mica-Interview mit Kurt Schwertsik

“So witzig ist das Ganze gar nicht” – deshalb verfiel Kurt Schwertsik auf den Titel “Divertimento Macchiato” für sein neues Trompetenkonzert, das als Auftragswerk des Niederösterreichischen Tonkünstler-Orchesters in Konzerten ab Samstag im Wiener Musikverein und in St. Pölten aufgeführt wird. Im mica-Interview mit Heinz Rögl plaudert der international renommierte österreichische Komponist über seine kompositorischen Bestrebungen im Feld des tonalen Handwerks, das er – trotz und wegen seiner Erfahrungen mit der Darmstädter Avantgarde – mit ungebrochener Leidenschaft und einem Schuss Dadaismus beackert.

Auf den Titelzusatz “macchiato” ist er mit Hilfe seiner Gattin Christa erst nach der Uraufführung (vergangenen Dezember in Essen) gekommen. Auch “Divertimento melancolico” war schon im Gespräch. Wörtlich heißt “macchiare” beflecken, bei einer Flüssigkeit handelt es sich darum, diese mit einem Spritzer einer anderen Substanz (beim Caffè oder bei der Latte  macchiato zum Beispiel) zu vermischen. Und Divertimento meint bekanntlich Leichtigkeit, Spiel, Unterhaltung. Aber im “Alla marcia”-Satz des neuen Schwertsik-Werks, dem Opus 99 bereits, hinkt die Kompanie schon auch einmal im Fünfer- oder Neunerschritt dahin. Und: Unterhaltungsmusik darf auch Tiefgang haben, wie die großen Divertimento- und Serenaden-Musiken der Wiener Klassik, an die der Komponist in seinem Werk “per tromba e orchestra” durchaus auch mit italienischen Vortrags- und Satzbezeichnungen anknüpft. “Serenata”  heißt der zweite Satz, ein Capriccio samt Intermezzo steht an dritter, ein “Notturno” an vierter Stelle, das Finale ist wie sich’s gehört “con spirito, molto vivace” zu spielen. Aber das ist noch nicht das letzte Wort. Dem Solisten allein gehört noch ein Epilog. Lassen wir Kurt Schwertsik, der im Übrigen auf die Intelligenz und Phantasie seiner Zuhörer setzt, das Nötige lieber selbst erklären .

Ein Divertimento .
Ich habe mich mit diesem Titel furchtbar gequält. “Divertimento” – das ist ein Titel, der einem Jugendtraum von mir entspricht (lacht). Als ich so 16, 17 war, da war das ein Ziel von mir, ein Divertimento zu schreiben. Und später war das ein Titel, den ich absolut gehasst habe.

Divertimento, das heißt eigentlich .
Unterhaltung. Eben. Aber ich nenne es Divertimento Macchiato.  Ich bin immer mehr dazu gekommen, dass ich alle Anweisungen für die Musiker, vom Tempo bis zum Ausdruck, auf Italienisch schreibe. Weil das so schön altmodisch ist. Und praktisch, weil das über die ganze Welt mehr oder weniger verständlich ist.

Sie stellen Ihrem Stück ein Motto von Italo Calvino voran
Den letzten Satz aus “Der Ritter den es nicht gab”  [Anm.: ” . welch neue Insignien streckst du mir entgegen von Wimpeln, die auf den Türmen noch nicht gegründeter Städte flattern? Welchen Rauch lässt du von verwüsteten Schlössern und Gärten aufsteigen, denen meine Liebe gehörte? Welche ungeahnten Goldenen Zeitalter bereitest du vor, du ungezügelte, du Vorbotin teuer erkaufter Schätze, du mein Reich, das es zu erobern gilt, Zukunft .?”].  So ist dieses  Divertimento auch in diesem Sinne zu verstehen, als so eine Art merkwürdige Unterhaltung. So unterhaltend, so witzig ist das Ganze nämlich gar nicht. Es gibt schon auch sehr witzige Sachen drin, der vierte Satz hat so Fellini-Zirkusatmosphäre. Als ich es hörte, dachte ich, aha, das ist dir ganz gut gelungen. Aber zum Schluss kommt dann noch ein ganz einsamer Trompetensatz ohne irgendeine Begleitung. Da war ich dann schon sehr beeindruckt bei der Aufführung. Wissen Sie, wenn man dann nach den Proben wirklich eine Aufführung hört, dann macht sich – pfff – das Werk schon selbständig. In den Proben zittert man noch, ob das wirklich alles so hinkommt. Aber wenn man es dann hört, dann kommt es eigentlich schon von außen. Noch nicht alles, da ist noch viel innen, an einer Stelle denkt man sich, das müsste man mehr am Steg spielen und das müsste man so machen, und das ist zu rasch und das zu langsam und solche Sachen. Aber in einer Aufführung ist es zum ersten Mal etwas, das man nicht in sich trägt, sondern, was einem begegnet, so wie  jedes andere Stück auch.

