mica-Interview mit Liger

Mit “Crash Symbols” haben Dino Spiluttini und Gernot Scheithauer alias Liger gerade ihr erstes Album, mit dem sie derzeit auch auf Tour durch die Lande sind, auf dem Label Beatismurder veröffentlicht. Im mica-Interview mit Michael Masen sprechen sie über die Aufnahmen fürs neue Album sowie ihren Zugang zur Musik.

Das Album “Crash Symbols” ist vor kurzem auf Beatismurder erschienen. War von Anfang an geplant, dass es auf deinem eigenen Label erscheinen soll, oder habt ihr auch mal in Erwägung gezogen, es irgendwo anders raus zu bringen?

Dino: Es war schon von Anfang an geplant, dass das Album auf Beatismurder erscheinen soll, wobei ich da lediglich den österreichischen und deutschen Markt übernehme und für die darüber hinaus gehenden sind wir gerade auf Labelsuche und hoffentlich findet sich darunter auch ein amerikanisches. Wichtig war es für uns, auf den umliegenden Märkten eben mehr Kontrolle zu haben. Gerade für Österreich und Deutschland braucht man nicht wirklich ein großes Label, weil der Großteil sowieso über die Vertriebe läuft, mit denen ich ja ohnehin zusammen arbeite. Was die Aufnahmen betrifft war es uns halt wichtig, die künstlerische Kontrolle voll und ganz bei uns zu belassen, was uns der Release auf meinem eigenen Label eben ermöglicht hat. Das fertige Album, so wie es jetzt ist, können wir nun für den Rest Europas oder auch für Übersee einem anderen Label anvertrauen, weil uns nun keiner mehr beim Schöpfungsprozess dreinreden kann.

Gibt es schon Interessenten, was die Labels betrifft?

Dino: Bis jetzt habe ich, ehrlich gesagt, noch gar nichts weggeschickt. Es wurden jetzt mal Adressen gesammelt, wer denn überhaupt an dem Album interessiert sein könnte und nächste Woche irgendwann werde ich das dann mal in Angriff nehmen und CDs verschicken. Ich hoffe natürlich schon auf ein größeres Label, weil bevor das irgendein kleines Hinterhof-Label macht, können wir das auch gleich selbst erledigen – in Kooperation mit amerikanischen Vertrieben. Es ist halt hauptsächlich eine finanzielle Frage; man muss eben auch Promo-Agenturen beauftragen, weil sonst das Ganze überhaupt keinen Sinn macht. Die bekanntesten Agenturen, in den USA beispielsweise, verlangen aber für eine Promo-Kampagne 5000 Dollar im Monat, wobei das dann mit einer Mindestlaufzeit von drei Monaten verbunden ist. Wenn du das aber nicht hast, kommst du auch mit deinem Album in keine Blogs rein, bekommst keine Rezensionen und so weiter. Selbst können wir uns das natürlich nicht leisten und deswegen hoffen wir eben, ein finanzkräftiges Label zu finden, das uns dabei unterstützt.

Liger war ja am Anfang dein Solo-Projekt; wie hat es sich ergeben, dass ihr schließlich zu zweit weiter gemacht habt?

Gernot: Generell war es ja so, dass wir gemeinsam studiert, uns währenddessen so peripher kennen gelernt, dann aber wieder eine Zeit lang überhaupt nichts voneinander gehört haben. Irgendwann habe ich dann Dino’s Musik im Internet entdeckt und mir gedacht, “ok, kontaktierst du ihn mal und schaust, ob man vielleicht etwas gemeinsam machen könnte”. Für mich war das auch in einer Phase, wo musikmäßig mit anderen Bands nicht mehr viel gegangen ist.

Dino: Eigentlich wollten wir ja erst eine andere Band machen. Liger war ursprünglich auch nur ein weiteres Nebenprojekt von mir, das nicht unbedingt ernst gemeint war. Zu der Zeit, wie mich Gernot dann kontaktiert hat, ist aber auch schon ein Live-Termin angestanden und ich habe mir gedacht, den könnten wir gemeinsam absolvieren. Für Herbst desselben Jahres war auch eine Tour für mich gebucht, die wir ebenfalls gemeinsam bestritten haben und danach sind wir dann auch gleich zusammen geblieben.

