mica-Interview mit Fight Rap Camp

Seit 2004 findet am 12. Februar im Wiener Rabenhoftheater der FM4-Protestsongcontest statt. Das Datum ist historisch: Von 12. bis 15. Februar 1934 kam es zu den so genannten Februarkämpfen zwischen der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei (SDAP) und dem  Republikanischen Schutzbund. Im Zuge der Kämpfe sind in Österreich mehrere hundert Menschen gestorben. Heuer hat das Fight Rap Camp mit dem Lied „Schmelzende Zeilen“ den Protestsongcontest gewonnen. Ein Interview mit der politisch aktiven Band über Integration, Musik als Kampf und das Fremdsein im eigenen Land.

Ihr seid ein internationales Kollektiv von  MusikerInnen, wer ist denn dabei?

EsRAP: Ich und mein Bruder Enes machen seit fünf Jahren unter dem Namen EsRAP Musik. Dann haben wir in der Band Tommy Nelson aus Kamerun, er ist auch Rapper und macht seit seiner Kindheit Musik. Dann haben wir Salaheddine Najah, er stammt aus Marokko und ist Flüchtling, Künstler und Aktivist. Und Yasin Saitar ist auch Flüchtling, Musiker und Aktivist aus Marokko.

Wie habt ihr einander gefunden und warum habt ihr beschlossen, miteinander Musik zu machen?

Nelson: Nun, ich habe einen Anruf von Salaheddine bekommen, weil er einen Rapper für seine Band Fight Rap Camp gesucht hat. Die Band hat ja schon seit dem Protestsongcontest 2013 bestanden und er hat neue Leute gesucht, um die Band zu stabilisieren. So hat sich ein gutes Team gefunden, wir sind eine gute Mischung.

Salaheddine, du warst also schon in der Band, die 2013 am Protestsongcontest teilgenommen. Was hat sich seit 2013 geändert?

Salaheddine: Es hat sich schon etwas geändert, ein Mitglied der Band von 2013 sitzt heute im Gefängnis. Ich habe also die Band verändert gegenüber dem letzten Jahr. Heuer wollte ich nur mit migrantischen MusikerInnen und Flüchtlingen arbeiten und für alle rund 20.000 Flüchtlinge in Österreich sprechen. Ich wollte die verschiedenen Communities einbinden und das ist gelungen: Esra repräsentiert die türkische und Nelson die afrikanische Community in Österreich.

Wie habt ihr das Lied „Schmelzende Zeilen“ miteinander komponiert?

Salaheddine: Der 7. Jänner 2014 war der Einreichtermin für den Protestsongcontest und wir haben uns am 4. Jänner getroffen und hatten noch kein Lied. Ich habe gesagt: Schreibt einfach, was ihr empfindet. Jeder trägt ein Lied in sich. Auch Nelson hat sofort seinen Text beigesteuert, das ging alles überraschend gut. Wir wollten der Gesellschaft erklären, was wir brauchen: Wir brauchen einen politischen Kampf.

Wie habt ihr die Komposition und die Aufnahme in nur drei Tagen geschafft?

Nelson: Wie Salahheddine gerade gesagt hat, haben wir nur drei Tage Zeit gehabt. EsRAP und ich haben glücklicherweise genügend Erfahrung und so konnten wir alles in diesem kurzen Zeitraum umsetzen. EsRAP hat einen Produzenten gekannt und für die Aufnahmen angerufen.

Salaheddine: Es ist zum ersten Mal passiert, dass eine aus MigrantInnen und Flüchtlingen bestehende Band den Protestsongcontest gewinnt und jetzt warten wir auf Unterstützung für unser Projekt. Ich habe zum Beispiel gar nichts, ich habe keinen Platz zum Schlafen und kein Essen. Ich habe gar nichts und würde mir natürlich auch Unterstützung für mein Leben wünschen. Und ich hoffe, dass die Zivilgesellschaft talentierten Menschen mit migrantischem oder mit Flüchtlingshintergrund hilft.

Du hast gesagt, du hast keinen Platz zum Schlafen. Erzähle bitte deine Geschichte als Flüchtling?

Salaheddine: In unserem Lied geht es um Abschiebung, um Gerechtigkeit und es geht um Familien und um Diskriminierung. EsRAP und Nelson rappen ebenfalls zum Thema Rassismus. Das sind die Dinge, gegen die wir ankämpfen müssen. Zurzeit gibt es keine Demonstrationen oder Präsenz unserer Bewegung. Ich möchte die Leute wieder dazu bringen, ihre Angst zu verlieren und dem Refugee Camp Vienna durch die Band Fight Rap Camp wieder mehr Unterstützung geben. Grundsätzlich möchte ich zum Thema Migration nach Europa sagen: Es sollten Filme gedreht und andere Informationsmaterialien an Menschen in Kamerun, in Marokko usw. verteilt werden, die zeigen, wie es Flüchtlingen in Europa ergehen kann. Es würden viel weniger Menschen versuchen, nach Europa zu kommen.