Da überrascht sie dann selbst manches?
Na ja, da kann ich selber erstmals zuhören. Als Zuhörer. Nicht als der, der kontrolliert ob alles so ist, wie er es gewollt hat.

Wie entsteht ein Stück bei Ihnen, ist das etwas, das Sie lange mit sich herumtragen? Oder entzündet sich das an einer poetischen Idee, in dem Fall dem Satz von Calvino?
Wissen Sie, wie so was passiert, das weiß ich nicht.

Es ist ja ein Instrumentalkonzert. Deren haben Sie bereits mehrere geschrieben – ein Posaunenkonzert, zwei Violinkonzerte, Stücke für Hörner .
. ein Alphornkonzert hab’ ich geschrieben.

Die Trompete ist doch ein Instrument, deren  Klang mit vielen Bedeutungen aufgeladen ist, die man assoziiert – Tod, Krieg, Militär. Oder Zirkus beispielsweise .
Na ja, na freilich. Instrumentalmusik ist immer aufgeladen – auch in den Orchesterstimmen. Das ist voll mit Geschichte, Erinnerung. Der Komponist Helmut Lachenmann wendet ja alle Energien darauf auf, dass das nicht oder in ganz restriktiver Form vorkommt. Für mich ist das irgendwie ganz anders. Für mich gehört das zu den Vergnügungen der Musik, dass das alles da ist.

Dass sich schon beim oberflächlichen Hören etwas einstellt?
Nein, das meine ich nicht. Wenn ein Streichquartett nur einen Akkord anstimmt, dann ist sofort etwas da. Eine Aura, es ist Geschichte da. Das ist etwas nicht für oberflächliches Hören, sondern für genaues Hören. Das hat wahrscheinlich im 19. Jahrhundert angefangen, dass wir dieses Geschichtsbewusstsein entwickelt haben: Mendelssohn, Brahms, die denken an diese Dinge, Wagner, wenn er in den “Meistersingern” mit kontrapunktischen Mitteln diese alten Klänge herstellt, um eine mittelalterliche Atmosphäre zu schaffen. Das heißt, es wird dauernd auf irgendwelche Klänge und Stile angespielt. Im “Bajazzo” plötzlich die Commedia dell’arte-Musik, die da auf dem Theater spielt. Und das ist natürlich seit Strawinsky ganz massiv, wo das geradezu ein Teil der Komposition ist, diesen Beziehungsreichtum einzuflechten. Und damit ist die Musik auch in einen Zustand gekommen, in dem der Roman schon die längste Zeit war – dass jeder Roman ein Roman über die Form des Romans ist. Und in der Musik setzt sich durch dieses Beziehungsgeflecht jedes Stück geradezu selbst in Beziehung mit anderen. Jetzt ist mir schon seit langer Zeit immer wieder passiert, dass mir Leute gesagt haben, das bei dir klingt nach dem und das nach dem. Und das Lustige war aber für mich, die Leute haben mir oft ganz wahnsinnige Namen gesagt, an die ich nicht gedacht oder die ich nie mit mir in Beziehung gebracht hätte. Und das noch Lustigere, jeder hat ein bisschen etwas anderes gesagt, das heißt, jeder hat in seiner Geschichte gekramt. Und das ist eigentlich etwas, was ich sehr gern hab’. Strawinsky hat gesagt, man könne den Leuten nicht vorschreiben, welche Empfindungen sie beim Hören haben und hat daraus abgeleitet, dass die Musik keinerlei Empfindungen transportiert. Und das, glaube ich, ist nicht wahr. Musik transportiert Empfindungen, nur, der Komponist sagt es nicht. Sondern der komponiert die Musik und wenn er ein halbwegs guter Komponist ist, dann ist die Musik durchlässig für alles, fast alles. Ich lache natürlich selten, wenn eine tragische Stelle ist – aber das ist mir einmal aufgefallen bei einer Haydn-Symphonie: Vor zwei Takten war doch die Situation unglaublich dramatisch, aber jetzt macht er sich schon wieder lustig. Das geht unglaublich emotionell auf und ab, das bleibt nicht einer Stimmung, sondern das ist dauernd irgendwo anders. Und das gefällt mir sehr gut. Und so hoffe ich auch bei meinen Sachen immer, dass es durchlässig ist. Das heißt, wenn die Leute die verschiedensten Assoziationen haben, finde ich das eigentlich ganz lustig .(lacht)