Gernot: Ursprünglich waren wir ja zu dritt. Die Idee war es, dass Dino zu mir und noch einem anderen Musiker dazu stößt und wir versuchen im Trio etwas zu machen. Das hat aber nicht einmal zumindest im Ansatz funktioniert und ist kläglich gescheitert. Und dann ist eben dieser Live-Auftritt angestanden, den Dino erwähnt hat, für den er noch jemanden gebraucht hat, der Schlagzeug spielt, Glockenspiel und noch ein paar andere Instrumente und das habe dann halt ich übernommen.

Dino: Gespielt haben wir damals ausschließlich meine Songs – durchwegs eher ruhigeres Zeug.

Gernot: Nach diesem Konzert, wo wir gemerkt haben, dass wir ziemlich gut harmonieren, haben wir uns dann mal zusammen gesetzt und überlegt, wie es weiter gehen könnte. An diese Tour haben wir ja, zumindest ich, anfangs gar nicht so gedacht. Vielmehr haben wir uns halt mal im Proberaum getroffen und ein paar Sachen zu zweit ausprobiert und dann erst hat Dino irgendwann gemeint, ich solle doch mitkommen. Und im Hinblick auf diese Tour haben wir dann angefangen, gemeinsam neue Songs zu machen und sogar noch davor unsere erste EP aufgenommen. Die fertige Scheibe haben wir sogar erst während der Tour bekommen – das war sozusagen der Anfang.

Inwieweit hat sich nun der Entstehungsprozess der einzelnen Stücke verändert?

Gernot: Es fängt meistens damit an, dass irgendjemand Skizzen erstellt. Der Song, der schließlich am Ende daraus entsteht, hat auch oft gar nichts mehr mit diesen anfänglichen Skizzen gemein, es ist aber zu Beginn einmal wichtig, dass einer mal eine Idee einbringt. Wir haben eine Zeit lang versucht, im Proberaum zu zweit etwas zu machen, was jedoch überhaupt nicht funktioniert hat. Am Sinnvollsten war es immer, wenn jemand einen Teil, vielleicht bloß einen kleinen Beat, ein paar Harmonien, ein paar Synth-Linien, oder ein paar Akkorde, je nachdem, einbringt, woraus sich schließlich alles andere weiter entwickelt hat.

Dino: Am Anfang war es wirklich so, dass wir, gleich nachdem die EP fertig war, das Album machen wollten, das ursprünglich dementsprechend schon für Frühjahr 2007 angekündigt war. Wir waren so übermotiviert und hoffnungsvoll, dass das gleich etwas wird, dass wir uns monatelang jeden Tag getroffen haben, um Songs zu schreiben und letzten Endes dann keinen einzigen, den wir begonnen hatten, fertig bekommen haben – nicht einmal vier sinnvolle Takte haben wir komponieren können. Das war total frustrierend; unser ganzer Zugang war auch total verkopft und wir nicht reif genug, so ein Projekt gleich in Angriff zu nehmen – wir hatten uns ja erst kurz vorher musikalisch zusammen getan und so eine Band muss auch erst einmal Visionen entwickeln und einen eigenen Weg finden. Aus dem Nichts kann man einfach nicht irgendetwas machen.

 

 

Gernot: Das Schwierigste war bei uns glaube ich auch, dass wir von Anfang an nichts machen wollten, was schon genau festgelegt und definiert war, wie es funktioniert. Wir wollten nichts machen, wo es von Anfang bis Ende einen Rhythmus und eine klare Akkordstruktur gibt, eine Melodie nach dem Schema “Strophe – Refrain – Strophe – Refrain -, usw.

Dino: So würde ich das eigentlich gar nicht sagen, auf so analytische Weise habe ich das gar nicht gesehen. Bei mir war es einfach eine Zeit, wo mich die meiste Musik einfach nur noch genervt hat und ich auch kaum noch Musik gehört habe – da ist es dann natürlich auch schwer, selbst etwas zu machen bzw. etwas zu finden, das einem auch gefällt. Das Schwierigste war sicherlich, erst einmal gemeinsam auf einen richtigen Weg zu kommen. Ich glaube, es war nicht so, dass wir gesagt haben, wir möchten es vermeiden, da jetzt eine normale Songstruktur zu haben, sondern es ist einfach gar nicht dazu gekommen.

