mica-Interview mit Katharina Gross

Man wächst mit seinen Herausforderungen – diese Redewendungen, so könnte man vermuten, hat sich Katharina Gross zu ihrem künstlerischen Motto gemacht, liest man etwa davon, dass es sich die junge Cellistin zur Aufgabe gemacht hat, bei KomponistInnen eines jeden der weltweit 194 Länder der Erde und je einem ihrer Studierenden je ein Werk zu beauftragen und diese in Summe 388 Kompositionen zur Uraufführung zu bringen. Dieses weltumspannende Vorhaben ist aber nur eines der vielen kreativen Projekte, zu denen Ruth Ranacher und Michael Franz Woels der umtriebigen Künstlerin die Fragen stellten.

Viele Ihrer internationalen Projekte sind mit Reisen verknüpft, auch dieses Interview führen wir via Skype. Was schätzen Sie generell an internationalen Zusammenarbeiten?

Katharina Gross: Ich bin gerne unterwegs. Internationale Zusammenarbeit bedeutet eine Erweiterung des Kontaktkreises. Es entstehen neue Projekte über Länder hinweg und ein größerer Pool an Ideen erwächst. Wichtig erscheint mir die Tatsache, dass die Arbeit der beteiligten KünstlerInnen mittels internationaler Projekte besser transportiert werden kann. Ich arbeite kammermusikalisch mit sehr vielen MusikerInnen, die wiederum eigene Projekte und Festivals in ihren Heimatländern organisieren. Das gibt mir und meinen KollegInnen die Möglichkeit, Programme zu erarbeiten, die wir in mehreren Ländern realisieren können.

Bei Ihrem Projekt cellomondo haben Sie sich das hohe Ziel gesteckt, 388 Kompositionen zu vereinen und zur Uraufführung zu bringen? Wie darf man sich diesen Entstehungsprozess vorstellen?

Weltweit gibt es insgesamt 194 Länder. Mit cellomondo verfolge ich die Vision, jedes Land der Welt miteinzubeziehen. 388 Kompositionen kommen zustande, wenn sich in jedem Land ein/e KomponistIn und jeweils ein/e Studierende/r an cellomondo beteiligen. Ob sich das Ziel von 388 Kompositionen und Uraufführungen wirklich erreichen lässt, steht noch ein wenig in den Sternen. Ich starte jedenfalls diesen Herbst mit der Uraufführung von zehn Kompositionen aus fünf Ländern im Kunstgarten in Graz am 11. November und einer weiteren Aufführung am IEM – Institut für elektronische Musik und Akustik, ebenfalls in Graz.

Das heißt, die Tätigkeit der mitwirkenden KomponistInnen ist auch an die Lehre gekoppelt?

Ja, es war mir wichtig, auch junge KomponistInnen in cellomondo miteinzubeziehen. Ich möchte ihnen die Chance geben, gespielt zu werden und ihr kompositorisches Schaffen in einem größeren Rahmen zu verankern. Gerade für junge KomponistInnen beinhaltet diese Herangehensweise auch die Frage, inwieweit man sich stilistisch an seinen Lehrer anlehnt und in wieweit man sich selbst zu Neuem und Innovativem vorwagt.

Sie vergeben auch Kompositionsaufträge an KomponistInnen und ihre Studierenden – möchten Sie uns ein wenig dazu erzählen?

Mein größtes Projekt derzeit ist cellomondo. Grundsätzlich möchte ich das Cellorepertoire erweitern. Zuvor habe ich in sehr eigenwilligen Konstellationen gearbeitet, für die es nicht so viel Literatur gibt: beispielsweise Werke für Cello und Schlagwerk. Ich denke, dass es sowohl bei dem Kammermusikrepertoire und beim Solorepertoire viel zu entdecken gibt. Auch darum setze ich mich stark für Kompositionsaufträge ein.

Sie bewegen sich in vielen unterschiedlichen musikalischen Feldern. Welche Grenzen möchten Sie in und mit Ihrem musikalischen Schaffen ausloten?

