Die in Slowenien geborene Sängerin, Komponistin und Flötistin Maja Osojnik hat mit “Oblaki so Rdeci – Die Wolken sind rot” vor kurzem eine außergewöhnliche Sammlung von Bearbeitungen slowenischer Volkslieder veröffentlicht. Ein Gespräch von Martin Gansinger mit einer ebenso vielseitigen wie viel beschäftigten Künstlerin…
Die Produktion deiner Debüt-CD hat offensichtlich ordentlich Bewegung in dein Quartett – bestehend aus Phillip Jagschitz am Klavier, Bernd Satzinger am Bass und Schlagzeuger Michael Prowaznik – gebracht, die Band ist seitdem um einiges größer geworden…
Maja Osojnik: Durch diese CD-Aufnahme hat sich jetzt auch die Band vergrößert -auf jeden Fall kann man nicht mehr vom Maja Osojnik Quartett sprechen – wir sind jetzt zum Sextett angewachsen. Der Gitarrist Michael Bruckner und Clemens Wenger am Akkordeon sind mittlerweile wichtige Bestandteile der Band geworden. Das heißt, aus dem im Rahmen der Plattenaufnahme gewagten Versuch, durch neue Instrumentierungen neue Räume zu öffnen und neue Geschichten zu erzählen, hat sich für uns ein ganz neuer Weg entwickelt, den wir jetzt gemeinsam einschlagen. Dadurch ergibt sich ein noch größeres Spektrum an klanglichen Möglichkeiten, was sich im Rahmen der CD-Präsentationen schon wunderbar live bewährt hat. In der Alten Schmiede waren als weitere Gäste noch Clemens Salesny und Matija Schellander mit dabei – das war phantastisch – nur ein Oktett traue ich mich momentan noch nicht zu machen, aus finanziellen Gründen. (lacht). Auf jeden Fall habe ich auch zum ersten Mal probiert, Elektronik dazu zu spielen, das hat sehr gut funktioniert und das wird jetzt auch ein Bestandteil davon werden. Dadurch wird der Sound eben immer wieder elektronisch untermalt, mit diversen Samples, Sounds, Improvisationen. Das Ensemble ist sehr offen, auch für freiere Improvisation. Das heißt, das Konzept für die Zukunft lautet Kompositionen und Arrangements, verbunden mit freien Impros.
Das ist dann aber doch ein ziemlich großer Schritt – von den Bearbeitungen der slowenischen Volkslieder auf der CD. Wobei diese ja immer wieder von reinen Jazz- oder auch Elektronik-Elementen überlagert wurden. Hat sich diese Entwicklung dann nicht viel mehr bereits mit der CD-Einspielung abgezeichnet bzw. hast du im Prozess der Aufnahmen festgestellt, dass sich deine Musik immer mehr vom Ausgangsmaterial entfernt und in verschiedene Richtungen erweitert wird?
Maja Osojnik: Ich kann noch immer nicht genau sagen, welche Richtung das in Zukunft nehmen wird, ich möchte natürlich das jazzige behalten – ich möchte sogar das Ethno-Element behalten, das eben jetzt so hier und da auch ganz gut herausgekommen ist. Ich möchte das behalten, ich finde das sehr schön und es passt auch zu den Liedern. Wobei es auf jeden Fall slowenische Lieder bleiben werden, es gibt bereits auch neue Texte, die ich selbst schreibe – die bisherigen Interpretationen waren ja Bearbeitungen von Volksliedern. Wobei ich es auch irrsinnig schön finde, dass die Jungs in der Band auch so interessiert daran sind – Michael Bruckner beginnt jetzt auch zu arrangieren und lernt ganz eifrig Slowenisch mit mir (lacht). Wir lesen zusammen, damit er ein Feeling vom Rhythmus der Sprache bekommt, er ist richtig fasziniert davon und das finde ich toll. Insofern ist es klar, dass dieser Slowenien-Bezug ein wichtiger Teil von der ganzen Sache bleibt. Diese Sprache eignet sich auch wunderbar zum Singen, es hat einen sehr schönen Melos in der Aussprache, die das Publikum sehr schätzt, denke ich.
Du trittst ja hierzulande größtenteils vor Publikum auf, das dieser Sprache ja nicht mächtig ist. Was hast du bezüglich dieser Sprachbarriere für Erfahrungen mit deinem Publikum gemacht?
