mica-Interview mit Filou

„Vor und nach der Stille“ ist das zweite Album der Wiener Band Filou, die aus Lukas Meschik, Kasper Dziurdz, Christoph Kornauth und Robin Prischink besteht. Zwei Jahre nach der Talentprobe „Show“ erweist sich das beim Label Problembär veröffentlichende Quartett erneut als sehr gewitzte Combo. Meschik, der auch als Autor tätig ist, wirft in seinen Texten schlaglichtartige Blicke auf das Leben in Wien, in der Nacht, auf junge Männer und Frauen. Musikalisch setzen Filou auf Gitarren-und-Klavier-Songs zwischen Hamburger Schule und Indiepop. Sebastian Fasthuber hat den Sänger der Band befragt, die ihr Album am 23. Mai am Badeschiff (Laderaum) live vorstellt.

Es heißt, beim zweiten Album ist alles schwieriger: Man hat weniger Zeit zur Verfügung, oft auch weniger Material. Wie war diese Albumproduktion für euch?

Eigentlich sehr angenehm. Wir waren mit dem ersten Album grundsätzlich einverstanden, als erster Schritt eines langen Weges, haben aber extrem viel dazugelernt und waren voller Energie, das beim zweiten auch alles umzusetzen: weniger Lieder, mehr fokussieren, am Sound feilen – eben besser werden. Es war uns auch ein Anliegen, woanders mit anderen Menschen aufzunehmen, weil es immer gesund ist, den Horizont zu erweitern, nicht stehenzubleiben. Alles ist immer nur Startrampe für Nächstes; wie sich Menschen zufrieden zurücklehnen können, ist mir ziemlich schleierhaft.

Spielt es eine große Rolle, mit welchen Produzenten ihr aufnehmt und in welchem Studio? Songwriting und Text scheinen bei Filou viel wichtiger zu sein als der Sound.
Dieses Gefühl hatten wir auch, deshalb wollten wir daran unbedingt arbeiten. Nicht nur, indem man mit Bodentretern und Einstellungen experimentiert, sondern auch indem man frische Ohren daran lässt, die uns helfen, alles auf den Punkt zu bringen. Jede Band hat einen Aspekt, den sie anfangs vielleicht ein bisschen vernachlässigt. Woanders singt man jahrelang inhaltsleere Liebesphrasen, meistens in einem grotesken Pseudo-Englisch, das native speakers zurecht die Haare aufstellt. Das ist bei uns gerade nicht das Thema, dafür müssen wir uns eben mit Sound auseinandersetzen; was wie klingen darf, soll, kann, muss, wie man bestimmte Frequenzbereiche freiräumt, um Platz für bestimmte Elemente zu machen. Da haben wir noch sehr viel zu lernen. Es ist uns absolut nicht egal.

Wie ist dein Zugang zum Singen? Wie du singst bzw. sprichst, wirkt erst einmal sehr ungekünstelt. Ich glaube aber nicht, dass das einfach so aus dir rauskommt. Du hast dir vermutlich schon genau überlegt, wie du es anlegst.
Übers Sprechen habe ich noch nie nachgedacht, das wäre ja mühsam, sich darüber den Kopf zu zerbrechen! Früher war ich ein grottenschlechter Sänger, wollte aber unbedingt meine Lieder selbst singen. Ich bin Autodidakt und nicht gerne jemandes Schüler, als ich aber gemerkt habe, dass mir ein Fundament fehlt, musste ich über meinen Schatten springen und Gesangsunterricht nehmen. So ein Mindestmaß an Technik und Methode ist gut, um eben nicht ständig darüber nachzudenken, sondern loslassen zu können. Ich hatte eine Heidenangst, dass einem das Ungekünstelte im Unterricht verlorengeht; wenn das nicht passiert ist, bin ich froh. Wichtig und richtig war sicher, dass ich nie unsere Songs mitgenommen habe, die sollten nur uns gehören ohne Einmischung von außen. Ich weiß, dass das, ähnlich wie ein unverwechselbarer Band-Sound, etwas ist, an dem man noch arbeiten kann. In letzter Zeit beschweren sich die Kollegen nicht mehr oft über meinen Gesang, also ist es ganz okay, glaube ich.

Euer Debütalbum „Show“ hat wirklich sehr viel hergezeigt, war bis an den Rand gefüllt mit Musik. „Vor und nach der Stille“ kommt aufgeräumter daher: 10 Songs. Woran liegt das?
Bei „Show“ gab es uns als Band schon einige Jahre, es war viel Material vorhanden. Obwohl wir immer ziemlich gute Wegschmeißer waren, konnten wir uns von manchem einfach nicht trennen. Wann immer jeder Einzelne seine Kandidaten für die Abschussliste notieren sollte, gab es fast nie Überschneidungen. Wir haben uns dann zum Größenwahn, zum Überbordenden bekannt. Den Hörern geht es ähnlich, mir wurden schon die unterschiedlichsten Lieblingslieder genannt.
Diesmal wollten wir trotzdem strenger mit uns sein. Aufgenommen haben wir dreizehn Songs, drei schließlich weggelassen, um ein kompaktes Paket zu schnüren. Zehn war bei Alben schon immer eine gute Zahl. Ausreichend Material zu haben, war nie unser Problem, eher das konsequente Filtern. Auch jetzt stehen eigentlich schon fünf, sechs neue Songs, in den Proberaum-Mitschnitten lauern mindestens noch einmal so viele. Klingt jetzt etwas protzig, aber natürlich ist da auch viel Blödsinn dabei, der im Mistkübel landet.

