mica-Interview mit Gerard

Seinen eigenen Weg geht der aus Oberösterreich stammende und in Wien lebende Rapper Gerard, vormals Gerard MC. Nach einigen Mixtapes und zwei Eigenbau-Alben sowie Gastauftritten bei Prinz Pi oder Chakuza will es der 26-Jährige, der sich in den letzten Jahren auch schon in Deutschland einen Namen gemacht hat, mit seinem neuen Album „Blausicht“ wissen. Was ihm wichtig ist und warum er nach langen Verhandlungen lieber auf „Do it yourself“ setzt als sich einer großen Plattenfirma anzuvertrauen, hat er Sebastian Fasthuber verraten.

Du bist mir bereits vor Jahren immer wieder mal mit Veröffentlichungen aufgefallen. Wie lange bist du jetzt schon dabei?
Gerard: Ich habe mit 14, 15 zu rappen begonnen und seitdem auch immer wieder was rausgebracht: 2003 das erste Mixtape, 2007 das erste Album. Da war ich 18. Letztes Jahr habe ich mein Studium abgeschlossen, jetzt konzentriere ich mich ganz auf meine Musik.

Was hast du studiert?
Gerard: Jus. Ich weiß also, was in einem Vertrag drinsteht. Beruflich habe ich aber fürs Erste keine Pläne in die Richtung. Vielleicht beschäftige ich mich später einmal mit Urheberrecht oder Medienrecht. Aber jetzt möchte ich einmal ausschließlich Musik machen.

Wie wurde aus Gerald Hoffmann Gerard MC?
Gerard: Der Name ist entstanden, weil sich Gerard bei meinen ersten Freestyles auf ziemlich viel gereimt hat: „Alles klar / Gerard / Der Star / Ich bin da.“ (Lacht) So hat sich das eingebürgert. Bis zuletzt habe ich mich Gerard MC genannt. Den Zusatz MC habe ich jetzt gestrichen. In gewisser Weise ist das neue Album mein eigentliches Debütalbum. Es ist das erste mit Vertrieb, Management, Videos und so weiter. Da wollte ich auch einen neuen Namen haben. Gerard MC fand ich nicht mehr zur Musik passend. Der klang nach klassischem HipHop der Boombap-Ära, aber damit hat das neue Album nicht mehr viel zu tun. Als ich anfing, war das total in, da gab es Leute wie MC René oder Ferris MC.

Wie bist du zum Rappen gekommen und was waren deine ersten Vorbilder?

Gerard: Curse war damals eine große Inspiration. Witzigerweise ist er jetzt ein Gerard-Fan. „Von Innen nach Außen“ war ein richtiges Pubertätsalbum von mir. Das war die Zeit von Napster. Da konnte man sich plötzlich alles ganz schnell ziehen – und das habe ich auch gemacht.

Du kommst aus Thalheim bei Wels. Gab es damals in Wels eine HipHop-Szene, oder bist du oft nach Linz gefahren?
Gerard: Ehrlich gesagt war ich die ganze Zeit in meinen Kinderzimmer in Thalheim. Da hat sich alles abgespielt. Ich war nur auf ein paar Jams in Linz, aber ohne Auto war es mit 15, 16 schwierig, überhaupt zu Veranstaltungen hinzukommen. Ich habe meine Fühler übers Internet ausgestreckt. Über die Kommunikationsplattform ICQ lernte ich mit der Zeit ein paar Wiener Produzenten kennen und habe ab und zu ein Wochenende in Wien verbracht.

Du lebst seit einigen Jahren in Wien, bist aber auch hier nicht wahnsinnig präsent. Woran liegt das?
Gerard: Das stimmt. Ich habe mich nie einer bestimmten Szene zugehörig gefühlt. Mir ist es immer einfach darum gegangen, mir Menschen zu suchen, mit denen ich coole Musik machen kann. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Und was Auftritte betrifft, ist der Plan, mich nur in sehr durchdachtem Rahmen zu präsentieren. Nach dem Motto: Klasse statt Masse. Ich will echt nicht auf jedem Dorf-Jam auftreten.

Erzähl man über das neue Album „Blausicht“. Ich habe über Facebook die Entstehung ein wenig verfolgt. Du hast doch sehr lang daran rumgebastelt.
Gerard: Ja, aber ich habe nicht die ganze Zeit daran gearbeitet. Der Abschluss meines Studiums fiel auch in die Zeit rein und ich habe zwischendurch ein Kollabo-Album mit einem Schweizer Rapper gemacht. Es sind schon ständig Texte und Skizzen entstanden. Aber wirklich konstant zu arbeiten begonnen habe ich erst vor eineinhalb Jahren. Ich musste erst noch das musikalische Umfeld finden, das meine Sound-Vorstellungen umsetzen kann. Und ich habe auch lange in Deutschland nach dem richtigen wirtschaftlichen Umfeld gesucht und mit Plattenfirmen gesprochen. Das Problem ist halt, dass man anfangs keine Ahnung von dem Ganzen hat, sich mit einer Unterschrift aber gleich einmal für vier, fünf Jahre binden würde. Das zu überlegen, hat seine Zeit gebraucht.

