mica-Interview mit Gunther Schuller

Gunther Schuller ist Pianist. Er folgt einer Leidenschaft, die ohne Berufung auskommt. Er spricht von dem Klavierspiel wie über ein geliebtes Handwerk und praktiziert es in vielfältiger und genialer Manier. Mit Lucia Laggner spricht er über die Vorstellung vom eigenen Tun und Sound, seine Wurzeln in der Unterhaltung und die Grenzen zum Konzertanten. Er erläutert sein aufkommendes Bedürfnis für einen Mittelpunkt und erklärt, wo seine Definition von Musik anfängt und wo sie aufhört.

Landläufig geht man davon aus, dass ein Musiker, ein Künstler, der von seiner Kunst leben kann, sein Hobby zum Beruf gemacht hat. Unabhängig davon, ob diese stereotype Floskel der Realität entspricht, würde ich dich gerne fragen, woher dieses Hobby kommt, wo die Wurzeln, die Ursprünge des Pianisten und Musikers Gunther Schuller zu finden sind?

Gunther Schuller:
Eigentlich habe ich relativ spät begonnen, mich als Musiker wahrzunehmen. Ich habe im Alter von fünf Jahren angefangen Klavier zu spielen, wobei ich bis zu meinem dreizehnten Lebensjahr kaum geübt habe. Es war einfach eine Tätigkeit, der ich neben der Schule nachgegangen bin. Mit meinem Bruder Gerald habe ich immer schon gespielt. Das war eigentlich wie Hausmusik für uns. Wir sind mehr und mehr auf den Geschmack gekommen und haben beschlossen eine eigene, gemeinsame Band zu formieren. Dass ich die Musik zum Beruf machen könnte, war mir lange nicht klar. Nach der Matura bin ich zum Bundesheer gegangen, wo sich der Gedanke manifestiert hat, Jazzklavier zu studieren. Diese Entscheidung habe ich damals nicht mit 100-prozentiger Überzeugung getroffen, sondern einfach, weil es naheliegend war, der Sache nachzugehen. Es hätte damals auch Sportwissenschaft werden können, aber man entscheidet sich eben für einen Weg. Mit dem Studium hat sich die Intensität stark gesteigert. Ich hatte recht bald sehr viel Gigs in unterschiedlichsten Locations, die mir die Möglichkeit geboten haben, ununterbrochen zu spielen. Dadurch hat sich vieles verfestigt und fast unmerkbar ist das Klavierspiel zum Beruf geworden. Retrospektiv muss ich sagen, dass diese Entscheidung wirklich spät gefallen ist. Ich kenne Leute, die haben schon mit vierzehn gewusst, dass sie unbedingt Musiker werden wollen. Ich glaube, dass ich einfach lange nicht das Selbstbewusstsein hatte, es mir zuzutrauen.

Wie würdest du deinen Stil, deinen Sound beschreiben, ohne dabei Genres nennen zu müssen?

Gunther Schuller: Würdest du gerne eine Farbe hören?

Du kannst mir auch ein Gefühl nennen.


Gunter Schuller:
Ich würde sagen, dass ich zwei Dinge nennen kann. Einerseits entspricht mein Sound einem rhythmisch stark betonten Spiel. Der Bezug zum Rhythmus ist für mich extrem wichtig, ich würde mich fast darüber definieren. Nahezu alles aus mir entsteht über einen Groove. Mir kommt vor, dass ich mir mit einem Lied leichter tue, wenn ich eine rhythmische Linie hören kann. Mir gefallen Sachen, wenn sie klar definiert sind. Das gilt für mich bei jeder Form von Musik. Auf der anderen Seite gilt der Grundsatz: Weniger ist mehr. Gerade bei ruhigeren Sachen, versuche ich es klingen zu lassen und weniger zu spielen, als wenn ich etwas Aggressiveres aufgreife. So würde ich mein Spiel definieren. Und meine Lieblingsfarbe ist blau.

Du hast in deiner bisherigen Laufbahn in vielen Formationen gespielt und tust das auch heute. Ist das ein Vorteil oder belastet es dich auch, dass du dich nicht zu hundert Prozent einer Sache widmen kannst?