Grundsätzlich finde ich es sehr bereichernd, Grenzen zu verschieben. Meine Ausbildung war sehr klassisch und ich spiele auch vorwiegend in klassischen Klaviertrios. Zugleich entdecke ich auch immer wieder neue Bereiche, zu denen ich mich vorwagen möchte. Ich hatte immer das Bedürfnis, etwas Eignes zu kreieren. So entstand beispielsweise „The Cello Songbook“, man könnte dieses Projekt am ehesten unter experimentelle Popmusik einordnen. Ich bewege mich auch wahnsinnig gerne in der Neuen Musik. Cellomondo habe ich beispielsweise mit der koreanischen Komponistin Seung-Ah Oh begonnen. Ich hatte den Eindruck, dass sie eine eigene Sprache für das Cello entwickelt und die Spieltechnik extrem erweitert. Das fand ich sehr reizvoll und da möchte ich weiter machen.

Dem Cello sagt man nach, dass es mit seiner kantablen, tonalen Qualität der menschlichen Stimme sehr nahe kommt. In cellomondo steht die Sprache der KomponistInnen im Mittelpunkt. Welche gestalterischen Mittel können diese nutzen, um das Thema Sprache – auch im Sinne von Muttersprache – hervorzuheben?

Für mich kommt die Klangqualität des Cellos der menschlichen Stimme wirklich sehr nahe. Ich glaube, dass das Cello ein Instrument ist, das extrem gut mit einem Publikum kommunizieren kann. Ich empfinde das Cello auch als ein Instrument, dass die Individualität der KomponistInnen extrem gut transportieren kann. Die koreanische Komponistin Seung-Ah Oh arbeitet sehr stark mit der Technik des Pizzicato und hat hier neue Formen entwickelt, die für mich spiel- und gestaltungstechnische Entdeckungen waren. Sie bringt auch sehr geschickt ihre koreanischen Wurzeln in die Neue Musik ein. So entsteht eine Symbiose von neuen und traditionellen Elementen. Jakhongir Shukurov, der ebenfalls für cellomondo schreibt, bringt die Traditionen seines Landes ein. Er imitiert bei seiner Komposition ein usbekisches Volksinstrument, das eine bestimmte Zupftechnik, die sehr viel mit dem Nagel agiert, von mir abverlangt. Andere KomponistInnen wie Veronika Simor oder Johannes Kretz gehen wieder in ganz andere gestaltungstechnische Richtungen. Sie arbeiten stärker mit Emotionen und bestimmten Klangerlebnissen. Johannes Kretz bringt auch viel Spontanität und Überraschungsmomente mit ein. Er wirkt in dem Stück selbst mit und arbeitet mit einem Handgestensensor, der das Publikum auch optisch stimuliert.

Die „Cello Box“ gastierte bei einem Architekturfestival. Wie kam es zu der Idee, auch den bespielbaren Raum zu gestalten?

Die Idee der Cello Box ist gemeinsam mit dem Komponisten Arnold Marinissen entstanden. Wir haben uns einerseits gefragt, was die Musik noch an zusätzlichen Elementen verkraften kann und was einer Produktion andererseits auch eine gewisse Flexibilität bietet. Die Grundidee bildete dann ein kleines, transportables Lichttheater. Wir haben die Lichtkünstlerin Marion Tränkle, von der die LED-Programmierung stammt, in die Arbeit mit einbezogen. Die „Cello Box“ ist sehr ansprechend für das Publikum, kann Festivals bespielen, aber genauso gut in Konzertsälen Platz finden.

Wie kam es zur künstlerische Zusammenarbeit mit Arnold Marinissen?

Arnold Marinissen ist Schlagwerker und Komponist. Wir haben vor einigen Jahren in dem Ensemble Camerata Busoni in den Niederlanden zusammen gespielt. Camerata Busoni war zu diesem Zeitpunkt als klassisches Klavierquartett ausgerichtet, widmete sich in einigen Konzerten aber auch der Neuen Musik. Diese Konzerte fanden mit Arnold Marinissen statt. Über ein Stipendium des Bundesministeriums konnte ich schließlich meine Tätigkeit in den Niederlanden intensivieren und von da an entstanden mehrere gemeinsame Projekte und Kompositionen.

Wovon haben Sie in Ihrem Studium der “Professional Performance” am Royal Northern College of Music in Manchester in Hinblick auf den aktuellen Konzertbetrieb am meisten profitiert?

