mica – music austria hat heuer erstmals den Wettbewerb TonBild 2011 ausgerufen, bei dem Musikschaffende und Visual Artists aller Genres aufgerufen wurden, ihre audiovisuellen Arbeiten einzureichen. Seit kurzen stehen die 5 Gewinner fest, unter ihnen Produzent Harry Jen, der mit seinem Beitrag „meow“ die Jury von sich überzeugen konnte und gezeigt hat, dass man auch mit simplen Produktionstechniken und Do-It-Yourself-Verfahren ein herausragendes Video produzieren kann. Mit welchen kreativen Begabungen der Linzer sonst noch ausgestattet ist, hat er der mica-music austria in einem Interview verraten.
Nochmals Gratulation zum Sieg beim Wettbewerb TonBild 2011. Für all jene, die durch dein Video zum ersten Mal auf Dich aufmerksam geworden sind. Wer oder was verbirgt sich hinter dem Künstlernamen Harry Jen?
Ad Wer: Harry Jen ist über weite Strecken ein Ein-Mann-Projekt. Ich habe schon seit meiner Jugend Musik produziert, und vor einigen Jahren – ab dem Zeitpunkt, als mir Leute, denen ich Fachkenntnis attestiere, Qualität attestierten – begonnen, meine Musik zu veröffentlichen.
Ad Was: Alles, was mir vor das Mikro läuft. Die schönsten Sounds liefert normalerweise der Zufall.
Vom klassischen Instrumentalisten zum Elektro-Produzenten: Was hat dich dazu veranlasst, die Fronten von typischen Interpreten zum Produzenten zu wechseln?
Das hat sich relativ früh abgezeichnet. Zuerst waren da kompositorische Anflüge, die ich am Klavier umzusetzen versuchte, später, mit elf, zwölf wollte ich andere Sounds ausprobieren, und habe am Computer, in einem Notenschreibprogramm und GM-Standard-Sounds, Arrangements „programmiert.“ Ich war einfach nicht zufrieden damit, bestehende Musik nachzuspielen, da war mir zu wenig Möglichkeit zur kreativen Entfaltung dabei. Irgendwann hat mich schließlich jemand mit Logic Audio bekannt gemacht, und ab dem Zeitpunkt war klar, wohin die Reise geht.
Dein Sound zeichnet sich durch hohen Facettenreichtum aus. Funk, Soul, Hip Hop, Minimal etc. Wie bist du musikalisch sozialisiert worden?
Ganz anders. Meine Eltern kommen aus der Ecke Klassik-Kirchenmusik, daher bin ich damit viel in Berührung gekommen. Es war allerdings immer sehr spannend, wenn wir bei jemandem zu Besuch waren, der so etwas Exotisches wie MTV laufen hatte, und bis zu einem gewissen Grad mache ich diese Faszination für meine jetzige Affinität zu beatlastiger, im besten Wortsinn traditionsloser Musik verantwortlich.
Deine Videos heben sich durch hohe Ästhetik hervor. Ob Performance-Clip oder Art-Clip – wie etwa das Stop-Motion Werk „Mister Morphosis“-hast du schon einiges ausprobiert. Steckt hinter der Videoproduktion ein ganzes Team, oder zeigst du dich alleine dafür verantwortlich?
Das ist ganz unterschiedlich. „meow“ oder „Sound Venture System“ habe ich komplett im Alleingang fabriziert, bei „Mister Morphosis“ habe ich die Postpro – Belichtungsausgleich, Bewegungsstabilisation, etc.)- auswärts bei boinx (www.boinx.at) machen lassen, weil mir dafür das Know-How fehlt. In „Faith“ war ein tolles Team rund um David Wagner (www.wagnerd.at) involviert, mit dem ich vier Tage gedreht habe. Es hängt tatsächlich immer davon ab, was für die Musik gut und machbar ist. Bei manchen Tracks darf ein wenig Schmutz von der eigenen, billigen Kamera dabei sein, bei anderen geht das eben nicht, weil damit die Stimmung kaputt gemacht wird, oder weil bestimmte Bilder dabei sein müssen, die man nicht im eigenen Keller erzeugen kann, da muss dann ein wenig professioneller gearbeitet werden.
Beim Wettbewerb Tonbild 2011 hast du den Beitrag „meow“ eingereicht. Wieso hast du dich gerade für dieses Video entschieden?
Der Grund dafür ist denkbar simpel: Ein Einreichkriterium war, dass das Video von 2011 ist, und „meow“ das einzige Video von mir ist, das 2011 entstanden ist. Ich hätte auch gerne zB „Mister Morphosis“ vom Vorjahr eingereicht, bei dem die hineingesteckte Arbeit und Detailverliebtheit offensichtlicher ist.
Wie ist das Video „meow“ entstanden? Was war deine Intention, das Video auf diese Weise zu gestalten?