Was ist denn seit eurem Sieg passiert? Wie hat sich euer Lied verbreitet, was hat sich getan?

EsRAP: Seit wir gewonnen haben, haben wir schon ein paar Anfragen gekriegt. Und das freut uns sehr, weil wir Fight Rap Camp nicht nur als Band sehen, sondern als Bewegung. Wir wollen innerhalb des gesellschaftlichen Systems etwas verändern. Ich bin zum Beispiel hier geboren, ich bin hier aufgewachsen und bin österreichische Staatsbürgerin. Aber ich habe gemerkt, dass das System schon bei der Geburt eingebrannt ist, wichtige Kriterien sind dabei Herkunft, Religion, Kultur und Name. So wird man geboren und so lebt man auch. Als österreichische Staatsbürgerin mit anderer Hautfarbe und lockigen Haaren hast du in der Schule andere Probleme. Das größte Problem ist die Sprache.

Wie thematisierst du das in deiner Musik?

EsRAP: Indem ich sage, dass man den Mensch als Mensch sehen soll. Wir haben einige Anfragen für Auftritte bekommen und werden sicher weiter kämpfen. Kämpfen heißt für uns, neue Lieder präsentieren, mehr auf der Straße sein, mehr sichtbar sein. Ich mache das schon seit 5 Jahren, Nelson auch, Salaheddine macht das schon sehr lange und jetzt haben wir eine Form gefunden, das miteinander zu machen – und das ist eben Fight Rap Camp und das werden wir fortsetzen.

Salaheddine: Das Fight Rap Camp ist wie eine Familie.

EsRAP, du hast also die Sprache hergenommen und zu deinem Werkzeug gemacht?

EsRAP: Es war so: Meine Mutter ist mit 24 Jahren hierher gekommen und konnte die Sprache nicht. Zuhause wurde Türkisch gesprochen. Ich war nach der Volksschule in der Hauptschule, weil meine Noten nicht sehr gut waren. Und da sieht man schon diese Differenzierung, wir waren in der Klasse 15 Türken, ein paar Serben und ein Österreicher. Ich war im Gymnasium die einzige Ausländerin, ich habe diesen Sprung geschafft. Da sieht man: Wir sind nicht miteinander, man hat es schwer als Ausländerkind und dann wird schon eine Linie gezogen. Du gehst nach der Hauptschule in die Lehre und dann gehst du arbeiten. Ich habe es im Gymnasium mit sehr viel Fleiß versucht, aber ich bin dann in der siebten Klasse sitzen geblieben, doch kämpfen war angesagt, mit Mühe und Arbeit habe ich es in die achte Klasse geschafft und ein paar Monate vor der Matura wurde mir gesagt, ich wäre nicht reif für den Abschluss und sollte besser eine Lehre beginnen. Ich bin wieder sitzen geblieben, aber ich habe meinen Widerstand nicht aufgeben, so habe ich es nochmal versucht und habe es letztendlich auch geschafft.

Es sind also bereits weitere Lieder in Arbeit?

EsRAP: Genau, zunächst werden wir einen Video-Clip drehen. Die Frage ist immer auch, wie werden wir einen guten Produzenten finden? Wir haben schon KünstlerInnen unter uns, aber wir wollen ein gutes Video präsentieren. Wir haben unsere Performance für den Protestsongcontest wirklich jeden Abend geprobt. Die Performance fand ich wichtig. Wir haben ja in fünf Sprachen gerappt und durch die Performance wurde das Lied auch von jedem verstanden. Und bei den anderen Liedern wird es auch so sein, dass jeder durch die Kombination aus Sprache und Performance verstehen wird, was wir wollen.

Wird es auch ein Album geben?

EsRAP: Das können wir jetzt noch nicht sagen. Ein Album ist ein langer Weg, da brauchen wir Unterstützung und wahrscheinlich ein Jahr Zeit und das kostet auch Geld. Geld ist nicht unser Kampf, aber wir werden unseren Weg fortsetzen. In welche Richtung das gehen wird, werden wir sehen.

Als Gewinner des Protestsongcontests werdet ihr im Juni einen Abend lang die Bühne des Rabenhofs bespielen. Wie werdet ihr diesen Abend gestalten?

