mica-Interview mit Heikki Valsta

Heikki Valsta ist ein profunder Kenner von Neuer Musik. Als Radio-Producer und Präsident der Tribune internationale des compositeurs sowie des Mitglied, bzw. Vorsitzender des Prix Italia hat er einen tiefen Einblick in der zeitgenössische Musikgeschehen. Ursula Strubinsky hat mit dem finnischen Musikwissenschafter gesprochen.

US: Wie wichtig schätzen Sie das Medium Radio für die Neue Musik ein?

Ich glaube, das Medium Radio ist für die Neue Musik unverändert sehr wichtig. Nachwievor erteilt eine Reihe von Radiostationen und Sender Kompositionsaufträge. Und zweitens haben viele Radiostationen ein großes Archiv mit Tondokumenten von Musik aus dem 20. und 21. Jahrhundert. Und das ist wirklich ein Schatz für die Programmgestalterinnen und Gestalter. Es reicht nicht, nur das im Radio zu spielen, was es auf käuflich erwerbbare CDs gibt. Die Schallplattenfirmen müssen auf ihren Gewinn achten und können daher nicht so viel so viel für die Förderung und Verbreitung von Neue Musik tun.

Ein weiterer Aspekt macht das Medium Radio so wichtig: Menschen, die nicht ohne weiteres die Möglichkeit haben, Neue Musik in Konzerten zu hören, weil sie nicht in Metropolen leben, sondern vielleicht am Land, in kleinem Dorf – diese Menschen haben durch das Radio einen Zugriff auf die Musik ihrer Zeit. Und in dieser Hinsicht erfüllt das Radio eine ausgesprochen wichtige Aufgabe.

Die Technologie entwickelt sich laufend weiter. Es zeichnen verschiedenen Zukunftsperspektiven ab. Auf welche Aufgaben muss sich das Medium Radio einstellen?

Eine der Aufgaben für die Zukunft wäre es, meiner Meinung nach, die Schätze, die sich in den Archiven der Radiostationen befinden, der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Es genügt allerdings nicht, die Aufnahmen einfach zum Down-loaden zur Verfügung zu stellen. Sie sollten unbedingt in einer journalistischen Art und Weise präsentiert werden, um ein tieferes Verständnis für diese Musik zu ermöglichen.

Natürlich gibt es in Hinsicht der technische Fortschritt noch weitere Perspektiven, wie z. B. die Ausstrahlung von Musik im Surround-Sound. In vielen zeitgenössischen Werken spielt ja die räumliche Inszenierung der Musik eine wichtige Rolle. Und um diese Raum-Illusion im Radio wieder zu geben, brauchen wir die Mehrkanaltechnik. In Stereo lässt sich so etwas nicht abbilden.
Eine weitere Herausforderung für das Radio ist das Medium Internet: in diesem Bereich müssen sich die Radiomacher etwas überlegen, wie sie User und vor allem die jungen Leute ansprechen können. Das Internet sollte nicht lediglich ein Duplikat einer Radiosendung anbieten. Es muss mehr sein: ein Inhalt, der sich am besten mittels des Mediums Internet transportieren lässt. Wenn man das Publikum für Neue Musik bei der Stange halten möchte und vor allem junge Menschen dafür begeistern will, muss man sich wirklich etwas überlegen. Sonst stirbt die Hörerschaft irgendwann einmal aus. Man muss mit der Zeit gehen.

Wird das Internet einmal das Radio ersetzen?

Die neuen Technologien sind meiner Meinung nach nur ein zusätzliches Angebot für das Publikum. Ich glaube nicht, dass das gute alte Radio eines Tages aussterben wird, weil das Publikum so viele unterschiedliche Bedürfnisse hat. Man kann das mit dem Konzertleben vergleichen. Es gibt vermutlich Leute, die niemals in den Wiener Musikverein gehen würden, aber wenn das Konzert in der Alten Schmiede stattfindet, dann hören sie sich das an. Es gibt so viele unterschiedliche Wünsche. Und ich bin überzeugt, es gibt Menschen, die nicht auf das Radio verzichten wollen, weil sie dieses Medium am liebsten haben.

