente herauskommen, aber als Form gesehen ist es letztlich unbefriedigend. Es wird also notwendig, Strukturen zu reflektieren, und darüber nach zu denken, wie sie ad hoc beeinflusst werden können. Aber das ist eigentlich ein noch komplexerer Vorgang.

Der manchmal auch von Hierarchien innerhalb der Gruppe gesteuert wird.
Man muss es thematisieren: Die Kleingruppen, mit denen ich arbeite, bestehen immer aus vier bis fünf Studierenden. In dem Jahr, in dem sie zusammenbleiben, entstehen natürlich immer gruppendynamische Prozesse. In den letzten Jahren war dieses hierarchische Problem nicht sehr deutlich. Ich habe das Gefühl, dass die meisten in der Generation der Studierenden sozial deutlich kompetenter sind als früher. Man muss nicht die ganze Zeit Wortführer sein, um sich zu behaupten. Dieses Wechselspiel, bei dem einmal einer und dann eine andere führt, wird prinzipiell sehr gut gehandhabt. Es kann schon einmal eine Person dabei sein, die das zu sehr dominiert, aber dann kann man das auch thematisieren. Ich sehe das als eine pädagogische Herausforderung.

Und löst du das dann mit Worten oder mit Musik?
Ja nachdem, verschieden. Selbstreflexion ist dafür meistens günstig. Dabei stuft man sich selbst auf einer Skala von eins bis zehn ein, ob man eher führen oder eher warten will, bis jemand anderer eine Idee hat. Wenn sich jeder eingestuft hat, dann werden die Rollen getauscht. Diese Situation kann normalerweise spielerisch über Musik aufgelöst werden. Es ist schon wichtig, dass man beides beherrscht: Als Spieler ist es wichtig zu wissen, dass jetzt eine Idee gebraucht wird und dass man diese dann auch so stark zu bringen kann, dass alle anderen mitspielen können. Wenn es aber immer dieselbe Person ist, wird es auch gleichförmig. Man sollte die Rollen auch wechseln können.

Hast du das Gefühl, dass sich die innerhalb der Improvisationsklassen erworbenen Kompetenzen auch wieder in die soziale Sphäre zurück übertragen lassen?
Wie weit das jeder einzelne von sich behaupten kann, weiß ich nicht, aber genau genommen glaube ich schon, dass das ein Abbild von nicht musikalischen Verhaltensweisen oder Zusammenhängen ist. Gerade das, was auf der persönlichen Ebene passiert, ist übertragbar. Manche sind beim Musizieren aber auch freier als sonst: Es gibt auch schüchtern wirkende Studierende, die in dem Moment, in dem sie zu spielen beginnen, ihre Befangenheit verlieren. In der Musik können Dinge mitunter leichter ausgedrückt werden als mit anderen Mitteln und ich denke, die Leute fühlen sich dann schon gestärkt, wenn sie merken, dass sie etwas zu sagen haben, wenn es auch keine Worte sind.

Spielt das auch in das Ensemblespiel von notierter Musik herein? Wird vielleicht die Kommunikation durch die Improvisation verbessert?
Ich denke schon, dass das auch in notierter Musik eine Rolle spielt: Es führt, außer in Solo-Konzerten, nie nur das eine Instrument. Dieses Verhältnis ist also auch ein Thema in der Komposition. Der Unterschied zur Improvisation ist, dass es kein Werk von vorherein gibt, keinen Komponisten, dem man folgt, sondern es sind eben nur die spielenden Personen, die, ohne dass ein Stück zwischen Ihnen steht, viel unmittelbarer miteinander konfrontiert sind.

Gab es Widerstände oder Unverständnis als ihr den Improvisationsschwerpunkt gründen wolltet?
Seitens der Universität eigentlich nicht. Es war vorher kein Thema, als es aber gemacht wurde, gab es keine Widerstände. Ich glaube, die Kolleginnen und Kollegen sind froh, wenn jemand anderer sich um diese Thematik kümmert.

Wieso das? Können sie es nicht?
[Zögert] Es gibt eine Lücke in der Vermittlung. Die meisten Lehrer haben zu einer Zeit studiert, in der Improvisation im Unterricht nicht vorkam, und haben daher das Gefühl, sie können Improvisation auch nicht unterrichten. Dadurch, dass sie selbst immer notierte Musik und auch kaum zeitgenössische spielen, gibt es schon eine Hemmschwelle, das selber zu machen.

