mica-Interview mit Fernando Riederer – Platypus

Einen festen Platz haben sich Verein und Ensemble Platypus seit 2006 bzw. 2009 in der Welt der Neuen Musik bereits erarbeitet. Mit ihrem stilistisch offenen Zugang geben sie nicht nur jungen KomponistInnen die Möglichkeit, ihre Werke zur Aufführung zu bringen, sondern schaffen auch ein breiteres Angebot für das Publikum. Denn ohne ästhetische Vorauswahl bringen die jungen engagierten Vereins- und Ensemblemitglieder Kompositionen von jenen, die noch am Beginn ihrer kompositorischen Laufbahn stehen an ihre interessierten HörerInnen – so auch am 28. März, wenn Werke der austrian young composers zur Aufführung gebracht werden. Warum sie diesen Zugang wählen und was er bewirkt, darüber unterhielt sich Fernando Riederer mit Doris Weberberger.

Du bist seit der Gründung von Platypus dabei: 2006 wurde zunächst der Verein gegründet, das Ensemble folgte dann 2009. Wie hat sich das entwickelt?

Ganz genau. Noch vor dem Verein haben wir ein Projekt gestartet, den Komponistenmarathon. Das war vor genau fünf Jahren, 2007. Wir hatten die Idee von einem Festival, bei dem möglichst viele junge Komponisten präsentieren können, was sie wollen. Um das umsetzen zu können, haben wir den Verein gegründet und dann weitere Projekte gemacht. Nach einiger Zeit hat sich herausgestellt, dass es effizienter und musikalisch besser wäre, wenn fixe Musiker daran arbeiten. Wir haben mit eigenen Musikern gesprochen, die sehr interessiert waren und schon bei vielen Projekten mitgearbeitet haben und haben dann das fixe Ensemble gegründet, mit dem wir mehrere Projekte gemacht haben – bei Wien Modern, bei Projekten in Mexiko und Brasilien, in Prag und heuer im April in Berlin; bis zum Sommer kommen noch einige Konzerte dazu.

Nach welchen Kriterien wählt ihr die Stücke aus? Der Verein ist basisdemokratisch organisiert, ihr seid zu viert …

Rein organisatorisch leiten wir den Verein zu dritt. Hannes Dufek, Šimon Voseček und ich. Jaime Wolfson ist derzeit nur im Ensemble. Bei fast jedem Projekt reden wir auch mit den Mitgliedern des Ensembles. Wie wir die Stücke auswählen, hängt vom Projekt ab. Bei Projekten wie dem Komponistenmarathon gibt es einen Call for Scores. Wir schauen das Material durch, wie professionell die Werke geschrieben sind und was von der Besetzung her passabel für das Projekt oder für den Raum ist. Andere Projekte sind auch ganz unterschiedlich. Bei Austauschprojekten mit Mexiko, Brasilien oder wie jetzt mit Tschechien und Berlin werden Komponisten aus den jeweiligen Ländern gespielt, die eingeladen von uns wurden. Für zwei Konzerte im März, die eine Kooperation mit dem mica und der IGNM sind, haben wir Komponisten ausgewählt, die auf den CDs austrian young composers des mica vertreten und fast alle IGNM-Mitglied sind.

Generell bringt ihr bei den Konzerten eine breite Palette an Stilen. Legt ihr besonderen Wert auf Heterogenität?

Diese Vielfalt ergibt sich schon aus dem Auswahlprozess. Wir denken nicht in einer bestimmten ästhetischen Richtung oder dass nur der Geschmack von einer Person, einem Kurator, zum Tragen kommt, sondern wir schauen, was es gibt und was möglich ist. Dann wird es einfach vielfältig. Wir verstehen Kulturarbeit auch weniger als produkt-orientiert, sondern als prozess-orientiert, das heißt, wir versuchen unsere Kreise stetig zu erweitern, und klar, das birgt ein Risiko, widerspricht vielleicht den Wünschen mancher Veranstalter, aber der Prozess, das einander Kennenlernen, die Auseinandersetzung bleibt in jedem Fall – und das ist sehr viel.