Maja Osojnik: Also, ich muss sagen, dass das absolut kein Problem ist fürs Publikum. Nach den CD-Präsentationen sind viele zu mir gekommen und haben gesagt, dass sie sich schon gewünscht hätten, noch genauer zu verstehen, wovon die einzelnen Stücke handeln. Ich erkläre ja vor jedem Song kurz den Text, die Geschichte – aber viele haben gesagt, dass die Musik eigentlich so klar war, dass sie sie intuitiv nachempfinden konnten. Und das ist eigentlich das Wichtigste.
Viele Sängerinnen und Sänger arbeiten ja auch viel mit lautmalerischen Klängen, die letztendlich auch ihre Bedeutungen in sich tragen…
Maja Osojnik: Ich finde diesen Ansatz prinzipiell schon interessant – also den Sänger als Instrumentalisten eine bestimmte Message weitergeben zu lassen – aber – das ist jetzt vielleicht ein wenig paradox, wenn ich das sage – ich bin zum Beispiel total auf Text bezogen. Wenn ich zum Beispiel arrangiere, möchte ich die Leute wirklich in die vom Text geschilderte Atmosphäre führen, da ist sozusagen jedes Wort wichtig, das ich singe. Sagen wir, ich habe eine Melodie – natürlich ist es wichtig, dass du sie technisch schön aussingst, dass du etwas Besonderes daraus machst- aber mir ist jedes Wort wichtig, das ich singe. Ich möchte jedem Wort diese spezielle Bedeutung geben. Es ist mir bis jetzt auch gut gelungen, die Musiker dorthin zu bringen, dass sie wirklich in die Geschichte der Lieder eintauchen – die haben natürlich irgendwie ihre ganz eigenen Geschichtenlaufen. Aber das ist ja auch das schöne daran, dass im Kopf der Zuhörer dadurch wirklich eine ganz eigene visuelle Welt entsteht. Das ist wie der Unterschied zwischen Buch und Film – der Film, oder in unserem Fall der Text, vermittelt dir ein ganz bestimmtes Bild und das Buch, in dem Fall die slowenische Sprache, regt deine Phantasie dazu an, dieses Bild selbst zu erzeugen. So sehe ich auch meine Verwendung der slowenischen Sprache. Ich erkläre zwar den Inhalt, das Publikum weiß, worum es geht, aber es hat andererseits dann doch die Freiheit, entweder ein Stück mitzukommen oder sich wirklich ihre ganz eigene Atmosphäre zu schaffen. Sie bekommen von mir lediglich einen kleinen Anstoss und können dann ganz in ihre eigenen Welten abtauchen. Mir ist wichtig, dass der Zuhörer immer auf irgendeine Weise aktiv ist, sozusagen. Egal was er macht – auch aktiver Schlaf ist wichtig (lacht). Aber diese Bereitschaft, dieses Mitkommen möchte ich erreichen, ohne dieses typische Cheerleaderhafte – ich möchte nicht nur nett unterhalten. Jeder neue Gedanke der in den Leuten auftaucht, ist mir wichtig. Auch wenn manche nach einem meiner morbideren Abende in einer gedrückten Stimmung nach Hause gehen – auch das ist wichtig! Dadurch bekommen sie Material zum Nachdenken. Das ist mir nämlich auch schon passiert, dass jemand so etwas zu mir gesagt hat. Was natürlich für mich eines der schönsten Komplimente ist – dass jemand ganz in einen bestimmten Zustand gefallen ist, sei es melancholisch oder morbid-bedrückt – aber zwei Tage später sind dann auch die Antworten zu diesen Leuten gekommen. Als ihnen plötzlich aufgefallen ist, dass sie schon zwei Tage darüber nachdenken, was sie an diesem Abend in meinem Konzert gehört haben. Das ist natürlich großartig, wenn ich mit meiner Musik in den Menschen irgendwie neue Kanäle öffnen kann. Viele lassen sich einfach verführen, wie in einem Film, bei dem du dich ausheulst und dadurch katharsisch befreien kannst. Genau das ist mir wichtig, diese erzählerische Kraft zu behalten, egal in welcher Sprache.
Im Rahmen deines Quartetts – oder Sextett muss man ja mittlerweile sagen – bleibt dies aber vorerst slowenisch, oder?