Es gibt ja auch andere Musikstile in denen Improvisation vorkommt, im Barock oder im Jazz zum Beispiel.
Im Wort Improvisation wird ohnehin zu viel subsumiert wird. Alle Stile umfassen auch eine Form von Improvisation. Der Schwerpunkt konzentriert sich auf Improvisation im Sinne von experimenteller Musik und dem, was man heute auch Impro-Szene nennt. Diese positioniert sich zwischen verschiedenen Einflüssen der Elektronik, der komponierten Neuen Musik und gewissen Formen des Jazz.

Wobei Improvisation früher eigentlich doch ziemlich anerkannt war. Liszt und Bach sind wohl zwei der bekanntesten Improvisatoren der Musikgeschichte.
Es gab eine lange, lange Tradition. In der Barockmusik, und auch noch im 19. Jahrhundert, hatte Improvisation noch einen ganz anderen Stellenwert. Ich weiß nicht genau, weswegen die Improvisation in der Kunstmusik dann so sehr in den Hintergrund getreten ist. Für sicher 100 Jahre scheint sie dann in der Versenkung verschwunden zu sein, bis sie mit dem Aktionismus in den 1960er Jahren wieder hervorgekommen ist. Quantitativ ist es aber immer noch nicht ganz dort, wo es sein sollte.

Mir wurde einmal vorgeworfen, dass Improvisation nur aus Versatzstücken schon gehörter Musik bestehen würde, und auch wenn man sich weiter von klassischer Musik entfernen würde, würden die Bausteine eben nur kleiner würden.
Ja, so ist Kreativität im Prinzip definiert. Genau genommen bedeutet Kreativität schon, dass nichts neu erfunden wird, sondern die vorhandenen Wissensteile anders vernetzt werden und dadurch etwas Neues entstehen kann. In einem gewissen übertragenen Sinn verwendet man natürlich gelernte Elemente auch in der Improvisation. Es ist eine Gratwanderung zwischen Klischee, Versatzstück, Zitat oder quasi einer schlechte Kopie eines Anderen und dem Versuch etwas genuin Eigenes zu schaffen. Das ist auch Teil der Arbeit zu versuchen, sich von dem zu klischeehaften zu entfernen und doch eine eigene Sprache zu entwickeln. Das gelingt nicht immer, aber die Idee ist, dass man zumindest die Grenze zwischen etwas Eigenem und einer Potpourri-Sammlung aus verschiedenen Stilen herausfiltert. Es gilt aber für Komponisten genauso: Auch aufgeschriebene Musik kann ganz schnell nach jemand anderem klingen. Musikstudenten haben irrsinnig viel Musik gespeichert. Bei Instrumentalisten kommen auch noch die geübten motorischen Abläufe hinzu. Ein Instrumentalist hat z. B. schon endlos Dreiklänge und Tonleitern gespielt. Sich von den rein körperlichen Gegebenheiten zu entfernen, um andere Kombinationen spielen zu können, ist aufwändig. Aber die Leute, die das machen, haben schon den Wunsch, diese Barrieren zu überwinden, um abseits des Klassischen noch anderes spielen zu können.

Das heißt, die StudentInnen, die am Schwerpunkt teilnehmen, haben sich das vorher bewusst überlegt und nicht die nächstbeste freie Veranstaltung genommen? Sie haben das Bedürfnis nach einer Weiterentwicklung?
Ein sehr hoher Prozentsatz. Manche probieren es nur aus und verfolgen es nicht weiter. Der Prozentsatz der Studenten, bei denen dieser Baustein ein wichtiger Teil des Gesamtangebotes ist, ist aber sehr hoch. Vielleicht auch, weil die wirklich sehr hohe Professionalisierung bei den Instrumentalisten den Leistungsdruck sehr hoch hält und letztlich der kreativen Seite wenig Zeit und Raum lässt. Ein Grundkonzept war auch, dass der Schwerpunkt genreübergreifend ist. Es sind Studierende von der Popmusik und der Klassik, die sich da begegnen. Es gibt einige Lehrveranstaltungen, bei denen sie sich treffen, aber gemeinsam musiziert wird normalerweise nicht. Ich merke auch, dass es trotz der anfänglichen gegenseitigen Wiederstände nach einiger Zeit klar wird, dass ein gewisser symbiotischer Effekt eintreten kann, wenn man voneinander lernt. Beiden Gruppen sind manche Fertigkeiten näher als den jeweils anderen, und sie merken dann, wo sie sich etwas voneinander abschauen können. Es wiederstrebt mir ein bisschen, wenn Leute mit 18, 19 Jahren musikalisch auf einen Stil so eingefahren sind, dass sie nicht einmal mehr eine Jamsession miteinander machen können. Freilich muss man sich in diesem Riesenfeld von einzelnen Stilen irgendwann positionieren, aber es ist für beide Richtungen wichtig, einen Blick hinüber zu wagen.

