mica-Interview mit Ferdinand Weiss

Einen musikalischen Allrounder kann man Ferdinand Weiss ohne Zweifel nennen. Denn als Lehrer war er ebenso aktiv wie als Flötist und Dirigent. Doch seine Leidenschaft galt stets dem Komponieren, dem er sich trotz seinen umfangreichen und zeitintensiven Tätigkeiten stets zu widmen vermochte und nun auf einen umfangreichen Werkkatalog blicken kann. Schwer zu glauben daher, dass er erst spät zur Musik gefunden hat. Wie es dazu gekommen ist, erzählte er Lena Dražić.

Sie sind erst relativ spät zur Musik gekommen. Warum?

Ich bin in einem völlig amusischen Umfeld aufgewachsen. Mein Vater hatte ein Gasthaus, da musste ich natürlich als unbezahlte Hilfskraft herhalten. Es war sehr schwierig. Richtigen Musikunterricht hatte ich nie, aber immerhin habe ich Klavier gelernt. Allerdings hat mir kein Mensch gesagt, wie man übt – ich wusste nicht einmal, was ein Bogen ist. Wirklich zur Musik gekommen bin ich übers Radio. Hätte es schon die Trennung in Sparten gegeben, wäre ich vielleicht nie zur Musik gekommen, aber damals waren die Programme ja durchmischt. Meine Schwester und ich haben einmal etwas im Radio gehört, was wir ganz wunderbar fanden – das war die Tannhäuser-Ouvertüre. Das war ein Erlebnis! Ich habe mich dann wahnsinnig hineingekniet, habe alles gehört, was möglich war. Nach der Matura wusste ich, dass für mich nur ein musikalischer Beruf in Frage kommt. Ich habe mir gedacht, am wenigsten muss ich können, wenn ich unterrichte. Also bin ich zur Aufnahmsprüfung für Schulmusik gegangen und natürlich durchgerasselt. Ich war ja völlig unbeleckt! Dann bin ich einer Klavierlehrerin in die Hände gefallen, die hatte die völlig verrückte Idee, dass ich zu Hauptfach Klavier gehen sollte. Damals hat Friedrich Gulda mit 16 gerade seinen ersten Preis gewonnen, und ich komme zwanzigjährig mit der Schule der Geläufigkeit! Dass ich nicht genommen wurde, muss ich wohl nicht dazusagen. Durch das ganze Dilemma war ich sehr mitgenommen und habe schließlich Asthmaanfälle bekommen, was wahrscheinlich psychisch bedingt war. Drei Jahre lang bin ich jeden Sommer um ein Uhr erwacht, bis sieben Uhr haben die Anfälle gedauert. Damit die Zeit vergeht, habe ich eben angefangen, Noten zu schreiben.

Woher hatten sie die technischen Grundlagen?

Ich hatte keine. Ich hatte natürlich meine Vorbilder – Beethoven, Bruckner usw. Diese Kompositionen habe ich bei der Klavier-Aufnahmsprüfung mitgebracht, und die Leute in der Kommission haben mich gefragt, warum ich nicht zu Komposition gehe. Dort hatte ich mich nicht hingetraut, weil es immer hieß, da müsste man besonders gut sein. Also bin ich hingegangen – dort saßen Uhl, Schiske und Siegel, und Otto Siegl hat gemeint, er würde mich nehmen. Ab da war alles ein reines Vergnügen. Innerhalb eines halben Jahres war ich sein Lieblingsschüler.

Welchen Stil, welche Kompositionstechniken hat Ihnen denn Ihr Lehrer vermittelt?

Natürlich die theoretischen Grundlagen – die Harmonielehre haben wir in einem halben Jahr hinter uns gebracht. Kontrapunkt hat mich wahnsinnig interessiert, ich habe sogar einmal ein Stück im Palestrina-Stil geschrieben. Ansonsten habe ich freitonal komponiert, bis ich im Jahr 1966 an einen Punkt gekommen bin, wo ich mir gedacht habe: Wenn ich so weitermache, komme ich in eine Sackgasse. Da habe ich angefangen, nach Reihen zu komponieren, aber niemals orthodox. Noch während des Studiums habe ich als jüngster Teilnehmer eines gesamtösterreichischen Wettbewerbes mit meinem ersten Streichquartett den ersten Preis gewonnen. Das Lustige daran ist: 1957 war ja das Gedenkjahr anlässlich des 225. Geburtstages von Joseph Haydn. Und beim letzten Haydn-Jahr 2009 gab es die gleiche Ausschreibung, wieder von der Burgenländischen Landesregierung und auch wieder für Streichquartett. Ich habe mir einen Sport daraus gemacht und mein siebtes Streichquartett dafür geschrieben – und wieder den ersten Preis gewonnen!

Haben Sie während Ihres Studiums von der damals aktuellen seriellen Musik etwas mitbekommen?

Ja, allerdings nicht durch meinen Lehrer. Ich musste mir ja die Musik im Allgemeinen erst aneignen. Die Wiener Schule war mir bekannt, hat mich aber überhaupt nicht angesprochen. Das hat sich auch bis heute nicht sehr geändert. Ein Klavierlehrer hat mir dann gesagt, da ich vom Komponieren nicht existieren kann, soll ich doch ein Orchesterinstrument lernen. Also habe ich mit  21 angefangen, Flöte zu lernen. Und das hat funktioniert, ich habe sogar sehr lange davon gelebt.

Wie die meisten Komponisten haben auch Sie mehrere Standbeine – neben dem Konzertieren haben Sie auch unterrichtet.