Stilistisch bleibt ihr euch sehr treu: Indie-Gitarrenpop, wie man ihn heute eigentlich gar nicht mehr so oft hört.
Da schwingt für mich gleich der Vorwurf mit, altmodisch zu sein. Manche Dinge sind zeitlos, das ist ein großer Unterschied. Außerdem höre ich durchaus sehr viel, das man mit uns vergleichen kann, ich würde diesen Eindruck gar nicht teilen. Auch wenn es vielleicht gerade in Mode ist: Wenn im Hintergrund irgendwo diffuses Elektro-Gefrickel zu hören ist, kann das auch nicht der Weisheit letzter Schluss sein. Inhalt sollte vor Effekt gehen. Wir verschließen uns da vor gar nichts, haben am letzten Album mal Beats eingebaut, uns diesmal eine Cellistin eingeladen. Außerdem haben wir immer ein Klavier im Gepäck, das mal mehr, mal weniger zum Einsatz kommt. Wir greifen eben auf die Instrumente zurück, die wir beherrschen und bemühen uns, die Arrangements möglichst offen zu halten.

Wie entsteht die Musik? Klassisch im Proberaum?

Ja, wir sind eine Proberaum-Band. Oje, jetzt ist das schon „klassisch“? Gerade sind wir übersiedelt, ich habe mal nachgezählt: Es ist unser achter. Zum ersten Mal haben wir Couch und Kühlschrank, ziemlich angenehm, man steigt sich auch nicht immer auf die Zehen. Manchmal machen wir Blödsinn, manchmal arbeiten wir sehr brav an konkreten Sachen, beides ist sehr wichtig. Danach hocken wir oft bei einem zusammen und streiten über Kleinigkeiten.

Wie finden Text und Musik zusammen? Ich nehme an, Sie entstehen zuerst einmal abgekoppelt voneinander?
Eigentlich gar nicht! Früher habe ich eher Lieder zu Hause mit Gitarre erarbeitet und die dann halbfertig mitgebracht. Mittlerweile entstehen meistens im Jammen irgendwelche Riffs oder Linien, dazu singe ich Phrasen, so lote ich die Stellen aus, die ich mit Text „befüllen“ kann; den mache ich dann in Ruhe für mich zu Hause. Manchmal gehe ich auch stundenlang mit Probe-Mitschnitten ohne Gesang in der Nacht spazieren und male mir aus, was der Sänger jetzt singen würde, wenn ich nur Zuhörer wäre.

Deine literarischen Texte und deine Songtexte sind formal wie stilistisch ganz verschieden. Bei deinen Büchern hat man das Gefühl, es steckt sehr viel Hirn drin, in den Liedern sehr viel Gefühl.
Hoffentlich ist schon beides in beidem vorhanden, aber in mir leben zwei ganz unterschiedliche Stimmen mit unterschiedlichen Themen und Vokabular. In mir tobt so ein kleiner Konkurrenzkampf: Wenn das Schreiben gut läuft, ist der Musiker neidisch, er steigt mehr aufs Gas, und umgekehrt. So wird es eigentlich nie fad. Für mich ist auch mittlerweile klar, dass ich beides bis an mein Lebensende betreiben werde, sonst wäre ich nicht komplett, hätte einen Phantomschmerz. Das sind meine beiden Pole, die alle Schwingungen beisammenhalten. Als Bewohner zweier Welten, die ja verwandt sind, fühle ich mich pudelwohl.

Es gibt auf dem neuen Album ein „Wien“-Lied und auch in den anderen Stücken kommt Wien oft vor. Ist das dein eigenes Wien-Gefühl, das du da besingst?
Es ist jedenfalls keine Rolle, in die ich schlüpfe. Ich weiß natürlich, dass ich in dieser Hassliebe ganz dem Klischee entspreche, sogar einer Tradition. Ich halte das nicht für sonderlich originell, kann aber eben nichts daran ändern, dass ich das in mir finde. „Vor und nach der Stille“ ist sicher unser Wien- oder Stadt-Album. Jetzt reicht es mit dem Thema auch fürs Erste. Ich sollte mal irgendwo hinfahren oder mehr Liebeslieder schreiben. Aber in Wahrheit ist ja ohnehin fast jedes unserer Stücke ein verkapptes Liebeslied, es gibt immer ein „Ich“ und meistens ein „Du“, das gerade nicht da ist, aber da sein sollte.