Ich wollte schon lange ein Video machen, bei dem ich einfach doof vor der Kamera herumhampeln kann, ohne dabei doof zu wirken. Das ist eine Art der „physical comedy,“ die ich bei anderen Artists lange bewundert habe, zB. Moabeat – Topmodel, oder Busta Rhymes – Break ya neck und mit „meow“ ist mir ein Beat gelungen, bei dem ich das Gefühl hatte, dass das hier funktionieren könnte. Also nicht lange gefackelt, Kamera im Studio aufgestellt, ca. eine Stunde Material aufgenommen, aus aus den Best Ofs einen schmutzigen, kleinen Clip geschneidert. Tatsächlich mache ich den Schnitt dafür verantwortlich, dass der Clip funktioniert, über den Schnitt kann man wunderbar das Timing manipulieren.
Das Video stellt sehr gut deine Maxime dar, nämlich keine fremden Sounds zu verwenden. Alles ist DIY sozusagen. Warum hast du Dir diese Richtlinie auferlegt? Ich denke mal, du verfolgst Diese sehr streng.
Zuerst muss ich, glaube ich, klären, was überhaupt die Idee ist, „fremde Sounds“ kann man ja mit ein wenig Hirnschmalz so definieren, wie es einem in den Kram passt. -Hui, ich hab einen Regler gedreht, jetzt ist der Sound ganz anders und originell…
Natürlich lade ich ab und zu gern andere Künstler ein und kollab(or)iere mit ihnen im Studio, speziell, wenn es um Instrumente geht, aus denen ich ums Verrecken keinen geraden Ton herausbringe, insofern sind nicht alle Sounds von mir selbst. Ich gehe aber manchmal so weit, einen Instrumentalisten zu bitten, mir jeden Halbton, der in seinem Tonumfang liegt, einzeln einzuspielen, damit ich mir danach ein virtuelles Instrument am Sampler daraus basteln kann. Diese armen Würschtl wissen oft nicht einmal, wie ihr Beitrag klingen, geschweige denn, ob ihnen das Endergebnis gefallen wird. Das setzt schon ein großes Vertrauen voraus.Der Punkt ist allerdings: Wenn alles geht, geht nichts mehr. Diese Erfahrung habe ich irgendwann gemacht, als ich plötzlich im Stande war, im Handumdrehen fette Beats zu basteln, die mir überhaupt nichts bedeuteten, weil die Maschine die ganze Arbeit machte. Es gibt so viele gute Sample-Libraries, dass man nur mehr rudimentäres, tontechnisches Wissen braucht, um geiles Zeug zu bauen, und irgendwann wurde mir das einfach zu langweilig. Daher habe ich beschlossen: Nur mehr Samples aus eigenem Anbau , keine Drumcomputer, einfach nichts, was schon mal da gewesen sein könnte. Synthesizer sind okay, aber auch hier keine Factory-Presets. In gewisser Weise eine Schmalspurversion von Herbert’s P.C.C.O.M (http://www.matthewherbert.com/manifesto/).Bei Remixes liegt der Fall etwas anders, da kommt man um fremde Samples kaum herum. Darum habe ich hier den Spieß umgedreht und verwende zum Remixen ausschließlich fremde Samples, nämlich die, die ich vom Originalartist zur Verfügung gestellt bekomme.Das Grundkonzept ist, überhaupt ein Konzept zu haben, und sei es noch so an den Haaren herbei gezogen, sonst wird die Freiheit irgendwann lähmend.
Du verwertest gerne Geräusche von Alltagsgegenständen oder aus der Natur, hast zum Beispiel einen Track mit Klängen von Glas aufgenommen. Mit welchen außergewöhnlichen Mitteln oder Naturaufnahmen hast du außerdem schon experimentiert?
An die Naturgeräusche kann ich mich nicht einmal alle erinnern, Autos, Züge, Gewitter, Holzhacken, Geschirrgeklapper, Body-Percussion, you name it. Ich hab auch schon Geräusche zusammen verwendet, nur weil sie alle am selben Tag aufgenommen wurden. Auf meinem Debütalbum ist eine Nummer – „Radical Rascal“ – die nur aus Geräuschen von Gegenständen besteht, die ich beim „Austrian Newcomer Award“ bekommen habe, also Award-Statue, Backstage-Pass, etc.Manchmal finde ich es auch ganz interessant, mich auf eine einzelne Soundquelle, ein Instrument zu beschränken, und einen ganzen Track nur aus Sounds von dieser einen Quelle zu bauen. „The Nocturnal Song“ ist so entstanden. Ausnahme sind bei allen Experimenten immer die Vocals, die kommen dazu, oder nicht, aber außer Konkurrenz.
Vergleiche mit Jamiroquai oder exklusiven Soundtüftlern wie dem britischen Bassisten Squarepusher sind dir nicht fremd. Mit wem ziehst du persönlich lieber Parallelen?