Ich höre öfter, dass sich die Genregrenzen in der Postmoderne auflösen würden. Du beschreibst aber, dass es zwischen den verschiedenen Genres kaum Kontakt gäbe.
Ja und nein würde ich sagen. Es regt sich heute niemand mehr darüber auf, wenn man Stilmittel aus anderen Genres verwendet. In diesem Sinne gibt es sie nicht mehr, aber de facto wissen die reinen Zuhörer genau, welchen Stil sie hören. Das Hörverhalten ist eigentlich eng und das spiegelt schon, dass es so etwas wie Genregrenzen auch bei den aktiven Musikern gibt. Es geht aber auch um eine anderen Aspekt: Wer mit Musik Geld verdienen will, musst letztlich auch zuordenbar sein. Und muss sich dazu einem oder zwei, drei Stilen, die nahe beieinander sind, zuordnen. Ja, diese Stilgrenzen haben sich geändert, aber die meisten sind innerhalb dieser Bereiche zu finden, es gibt nur vereinzelt Allrounder.

Improvisierte Musik wird ja in Nischen gespielt: In Wien zum Beispiel im Echoraum, in der Alten Schmiede, oder beim E-May. Woran liegt das? Liegt das an den Größen der Ensembles oder gibt es da eine ästhetische, politische oder soziale Trennung?
Das ist eine sehr komplizierte Frage, und ich glaube es gibt viele verschiedene Gründe dafür. Einerseits ist es eine politische oder ideologische Sache: Ich denke, dass man sich generell beim Improvisieren nicht so gerne unterordnet. Genau genommen gibt es einen gewissen anarchistischen Zug in der Improvisationsszene, der sich nicht so leicht mit Hochkultur verbinden lässt. Es gibt natürlich Ausreißer und man freut sich dann doch, wenn man einmal im Großen spielt, aber generell lässt sich eine gewisse Abneigung gegen Kulturtempel feststellen. Auf der anderen Seite ist das Publikum einfach nicht so groß – was auch immer die Gründe dafür sind. Um aber einen großen Saal zu füllen, braucht es auch eine gewisse Auslastung. Der Anteil der Hörer Neuer Musik liegt vielleicht bei zwei Prozent, würde ich schätzen, und bei improvisierter Musik ist es vielleicht noch einmal die Hälfte. Der Anteil der Klassik insgesamt sinkt auch, daher wird viel mehr in kleinen Räumen von bis zu 200 Personen gespielt. Auch bei Festivals sind normalerweise nicht mehr als 300 Zuhörer, das sind einfach andere Dimensionen als in der Stadthalle oder bei einem Fendrich-Konzert. Man könnte versuchen mehr Publikum zu erreichen, sich selbst in den Vordergrund zu stellen, und ich denke, dass das auch passiert. Das Publikum hat sich in den letzten Jahren tatsächlich vergrößert. Es gibt aber noch einiges zu tun: Man bräuchte ein Internetradio, das nur diese Musik spielt. Ich denke, es müssten Verbreitungsmedien besser genützt werden, die heute auch leichter aufzustellen sind als früher …

Also eine Art DIY-Konzertleben?
Ja, man könnte sich im Off-Bereich durchaus noch stärker positionieren. Es liegt schon auch oft daran, dass sich Musiker selbst nicht so geschickt vermarkten. Die Veranstalter dagegen setzten lieber im vornherein auf Acts, die sich leichter verkaufen lassen und übernehmen nicht die Arbeit, diese Musik überhaupt zu promoten – bei dem wenigen Geld, das sich damit verdienen lässt.

