mica-Interview mit Herwig Gradischnig

Herwig Gradischnig ist zweifellos einer der interessantesten österreichischen Saxophonisten. Sein Sound und sein rhythmisch und harmonisch reifes Spiel machen ihn zu einem gefragten Sideman der heimischen Jazz-Szene und zu einem gern geladenen internationalen Gastmusiker.Das Interview führte Martin Gansinger.

Einstieg zum sax

Als Kind wollte ich unbedingt ein Instrument erlernen, und das klassische Einstiegsinstrument ist dann nun mal die gute, alte Blockflöte, die ich dann auch einige Jahre lang gespielt hab’. Mir hat es aber immer schon getaugt, einfach nur für mich, oder zum Radio dazu zu spielen, auch mit meinem Vater, der ein bisserl Gitarre gespielt hat. Aus irgendeinem Grund war dann in der Musikschule Oboenmangel, meine Eltern wollten aber nicht einfach so eine Oboe aufstellen. Also ist es die nächste freie Stelle geworden, das war eine Klarinette, mit der ich dann auch angefangen hab’, ohne zu wissen, was da auf mich zukommt. Ich hab’ dann auch viel Klassik gespielt und ein bisserl ins Orchester hinein gerochen, aber mit 16 hab’ ich dann schließlich mein erstes Saxophon geschenkt bekommen.

Interesse für Jazz

Mit der Klarinette hat auch mein Interesse für den Jazz begonnen, war auch schon auf einem Workshop, beim Rudi Wilfer war das. Und irgendwann hat mein Vater zu mir gesagt, ich soll nach Graz fahren und mir in einem Cafe ein Saophon anschauen, das dort zum Verkauf stand. Vor Ort hab’ ich dann so getan, als ob ich eh wissen würde worauf es ankommt – ohne zu wissen, wie man sich sowas richtig umhängt (lacht) – und bin mit dem Saxophon nach Hause gefahren. Ich hab’ mir dann selber das Spielen beigebracht und ein Jahr später zum Spass die Aufnahmsprüfung für Jazz in Graz gemacht – wo sie mich auch tatsächlich genommen haben.

Umstellung Klarinette zum Sax

Ich erinnere mich noch, als ich das Instrument zum ersten Mal daheim ausgepackt hab’, da hab’ ich dann auch bald drauf spielen können. Ich hab’ nur viel selber herumgedoktert und vieles von der Klarinette übernommen. In Graz bin ich dann in den offiziellen ersten Jahrgang für Klassik und Jazz aufgenommen worden, hatte aber große Probleme mit meinem Klassiklehrer, das hat mir irgendwie überhaupt nicht getaugt. Es hat sich dann ergeben, dass der Adelhard Treu in Linz diese Jazzabteilung aufgemacht hat. Ich hab’ dann dort angefragt, ob es möglich ist, dort unterzukommen und bin nach Linz gezogen. Ich glaube, ich war der Zweite in Österreich, der das IGB-Studium in Linz abgeschlossen hat, das hat damals gerade erst begonnen. Darauf hin bin ich dann bald nach Wien gezogen, so 1992 muss das gewesen sein, 1993 hab’ ich dann abgeschlossen in Linz.

Bei Harry Sokal gelernt

Genau, ich hab’ irgendwann zum Spass ein Bariton mit zum Unterricht gebracht, und das hat ihm irrsinnig getaugt. Später hab’ ich auch eine Tournee ausgemacht mit ihm, wo wir beide Tenor spielen sollten, weil ich glaube, dass man gerade beim Spielen selber das Meiste lernt. Und der Harry ist ja auch ein fantastischer Musiker, da gibt’s nix dran zu rütteln. Er hat dann irgendwann erzählt, dass der mathias rüegg wieder eine große Band machen möchte, für das Mingus-Programm war das damals, und eben ein Bari brauchen würde. Ja, und so bin ich dann als Jüngling in diese Band, ins Art Orchestra gekommen, das war schon sehr trippig für mich. Die erste Tournee war dann 1993, und ich hab’ da eh schon viel gespielt in Wien, verschiedenste Stilrichtungen, Funk, Jazz sowieso, viel Soul-Musik – oder dieses Ethno-Projekt mit Schlomith, Songs in Hebrew hat das geheißen und das ist auch ziemlich gut gelaufen einige Jahre lang. 1994 bin ich für einige Monate nach New York gegangen, das war eine sehr animierende Zeit, in der ich viel gearbeitet und viel geübt hab’.