Du hast als Autor inzwischen schon einen ziemlichen Namen. Ist es schwerer, sich mit Musik einen Namen zu machen?
Ich will jetzt nicht mein Licht unter den Scheffel stellen, weiß aber, dass mein Name noch relativ „unziemlich“ ist. Viele respektieren, dass ich mich recht dahinterklemme, mich freut jeder Einzelne, dem meine Sachen gefallen. Weil ich sehr früh wusste, was ich will, mache ich das auch schon eine Zeit. Keine Ahnung, ob es schwerer ist. In der Musik herrscht sicher eine Flüchtigkeit, in der Literatur eine Stetigkeit. Manchmal befürchte ich, dass mich auf beiden Seiten einige nicht ernstnehmen, denn man ist schnell der Schreiber, der halt als Hobby auch ein bisschen herumklimpert. Ich mache aber ausschließlich Musik. Genauso wie ich ausschließlich schreibe. Ich will mir gar keinen Namen machen, ich will einfach machen, was mir Spaß macht, mich erfüllt, und es den Leuten anbieten. Wenn man anfängt, sich verstehen zu wollen, wird man nicht fertig.

Du hast die Schule abgebrochen, um dich ganz aufs Schreiben und die Musik konzentrieren zu können. Nie bereut? Wovon lebst du?
Mittlerweile hat jeder kapiert, dass es keinen „sicheren“ Lebensweg mehr gibt, sofern es den jemals gab. Die Matura und jedes Studium sind nur das wert, was man daraus macht. Für mich gehört es zum Pragmatischsten, Naheliegendsten überhaupt, sich einfach nur mit aller Energie in das zu stürzen, was einen interessiert, da braucht es keinen Mut. Für den Rückhalt meiner Familie bin ich sehr dankbar. Natürlich hätte es keiner akzeptiert, dass ich mir einen Lenz mache, aber das wollte ich nie, es gab sozusagen recht früh etwas Konkretes vorzuweisen. Mittlerweile geht es sich mit einer Mischung aus Verkäufen, Lesungen, kleinen Stipendien gut aus, fürs letzte Buch habe ich auch zwei Preise bekommen, die sehr helfen, über einen gewissen Zeitraum in Ruhe zu arbeiten. Ich habe daneben auch noch Kleinzeug gearbeitet, das ist gerade nicht nötig, was mich freut. Verhungern kann man in Mitteleuropa derzeit ohnehin schwer.
Es gibt nur eine Art für mich, glücklich zu sein. Einen Plan B zu haben, wäre mir gegenüber unehrlich, da würde ich mich selbst für dumm verkaufen. Es ist gut, sich nicht alle Türen offenzuhalten, sondern einzelne zu schließen, um gezwungen zu sein, nur durch die zu gehen, durch die man wirklich will. Ich habe in jedem Moment das Gefühl, mein Leben zu leben und nicht das irgendeines anderen; das klingt für manche nach wenig, aber nicht jeder kann das von sich behaupten. Wirkt sicher alles größer, als es ist. Meine Güte, ich habe die Schule geschmissen, mir nicht nach 127 Stunden den Arm abgesäbelt!

Du hast mir kürzlich erzählt, dass ihr mit den neuen Songs bei FM4 nicht in die Rotation kommt. Könnte es sein, dass es daran liegt, dass ihr keinen „Schmäh“ habt wie etwa euer Labelkollege Nino und auch die bekannten Muster von cool/uncool nicht bedient?
Der Nino aus Wien ist super und hat natürlich sehr viel mehr zu bieten, als einen ihm attestierten „Schmäh“. Keine Ahnung, wie solche Entscheidungen zustande kommen, wie sehr es ums rein Musikalische geht. Da müsste man andere fragen. Es gibt hier weder Rechte unsererseits noch Pflichten anderswo, höchstens verschiedene Grade der Nachvollziehbarkeit. Wo einzelne Türen nicht aufgehen, muss man eben fantasievoll sein und sich neue Wege suchen. Klar ist es frustrierend, wenn ein paar wenige irgendwo Entscheidungen treffen, die für einen selbst von Bedeutung sind, man darf sich davon aber nicht abhängig machen. Jeder Stein im Weg ist eine perfekte Gelegenheit, sich zu beweisen. Wenn man das, was man liebt, so gut macht, wie man kann, hat man die Zeit auf seiner Seite. Schrecklich buddhistisch, ich weiß. Neulich habe ich mir auch Ho’oponopono, das hawaiianische Vergebungsritual reingezogen.

Jede einzelne Minute, die man mit seiner Frisur verbringt, hat man nicht mit Handke, Nietzsche, Flaubert, Houellebecq verbracht, nicht mit Tarantino, von Trier, Woody Allen, Anderson, oder einfach nur trinkend und plaudernd mit seinen Lieblingsmenschen. Das finde ich schon verdammt uncool. Außerdem gibt es doch eh schon viereinhalb deutschsprachige Acts aus Österreich, das kommt mir schon fast zu viel vor. Nicht aufgeben: Man kann immer noch weniger tun!

Fotos: Julian Simonlehner

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