Gernot: Nein, es war schon so, dass wir nicht zufrieden waren damit; ich kann mich noch gut erinnern, wie wir im Proberaum gesessen sind, eigentlich wochenlang, und beide nie mit den Akkorden zufrieden waren. Es war ein teilweise wirklich mühsames Suchen nach den richtigen Akkordfolgen. Im Endeffekt ist es dabei wirklich manchmal um I-Tüpfelchen gegangen, was uns, glaube ich, doch damals sehr aufgehalten hat. Das ist etwas, das wir mittlerweile für uns besser geklärt haben.

Dino: Ich weiß auch gar nicht, wie wir das am Ende gelöst haben, warum es auf einmal dann funktioniert hat. Anfang des Jahres haben wir wieder angefangen, am Album ernsthaft zu arbeiten und auf einmal ist es wirklich gut gegangen und auch immer ein Stück weiter. Bis auf drei oder vier Ausnahmen haben wir eigentlich jede Skizze, die wir begonnen haben, auch beendet.

Wie handhabt ihr bandintern gegenteilige Meinungen? Demokratisch, mittels Mehrheitsentscheidung, funktioniert ja bei zwei Leuten nicht wirklich.

Dino: Das kommt eigentlich eh relativ häufig vor. Wir müssen prinzipiell natürlich zum Wohl der Band kompromissbereit sein und oft kann der eine den anderen auch überzeugen. Es gibt aber auch Situationen, wo einer meint, irgendetwas ginge auf gar keinen Fall und dann hat derjenige auch ein Veto-Recht. Wenn einer mit etwas überhaupt nicht leben kann, dann muss der andere das auch akzeptieren.

Gernot: Im Großen und Ganzen funktioniert das auch wirklich sehr gut so. Bei Meinungsverschiedenheiten gibt es über den jeweiligen Anlass natürlich auch Diskussionen und Erklärungen, warum man das so gemacht hat und warum man das so haben will, aber wenn es dann nicht funktioniert, ist es glaube ich für uns beide vollkommen klar, dass es einfach weggelassen wird.

Dino: Irgendwie klingt das jetzt extrem analytisch. Es ist schon so, dass unser Kompositionsprozess zu einem Teil aus Auseinandersetzung, Diskussion und Abwägungen besteht, deswegen handelt es sich aber noch lange nicht um verkopfte Musik mit einem mathematischen Zugang. Vielmehr ist die Argumentation immer eine emotionale, eben weil uns das auch sehr wichtig ist.

Wenn es dann ans Aufnehmen geht, stehen die Songs schon so fest, wie sie verewigt werden sollen, oder tüftelt ihr dann auch noch daran herum?

Dino: Nein. Unser Songwriting und das Aufnehmen gehen Hand in Hand. Wir komponieren, nehmen das gleich auf und basteln das dann irgendwie zusammen. Deswegen konnten wir auch nie in ein Studio gehen, weil es uns unmöglich ist, etwa wie ein Rocktrio, voraus zu sagen, wie wir einen Song aufnehmen wollen. Wir können auch nicht irgendwie herum jammen und davon die besten Teile heraus nehmen; einerseits ist das sicherlich ein Manko, das uns aufhält, andererseits ist es auch gut, weil wir damit gewissen Fallen entgehen, nämlich denjenigen, in bestimmte Muster zu verfallen, die schon total herkömmlich sind – das kann beim Jammen immer leicht passieren.

Gernot: Wenn man zu zweit jammt, dann ist das so, dass jeder ein Instrument hat und man muss dann versuchen, mit diesen beiden Instrumenten, über das Stück hinweg zu kommen oder zumindest einen Ausgangspunkt zu finden. So wie wir das betreiben, ist es halt eher so, dass jemand eine Skizze mitbringt, meistens eine elektronische Grundlage, über die wir dann Ideen setzen. Wir nehmen uns also erstmal ein Instrument her, schaffen damit einen gewissen Teil, dann nehmen wir ein anderes Instrument und fügen wieder einen anderen Teil hinzu, nehmen wieder etwas anderes weg und so weiter. Und dadurch entsteht dann ein ganz eigenes Klangspektrum für diesen einen Teil oder das jeweilige Stück.