In der Neuen Musik haben sich etliche Stile herausgebildet, die sich voneinander abgrenzen. Versucht ihr das aufzubrechen?

Wir orientieren uns nicht daran. Es hat sich nie die Frage gestellt, dass wir zu einer Schule gehören und die anderen verboten wären. Mittlerweile, und das finde ich sehr schön, gibt es das glaube ich nicht mehr. Wenn wir an die Klassiker denken, mag ich sowohl Francis Poulenc als auch John Cage. Vielleicht wäre es auch schön, wenn man ein Konzert mit Werken so unterschiedlicher Art programmiert, weil dann die Kontraste noch deutlicher hervortreten. Das 20. Jahrhundert war schon so vielseitig und das 21. Jahrhundert ist es auch. Ich persönlich merke, dass es diese Spannungen zwischen den Stilen langsam nicht mehr gibt oder es sich in einer anderen Form entwickelt – viel positiver.

Den Eindruck habe ich auch bei einigen Komponisten, die bei den Konzerten vertreten sind, z. B. bei Matthias Kranebitter oder bei Peter Jakober, die unterschiedliche Stilelemente in ihre Werke einbauen, wobei innerhalb eines Werkes diese Grenzen verschmelzen.

Das finde ich auch. Es ist ein bisschen wie eine Metasprache. Es ist keine Collage, wo ganz viele Musiken in einem Stück vorkommen. Ich habe das Gefühl, es ist natürlicher. Es ist das, was die Leute hören und was sie mögen; sie haben kein Problem, das auch zu schreiben.

Meinst du, ist diese Offenheit auch ein Grund dafür, dass das Ensemble, obwohl es noch sehr jung ist, bereits einen guten Ruf hat?

Beim Publikum auf jeden Fall, bei den Veranstaltern nicht unbedingt.

Gibt es da Schwierigkeiten?

Schwierigkeiten nicht, aber es gibt Veranstalter oder Institutionen, die nicht mit einer solchen Offenheit zurechtkommen, sondern der Meinung sind, dass jemand die Stücke nach den Kriterien gut und schlecht auswählen muss und dass nicht alles präsentiert werden kann. Wir denken genau das Gegenteil: Vielleicht gibt es diese Kriterien gut und schlecht, aber das interessiert uns nicht. Das ist keine absolute Größe und bevor diese Auswahl stattfindet, wollen wir alles präsentieren. Danach kann man darüber reden, ob das gut oder schlecht war, aber nicht vorher. Wie kann man sagen, dass Komponisten oder bestimmte Richtungen nicht passen, wenn sie noch nicht gespielt wurden?

Aber ihr seid wahrscheinlich von der Qualität der Werke, die ihr aufführt, überzeugt, oder?

Nicht unbedingt. Sowohl bei der Planung der Projekte als auch danach gibt es immer Diskussionen über die unterschiedlichen Meinungen, aber wir sagen nicht, der Komponist ist schlecht und deshalb wird dieses Stück nicht gespielt. Wir sind eben offen. Ein praktisches Beispiel: Schon beim ersten Marathon gab es ein Stück, das einem älteren Komponisten sehr gut gefallen hat, mir und meinem Kollegen Hannes Dufek aber nicht. Er hat uns dann gefragt, nach welchen Kriterien die Stücke ausgewählt werden. Wir haben im geantwortet, dass es kein Kriterium gibt, wir haben alles gespielt, was möglich war. Darauf hat er gemeint, dass man schon eine Auswahl treffen müsse. Doch wenn wir Stücke ausgewählt hätten, hätte er dieses Stück, das ihm so gut gefallen hat, nicht gehört.

Diese Offenheit ist ja besonders in Bezug auf neues Repertoire sehr wichtig, weil es noch keinen Kanon wie bei älteren Werken gibt, sondern der muss erst erarbeitet werden. Ihr tragt also dazu bei, dem Publikum eine möglichst große Bandbreite vorzustellen.