Ja, aber das war nicht das meine. Meine eigentliche Leidenschaft war immer das Komponieren und das Dirigieren. Dirigieren habe ich bei Hans Swarowsky studiert, der mir sogar eine ausgesprochene Dirigierbegabung bescheinigt hat. Zubin Mehta und Claudio Abbado waren damals meine Studienkollegen, mit Mehta habe ich einmal in einem Amateurorchester gespielt, er auf dem Kontrabass und ich auf der Flöte. Was das Komponieren betrifft, habe ich am meisten von Swarowsky und von Josef Mertin gelernt, der für Alte Musik zuständig war. Die haben mir mehr beigebracht als der eigentliche Kompositionslehrer. Das Dirigieren habe ich rein technisch sehr gut beherrscht, was mir auch viele Leute bestätigt haben. Aber charakterlich bin ich völlig ungeeignet – ich bin viel zu kollegial, Ellbogen habe ich überhaupt keine.

Aber Sie waren Chorleiter.

Ja, aber auch das wollte ich nicht. Ich musste immer das machen, was ich nicht wollte! Von irgendetwas musste ich ja leben. Dank eines Stipendiums war ich ein Jahr in Rom, wo ich den Jazz entdeckt habe. Bis dahin habe ich alles total verdammt, was nicht in die sogenannte Klassik passte. Dann habe ich einmal etwas für Hans Maria Kneihs geschrieben, der Blockflötist, Cellist und Direktor des Brucknerkonservatoriums war. Er hat mich gefragt, ob ich vielleicht alte mit modernen Tänzen kombinieren könnte, also habe ich mich mit den Grundrhythmen von Boogie usw. beschäftigt und wirklich einen Gusto darauf bekommen. Und eine Kollegin, die Direktorin der Badener Musikschule, hat Ihre Schüler immer zu Wettbewerben geschickt und mich um die Stücke gebeten, die sie gebraucht hat. So sind an die 30, 40 Kompositionen entstanden, die auch meistens die ersten Preise gemacht haben.

Sie waren ja auch Präsident der INÖK, der Interessengemeinschaft Niederösterreichische KomponistInnen …

Es gab eine Arbeitsgemeinschaft der Komponisten in Niederösterreich. Eines Tages hat mein Vorgänger Norbert Sprongl zu mir gesagt: „Ich kann nicht mehr, übernimm du die Arbeitsgemeinschaft.“ Ihm zuliebe habe ich ja gesagt. Die INÖK hatte eine Vorgeschichte: Ich habe mit Sprongl eine Konzertreihe gegründet, mit der wir in die Dörfer gefahren sind. Damit die Leute nicht gleich davonrennen, haben wir ein klassisches Programm gespielt und jedes Mal mindestens zwei oder drei lebende Niederösterreicher. Dann hat einmal Piero Raffaelli – ein Geiger, mit dem ich befreundet war – ein Konzert im italienischen Kulturinstitut gegeben, wo er auch ein Stück von mir aufgeführt hat. Der Geiger Eduard Melkus, der mit Raffaelli befreundet war, hat nach dem Konzert gesagt: „Eigentlich schade, dass eure Musik keine Verbreitung findet. Vielleicht könnte man das auf billige Art produzieren und unter die Leute bringen!“ Das war der Grundgedanke der INÖK, die im Jahre 1989 gegründet wurde: Es ging darum, die Werke niederösterreichischer Komponisten in Druck zu bringen. Sie haben halt mich zum Obmann gemacht, obwohl ich immer viel lieber in der zweiten Reihe war. Sonst hätte ich ja Dirigent werden können! Aber im Orchester wollte ich auch nicht sitzen. Ich bin so ein blöder Typ: Ich mag nicht befehlen, aber ich mag auch keine Befehle empfangen. Und das ist eben mit dem Komponieren am besten vereinbar: Ich arbeite allein und bin nur mir selbst gegenüber verantwortlich.

Trotz Ihrer vielen Brotjobs haben Sie immer Zeit zum Komponieren gefunden. Sie haben ja ein sehr umfangreiches Werk!

Ja, das wundert mich selber. Ich war ja auch verheiratet, musste für zwei Söhne sorgen, habe außerdem konzertiert, musste also auch üben. Wie ich das alles gemacht habe, weiß ich nicht. Jedenfalls kommen immer noch Leute mit Aufträgen zu mir. Da gibt es einen Saxofonisten, für dessen Schüler ich schon ganz extreme Übungen geschrieben habe. Immer, wenn er ihnen etwas Extremes beibringen möchte, kommt er zu mir. Die Leute können sich bei mir darauf verlassen, dass sie das bekommen, was sie sich vorstellen.

Wie würden Sie sich als Komponist stilistisch einordnen? 

Das ist so schwer (lacht). Daran denke ich überhaupt nie. Ich habe beispielsweise für die Pädak-Studenten in Baden, damit ich überhaupt etwas mit ihnen machen kann, aleatorische Stücke komponiert. Auch innerhalb einer Komposition mache ich das manchmal, im Orchesterwerk „… à sa fin …“ gibt es z. B. einen Abschnitt, wo das Orchester improvisieren kann. 1992 habe ich etwas für Big Band geschrieben, das habe ich „Bruchstück“ genannt, weil darin zwei stilistische Ebenen aufeinandertreffen. Es beginnt mit einem Zwölfton-Akkord, der sich zum Klang ausdehnt, und im zweiten Teil wird es abrupt ein Boogie – und zwar immer über dem gleichen Bass, wie eine Passacaglia.

Sie haben nie den Druck gespürt, sich einer stilistischen Schule anzuschließen?

Vorhanden war er schon, aber das war mir egal.

Welche Funktion hat Ihrer Meinung nach die zeitgenössische Musik in der Gesellschaft?

Darüber habe ich nie nachgedacht. Ich komponiere einfach, weil ich das Bedürfnis danach habe.

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