Dino: So unglaubwürdig das jetzt vielleicht auch klingt, wenn man unsere CD gehört hat, aber der wichtigste Teil unserer Kompositionsarbeit bei diesem Album war das Wegnehmen. Für manche Leute ist wahrscheinlich immer noch zu viel da, aber wir haben zum Wohle des Songs extrem viel eliminiert. Wir hatten auch zu keinem Zeitpunkt das Gefühl, irgendjemandem etwas beweisen zu müssen – nicht einmal uns selbst – sondern wir haben wirklich, und erfreulicherweise das auch unabgesprochen, oft einfach nur noch entschlackt und geschaut, was dem Song dient und die entsprechenden Stellen einfach wieder rausgenommen. Das haben wir durchgezogen, auch, wenn es noch so geile Instrumentalpassagen waren oder ich ein Solo gespielt habe, wie ich es mir selbst gar nicht zugetraut hätte.

 

 

Gernot: Das ist ja generell so ein Problem bei Musik, wo jeder hinter seinem Instrument sitzt. Wenn man einen Track so genial eingespielt hat, dann will man einfach nicht, dass das auf einmal wieder weg ist. Man steht sich da glaube ich zu sehr selbst im Weg. So wie wir das machen, finde ich, ist es genau richtig. Wir schauen einfach, was der Song braucht, und je nachdem, nehmen wir das Instrument raus oder geben es dazu.

Dino: Die Sachen, die einmal da waren und dann wieder weg gekommen sind, haben insofern auch Sinn gehabt, eine Existenzberechtigung, weil sie uns wieder auf andere Sachen gebracht haben, die dann geblieben sind. Wir haben halt im Proberaum extrem viele Instrumente rum liegen, denen wir eigentlich allen halbwegs vernünftige Töne entlocken können, weswegen die Gefahr auch sehr groß ist, dass wir das alles ein wenig übertreiben. Aber ich glaube, dass wir einen guten Mittelweg gefunden haben. Natürlich hätte es noch viel minimaler werden können, aber so wie es jetzt ist, sind wir sehr zufrieden damit.

Gernot: Ein wichtiger Teil ist glaube ich auch, dass wir nicht so besonders oft gemeinsam gearbeitet haben. Manchmal natürlich schon, aber es hat auch Zeiten gegeben, wo jeder zu Hause gesessen ist und an einem Track weiter gearbeitet hat. Dino hat eben diese ganzen Gitarreninstrumente eingespielt und ich habe dann.

Dino: Du hast meine Popsongs zerstört.

Gernot: Ja, genau. Ich habe seine Popsongs zerstört, indem ich dann mit dem Harmonium drüber gespielt oder irgendwelche Percussion-Sachen reingeschnitten habe und solche Sachen eben. Jeder hatte so seine bestimmten Aufgaben. Ganz klar ist immer gewesen, dass Dino seine Gesangslinien macht – damit hatte ich nichts zu tun. Und diese Arbeitsteilung ist auch die einzige Möglichkeit, wie es funktionieren kann. Ich habe zwar auch probiert, Gesangslinien zu schreiben und Texte, aber das wollte er dann nicht singen, weil es eben doch irgendwie von Herzen kommen muss und das geht eben nur, wenn man seine eigenen Sachen singt. Das war also absolut Dinos Part. Ich habe dafür dann diese ganzen Streicher-Arrangements gemacht, usw. Jeder ist also bei sich zu Hause gesessen, hat herum getüftelt und am Ende sind wir dann wieder zusammen gesessen und der jeweilige Song war wieder ein Stück weiter entwickelt.

Wenn ihr ständig Teile hinzu fügt und wieder entfernt, wie wisst ihr dann, wann der Song jetzt wirklich fertig ist, in der Form, wie ihr ihn auf CD veröffentlichen wollt?

Dino: Größtenteils ist uns diese Entscheidung von unseren körperlichen und psychischen Grenzen vorgegeben worden. Oft ist es einfach nicht mehr gegangen und so haben wir beschlossen, es bleiben zu lassen. Gernot hatte da auch eigentlich viel mehr Zweifel-Phasen als ich selbst, wo ich gesagt habe, “ok, das passt jetzt so” und er es aber schlecht gefunden hat. Ich habe ihm dann vorgeschlagen, einmal zwei Wochen zu warten und es sich dann noch einmal anzuhören. Ich glaube, mich erinnern zu können, dass ich öfter gesagt habe, “Gernot, glaub mir einfach, es ist jetzt fertig, das passt jetzt so”.