Gunther Schuller: Wenn man in vielen Genres unterwegs ist, dann hat man die Möglichkeit diese wirklich zu lernen und zu verstehen. Mich interessiert es, diese Stile authentisch spielen zu können. Wenn es heißt, wir spielen jetzt was eher “Latinlastiges” und darauf einen Reggae, dann sollte auch wirklich ein Unterschied zu hören sein. Daher ist es von Vorteil, dass ich in unterschiedlichen Formationen viel ausprobieren kann, auch wenn man sich viel und eingehend damit beschäftigen muss. Darüber hinaus lassen sich diese Einflüsse in die eigenen Kompositionen einarbeiten. Das positive Fazit meiner Umtriebigkeit ist also, dass ich in unterschiedlichen Genres sattelfest bin. Negativ ist, dass man länger dafür braucht, seine eigene leidenschaftliche Linie zu finden, in der man sich am wohlsten fühlt. Dafür muss man zurückschrauben, aber das habe ich mittlerweile auch schon getan. In diesem Jahr will ich mein Soloprojekt angehen. Das wird ganz anders klingen. Da habe ich etwas ganz zufällig gefunden. Ich glaube, wenn man sich wirklich auf etwas konzentrieren will, dann ist es nicht von Vorteil auf jeder Hochzeit zu tanzen. Auf der anderen Seite erntet man wahnsinnig viel Erfahrung, wenn man es tut. Man ist dann allerdings kaum für etwas Bestimmtes bekannt, wie etwa ein Pianist, der sich nur auf Blues spezialisiert hat. Ein ewiges für und wider.

Viele MusikerInnen werten das Musizieren im Rahmen einer Dienstleistung und in Form einer Coverband gegenüber dem konzertanten Auftreten vor einem aufmerksamen Publikum ab. Wie stehst du diesem Diskurs gegenüber?


Gunther Schuller:
Natürlich können die Grenzen zwischen Dienstleistung und Konzert fließend sein. Allerdings lassen sich die beiden Dinge auch eindeutig definieren. Im Konzertanten ist jeder Ton, den du spielst, von Bedeutung und wichtig. Bei der Dienstleistung gilt es, so unaufdringlich wie möglich zu sein.

Was schätzt du am einen und anderen?

Gunther Schuller:
Die Vorteile des Konzertanten liegen auf der Hand. Man genießt Aufmerksamkeit und totale Konzentration des Publikums auf die MusikerInnen. Auf der anderen Seite schätze ich es sehr, wenn sich Leute zu meiner musikalischen Untermalung wohl fühlen. Das kann auch zum Mittanzen führen. Ich komme eigentlich eher aus einer Richtung, in der Menschen unterhalten werden. Ich hatte lange überhaupt kein Bedürfnis mit “meiner Kunst” im Mittelpunkt zu stehen. Das wird jetzt erst stärker und zeigt sich in meiner Haltung, es nicht mehr so wichtig zu nehmen, ob meine Musik jemandem gefällt.

Du hast dir in den vergangenen Jahren dein eigenes Studio aufgebaut. Was ist dort bisher passiert und was soll die Zukunft bringen?

Gunther Schuller: Vorrangig sind in diesem Rahmen eigene Produktionen abgewickelt worden. Das soll auch in Zukunft so weiterlaufen. Natürlich wäre es schön, wenn Aufträge aus unterschiedlichsten Richtungen herangetragen werden. Das kann auch Werbung sein. Vor kurzem haben wir “Hoarrachkogel”, einen kleinen Dokumentarfilm über die Grenzregion Slowenien und Südsteiermark, vertont. Das finde ich lustig, auch wenn ich mich sicher nicht ganz der Filmmusik verschreiben will. Das finale Ziel mit diesem Studio kenne ich selbst nicht. Ich will einfach stetig den Sound und die Infrastruktur verbessern, damit wir akustisch gut aufgehoben sind. Das lauft schon gut, aber da gibt es immer Potential. Natürlich ist es örtlich bedingt schwierig, da ich in diesem Haus auch lebe. Ehrlich gesagt ist es nicht nur extrem teuer so ein Studio einzurichten und in Stand zu halten, sondern – gerade auch, da ich kein Tontechniker bin – sehr komplex. Es wäre schön, im vorhandenen Rahmen für mich selbst und für andere komponieren und arrangieren zu können.