Ich bin davon überzeugt, dass nur MusikerInnen wahrgenommen werden, die sich neben ausgezeichnetem Spiel auch gut präsentieren können. Die Performance ist ein wesentlicher Aspekt in der Wahrnehmung von Musik, der nicht zu unterschätzen ist. Ich hatte das Glück, dass ich in meinem Studium – sowohl in Köln als auch in Manchester – von meinen Lehrern stark in Richtung Performance geschult worden bin. Sie haben angeregt, auch an musikalische Grenzen zu gehen und zu lernen, sich auf der Bühne öffnen zu können. Später habe ich auch mit einer Szenografin zusammengearbeitet. Oft sind es nur Kleinigkeiten in der Bewegung beim Spiel, aber auch in den Spielpausen. Allein diese ganz bewusst zu setzen, kann eine enorme Wirkung erzielen. Natürlich hat man seine individuelle Spielweise, aber für die Wahrnehmung des Publikums ist es wesentlich, ob man in Spielpausen eine Spannung von der Körpersprache her aufrecht erhält oder sich entspannt.
Bei der „Cello Box“ ist die Performance zum Beispiel ein ganz wesentlicher Aspekt, aber auch in der klassischen Musik. Für mich sind das zwei verschiedene Arten der Performance, die sich aber gegenseitig ergänzen und bereichern. Ich erkenne auch, dass die unterschiedlichen Genres und Spielarten, die ich beherrsche, aufeinander abfärben.

In wie fern aufeinander abfärben? Würden Sie das etwas näher beschreiben?

Bei der „Cello Box“ wird zum Beispiel viel Bewegung und Lockerheit in der Performance abverlangt, aber gleichzeitig erfordert die Arbeit mehrspuriger Cellostimmen musikalisch auch eine unglaubliche Präzision. Ich entwickle durch die Arbeit in der „Cello Box“ eine unglaubliche Stabilität und das wirkt sich positiv auf die Kammermusik aus. Diese ist eine sehr sensible Angelegenheit. Man muss über ein sehr gutes Fundament verfügen und zugleich sehr flexibel sein. Klassische Musik verlangt meist ein sehr konzentriertes und verinnerlichtes Spielen mit starkem Fokus auf Präzision. Das kommt mir bei der Musik für die „Cello Box“ zugute. Ich spiele sozusagen mit dem Repertoire und daraus erwächst Leichtigkeit.

Wann und wo treffen Interpretation und Improvisation innerhalb Ihrer Arbeit aufeinander?

Wenn ich an eigenen Stücken arbeite. Wenn ich zu spielen beginne, kristallisiert sich für mich während des Improvisierens heraus, wie ich das Stück spielen möchte und werde. Ich interpretiere, wenn ich improvisiere. Die Interpretation wächst mit der Entstehung des Stückes mit und formt sich.

Gibt es Auftritte, wo die reine Improvisation im Vordergrund steht?

Ja, beispielsweise wenn ich mit Elektronik arbeite. Das Stück „transformation of power“ verfolgt beispielsweise den Ansatz, dass sich parallel zu meinem Spiel auf der Bühne langsam eine Eigendynamik entwickelt. Mein erzeugter Klang durchläuft verschiedene Stadien an Klangfarben und Effekten und ich reagiere auf diese Resultate mit meinem Spiel. Wenn ich das Stück „Wasserspiegel“ mit auf Tape vorgegebenen Cellostimmen aufführe, improvisiere ich immer etwas Neues dazu.

Ihr Cello ist über 200 Jahre alt. Seit wann begleitet Sie dieses Instrument?

Seit genau 15 Jahren und seit dieser Zeit bin ich mit dem Instrument wie verwachsen. Es ist ein sehr warmklingendes, italienisches Cello. Es kann aber auch sehr widerspenstig sein, da es beispielsweise sehr wetterfühlig ist. Es lässt mich seine Stimmungen tatsächlich spüren. Ich kann ihm aber auch sehr viele Stimmungen entlocken. Für mich ist es wirklich das perfekte Kammermusikinstrument. Es hat aber auch genug Persönlichkeit, um in Soloprojekten einen guten Auftritt zu garantieren.

Welchen Stellenwert hat die Teilnahme an Meisterkursen für junge MusikerInnen und wen würden Sie gerne in Zukunft als Lehrenden einladen?