Salaheddine: Wir haben bereits neue Lieder, aber wir werden in der Umsetzung noch Unterstützung brauchen. Wir müssen selbst über unser Leben singen, wir schreiben weiter an politischen Liedern. Im Juni werden wir den Rabenhof bespielen und unsere Idee dazu heißt: Theater-Rap, das ist die Kombination aus Rap und Theater. Ein berühmter klassischer Pianist, seinen Namen kann ich noch nicht verraten, hat sich bei uns gemeldet. Er möchte mit uns arbeiten, darüber bin ich sehr froh. Was wir aber noch brauchen sind Räume zum Üben und ein Studio zum Aufnehmen unserer Lieder.

Was vermutest du: Warum habt ihr gewonnen?

Salaheddine: Ich glaube, wir haben gewonnen, weil ich über mein Leben singe und weil das Lied authentisch ist. Wir haben gewonnen, weil wir eine Familie sind. Ich hoffe, dass in Zukunft in der Gesellschaft Menschen verschiedener Herkunft ohne Probleme miteinander leben werden.
EsRAP: Jeder in der Band hat seine Meinung sagen können. Wir mussten niemanden dazu bewegen, sondern jeder in der Band hat sich auf seine Weise ausdrücken wollen. Auch wenn Salaheddine keinen Platz zum Schlafen gehabt hat, er hat immer geschrieben. Auch Nelson und mein Bruder sind immer mit neuen Ideen zu den Proben gekommen. Unsere Performance, in der wir die Verhaftung von Flüchtlingen durch die Polizei dargestellt haben. Das war Musik des Widerstands, Musik als Kampf.

Eine Zeile im Lied lautet: Wir brauchen nur unser Recht. Was wollt ihr damit sagen?

EsRAP: Jeder braucht ein anderes Recht, wenn ich Nelson frage, wird er darauf eine andere Antwort geben. Auch Salaheddine wird eine andere Antwort geben. Für mich heißt es: Eine Welt ohne Rassismus, mit mehr Frauenrechten. Aber wir haben das in unserem Lied gemeinsam und stark artikuliert. Damit wir miteinander aufstehen und Widerstand leisten können. Nicht nur die Gesellschaft soll über uns reden und uns sagen, was wir machen sollen: integrieren, Sprache lernen etc. Zum ersten Mal wollen wir auch etwas, wir wollen selbst sprechen. Wir zeigen, dass wir auch Gesellschaft sind. Wo ist meine Freiheit, wenn mich das System von oben die ganze Zeit auf einen Platz setzt? Als Türke gehst du in die Hauptschule. Als Flüchtling gehst du in die Votivkirche.

Salaheddine, du warst einer der Ersten, der in die Votivkirche gegangen ist. Wie war diese Besetzung?

Salaheddine: Ich habe den anderen gesagt: Das ist eine Kirche, wir müssen die Kirche respektieren. Ich bin also als Erster in die Kirche gegangen und alle paar Minuten, sind zwei weitere Flüchtlinge in die Kirche gekommen. Wir haben die Betenden in der Votivkirche respektiert. Bald waren rund 60 Flüchtlinge in der Kirche und nach drei Stunden waren es schon etwa 100 Personen. Da war die somalische, die arabische, die afghanische und die pakistanische Community. Als der Bischof gekommen ist, haben wir uns mit ihm zusammengesetzt und ihm erklärt, dass wir die Kirche nicht mehr verlassen können.

Welche Reaktionen hat es auf euer Siegerlied „Schmelzende Zeilen“ bisher gegeben?

Nelson: Am Abend des Protestsongcontests selbst haben wir sehr viel Applaus bekommen. Das war wie eine Explosion, allen waren aufgeregt. Eigentlich unglaublich, was wir erreicht haben. Unser Sieg ist die größte Sache, die es in diesem Bereich in Österreich je gegeben hat. Wir sind selbst noch überrascht und hoffen, dass wir junge Menschen aus verschiedenen Ländern inspirieren können. In der Zukunft wird Österreich ein anderes Land sein, mit Menschen aus der ganzen Welt, die hier leben werden.

Live:
Fr 4. April 2014, Cafe Concerto
EsRAP, T Nelson, Laura Rafetseder u.a.
Lerchenfelder Gürtel 53, 1160 Wien, 21h

Termin Rabenhof tba

 

Die Diskussions- und Vortragsreihe mica focus wird unterstützt durch die Abteilung für Wissenschafts- und Forschungsförderung der MA7 Wien.

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