Bei einem Ihrer Stücke (“Sonatina”) lieferten Sie eine Art Gebrauchsanweisung  mit, in der Sie dem Publikum versichern, Ihre Musik verursache keine Hautausschläge. Und dass Sie dem Brahms und dem Clementi geschrieben haben. Da steckt doch drinnen, macht es Euch nicht zu leicht, meine Musik ist doppelbödig.
Na ja freilich. Aber man kann den Leuten nicht vorschreiben, wie sie etwas rezipieren sollen. Und heute regen sich viele auf, dass die Leute sich nur zurücklehnen wollen, um Musik nur so zu konsumieren. Ich glaube nicht, dass das wahr ist. Es gibt eben Vorlieben und Interessen, die wechseln im Leben. Als ich jung war, gab es gewisse Dinge, die ich von vornherein abgelehnt habe. Um symbolisch dafür einen Namen zu nennen – zum Beispiel den Tschaikowski.

Romantisch, pathetisch .
. übertriebene Gefühle, was weiß ich was alles. Tschaikowski habe ich einfach einmal prinzipiell abgelehnt. Oder Richard Strauss. Der Inbegriff eines reichen Bürgertums. Natürlich Mahler dagegen, Mahler super. Ich muss zugeben, beim “Rosenkavalier” habe ich immer so gesündigt. Da bin ich immer wieder hingegangen und habe mir gedacht, heute gönn’ ich mir das wieder. Sogar als ich beim Elektronischen Studio in Köln war, bin ich in den Rosenkavalier gegangen. Aber ich habe erst mit der Zeit gelernt, was das für gute Komponisten sind. Man kann sich nicht für alles gleichzeitig interessieren.

Ihre Musik sucht, wenn ich Sie richtig verstehe, an große Musik der Vergangenheit anzuknüpfen. Sie waren bei Karlheinz Stockhausen im Elektronischen Studio, waren in Darmstadt. Inwieweit spielt die Auseinandersetzung mit der damaligen Avantgarde und ihren inhaltlichen und technischen Topoi, natürlich auch die Auseinandersetzung mit der Zwölftonmusik der Wiener Schule und mit der Reihentechnik, doch auch später eine Rolle in ihrem wieder “tonalen” Komponieren?
Lothar Knessl hat immer darauf bestanden, dass das für mein Komponieren letztlich doch bestimmend war und ist. Und das stimmt ja auch – Stockhausen war einer meiner einflussreichsten Lehrer. Von dem habe ich irrsinnig viel gelernt!

Sie haben ihm ja in den achtziger Jahren noch einmal ein Stück gewidmet [Neues von Eu-Sirius – namentlich drei Sonaten und zwei Fugen für Karlheinz Stockhausen zur Unterhaltung]”. Hat er darauf reagiert?
Freilich. Das ist sogar ein längerer Brief gewesen, aber am Ende hat er gesagt: Sie haben immer ein Stübchen in meinem Kopf gehabt, es ist hohe Zeit, dass Sie Miete bezahlen. Ich habe ihn auch sehr gern gehabt, und habe in Kursen und im Studio, in dem er täglich gearbeitet hat, wirklich viel gelernt, wie man Sachen anpackt. Und konnte dadurch auch Abstand gewinnen. Ist ja klar, immer wenn man einen Menschen näher kennen lernt, ist er dann eines Tags nicht mehr diese Ikone, sondern kommt auf ein menschliches Maß herunter. Ich bin immer ein Wiener geblieben, und er ist da im Studio gesessen und hat phantasiert – über ganz neue Formideen und was weiß ich, den großen Zyklus. Und dann kam der Ligeti und sagte, na ja, das ist doch eine A-B-A -Form . die Süd- und Osteuropäer waren da nicht so zu beeindrucken. Was aber nicht heißt, dass der Stockhausen nicht auch wieder sehr witzig sein konnte.