Das ist das eine; außerdem kommt noch dazu, dass es Komponisten gibt, die wir mehrmals spielen, wie z. B. Matthias Kranebitter oder Veronika Mayer. Wir können die Entwicklung der Komponisten hören und vielleicht in irgendeiner Form etwas dazu beitragen.

Wie siehst du denn generell die Situation von jungen Komponisten in Bezug auf Aufführungsmöglichkeiten?

Es kommt zu einem Teufelskreis. Ein junger Komponist oder eine junge Komponisten – ob gut oder schlecht steht außer Frage – hat das Glück gehabt, einen Wettbewerb zu gewinnen oder mit dem Dirigenten eines etablierten Ensembles befreundet zu sein; dann wird er eingeladen, ein Stück zu präsentieren. Dadurch wird er bekannter und auch von anderen Ensembles gespielt, dann bekommt er einen Förderungspreis – so geht es immer weiter. Ein anderer Komponist hat vielleicht nicht das gleiche Glück gehabt – das ist unfair. So ist es in der gesamten Kunstbranche. Wie viel öfter als alle anderen Komponisten werden Mozart oder Beethoven gespielt? In anderen Proportionen passiert das auch bei zeitgenössischer Musik und bei jungen Komponisten. Wir achten immer darauf, dass nicht nur die Komponisten, die wir persönlich schätzen, ein bisschen öfter gespielt werden, etwas mehr Unterstützung bekommen oder durch unser Projekt vielleicht eine gute Aufnahme erhalten und sich dadurch besser präsentieren können – sondern wir versuchen, für alle KomponistInnen bestmöglich zu arbeiten.

Was würde zur Verbesserung der Situation junger Komponisten beitragen?

Unser Beitrag auf jeden Fall. Ich hätte gerne auch, dass andere Musiker, Ensembles und die kulturellen Institutionen ein bisschen breiter arbeiten. Nicht alles soll durch persönliche Beziehungen oder den persönlichen Geschmack bestimmt werden. Aber ich glaube, das ist zu viel verlangt. Die Politik und Wirtschaft funktioniert so, ich kann also nicht verlangen, dass es in der Musikbranche anders läuft. Aber es wäre schön, wenn die Menschen sagen könnten: Dieser Mensch gefällt mir nicht, seine Musik gefällt mir nicht, das ist alles egal, er arbeitet und das alleine ist ein Grund, seine Werke zu präsentieren oder dafür, dass er Unterstützung bekommt. Vielleicht gefällt mir seine Musik nicht, weil er noch nie genug Zeit gehabt hat zu arbeiten, weil er Geld verdienen muss. Wenn er ein Stipendium für ein großes Ensemblestück bekommen würde, könnte er vielleicht überzeugen, weil er endlich genug Zeit zum Komponieren hätte. Beziehungsweise wollen wir sozusagen die „Automatismen“, die es vielerorts gibt – die Tatsache, dass man, sobald man irgendwo „drinnen“ ist, sehr oft einfach automatisch nachgefragt wird – brechen oder zumindest in Frage stellen, ein Bewusstsein für die Vielfalt an Anderem schaffen.

Vom Verdienst der Komponisten zu eurer Lage: Wie finanziert sich der Verein?

Durch staatliche Förderungen, bei großen Projekten kommen manchmal auch private Sponsoren dazu – und viel Engagement. Dabei achten wir aber immer darauf, dass die Kosten gedeckt sind. Es könnte natürlich besser sein, aber es wird auch immer besser.

Ihr habt ja schon tolle Kooperationen mit den Wiener Festwochen oder mit Wien Modern auf die Beine gestellt. Tretet ihr selbst an die Veranstalter heran?