Dazu kommt noch der Faktor, dass vorläufig die Tonqualität von Seiten des Internets noch nicht so gut ist, wie der UKW-Rundfunk. Aber das wird sich bald ändern. High speed stream Internet-Radio sind wirklich gut. Und man kann auch 5.1 Aufnahmen im Internet präsentieren.

Aber dann bleibt noch die Frage, in welcher Situation man Musik hören möchte. Derzeit ist es noch eher umständlich, das Internet im Auto zu benutzen oder auf einem Segelboot, beim Joggen oder Wandern, usw. im Gegensatz zum Radio.

Vom 8. bis zum 12. Juni fand in Paris die Tribune internationale des compositeurs statt. Diese wird vom Internationalen Musikrat veranstaltet und hat schon eine jahrzehntelange Tradition. Heuer wurde bereits zum 56. Mal eingeladen. Radioproducer/innen aus der ganzen Welt präsentieren die besten aktuellen Produktionen im Neuen Musik-Bereich ihres Landes und küren gemeinsam ein Siegerstück. Welches Ziel soll damit letztlich erreicht werden?

Ursprünglich ging es um einen Austausch von Produktionen von Neuer Musik zwischen den internationalen Radiostationen. Die Europäische Rundfunkunion deckt zwar Europa mit neuen Musikproduktionen ab, aber hier bei der Tribune internationale des compositeurs findet ein weltweiter Austausch statt. Bei uns sind auch andere Kontinente vertreten: wie z. B. Nord- und Südamerika oder Asien. Vergangenes Jahr waren u. a. Delegierte aus Indien, der Mongolei oder Neuseeland hier. Das macht das Ganze einzigartig.

Freilich – mit der heutigen Technologie ist ein internationaler Musik-Austausch auch anders sehr gut machbar. Aber es geht ja eben nicht nur um den Austausch. Die Tribune internationale des compositeurs ist die einzige Plattform, wo sich Radioproducerinnen und Producer für Neue Musik jährlich treffen können. Es geht also auch um den sozialen Aspekt: die Delegierten kommen einmal im Jahr  zusammen, um sich miteinander Musik anzuhören. Das macht Spaß und ist interessant. Wir haben aber auch workshops und Diskussionen über Themen, die für die Producerinnen und Producer wichtig sind. Außerdem ist ja in der heutigen Zeit Networking von großer Bedeutung. Es ist wichtig, dass sich die Menschen von Angesicht zu Angesicht kennenlernen und austauschen, vielleicht über Probleme klagen, aber auch miteinander lachen können.

Sie sind derzeit der Präsident der Tribune internationale des compositeurs. Sie haben heuer zum 19. Mal daran teil genommen. Was hat sich denn im Laufe dieser nahezu zwei Jahrzehnte verändert, abgesehen davon, dass die Kompositionen nicht mehr auf Tonbändern und Audio-Cassetten oder gar in Mono präsentiert werden?

Natürlich hat sich die Musik verändert, aber eigentlich nicht so stark. Den Einsatz von Elektronik z. B. gab es schon in den späten 80er Jahren. Und jetzt verwendet man sie auch nicht mehr als damals. Ich weiß nicht genau, woran das liegt. Auf der anderen Seite gibt es nach wie vor die traditionellen, postmodernen Konzerte.

Prinzipiell finde ich, dass die stilistische Variationsbreite sehr weit ist – glücklicherweise. Das lässt darauf schließen, dass doch ein großes Publikum für Neue Musik vorhanden ist. Und es bedeutet auch, dass es nicht um ein “entweder/oder” geht. Es gibt Menschen, die z. B. Heavy Metal genauso mögen, wie die Musik von Pärt und Lachenmann und südamerikanische Musik. Entscheidend ist nur die eigene Offenheit.

 

 

 

 

 

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