Ich glaube, dass viele junge Leute kaum mehr den Anspruch haben, dass Musik harmonisch oder „schön“ sein muss. Was bei Neuer Musik in den bürgerlichen Veranstaltungshallen aber abschreckt, ist der Dresscode, die Verhaltensregeln …
Ich glaube generell, dass das Konzertleben gerade dabei ist, sich zu ändern. Es ist immer noch attraktiv, dass jemand persönlich ein Konzert gibt. Während der Markt mit den CDs ja ohnedies eingebrochen ist, gibt es sehr viele Live-Konzerte in kleinem Rahmen. Es ist relativ normal, für eine Eintrittskarte Geld zu zahlen, während das Bewusstsein, dass für etwas im Internet Gefundenes bezahlt werden muss, relativ gering ist. Und so verschiebt es sich ein bisschen mehr auf das Live-Musizieren. Ich habe das Gefühl, bei Live-Musik ist es ein viel kleineres Problem, sie an das Publikum zu verkaufen, als bei Aufnahmen – viele Musiker stellen ihre Musik auch gratis ins Netz. Ich denke, dass diese Veränderungen auch andere Musik- und Präsentationsformen mit sich bringen. Konzerthaus und Oper können nur hochsubventioniert funktionieren, und die Frage ist: Wie lange wird die Gesellschaft das subventionieren? Ich hoffe schon, dass sie es tut …

In den Programmen spiegelt sich dieser Wandel ja schon wieder …
Auch um eine Schumann-Symphonie zu hören, ist eine gewisse Aufmerksamkeit notwendig. Mir scheint, dass die Bereitschaft, 30 Minuten zuzuhören, viel geringer geworden ist. Es ist schwierig, Zuhörer zu finden, die bereit sind, 20 Euro für ein Konzert zu zahlen, um dort zwei Stunden zu sitzen. Die Weißhaarigen dominieren in den Konzertsälen, und dann stellt sich halt die Frage, wie lange man das machen kann.

Gerade bei den älteren Generationen spielt neben der Musik noch ein gesellschaftlicher Aspekt beim Konzertbesuch eine wesentliche Rolle: Man sieht und wird gesehen.
Ja, solange das gesellschaftlich zählt. Aber zählt bei den heute 30-Jährigen ein Philharmoniker-Abonnement noch? In ganz kleinen Kreisen vielleicht, aber das ist eigentlich gestorben. Vor 30 Jahren war das noch was, da haben sie sich um diese Abonnements geprügelt.

Du bist ja als Instrumentalistin zur Neuen Musik gekommen und hast den Weg zum eigenen Schaffen von Musik über die Improvisation gefunden.

Es war eine wesentliche Vorerfahrung, immer viel Neue Musik gespielt zu haben, weil in der zeitgenössischen Klaviermusik viele Kompositionen nicht komplett ausnotiert sind. Dann bin ich durch Zufall mit einer improvisierenden Musikerin, der Schweizer Pianistin Emmy Henz-Diemand, zusammengekommen und hab bei ihr quasi Unterricht genommen. Das war der Anstoß für mich, mich damit zu beschäftigen.

Als du den Schwerpunkt gegründet hast, war da vielleicht auch die Hoffnung dahinter, dass auch anderen das passiert, was dir passiert ist?
Gewissermaßen schon. Ich habe ja selbst sehr klassisch konservativen Unterricht gehabt, was ich gar nicht schlecht finde. Ich glaube, ich schöpfe auch heute noch daraus. Aber auf der anderen Seite war Improvisation überhaupt kein Teil davon. Es hat also quasi geheißen: „Mach was gscheid’s, üb‘ lieber“. Dieser Drill sollte in dieser Form heute nicht mehr sein, diese Zeiterscheinung hat sich überlebt. Wer heutzutage im Rahmen der Musikausbildung Komposition auf Komposition spielt, sollte sich bewusst werden, dass das Instrument auch ohne das Vehikel des Werkes unmittelbar spielbar ist. Ich finde diese Erfahrung ist für Musiker essenziell.

Und wenn die Leute zur Uni kommen, haben sie dann diese Erfahrung schon gemacht?
Im Musikschulunterricht, wo die meisten Studierenden herkommen, kommt
improvisieren im klassischen Bereich nur wenig vor. Meistens bleibt
Improvisation auf den Anfangsunterricht begrenzt, auf das erste Jahr,
und danach werden sehr oft nur noch notierte Stücke unterrichtet bzw.
gespielt.

 

http://www.mdw.ac.at/
http://snim.klingt.org/