Sie sprechen sehr liebevoll über ihn. Sie werden ja manchmal so in ein Eck gestellt, der konservative Schwertsik, der sich abgewandt hat von der Darmstädter Avantgarde .
Das war aber nie, das habe ich nie gemacht. Aber ein Sonderling bin ich eben schon. Für mich war eigentlich dann in Darmstadt das Gefühl da, die machen alleweil dasselbe. Das kenn ich jetzt schon.

Und der Auftritt von John Cage?
Der Cage war ein Auslöser, dass ich mich für den Dadaismus interessiert habe. Der Cage hat diesen absolut über allen Dingen drüberstehenden Humor gehabt, der für mich sehr hintergründig war. Der Ligeti war da ganz beleidigt, der sagte immer, “das ist keine wirkliche Weisheit!” Aber mir hat das gut gefallen damals, da war die Provokation, die mir ja nahe liegt, damals viel mehr als heute. Aber zurück zu dem allgemeinen Unbehagen, das war bei mir auf einmal das Gefühl, dass sich da ein Strom entwickelt, wo einer den anderen darin bestätigt, dass die Musik jetzt so sein muss und nicht anders – das geht ja meiner Ansicht nach bis heute so – und damals hat mich das zu langweilen begonnen. Einer der Gründe, warum ich in die moderne Kunst gegangen bin, war doch, weil ich dieses gegenseitige Schulterklopfen nicht leiden habe können. Ich wollte herausfinden, worum geht es da eigentlich. Nicht sich darauf verlassen, das ist Kunst und das machen wir. Das entsteht aus der Ghettosituation heraus. Mir ist es eigentlich gelungen wieder ein Außenseiter zu sein, indem ich mir sagte, ich bin ein Avantgardist, aber niemand merkt’s.

Aber Sie haben doch Anerkennung erfahren, für das, was Sie machen, werden bei Boosey & Hawkes verlegt und hoch geschätzt .
Ja, das ist auch schön. Aber was ist Anerkennung? Ich lese in der Zeitung vom Musikverein einen Aufsatz über Donizetti, wo man erfährt, der wurde überflügelt von Verdi, Bellini war beliebter, und von ihm ist nie das verlangt worden, was er hätte machen können. Der hat sich wahrscheinlich ein ganzes Leben lang missverstanden gefühlt. Der wollte eigentlich tragische Opern schreiben und wollen hat man von ihm immer Lustspiele – und das sind auch die bekannteren seiner Opern. Bellini, sagte man, schreibt die längeren und rührenderen Melodien, Verdi sei im Dramatischen viel besser. Wahrscheinlich gab es viele Komponisten, die irgendwie zwischen den Stühlen sitzen geblieben sind.

Können Sie schreiben was Sie wollen? Oder gibt es  Ihnen gegenüber auch klischeehafte Erwartungshaltungen?
Natürlich gibt es Erwartungshaltungen. Aber das Klischee liegt bei mir . Wissen Sie, eine Bestrebung gibt es nicht bei mir, das Streben nach Originalität, das habe ich komischerweise nie gehabt. Auch als junger Kerl nicht. Aber: Ich halte es für ganz wichtig, verschiedene Wirkungen in der Musik zu erzeugen. Vor allem, die tonalen Ebenen interessant gegeneinander abzusetzen. Wenn Mozart auf eine bestimmte Art auf eine andere Stufe moduliert – und man ist ganz weg! Fasziniert geht man musikalisch in einen anderen Raum hinein. Oder Schubert, plötzlich legt der einen kleinen Schalter um und man ist ganz woanders. Ich hab einmal zum [Gottfried von] Einem gesagt: Ich werde ja nicht mit der modernen Musik verglichen, die sonst aufgeführt wird, sondern mit Haydn und Mozart, mit Brahms. Und der Einem sagte, na ja, mit denen muss man sich auch vergleichen. Das sind unsere Konkurrenten. Und damit hat er natürlich Recht. Man kann eben nicht sagen, mein Stück ist mindestens so gut wie das von Boulez, damit habe ich keinen Stich gemacht. Mit Brahms muss ich mich vergleichen. Außer Streit zu stellen ist immer Bach, ein absolut in sich ruhender Kosmos, wer ist an den herangekommen?

