mica-Interview mit Eva Reiter

Das erste mica-Interview mit Eva Reiter führte Wolfgang Schaufler bereits 2007. Ein weiteres Interview mit der Komponistin war schon für den November des vergangenen Jahres geplant, als sich Eva Reiter mit einem „Fokus“ bei Wien Modern präsentierte (siehe Verwandte Artikel). Es kam erst jetzt im Februar zustande, da die auch vielfältige Interpretin an Blockflöte und Viola da Gamba bei weiteren Projekten und Auftritten, für die auch geprobt werden mussten (u. a. einem Weihnachtsprogramm des Alte Musik-Ensembles Mikado), immer wieder mehr als ausgelastet war. Heinz Rögl sprach mit Eva Reiter Anfang Februar im Cafe Hummel.

Du warst beim KOFOMI in Mittersill und bei den „Klangspuren“ in Schwaz und hast bei Wien Modern einen besonders großen Erfolg gehabt, vor allem mit deinem Porträtabend. Mir persönlich hat die Verwendung etwa von Druckmaschinen als Inspirationsquelle und auch die „Legierung zwischen Elektronik und Instrumentalklang“ sehr gut gefallen, die du auch in deinem Text dazu beschreibst. Dann gibt es etwa das Sich-Abhängig-Machen von den Tape-Anweisungen und der kompositorischen Reaktion darauf, auch durch Improvisation?

Nein, das kommt in meinen Kompositionen eigentlich nicht vor. Ich habe mich selbst als Musikerin einige Jahre lang im Bereich der Improvisationsmusik bewegt, hierzu vor allem in Holland auch sehr, sehr intensiv geprobt und recherchiert. Wenn ich schreibe, greife ich auch auf eine Fülle von Ideen zu musikalischem Material zurück, welche ich mir im Zuge dieser Studienjahre habe aneignen können. Beziehungsweise ist es auch heute noch ein improvisatorischer Zugang, ein sich spielerisches Annähern an ein Instrument, welches am Beginn der Materialrecherche stehen kann. Improvisation ist hier sozusagen ein Mittel zum Zweck. Aber was die Form oder auch die strukturelle Ebene des Stückes betrifft, spielt Improvisation im Moment keine Rolle.

Ich suche immer wieder nach Alternativen zum streng durchkomponierten Satz, weil mich Prozesse interessieren, die mit Chaostheorien in Verbindung stehen, wobei hier „Improvisation“ aber nicht der richtige Ausdruck ist. Hierbei geht es um musikalische Prozesse, die eine Unabhängigkeit aufweisen, sich sozusagen selbst organisieren. Ich versuche also, mich hier als Komponistin etwas herauszunehmen, Systeme zu schaffen, in welchen etwas in Klang gesetzt wird, dessen Verlauf – dessen Eigenzeit beispielsweise – aber durch mich nicht kontrollierbar ist. Das hat aber nichts mit Improvisation zu tun. Solche Prozesse müssen anders durchdacht werden

Aber du notierst nicht nur mehr herkömmlich? Oder doch?

Eigentlich schon, das ist …

… du machst Nägel mit Köpfen?

Absolut! Punkte mit Strichen sozusagen. Also das ganze Thema der Schriftlichkeit ist ein komplexes, schwieriges und spannendes zugleich, muss ich sagen. Viele meiner Klänge sind ja nicht herkömmlicher oder traditioneller Herkunft. Das liebe ich aber auch an dieser Arbeit, dass man die Schriftlichkeit dehnen und bis zu einem gewissen Grad neu erfinden und definieren muss und wenn man neue Zeichen sucht, auch wieder nach einem Konsens strebt. Zum Beispiel habe ich bei meinem Stück „Konter“ für Flöte und Tape eine Art Tabulaturschrift angewendet, weil es eher um perkussive Elemente mit den Fingern ging, welche eine zweite sprachliche Ebene begleiteten. Es hätte keinen Sinn gehabt, hier an dem Fünfliniensystem fest zu halten, da das Maß an Missverständlichkeit zu groß gewesen wäre. Die Tabulatur bietet hier ein Höchstmaß an Genauigkeit, weil sie den Bewegungsablauf notiert. Tabulaturen lese ich als Interpretin selbst viel im Kontext der Alten Musik, das liegt mir selbst also total nahe.

Das bedeutet natürlich dann auch implizit, dass du deine Musik so festhältst, dass sie auch von anderen Interpreten gespielt können werden soll?

Natürlich, unbedingt! Da liegt für mich der ganze Sinn der Sache. Wozu sollte ich mich sonst mit dem Medium der „Vermittlung“, der Notation, so beschäftigen. Im Gegenteil, ich werde immer gefragt, ein Stück für ein Ensemble mit mir zu komponieren. Ich möchte mich aber als Interpretin in meinen eigenen Stücken mehr zurückzunehmen, mich langsam eigentlich stärker heraushalten, um wirklich auch ausschließlich die Rolle und Perspektive der Komponistin einzunehmen…

…und auszufüllen.