Fühlst du dich in der österreichischen Szene wohl oder sehnst du dich manchmal auch danach in anderen Ländern aufzutreten, zu touren oder woanders zu leben?

Gunther Schuller: Ich fühle mich in Österreich sehr wohl. Eigentlich war es immer so, dass ich nicht weg wollte. Ich habe immer das Ziel verfolgt, mir etwas Stabiles aufzubauen. Das hat sich in letzter Zeit geändert. Ich bin neugieriger geworden. Ein Wunsch von mir ist es, einmal durch ganz Europa zu touren. Das werde ich sicher noch machen, weil es mir wichtig ist. Natürlich habe ich mir da, wo ich jetzt lebe, sehr viel aufgebaut. Das Risiko, diese Sicherheiten aufzugeben, wäre nur für einen gewissen Zeitraum tragbar. Viele aus dem Jazzbereich meinen, man muss unbedingt einmal in Amerika gewesen sein. Mich würde London und England wesentlich stärker interessieren. Die Bereitschaft das Land zu verlassen ist größer geworden und ich werde sehen, wohin mich das noch treibt.

Die Frage danach, was Musik ist, ist vermutlich so alt wie die Musik selbst. Ich denke, es existieren ebenso viele Definitionen für Musik, wie es Antworten auf diese Frage gibt. Ich bitte dich um eine mehr. Was ist Musik?


Gunther Schuller:
Super Frage. Musik ist eine Kraftquelle, die zum Beispiel Trost spenden kann. In diesem Zusammenhang habe ich schon magische Momente erlebt, in denen es mir auf einmal besser gegangen ist, als ich Klavier gespielt habe. Natürlich gibt es auch Gigs, die mich runterziehen, aber grundsätzlich hat Musik die Macht auf schnellstem Wege etwas auszusagen und direkt in den Menschen hinein zu gehen. Musik kann ein Partyfaktor sein. Sie kann Gefühle auslösen. Prinzipiell kann jeder Mensch sofort sagen, ob ihm ein Stück Musik gefällt oder nicht. Musik ist völlig klar, kann von jedem konsumiert werden und zugleich auf jeden anders einwirken. Eigentlich rede ich gar nicht gerne über Musik, lieber über Fußball. Musik höre ich einfach und lasse sie wirken. Es gibt Lieder und Alben, die ich für eine gewisse Zeit ständig anhöre, weil sie mich in einem bestimmten Lebensabschnitt aufbauen oder beflügeln.

Was ist keine Musik?

Gunther Schuller.
Ich finde kaum Zugang zu experimenteller Musik. Wenn man im Innenleben von einem Klavier herumschraubt und das aufnimmt, dann ist das für mich keine Musik mehr. Das ist vielleicht eine Art von Soundfindung und auch sicher eine Kunst, aber mit Musik hat das für mich nichts zu tun. Musik ist immer dann vorhanden, wenn eine Botschaft rüberkommt und gute Musik ist es, wenn sie authentisch ist. Mit authentisch meine ich, dass es einfach keine Fragen mehr gibt. Es ist alles geklärt und verständlich. Man hört es, schaut auf die Bühne und es ist einem völlig klar, was derjenige einem gerade sagen will. Zugleich können bei einem Konzert 10.000 Menschen nebeneinander stehen und alle verstehen etwas (anderes). Das ist das Magische an der Musik. Deshalb sind Konzerterlebnisse auch oft so intensiv. Und zwar für beide Seiten. Für die MusikerInnen und für das Publikum. Um noch mal auf die Frage zurück zu kommen, wenn einmal überhaupt kein Groove mehr da ist oder dieser in einer Nummer nie kommt, dann tue ich mir sehr schwer, dieses Stück als Musik wahrzunehmen.


Upcoming Gigs:

16.5.2014 CD Präsentation des neuen Albums von Blue Connection“Vitamin B” @ Cafe Carina / Wien
21.5.2014 CD Präsentation des neuen Albums von Blue Connection“Vitamin B”@ GMD Graz
24.5. und 25.5.2014 Old School Basterds @ Stadtfest / Graz

http://www.blue-connection.at/band.html