Grundsätzlich bin ich der Meinung, dass die Teilnahme an Meisterkursen für junge MusikerInnen sehr wesentlich ist. Für mich persönlich waren diese unterschiedlichen Anregungen sehr entscheidend und ich denke, junge Menschen können nicht genug an Anregungen und Einflüssen bekommen. Ich selbst habe im Studium die Erfahrung gemacht, dass die Kenntnis von unterschiedlichen Unterrichtsansätzen extrem wichtig für die Entwicklung von meinem Spiel war. Dadurch konnte ich rückblickend gesehen auch viel besser Entscheidungen treffen. Während die eine Lehrpersönlichkeit einen starken Fokus auf Technik und Körperhaltung legt, setzt eine andere Person bei musikalischen Aspekten an und löst technische Probleme. Meinen Lehrer aus Manchester, Ralph Kirschbaum, schätze ich als Pädagogen sehr.

Mit meinem Verein concertello biete ich Kurse in unterschiedlichen Bereichen. Ich selbst springe ja auch zwischen den Musikrichtungen und ich möchte Meisterkurse organisieren, in denen beispielsweise klassische MusikerInnen Anregung zur Improvisation aus dem Jazz oder der Popmusik bekommen können. Oder Tipps die eigene Performance betreffend. Ich beginne bei der Performance und lade für zwei Tage die Szenografin Marion Tränkle ein, um mit jungen MusikerInnen an deren Bewegungen zu arbeiten.

Wie schätzen Sie die Bedeutung von Preisen und Auszeichnungen als Katalysator für eine professionelle Karriere ein?

In Hinblick auf ein Repertoire, das eben zu einem bestimmten Zeitpunkt fertig sein und vorgetragen werden muss, sind Wettbewerbe für junge KünstlerInnen eine gute Motivation. Die Preisträger erhalten so auch Auftrittsmöglichkeiten, da viele Veranstalter mit Wettbewerben zusammenarbeiten. Grundsätzlich bin ich aber überzeugt, dass das eigene Engagement über den Wettbewerben steht. Junge Menschen sollten früh mit Veranstaltern Kontakt haben, mit eigenen Ideen kommen und auch auf dieser Ebene aktiv sein. Dadurch werden auch neue Initiativen geboren und gerade das macht den Konzertbetrieb ja auch interessant.

Wie kam es zu der Kombination von Schostakowtisch und Edith Piaf bei dem Programm „Café Noir“ des Fresco Trios?

Das ist ein Gesamtkonzept, das unsere klassischen Wurzeln und etwas Experimentelleres beinhaltet und sich auf uns als Persönlichkeiten bezieht. Wir haben vergangenes Jahr mit der holländischen Sängerin Charlotte Riedijk gearbeitet und die „Sieben Romanzen nach Worten von A. Blok“ von Schostakowitsch gespielt. Als Spätwerk von Schostakowitsch sind die „Sieben Romanzen“ ein introvertiertes Stück, das auch Anklänge von Leid und Klagen hat. An dieses Thema knüpften wir an und so entstand ein Programm mit gespielten und gesungenen Romanzen. Wir haben diese Idee gemeinsam mit der Sängerin besprochen. Als klassische Sängerin konnte sie sich auch vorstellen, sich in französischen Chansons zu versuchen. Diese Kombination erschien uns perfekt und der Chanson passt auch wunderbar zum Ausdruck ihrer Stimme.

Für welches Publikum spielen Sie am liebsten?

Da denke ich jetzt konkret an ein Konzert, das ich vergangenes Jahr in Terneuzen gab. Wir spielten ein klassisches, höchst traditionelles Programm vor einem sehr gemischten Publikum unterschiedlicher Altersgruppen. Es herrschte eine sehr entspannte Stimmung. Ich persönlich fühle mich in so einer Atmosphäre sehr wohl.

Ich trete auch gerne bei Veranstaltungen wie dem bereits erwähnten Architekturfestival auf. Die Location war eine riesige Lagerhalle, in der einige Architekturobjekte platziert waren. Gewissermaßen war dieses Festival für alle Beteiligten eine Durchgangsituation. Das Publikum konnte frei herumschlendern und so auch auf die „Cello Box“ treffen. Solche Gelegenheiten schätze ich sehr und hier mache ich die abenteuerlichsten und schönsten Erfahrungen zugleich.

Foto Katharina Gross: Nancy Horowitz
Foto Fresco Trio: Rob Marinissen

http://www.katharinagross.at/
http://www.frescotrio.com