Gernot: Das weiß ich nicht mehr so genau, kann sein. Ich weiß nur, dass es bei mir sehr lange so war, auch wie der Abgabetermin für mich noch nicht so sichtbar war, dass ich noch sehr viel verändern wollte. Ich war einfach nicht zufrieden mit vielen Dingen und wollte hier etwas wegnehmen, da etwas hinzu fügen und einfach viele Sachen komplett umkrempeln und je näher aber der Termin gerückt ist, desto mehr habe ich auch gespürt, dass ich nicht mehr will und nicht mehr kann. Ich wollte dann einfach, dass die Sachen endlich fertig sind und habe viele Dinge nicht mehr probiert – was im Nachhinein gesehen, auch ganz gut war.

Dino: Ich glaube, dass ich irgendwie ein besseres Gespür dafür habe, wann ein Song fertig ist, auch aus meinem Background heraus, weil ich auch schon seit Ewigkeiten Songs schreibe und immer in Bands mitgespielt habe. Gernot hingegen kommt eher aus der experimentellen Schiene, aus dem Impro-Bereich. Ich bin da denke ich mehr am Songformat geschult worden, während ich mit diesen Experimental- oder Jam-Sachen eher nichts zu tun hatte. In gewisser Weise ist ja das, was wir hier gemacht haben schon Pop, auch wenn das viele Leute vielleicht anders sehen.

Gernot: Ich glaube halt, dass du prinzipiell wesentlich mehr als ich davon ausgegangen bist, dass die Stücke, die wir gemacht haben, Songs bleiben sollen. Für mich war es irgendwie wichtiger, was da klanglich passiert und somit hatte ich vielleicht eine etwas andere Vorstellung. Bei diesen Herangehensweisen kann eben auch sehr schnell der Zeitpunkt übersehen werden, wo es auf der einen Seite zu poppig wird, oder aber auf der anderen zu viele Klangexperimente gemacht werden.

Dino: Wir haben auch nie wirklich jemand anderes in diesen Entstehungsprozess mit einbezogen und so hat uns auch niemand eine Meinung sagen können, ob die Songs jetzt schon fertig wirken oder nicht. Wenn die Songs, wie so oft bei uns, auch einfach bloße Skizzen sind, kann ja ohnehin außer uns niemand etwas damit anfangen. Das ist vielleicht bei anderen Bands einfacher, die aus fünf Mitgliedern bestehen und darüber hinaus auch die Meinung eines Produzenten zu hören bekommen.

Gernot: Bei uns gibt es wirklich viele Stellen, die machen erst im Gesamten Sinn, wenn alle Teile da sind. Insgesamt glaube ich aber, dass unser emotionaler Zugang zu unserer Musik, im Endeffekt doch sehr ähnlich ist und dadurch so gut funktioniert. Es war selten der Fall, wo wir bei wichtigen Dingen wirklich gänzlich unterschiedlicher Meinung waren.

Dino: Es gab aber wirklich auch so Phasen, wo du zu zweifeln begonnen hast. Die hatte ich zwar auch, aber nicht so extrem und nicht dann auch gegen Ende hin, wo bereits gemischt wurde.

Gernot: Ja, ich glaube, das war diese Erschöpfungsphase, die ich vorher schon erwähnt habe – da wollte ich einfach nichts mehr tun.

Auf dem Album wirken auch sehr viele Gastmusiker mit; hattet ihr die jeweiligen Leute bereits während dem Entstehungsprozess der Stücke im Kopf oder hat sich die Besetzungsliste erst nach und nach so ergeben?

Dino: Zum Großteil sind das Bonus-Zutaten. Die meisten Songs können auch ohne das überleben. Einzige Ausnahme ist der Track mit Gustav, das war auch der letzte Song, den wir geschrieben haben. Der lebt wirklich von dieser Mann-Frau-Dynamik, so dass wir ihn auch live nicht spielen, wenn keine Sängerin verfügbar ist. Beim Rest haben wir uns einfach überlegt, dass wir noch was machen könnten und so sind dann nach und nach diese wirklich talentierten Musiker hinzu gekommen, die man jetzt eben auf dem fertigen Album hören kann. Im Prinzip ist das schon fast wie ein Hip-Hop-Feature-Album, was aber gut ist, weil so wirklich viel Abwechslung hinein gebracht wird, die vielleicht nicht so vorhanden wäre, wenn wirklich nur wir beide alleine alles gemacht hätten. Es war aber auch von vornherein klar, dass wir unbedingt Streicher auf dem Album haben wollten – zumindest bei einem Song, der schon auf unserer EP drauf war und den wir jetzt noch einmal mit aufs Album genommen haben.