Oder an manches bei Beethoven
Das ist dermaßen merkwürdig in der Eigenart der Musik – während der Bach ja diese in sich ruhende Architektur, diesen in sich ruhenden Kosmos hat – so ist das bei Beethoven dieses absolut unbegreifliche in alle Richtungen gleichzeitig Sich-Bewegen, dieses über alle Grenzen Hinausgehen.

Man kann ja heute – auch wenn man es könnte – nicht mehr so komponieren wie Brahms, Beethoven oder Bach, es ist ja einiges passiert – die Ausreizung der Tonalität, die Zerschlagung der festgefügten Formen. Sie machen ja auch nicht nur A-B-A-Formen .
. oh ja, sehr viele! . Aber wogegen ich sehr bin, ist es diesen Hegelschen Geschichtsbegriff so ohne weiteres noch immer anzuwenden dass es teleologisch auf ein Ziel hingeht.

Das will ich ja nicht sagen, sondern nur, dass sich das Hören verändert hat – der Anfang der Ersten Beethoven regt heute niemanden mehr auf, der tut nicht mehr weh, weil sich das akustische Environment, auch durch alles das, von dem wir tagtäglich berieselt werden, verändert hat.
Das, was ist, lässt sich nicht mehr ungeschehen machen. Und, aber: Die Menschheit entwickelt sich leider nicht nach aufwärts. Und wir erleben die Geschichte ganz anders als vor hundert Jahren. Aber egal, das was ich gemacht habe, war, mir die Tonalität Schritt für Schritt wieder anzuverwandeln, obwohl ich auf dem Gebiet eigentlich ungeschickt war. Ich habe mir dieses tonale Handwerk langsam wiedererarbeitet. Und an dem arbeite ich noch immer. Das ist das eine, das andere ist, dass ich beobachte, was rundherum geschieht. Und da habe ich den Eindruck, dass diese sogenannte Ernste Musik als Genre eigentlich nicht mehr wirklich vorhanden ist. Nicht im etablierten Konzertbetrieb, sondern in dem was nachwächst. Da haben alle möglichen Strömungen der Popmusik einen kulturell viel höheren Stellenwert als je. Wenn sich Intellektuelle über Kunst unterhalten, dann reden sie meist über Popmusik. Das war auch schon in früheren Jahren so, der Wolfgang Bauer und der Ernst Jandl, die Maler haben Jazz gehört, wenn sie malten, kein Mensch hat Stockhausen gehört. Das war das erste Mal: Den Kollegen aus den anderen Kunstrichtungen ist die moderne Musik größtenteils am Arsch vorbeigegangen. Das ist ein gefährliches Zeichen gewesen für eine Isolation – die moderne Musik hat sich in ihre eigene Ideologie eingeigelt. Jetzt gibt es heute diese sogenannten  Improvisationskompositionen  – das wird immer mehr, die spielen auf ihren Instrumenten alle was, dann kommt noch ein bisschen Elektronik dazu, und da können wir jetzt einen ganzen Abend spielen. Und das andere sind diese Audiokunst-Sachen der verschiedensten Art, dass jemand für zwanzig Minuten Sesselknarren aufnimmt. Das höre ich mir ab und zu alles an und verliere dann meistens die Geduld. Was mich auch stört, ist, dass diese Improvisationsszene sich so stark mit dieser Selbsterfahrungsszene mischt. Da ist mir zuwenig Professionalität dabei. Insofern bin ich vielleicht sehr konservativ.