Maja Osojnik: Für dieses Projekt bleibt das auf jeden Fall slowenisch, denn ich möchte meine Sprache einfach bis zum Ende meines Lebens behalten. Momentan sieht es nicht danach aus, als ob ich sehr bald wieder in Slowenien leben werde, ich will aber trotzdem, dass diese Sprache ein Teil meines Lebens bleibt. Sei es privat gesprochen, mit Freunden, mit meinem Mann, oder sei es künstlerisch angewendet. In anderen Projekten verwende ich natürlich andere Sprachen auch – Englisch und Deutsch – oder ich verwende ganz abstrakte Sprachen, weil ich es sehr interessant finde, einfach neue Sprachen zu erfinden. Sprachen sind wichtig, sie vermitteln die Wörter, sind direkt.. Es gibt natürlich immer Sielraum zur eigenen Interpretation, das ist ja auch ganz toll,
Das machst du in der Regel aber ohnehin recht gut…
Maja Osojnik: Also, ich merke schon – jetzt nicht unbedingt bei meinem slowenischen Programm, auch da können sich Leute mitunter vor den Kopf gestoßen oder provoziert fühlen – dass es mir einfach gefällt, wenn ich jemanden zum Denken provoziere, ihn zu einer Entscheidung zwinge – wie gehe ich damit um, nehme ich diese Aussage jetzt persönlich, wieso macht es mich so betroffen, was sie sagt? Das finde ich eine sehr spannende Art der Kommunikation, wenn diese Reibung entsteht. Woher kommt so eine Reaktion? Es gibt natürlich immer soziale Hintergründe dafür, dass so eine Reaktion entsteht. Die Frage ist einfach, wie sehr sind sich die Menschen eigentlich wirklich im Klaren über sich selbst? Und diese Frage kann Kunst immer sehr gut vermitteln, auch wenn es gar nicht immer direkt gewollt ist.
Mit deiner Noise/Punk-Formation Balkon ist das aber durchaus gewollt, oder?
Maja Osojnik: Da verfüge ich in Hinsicht auf Texte über irrsinnige Freiheit, die ich auch ganz für mich nutze. Manchmal spiele ich mit irgendwelchen Banalitäten und plakativen Sachen, die manchmal sehr störend sein können, wie ich bemerkt habe, und das bereitet mir Riesenfreude (lacht). Ich nenne das Poesie Noir, also Moral spielt in dieser Band für mich persönlich keine Rolle. Ich sage genau was ich sagen will, und Balkon ist insgesamt eine eher kantige Angelegenheit.
Was sich ja auch gut musikalisch widerspiegelt…
Maja Osojnik: Das liegt natürlich auch an den beteiligten Musikern, neben mir Matija Schellander am Bass, Matthias Koch am Schlagzeug und Jorge Sanchèz Chiong an den Turntables. Meistens schreibe ich die Texte und die Stücke entstehen zusammen. Irgendjemand bringt eine Idee, die dann gemeinsam ausgearbeitet wird. Das ist so ein typischer Band-Prozess, an dem sich alle beteiligen. Die Musik nenne ich immer Noise/Metal mit Punk-Attitüde. Das ist auch ein Teil von mir, all meine unterschiedlichen Projekte collagieren eben meine Persönlichkeit als Ganzes.
Wie kommt es eigentlich zu diesem Namen, Balkon? Doch nicht deswegen weil du dich textlich weit aus dem Fenster lehnst, oder?
Maja Osojnik: Das ist eine gute Frage, die Idee stammt von meinem Mann, Matija Schellander. Es kommt eigentlich von einem Satz eines sehr bekannten slowenischen Philosophen, der auch sehr viel für die Gruppe NSK – Neue Slowenische Kunst – gemacht. Slavo Szihek heißt er, und ich schätze ihn vor allem deshalb, weil er irrsinnig komplizierte Zusammenhänge mit ganz einfachen Worten und einem unglaublichen Humor zusammenfasst. Von ihm stammt der Satz We on balkon, we are the future, eine Anspielung auf den Balkan. So ist die Band zu ihrem Namen gekommen.
Ein weiteres Projekt , an dem du beteiligt bist, ist das Low Frequency Orchestra, in dem du an der Flöte zu hören bist. Kannst du kurz etwas zur Entstehung und den aktuellen Projekten des Orchesters sagen?