 

 

Sind die Streicher gesampelt?

Dino: Nein, das wurde alles live eingespielt. Für einen gewissen Teil haben wir mehrere Geiger ausprobiert und keiner hat den Part hinbekommen. Wir haben beim Komponieren ja auch überhaupt nicht daran gedacht, ob man das auch überhaupt auf der Geige spielen kann. Und es war anscheinend wirklich sehr schwer – einige sind daran gescheitert, bis wir endlich jemanden gefunden hatten, die das spielen konnte.

Gernot: Es war wirklich sehr anspruchsvoll und auch die Tonart ein bisschen ein Problem. Die Leute, die wir zuerst versucht haben, haben das eher so hobbymäßig gemacht oder in einem ganz anderen Kontext, also relativ frei im Rockbereich. Im Endeffekt hat uns das dann eine klassische Geigerin eingespielt und mit der hat es wunderbar funktioniert.

Inwiefern setzt ihr euch mit eurer Musik auch außerhalb des Schaffensprozesses und dem Live-Spielen auseinander?

Dino: Eine Frage, die man sich natürlich stellt ist, warum wir mit unserer Musik nur eine relativ kleine Gruppe von Leuten ansprechen. Das ist aber etwas, was jeden Künstler, der offen zugibt, Musik nicht bloß für sich selbst zu machen, beschäftigen muss. Ein Schlüsselerlebnis war es für mich, als ich in London mit jemandem gesprochen habe, der auch bereits unsere Vinyl-LP hatte, dessen Frau immer möchte, dass er die Musik ausmacht, sobald er etwas von uns spielt, weil sie einfach diese überbordende Emotionalität nicht aushält. Erst gestern wieder habe ich ein Gespräch mit jemandem geführt, der etwas Ähnliches gesagt hat. Der meinte, er hätte schon beim ersten Track ausschalten müssen, weil ihm das alles viel zu intensiv und stark war. Gerade das ist aber der Punkt, der mich oft bei Musik stört, nämlich, dass es meist zu wenig stark und intensiv ist. Das ist jetzt nicht auf das Experiment bezogen oder die musikalischen Fähigkeiten, sondern es geht rein um die Emotionalität und Intensität. Und ich habe im Studio wirklich darum gekämpft, dass es sehr emotional und authentisch wird und es wirklich von tief drinnen aus mir raus kommt. Dann zu hören, dass die Leute es eben genau deswegen nicht mögen, ist dann schon etwas eigenartig.

Naiverweise habe ich auch überhaupt nicht daran gedacht, dass das ein Argument sein könnte, das man gegen uns verwenden kann, weil dieser Aspekt für mich immer selbstverständlich war. Ich wollte nichts machen, wo man sich dabei nur denkt, “ok, der Groove passt”, sondern mich wirklich auch emotional einbringen und verausgaben. Da spielt dann auch eine physische Komponente mit, wenn man sich wirklich voll und ganz in die Sache hinein hängt. Ich war mir auch im ersten Moment wirklich sicher, dass wir das gut hinbekommen haben und wenn ich mir das Album anhöre, geht es mir unter die Haut und das ist genau das, wo ich hin wollte.

Mir war echt nicht bewusst, dass deswegen Leute nichts mit uns anfangen könnten. Ich habe immer geglaubt, das einzige Argument wäre ein musikalisches – dass das “Problem” eher auf emotionaler Seite liegen könnte, daran habe ich nie gedacht. Es ist aber auch lustig, dass es so ist. Mit diesem Argument kann ich ja auch was anfangen, im Gegensatz dazu, wenn jemand einfach bloß meint, die Musik wäre Scheiße.

Gernot: Es kommen ja auch bei Konzerten immer sehr starke Reaktionen – wenn es Leuten nicht gefällt, dann gefällt es ihnen überhaupt nicht. Es gibt kaum jemanden, der meint, es wäre ganz ok gewesen, sondern es gibt immer bloß sehr heftig positive Reaktionen, oder eben auch stark negative.

Gerade bei eurer aktuellen CD ist es ja doch so, dass man diese emotionale Einbringung leicht mit aufgesetztem Pathos verwechseln kann.