Im Endeffekt hast du bei keinem Major unterschrieben, sondern machst es selbst.

Gerard: Wir sind zu dritt: mein Management in Deutschland, das aus zwei Leuten besteht, und ich. Wir gehen alle mit dem gleichen finanziellen Aufwand rein. Vertrieb ist Groove Attack. Die machen zum Beispiel auch Cro oder haben früher Aggro Berlin gemacht. Die haben Erfahrung, was Indie-Themen betrifft, die auf Größeres angelegt sind. Ich glaube, das ist die beste Lösung. Ich wollte das, was ich mir für „Blausicht“ vorgestellt habe, einfach komplett durchsetzen. Das wäre bei einem Major nicht möglich gewesen. Die greifen sich schon auf den Kopf, wenn du ihnen erzählst, dass die erste Single ein Jahr vor dem Album rauskommen soll. Es schaut momentan so aus, als würde der Plan, es selber durchzuziehen, gut aufgehen. Es ist noch immer ein bisschen naiv zu glauben, dass es funktioniert, aber ich habe ein gutes Gefühl.

Dein in Berlin lebender Kollege Chakuza ist bei Four Music unter Vertrag. Wäre das nichts für dich gewesen?
Gerard: Mit denen war ich auch im Gespräch. Aber im Endeffekt hat es nicht gepasst. Bei der Arbeit mit einer Plattenfirma geht es meines Erachtens darum, dass du als Künstler eine Handvoll Leute dort hast, die verstehen, was du macht, und entsprechend motiviert sind. Da habe ich dort einfach niemand gefunden. Ein Problem bei den Majors ist auch, dass die Ansprechpartner oft wechseln. Bei einer anderen Firma habe ich den Typen kennengelernt, der auch Cro unter Vertrag genommen hat. Kurz vor Vertragsunterzeichnung hat er gesagt, dass er kündigen wird. Mit seiner Nachfolgerin habe ich überhaupt keine Gesprächsbasis gefunden. Ich will mir gar nicht vorstellen, wie die nächsten Jahre für mich verlaufen wären, wenn ich vorher schon unterschrieben gehabt hätte.

Sagen wir, ich bin ein Plattenfirmenmensch. Erkläre mir in ein paar Sätzen, was „Blausicht“ besonders macht.
Gerard: Okay. Thematisch geht es um die Generation Maybe, aber nicht aus dem Blickwinkel, dass diese Generation überfordert ist und nicht weiß, was sie aus ihren Möglichkeiten machen soll. Ich wollte etwas Optimistisches machen. So quasi: Geil, dass wir aussuchen können, was wir wollen. Man muss eben eine Sache für sich finden, die man mit Leidenschaft durchzieht. Das Album ist in der Hinsicht auch sehr persönlich. Als ich mein Studium beendet habe, war ich auch an so einem Punkt. Ich habe immer schon Musik gemacht, aber es war nie absehbar, davon leben zu können. Die Frage: Was machst du mit dem Rest deines Lebens? Am besten kann ich nun mal Musik. Darum habe ich alles auf eine Karte gesetzt. Nicht von ungefähr sind so viele mantramäßige Motivationssongs entstanden: Zweifel ausblenden und einfach machen.
Von der Musik her ist das Album extrem futuristisch, mit UK-Anleihen und einer Nähe zu Dorian Concept. Es arbeiten im HipHop gerade viele Leute mit Gitarren und anderen Instrumenten, das wollte ich gar nicht. Leute wie Hudson Mohawke, der jetzt Sachen für Kanye West macht, sind Vorbilder von mir. Der war vor sieben Jahren schon als DJ in Wien und ich habe mir gedacht: Wow, irgendwann wird so HipHop-Musik klingen.
Wichtig ist mir auch noch, dass das Ganze ein Gesamtkonzept ist. Durch Twitter, Instagram und Youtube-Sessions habe ich die Leute am Wachsen des Album teilhaben lassen. Und dann geht es noch um tausend Kleinigkeiten. Zum Beispiel habe ich das Album bei Patrick Pulsinger analog mischen lassen und nicht bei Casper im Studio, wo wir aufgenommen haben. Mir geht es generell um Eigenständigkeit. Manchmal klingt die Snare vielleicht zu laut, aber das ist Absicht. (Pause) So, und das erkläre bitte einmal einem A&R. (Lacht)

Du hast Casper angesprochen. Ihr steht beide für das, was man Emo-Rap nennt. Du warst immer schon so unterwegs, hast nie den Harten rausgekehrt.
Gerard: Höchstens am ersten Album findet man noch eine HipHop-Attitude, wo ich ein bisschen auf dicke Hose mache. Aber auch da sind schon gefühlvolle Songs drauf. Ich war nie der krasse Battle-Rapper und habe mich nie verstellt, sondern bin einfach meinem Gefühl gefolgt.