Maja Osojnik: Die Idee war, mit einem tiefen Instrumentarium eine größere Band zusammen zu stellen, wobei der Name witziger Weise wieder von Matija stammt. Das Orchester besteht seit 2003, der Name ist aber mittlerweile nur mehr bedingt gültig, neben den zwei Kontrabässen, Schlagzeug, und Elektronik kommen neben den auch speziellen Bauvarianten der Flöten, die wir anfangs verwendet haben heute auch gerne zu höheren Instrumenten. Außerdem beginne ich auch immer mehr zu singen, und wir verwenden verstärkt elektronische Devices, Spielzeuge, Kassettenrecorder und CD-Player. Die ursprüngliche Idee war, dass wir gemeinsam frei improvisieren, teils mit Struktur, teils ganz frei. Während der Jahre haben sich aber verschiedene Ansätze herauskristallisiert, wir interpretieren etwa auch Stücke von jungen österreichischen Komponisten, der Elektroniker Thomas Grill leitete letztes Jahr das Spiel vom Kommen und Gehen, für das wir Bilder von Robert Lettner vertont haben. Im Moment arbeitet ich an einer 50-minütigen Komposition für das Low Frequency Orchestra plus zwei Gäste und eine Video-Künstlerin. Die Gäste sind Burkardt Stangl an E-Gitarre und Vibraphon sowie Michael Bruckner an der Gitarre. Als Video-Künstlerin wird diesmal Michaela Grill mitwirken. Vielleicht kurz zum Konzept: Es geht um ein virtuelles, erdachtes Land, in dem sich alle Träume versammeln, die geträumt wurden. Wohin verschwinden die Träume, wenn man morgens aufwacht? Ich versuche mit meiner Komposition dieses Land zu erschaffen, in das diese Träume ziehen. Die Komposition besteht aus mehreren Teilen, jeder Teil steht für einen Traum, die einzelnen Parts können sehr überraschende, komische Wendungen nehmen, wie sie im Traum nun mal stattfinden. Moral spielt im Traum natürlich auch wieder keine Rolle. Das ist für mich insgesamt wieder ein spannendes Feld – es ist alles erlaubt im Traum, da begegnet das Unterbewusstsein eines Menschen seinen realen Erklärungsmodellen der Welt. Diese Begegnung versuche ich in dem Stück auch musikalisch umzusetzen. Michaela Grill wird die einzelnen Stücke visualisieren, die Videos werden an die Decke projeziert und die Zuseher verfolgen das ganz im Liegen, in einem Bett. Man hört ja auch anders im Liegen. Der ganze Körper ist relaxt, aufnahmebereiter. Die Aufführung findet im Herbst 2007 im MAK statt.
Du bist auch als Flötistin in dem Ensemble Mikado tätig, das sich einen ganz anderen musikalischen Schwerpunkt gesetzt hat…
Maja Osojnik: Mit meinem Ensemble Mikado spiele ich Alte Musik, vor allem englische Renaissance und Mittelalter. Wir sind fünf Musiker, vier Blockflöten – Thomas List, Katharina Lugmayr, Eva Reiter und ich, Agnes Heginger ist die Sopranistin. Eva Reiter spielt auch Viola da Gamba, dadurch ergeben sich unterschiedliche Instrumentierungen mit drei bis fünf Musikern. Daraus ergibt sich ein sehr farbiges schönes Programm, wir verfügen über ein recht offenes Spektrum an Möglichkeiten. Vor zwei Jahren haben wir einen internationalen Wettbewerb in Antwerpen gewonnen, der uns einige Türen zu großen europäischen Festivals geöffnet hat, den Regensburger Tagen der Alten Musik zum Beispiel. Das Ensemble hat sich mittlerweile recht gut etablieren können, es sind zwei weitere CD-Produktionen in Planung, wir arbeiten sehr intensiv mit der Jeunesse zusammen. ”
Ist es nicht irrsinnig schwierig, all diese unterschiedlichen Projekt unter einen Hut zu bekommen?
Maja Osojnik: Ich arbeite sehr gerne an unterschiedlichen Projekten, all meine unterschiedlichen Projekte collagieren mich als Ganze Persönlichkeit. Da gibt es zum Beispiel auch noch ein reines Frauen-Projekt, mit Katharina Klement am Klavier, Billy Roisz macht Sound, Elektronik und bald auch Video-Kunst, und Angèlika Càstello und ich spielen Blockflöte. Insgesamt bleibt da schon relativ wenig Freizeit, aber ich bin einfach ein Workaholic, ich brauche das ganz einfach (lacht).
Martin Gansinger