Gernot: Ja, es ist tatsächlich ein sehr schmaler Grat zwischen Pose und eben dem echten Gefühl. Es war niemals Ziel, bloß irgendetwas vorzuspielen – die einzige mögliche Falle, in die man hätte tappen können, wäre gewesen, wenn wir uns selbst etwas vorgespielt hätten. Aber da sind wir nicht hinein getappt – mittlerweile kann ich das auch aus einer gewissen Distanz beurteilen und stehe voll und ganz dahinter. Es gibt lustigerweise in dem Bereich, der nicht so emotional ist, wie irgendwelche Indie-Bands, diese neuen Folk-Geschichten oder österreichische Bands, die klingen wie Bright Eyes, viel mehr Pose, Schauspiel und Selbstinszenierung.

Bei uns hört man, gerade an der Stimme, dass es etwas sehr Persönliches ist und ich denke, das ist auch ein Grund, warum es manchen Leuten nicht gefällt, weil sie sich damit dann einfach nicht mehr identifizieren können. Bei anderer, tanzbarerer, Musik ist es glaube ich leichter, auf eine gemeinsame Wellenlänge zu kommen, als bei unseren Sachen – wenn man sich da nicht darauf einlassen kann, dann funktioniert es nicht.

Dino: Ich bin ja immer auch total baff, wenn mir Leute erklären, bei unserer Musik fehlten ihnen Rhythmus und Melodie. Im Grunde basiert unsere Musik ja gerade darauf und nicht etwa auf Experimenten. Bei uns gibt es keine Experimente – weder in der Komposition, noch irgendwo anders. Gerade Rhythmus und Melodie sind uns so ziemlich das Wichtigste überhaupt.

Gernot: Es ist ja auch genauso eigenartig, von anderen Leuten wieder zu hören, dass unsere Rhythmen so komplex wären. Das stimmt zum Großteil einfach überhaupt nicht. Sie klingen vielleicht ein wenig anders, weil wir beispielsweise für die Aufnahmen kein herkömmliches Schlagzeug hernehmen, sondern da vielleicht auch noch einen elektronischen Beat oder so dazu setzen, aber im Wesentlichen gibt es nirgendwo einen komplizierten Rhythmus. Auf jedem Latin-Album ist der Rhythmus wesentlich komplizierter, als bei uns. Nur scheint es so, dass die Leute das doch anders wahr nehmen.

Ist es euch also schon wichtig, dass die Leute eure Musik emotional so aufnehmen, wie ihr euch das auch für euch selbst denkt?

Dino: Mir ist es vor allem extrem wichtig, Musik zu machen, die intuitiv wahrnehmbar ist. Also, nicht in irgendeiner Weise analytisch, sondern, dass man das Ganze emotional erfahren kann. Deswegen finde ich es immer wieder lustig, dass wir oft in Schubladen gesteckt werden, die genau das Gegenteil davon sind – da heißt es dann “verkopft” oder so ähnlich. Leider sind viele Menschen nicht bereit, sich emotional so weit einzulassen, um die Musik eben so wahrzunehmen, sondern sie blockieren schon nach zwei Minuten. Die Rezeption von Musik basiert ja grundsätzlich darauf, was man schon im Kopf gespeichert hat. Bei uns weicht alles etwas vom herkömmlichen “Gitarre-Bass-Schlagzeug”-Schema ab, weshalb für viele Leute auch die Aufnahme schwieriger ist. Wenn man dann aber gleich komplett abschaltet, finde ich das schon etwas schade. Viele sind halt schön langsam komplett abgestumpft.

Gernot: Vielleicht bräuchten wir mehr Zuhörer, die in die Oper gehen – die würden das Pathos verstehen. Das ist auch nichts, wo jemand sagen würde, eine Verdi-Oper wäre so vollkommen übertrieben, weil es in diesem Genre vollkommen klar ist, dass es sehr emotional zugeht und damit Vieles zum Ausdruck gebracht wird – das würde da keiner lächerlich finden. Bei uns geht es halt vielleicht auch ein wenig darum, Grenzen zu überschreiten. Im Vergleich zur Rockmusik, die viele Leute sonst hören, ist es durchaus vorstellbar, dass sie das als lächerlich empfinden, weil es ihnen einfach zu viel ist, was da passiert.

 

Liger (bandcamp)