NY-Stipendium, ein richtiger Parkour

Ich bin einfach rübergefahren, einige Freunde von mir waren ja auch schon dort, Oliver Kent zum Beispiel, oder einige Bekannte aus Graz. Aber die Plätze sind doch immer die gleichen, glaube ich, und die Cats sind auch die gleichen – man hört sich eh nur die Besten an. Es ist dann nur Winter geworden – wir haben in einem Loft gewohnt, Walter Fischbacher und Elisabeth – in jedem Eck hat jemand geschlafen und in der Mitte. Aber Ende November ist es eben richtig kalt geworden und ich hab’ mir dann gedacht, eigentlich kann ich auch wieder zurück nach Österreich gehen. Um den 10. Dezember herum war ich dann wieder hier. Für einen jungen Musiker ist die Stadt immer wieder ein Erlebnis, keine Frage. Ich selbst hatte ja früher immer größten Respekt vor den großen Namen, den Lehrern, aber ich finde das großartig, wie das heute gehandhabt wird, diese Schnoddrigkeit von diesen jungen Leuten, die sich einfach nix scheißen. Die kommen an mit 20 Jahren und ziehen ihr Ding durch – ich war da viel zurückhaltender, so nach dem Motto, Darf ich vielleicht auch mal? Es war einfach anders. Klingt zwar komisch, ich bin ja um nix älter.

Rückkehr nach Wien

Ich hab’ viel mit dem Oliver Kent zusammen gespielt – wir haben auch zusammen gewohnt – irrsinnig viel gemeinsam geprobt. Was heute irgendwie im Großen die JazzWerkstatt ist – mit Arbeitsrahmen und der Fluktuation der Musiker – haben wir damals im Kleinen gehabt. Da war ein Proberaum in der Westbahnstraße, ein Probelokal eigentlich, mit Bühne, in dem auch Konzerte veranstaltet wurden immer wieder. Wir haben dort in dem Grätzel gewohnt und jeden Tag gespielt, jeden Tag gejammt und Sachen ausprobiert. Es waren immer andere Leute da, um einen gewissen Grundstock herum – zwar nicht hundert, wie bei der JazzWerkstatt, aber zehn, fünfzehn. Wir haben dort immer gespielt und einfach gearbeitet – an unserer Musik und an dem großen Ding Musik überhaupt.

 

 

Beständigkeit

Das ist extrem wichtig. Gut spielen kommt nur von miteinander spielen, das kann man sich nicht ausdenken zuhause. Zumindest erlebe ich das so. Aus dieser Arbeitsphase heraus ist auch die erste Band, Five Moons around Venus, hervorgegangen, mit der wir viel gespielt und auch eine CD aufgenommen haben. Die Trompeterin Ingrid Jensen ist dann aber wieder zurück nach Amerika gegangen. Ich hab’ dann We Three gegründet, das alte Porgy hat’s dann auch gegeben, das war schon eine tolle Plattform. Ich hab’ da wirklich oft spielen dürfen, das war schon großartig. So wie die junge Szene heute auch eine großartige Plattformn hat im Porgy, das ist schon sehr wichtig. Mit Nouvelle Cuisine hab’ ich dann auch gespielt, da konnte ich viel lernen, was das Notenlesen und das Big Band-Spiel betrifft. Das waren ja keine unkomplizierten Sachen, die wir für die CD eingespielt haben, Ultimate Sentences war das, die Koller-Preis-Platte. Im selben Jahr hab’ ich auch den Newcomer-Preis bekommen, das war das zweite Jahr des Koller-Preises.