Genau, auch wegen der distanzierten Position bei der Probenarbeit und Aufführung – dem Blick von außen sozusagen. Es ist wesentlich einfacher, sein Stück zu hören, wenn man selbst nicht mitwirkt. Mein Notentext ist für gewöhnlich sehr ausführlich und detailliert, doch einfach zu lesen. Ich habe lange Legenden, gehe genau auf Details zu Klängen, Präparationen, Notation ein. Natürlich kann man einiges in den Proben mit Interpreten noch besprechen, erklären, fallweise revidieren, aber es steht alles da.

Der Fokus bei Wien Modern war sehr erfolgreich, hat das für dich jetzt – du bist ja noch relativ jung – spürbare Auswirkung? Dass du Aufträge, Einladungen bekommst …

Ja, ich denke schon. Ich glaube, mit dieser Breitenwirkung habe ich meine Stücke noch nie aufführen können. Es war früher natürlich vereinzelt immer etwas dabei. Mit dem Ictus Ensemble habe ich in Belgien bereits mehrfach „Alle Verbindungen gelten nur jetzt“ aufgeführt, davon hört man dann hier und dort und das geht dann so seine Wege. Aber Wien Modern war so etwas wie eine Gesamtschau der wichtigsten Arbeiten der letzten Jahre und ich habe einige Reaktionen darauf bereits erhalten. Das ist alles noch in Schwebe, im Gespräch, aber es sind einige wirklich viel verspechende Projekte daraus entstanden. Für mich persönlich kam dieses Portrait auch zu einem guten Zeitpunkt, weil ich bis zu dieser Zeit vieles fertiggestellt habe, was sich inhaltlich zu einer „Schaffensphase“ zusammendenken lässt. Ich entwickle momentan – vor allem im Kopf – vereinzelt Konzepte, die meine Musik vielleicht etwas verändern wird. Aber das weiss ich noch nicht so genau.

Was dem keinen Abbruch tut, dass du weiter mit großer Begeisterung auch Alte Musik spielst? Als Solistin mit Partnern wie Theresa Dlouhy, im Ensemble Mikado u. a. auch mit Maja Osojnik, wo ihr zu Weihnachten ein schönes Programm mit Musik von Samuel Scheidt und anderen gemacht habt („Born ist the Babe“).

Unbedingt. Was sehr schön ist bei Mikado, ist die Tatsache, dass wir momentan einige sehr spannende Projekte in Arbeit und Aussicht haben. Streets of London beispielsweise ist ein Programm mit englischer Musik rund um den prunkvollen Königshof und der dunklen Gosse auf der anderen Seite, das mit Musik der Gegenwart kontrastiert wird.
Sowohl Maja Osojnik als auch ich schreiben also neue Stücke, die diese düstere Seite Londons kommentieren werden. Zudem arbeiten wir mit Den Strottern und dem Quadriga Consort an zwei größeren Programmen.

Zwischen Maja und dir gibt es ja Berührungspunkte. Beide gehört ihr der jüngeren Generation an, beide spielt ihr Alte Musik und während du vor allem auch als Komponistin Neuer Musik giltst, die sich auch akribisch mit (natur)wissenschaftlichen, technischen oder mathematischen und digitalen Modellen, Voraussetzungen und Grundlagen beschäftigt, ist Maja auch an Folk oder slowenischen Volksliedern interessiert … Das straft ja auch alle Lügen, die sagen, es gibt „nur“ aktuelle und Neue Musik.

Nein. In meiner Arbeit werden viele parallele musikalische Wege beschritten. Das habe ich immer schon so gemacht, seit ich „musikalisch denken“ kann. Ich muss dir zwar ehrlich sagen, ich habe immer wieder das Gefühl gehabt – auch während der ganzen Ausbildungsjahre lang –, ich schaffe das nicht mehr alles zusammen, das wird mir zuviel. Das war auch völlig irre, zwei Masterstudien für Viola da Gamba und Blockflöte zu machen in einem Konservatorium in Holland, welches extrem auf das technische Niveau geachtet hat… und ich hab geübt, und wenn ich mit dem Üben fertig war, über Strukturen nachgedacht und dann kam der Punkt, an dem ich dachte, mich einfach entscheiden zu müssen…

… für Interpretation oder Komposition?

Ja, aber ich habe auch gemerkt, dass ich das gar nicht kann, dass beides zusammengehört, weil es sich so wechselwirkend bedingt. Also versuche ich mir die Zeit einfach etwas besser einzuteilen. Ich habe jetzt ja diese Phasen, in denen ich zwei Monate lang unterm Strich keine Konzerte annehme, in denen ich nur über Musik nachdenke und komponiere, und danach muss ich da auch unbedingt wieder aussteigen. Andererseits hole ich mir während des Spielens und Übens neue Inspirationen und frischen Wind. Zu bedenken ist ja auch, dass dieses Modell einer Personalunion von Komponist und Musiker ja auch ein historisches ist. Alle Komponisten der Barockzeit, die ich spiele …

…saßen am Cembalo oder sangen mit der Laute oder…

Ja, so ist es, der eine besser, der andere weniger gut. Aber denken wir beispielsweise an Bach, seine Kompositionen und seine Künste und Fertigkeiten am Instrument sind ja unumstritten. Also: Ich empfinde es als sehr befruchtend, sich in beiden Tätigkeitsfeldern zu bewegen.