Tyler, The Creator hat mal sinngemäß in einem Interview gesagt – und dabei jemand anderen zitiert, wenn ich mich richtig erinnere-, dass man sich nie mit seinem direkten Umfeld vergleichen soll, sondern immer mit denen, die schon die Nase vorn haben, und zu den Besten gehören. In seinem Fall waren das Jay-Z und Kanye West, bei mir sind das ganz unterschiedliche Charaktere, je nachdem, was mich musikalisch gerade interessiert. Manchmal tatsächlich Soundtüftler wie Herbert und Amon Tobin, ein anderes Mal innovative Songschreiber, wie Owen Pallett und Neuschnee, dann wieder kontroverse Gestalten, die mir einfach Rätsel aufgeben. Egal, mit wem man sich vergleicht, man sollte nie zu genau hinhören, sonst wird man a) zum Kopisten, und b) desillusioniert, weil man das Original sowieso nicht erreicht.
Wenn ich schon Squarepusher erwähne, von dem ja der Track „Hello meow“ stammt, muss ich dich fragen, ob du diesbezüglich irgendwelche Anleihen genommen hast. Oder ist der Titel purer Zufall?
„Hello meow,“ sagst du? Muss ich mir sofort mal checken, kannte ich überhaupt nicht. Das ist tatsächlich purer Zufall, ich hab meinen Track deswegen „meow“ genannt, weil an einer Stelle ein Sound vorkommt, der ein wenig nach einer Katze klingt.
2009 wurde dein Debüt „repeat ’til cue“ veröffentlicht, die EP „random beats“ kann man sich gratis downloaden. Warum stellst du deine aktuellen Tracks frei zur Verfügung?
Diese Entscheidung habe ich getroffen, nachdem klar war, dass die EP viele Tracks enthalten würde, deren Entstehungsgeschichte weniger als 24 Stunden dauert. Ich habe mir vorgenommen, keine Songs, sondern einfache Beats zu basteln, unrunde, kleine Hotelzimmerproduktionen, und diese dann übers Netz zu verteilen. Bis zu einem gewissen Grad spielte auch meine finanzielle Situation, die mir keine physischen Tonträger erlaubte, eine Rolle, aber in der Hauptsache war es das Bedürfnis, einfach mal wieder direkt und unbürokratisch was unter die Leute zu bringen.
Immer wieder berichten Medien, dass das Ende der CD kurz bevor stehe. Angeblich wollen sich die Majorlabels in den kommenden Jahren von physischen Tonträgern verabschieden. Was ist deine Meinung dazu/ wird diese Vorhersehung deiner Meinung nach tatsächlich eintreten? Kaufst du persönlich eigentlich noch CDs bzw. Platten?
Ich kaufe gern und oft CDs. Vinyl ist mir an sich noch lieber, allein wegen der großen Fläche, die nach ausgefallenen Artworks schreit, nur lässt sich das leider schwer digitalisieren, und ich will meine Musik auch auf jeden Fall am Computer verfügbar haben. Also Vinyl mit Downloadcode, wie es ja auch mittlerweile oft üblich ist, ist wahrscheinlich die ideale Kombi für mich.
Grundsätzlich glaube ich nicht, dass die CD aussterben wird, dasselbe ist auch schon über Vinyl behauptet worden. Ich kann allerdings verstehen, dass sich Majorlabels davon distanzieren wollen, wenn es sich nur um ein weiteres unrentables Produkt handelt. Es ist einfach komfortabler und billiger, und daher für die meisten Konsumenten – sprich: die Zielgruppe der Majors- schlicht sinnvoller, Files direkt übers Netz zu kaufen, dadurch wird die CD in die Ecke gedrängt, in der Platten schon länger zu Hause sind, nämlich die Ecke der Sammler und Liebhaber. Speziell für diese Gruppe werden dann Special Editions mit Bonusmaterial, alternativem Design, interaktiven Features, etc. erzeugt, das könnte ich mir als den Bereich vorstellen, in dem physische Tonträger noch mehr Sinn machen.In gewisser Weise könnte man das als evolutionären Prozess betrachten. Die Standard-Jewelcase-CD für das Standardpublikum .also der Generalist unter den Tonträgern-stirbt aus, bzw. entwickelt sich weiter, und wird zum neuen Standard „Download“, und übrig bleiben eine Handvoll Spezialisten, die die Nischen besetzen, und dort die Messlatte höher legen. Die Frage ist dann nicht mehr: „Wie kann ich eine CD möglichst billig produzieren?“, weil der Preis in jedem Fall über dem des Downloads liegen wird, sondern: „Wie kann ich sie so gestalten, dass man sie dem leicht verfügbaren, billigeren Download trotzdem vorzieht?“
Wird es bald ein neues Album von dir geben? Wenn ja, was wird den Hörer diesmal erwarten?
Hauptsächlich Punk, mit einer Prise deutschem Schlager. Peter Alexander hat schon als Gast-Vokalist zugesagt.
Welche musikalischen Pläne hast du für 2012? Wann steht der nächste Live-Gig an?
In erster Linie wird sich alles wie immer um Produktionen drehen. Ein Album sollte fertig werden, ein paar Kollaborationen und Remixes sind in der Pipeline. Live gibt es noch nichts Konkretes, aber Unkonkretes. Ich will nicht zu viel verraten, und Neuigkeiten erfährt man dann eh per Newsletter und Co.
Danke für das Interview.
http://www.harryjen.com/