Mit We Three haben wir viel gespielt, zwei CDs aufgenommen. Das war gut, hat sich dann aber irgendwie aufgelöst. Wir spielen zwar noch immer zusammen in verschiedenen anderen Formationen, aber das Trio ist uns irgendwie zerbröselt. Mit Joinville hatten wir eine lange Tour, das war aber eine einmalige Geschichte. Auch wieder ein bisserl aus diesem Pool, aus dieser Proberaum-Zeit, das hat sich irgendwie gehalten.

Vor 15 Jahren war es in Wien eher so, dass wenig von Außen gekommen ist. Die Österreicher haben natürlich versucht rauszukommen, aber es sind keine zu uns hergekommen. Das war eben eine rein Wiener Szene, da sind keine Cats von irgendwo her gezogen. Das hat sich zum Glück ja ziemlich verändert, Wien boomt ja gerade irgendwie. In München dagegen ist es genau das Gegenteil zur Zeit, da ziehen die Leute weg.

Experimentierfreudigkeit

Ja, das könnte sein. Gerade die junge Szene wird dadurch schon sehr angeregt. Genau so soll es sein. Aber es sind jetzt wirklich Jazz-Musiker aus allen Bereichen und aus allen Altersstufen regelmäßig hier. Das ist natürlich alles viel einfacher geworden, mit diesen Billig-Flügen. Der ganze Informationsaustausch ist viel schneller geworden, direkt unerträglich schnell manchmal. Das geht schon mit einer argen Aggressivität im Promotion-Bereich verbunden. Schon zu meinem Nachteil irgendwie, weil ich selber hab’ ja zum Beispiel noch immer keine Homepage und versuche mich in dem Bereich generell ein wenig zurückzuhalten. Eine bestimmte Art von Öffentlichkeit will ich eigentlich überhaupt nicht, so dieses ganze MySpace-Ding um Beispiel. Ich hab’ den Eindruck, dass man immer aggressiver werden muss. Gerade auch dann, wenn man als junger Musiker in einer Szene auf sich aufmerksam machen will, wo es schon so viele gibt, die gut spielen können. Wie bekomme ich Öffentlichkeit, das ist die große Frage.

Eine Stadt, wo es keinen Club und nur zwei Mal im Jahr einen Gig im Theater gibt – das ist einfach zu wenig um als Jazz-Musiker zu überleben. Gipsy Jazz und diese Swing-Abteilung gibt es dort natürlich überall, aber das ist mir alles viel zu wenig progressiv. Paris war 550km weit weg – und ich bin anfangs auch einige Male hingefahren – aber wenn du als Spieler in Paris nicht ständig präsent bist, hast du dort auch keine Arbeit. Ich kenne schon viele Leute dort, hab’ auch öfters bei Freunden dort übernachtet. Aber die Sache ist die: der Zug hin und retour kostet 200 Euro, Paris ist keine billige Stadt und wenn du dann auf einer Jam-Session zwei Lieder spielst und wieder heimgehst, dann geht sich das alles irgendwie nicht aus. Die Szene dort ist schon toll – vor allem auch in Bezug auf die Nicht-Europäer, die dort Musik machen. Aber mit Familie, am Land, als Hausmann – das hat für mich als Musiker halt keinen Sinn gemacht. Ich hab’ schon viel von Frankreich aus organisiert, hab’ zwei, drei Tourneen im Jahr gespielt oder bin auch eingeladen worden und Konzerte in Deutschland, der Schweiz oder Österreich gespielt, aber in Frankreich selbst gab es für mich nichts zu verdienen.

Das Ghost Trio ist ein sehr offenes Ding, in dem jeder richtig viel Platz hat. Es geht um Reduktion, ich wollte einfach einmal etwas anderes machen. Das war fast eine Reinigung für mich, dieser Gedanke, sich irgendwo zurückzunehmen, hat mich irgendwie inspiriert.

 

 

 

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