Bis jetzt war es immer so. 2009 haben wir ein Austauschprojekt mit mexikanischen und österreichischen Komponisten sowohl in Mexiko als auch in Wien präsentiert. Da haben wir zufällig gesehen, dass der Schwerpunkt bei den Klangspuren Lateinamerika war. Also haben wir dem künstlerischen Leiter von unserem Projekt geschrieben, und so hat sich alles weitere ergeben. Mit Wien Modern war es ähnlich. Zuerst haben wir den Marathon präsentiert, dann hat sich gezeigt, dass der Marathon als Konzept für Wien Modern nicht ganz passend ist, also haben wir ein anderes Projekt entwickelt und ein Jahr später hatten wir drei Konzerte mit sechs Komponisten, wo die Stücke wiederholt wurden. Das waren Aufträge von Wien Modern an die Komponisten. Letztes Jahr war wieder ein Austauschprojekt zwischen Berlin, Prag, Wien und Großbritannien, das auch Schwerpunkt von Wien Modern war – Europe Calling.

Das heißt, es ist auch sehr viel Eigeninitiative von eurer Seite gefragt.

Unsere Initiativen sind der Hauptmotor, der Impuls. Wir kämpfen für Aufmerksamkeit und langsam bekommen wir sie auch.

Was sind eure weiteren Pläne?

Es gibt eine Konzertreihe im Echoraum mit unbekannten Komponisten, es gibt auch mögliche Aufträge in Mexiko und in Brasilien, das ist aber auch von großen Projekten abhängig. Wir sind eingeladen, ein Portraitkonzert von Tamara Friebel zu spielen, dann vielleicht noch einen Marathon. Das ist alles noch im Gespräch, wir warten noch auf Antworten von Sponsoren, um das zu finanzieren.

Der interkulturelle Dialog tritt bei euch deutlich zutage.

Das ist kein Thema mehr, weil es selbstverständlich ist. Genau wie mit Komponistinnen – wir denken nicht in Quoten, weil es selbstverständlich ist. Die Werke sind da, also werden sie präsentiert. Wir brauchen nicht darüber zu diskutieren.

Ihr habt aber auch einen guten Einblick in die Situation in anderen Ländern. Gibt es bezüglich der Situation von jungen Komponisten oder der Ensembles signifikante Unterschiede?

Es ist sehr interessant, wie unterschiedlich die Arbeitsweise schon im deutschsprachigen Raum ist, etwa zwischen Wien und Berlin – nicht nur ästhetisch, sondern auch wie organisiert wird und wie sich das Ensemble präsentiert. Auch in Prag ist es ganz anders. Da gibt es auch einen großen ästhetischen Unterschied. In Wien gibt es viele Komponistinnen aus Asien – aus China, Taiwan, Korea, Japan, sogar den Ö1-Preis hat eine japanische Komponistin, die in Graz lebt, gewonnen. Ich habe das Gefühl, für all diese Leute ist die Mischung der Kulturen eine Selbstverständlichkeit. Das ist etwas, das so präsent ist wie Luft. Man arbeitet damit, aber man muss nicht darüber diskutieren. Leider ist die Selbstverständlichkeit, die wir selbst leben und erleben, nicht immer und überall gegeben, es gibt immer noch Unterschiede, Bevorzugung und Benachteiligung.

Was wünscht ihr euch für die Zukunft?

Mehr Aufführungen, wenn möglich auch mehr Reisen und dass wir die Stücke öfter spielen können; eine Verbesserung unserer grundsätzlichen finanziellen Lage sowie unserer Infrastruktur als Ensemble. Auch mehr Offenheit, dass die Neue Musik in der Öffentlichkeit mehr wahrgenommen und geschätzt wird, auch im musikalischen Bereich.

Es ist vermutlich relativ schwierig Publikum anzusprechen, das nicht ohnehin schon an Neuer Musik interessiert ist.

Bezüglich des Publikums können wir uns nicht beschweren. Wir haben unser Stammpublikum, das regelmäßig zu den Konzerten kommt, aber es gibt auch anderes, zuwachsendes Publikum. Ich glaube, die Leute schätzen, dass nicht nur eine Art von Stücken gespielt wird, sondern dass es auch Überraschungen geben kann. Und ich glaube, das gefällt besonders den Nicht-Musikern.