Wie waren die letzten Wochen vor der Veröffentlichung des Albums?
Gerard: Ich war jetzt zwei Wochen auf Deutschland-Promo und habe echt mit sehr vielen Journalisten gesprochen. Das waren nicht nur HipHop-Medien, sondern auch Sachen wie „Eins Live“. Die Erwartungen sind jetzt fast schon zu hoch. Man darf sich nicht erwarten, dass ein Debüt-Album gleich in die Top 10 geht. Aber Top 20 wäre möglich. Das wär schon super für ein paar Wiener, die Mucke machen. Am wichtigsten aber ist mir, mit diesem Album eine Grundlage zu schaffen und „Hallo“ zu sagen.

Du hast von „ein paar Wienern“ gesprochen. Wer mischt außer dir noch mit?
Gerard: Die meisten Produktionen stammen von NVIE Motho, einem meiner besten Freunde. 80 Prozent des Albums hat er produziert. Aufgenommen haben wir in Berlin bei Stickle im Studio, den ich noch aus Linz kenne. Ich gebe zwar überall den Ton an, aber ich hole mir von allen Seiten Input. Darum sage ich oft „wir“. Ich will keine HipHop-Tracks machen, sondern Songs mit einem richtigen Konzept. Oft sitze ich an den letzten zwei Zeilen einer Strophe zwei Tage lang. Die sind extrem wichtig, hat Mike Skinner einmal gesagt, weil sie einem Song das gewisse Etwas geben können.

Mike Skinner alias The Streets ist ein großes Vorbild von dir.
Gerard: Ja, vor allem von der Erzählweise her. Wie er vom Kleinen aufs Große schließt und Alltagssituationen beschreibt, aber auch viel übers Leben sagt, ist sehr inspirierend.

Macht es für dich einen Unterschied, ob man deine Musik HipHop oder Pop nennt?
Gerard: Nein. Wenn ich genug verkaufe, kann man ruhig auch Pop dazu sagen. Mit dem Wort habe ich kein Problem. Auf Facebook laufe ich unter „Unknown Genre“. Bei den Interviews fragen Leute oft danach, wie man das nennen soll. Mir sind Begriffe komplett unwichtig.

Was wäre der nächste Schritt – nach Berlin ziehen?
Gerard: Nein. Ich liebe Wien. Hier habe ich mein Umfeld und meine Ruhe. Meine Kollegen ziehen alle nach Berlin. Da wäre ich die ganze Zeit abgelenkt von Partys. Du fällst in ein Leben rein mit Gästelisten und gratis Alkohol – und hast keine Zeit mehr für die Musik. In Wien habe ich nichts mit der Musikindustrie hier zu tun, da habe ich nur meine E-Mail-Inbox und mein Handy. In Berlin wäre ich pausenlos mit Musikindustriemenschen unterwegs. Das gilt es zu vermeiden.

Du hast immer noch eine leichte oberösterreichische Färbung in deiner Sprache. Hört man das in Deutschland?
Gerard: Die hören das schon raus. Ich habe mir aber nie über meine Sprachfärbung Gedanken gemacht, ich mache das rein nach Gefühl. Eine einzige Stelle am Album war problematisch, da habe ich mich dem deutschen Markt angepasst. Im letzten Song kommt „das Monat“ vor, die Deutschen sagen aber „der Monat“. In dem Fall habe ich lieber nachgegeben. Sonst denken 90 Prozent der Leute, die das hören, ich bin grammatikalisch ein Trottel.

In einem Interview hast du einmal gesagt: „Das Problem an der österreichischen Musikszene ist generell, dass Künstlern oft die Motivation ausgeht. Weil sie merken, dass sie so viel hineinstecken und im Vergleich dazu sehr wenig zurückkommt.“ Was ist dein Rezept dagegen?
Gerard: Am wichtigsten ist die Ausdauer. Und ich habe zum Glück immer Menschen kennengelernt, die es schon bis zu einem gewissen Punkt geschafft haben. Zum Beispiel war ich auf Tour mit Prinz Pi und habe gesehen, der kocht auch nur mit Wasser. Das hat mich sehr motiviert. Man merkt, dass man gar nicht so anders arbeitet. Ich glaube an das Potenzial der österreichischen Szene und würde auch gerne österreichische Artists unterstützen. Auf der Special Edition von „Blausicht“ ist ein Track mit der Wienerin The Unused Word drauf. Die kennt kein Mensch. Die sitzt einfach in ihrem Keller und macht geilen Scheiß. So etwas gefällt mir.

Weil es dich an deine eigene Entwicklung erinnert?
Gerard: Ja. Man muss es halt wirklich mögen. Viel Energie und Zeit reinzustecken und nichts zurückzubekommen über zehn Jahre, braucht Ausdauer. Und manchmal musst du richtig beißen. Teilweise bin ich um 7 Uhr mit dem Nachtzug aus Berlin heimgekommen und um 9 Uhr bei einer Prüfung auf der Uni gesessen. Aber es ist für jeden zu schaffen. Ich habe einmal den Spruch gelesen: „Be so good they can’t ignore you.“ Das Gute ist: Man ist in der heutigen viralen Zeit von niemand mehr abhängig.

Foto @ kidizin

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