Und man braucht ein Publikum, das etwas hört und beurteilt, Das ist kein Argument für Populismus oder „herabgesetzten Preis“. Aber: Musik entsteht auch erst mit den Hörenden, die versuchen, die Musik zu verstehen und denen etwas gut gefällt oder nicht so.

Absolut, das sehe ich auch so. Und ich könnte auch niemals auf die Bühne verzichten. Was die Programmierung und die Konzeptuierung meiner Musik anbetrifft, versuche ich allerdings nicht, sie in ein leicht zu vermittelndes Konzept zu verarbeiten, was ja heutzutage immer wieder von einigen Veranstaltern präferiert wird. Wir alle kennen die Situation im Kulturbereich: Es gibt kaum Geld momentan. Vielleicht ein Grund für viele Veranstalter, programmatisch Themen zu stellen, die auf „einfache Vermittlung“ ausgerichtet sind, Publikum anlocken und die Mehrheit eben nicht überfordern wollen. Das sind alles Vorzeichen, unter denen man als Komponist schon auch ein bisschen in die Falle tappen kann und versucht ist, sich zu sehr auf Kompromisse einzulassen. Das möchte ich nicht.

Was die Reaktion auf meine Musik anbetrifft, stoße ich auch immer wieder auf Hörer, die sich von meiner Musik angegriffen fühlen oder sich eher empört äußern. Und dann gibt es diejenigen, die total begeistert sind. Diese Vielfalt an Reaktionen finde ich selber äußerst positiv. Es zeigt mir, dass sich etwas bewegt, dass ich jemanden erreiche mit meiner Arbeit, auch die Ablehnung gehört dazu.

Vielen meiner Arbeiten gehen ja ausgedehnte Recherchen in wissenschaftlichen Bereichen wie zum Beispiel der Molekularbiologie voraus. Diese Arbeit dient mir zur Entwicklung kompositorischer Konzepte, als Erstellung eines Ideenapparates, und weil mich die Sache selbst fasziniert und anzieht. Aber diesen wissenschaftlichen Kontext muss man als Hörer nicht zwingend verstehen. Für mich ist es vor allem in der Vorüberlegung relevant. Aber manchmal verlasse ich dieses Konzept auch beim Komponieren wieder, lasse mich mitunter ganz woanders hin führen. Das Entscheidende für den Hörer sind nicht die konzeptuellen Ideen zu dem Stück, sondern all jene Inhalte, welche Musik so unmittelbar transportiert: den Energiegehalt, vielleicht auch manchmal Gewalt, den Wechsel von Ergriffenheit und Ablehnung, Auf- und Entladung, An- und Entspannung. Die Unmittelbarkeit der Musik von Fausto Romitelli beispielsweise hat mich immer schon fasziniert. Eine Musik, die man förmlich anfassen kann und von der man im wahrsten Sinne „ergriffen“ wird.

Ich bin der Meinung, dass man ein Publikum generieren kann, auch über die Jahre. In Klangforum-Konzerten in Wien spricht man in der Pause miteinander darüber, was man gehört hat und das Publikum ist sehr aufmerksam und auch fähig dazu. Und in Österreich und in Wien gibt es auch andere hervorragende Ensembles und Kammermusiker für Neue Musik (ensemble_on_line, ensemble reconsil, Trio EIS usw.), die vielleicht einen anderen Ausschnitt bedienen, aber auch ihr Publikum haben. Selbst die Klangforum-Leute erzählen, dass ein bestimmtes Stück in Amsterdam oder England (noch) nicht gut ankommt oder nicht verstanden wird.

Ich find das Wiener Publikum eh auch ziemlich aufgeschlossen.

Aber das muss ja entstehen.

Ja, dazu hat die Entwicklung der letzten zehn, fünfzehn Jahre sicherlich viel beigetragen. Betrachten wir den Zuwachs des Publikums bei Wien Modern beispielsweise, da hat sich extrem viel getan. Das Interesse vor allem auch bei jungen Hörern und der Grad der Reflexion dieser Musik hat sich enorm positiv entwickelt. Dazu hat die Programmierung von Wien Modern sicherlich viel beigetragen, nicht zuletzt die Foren und Möglichkeiten des öffentlichen Austausches über das Gehörte.
Ich bin ja sehr gespannt, wie sich das weiter entwickelt…

Gut, bleiben wir bei Österreich. Mit welchen anderen Komponisten, Interpreten, Ensembles arbeitest du gerne? Du bist ja bei deinem Projektkonzert bei Wien Modern auch mit anderen Interpreten (etwa Jorge Sánchez-Chiong, Susanne Fröhlich – Kontrabassflöte oder Yaron Deutsch – E-Gitarre, Bernd Thurner – Schlagzeug) aufgetreten und hast auch Stücke anderer Komponisten (Bernhard Gander, Peter Ablinger, Tristan Murail) auf das Programm gesetzt. Und dann gibt’s das Ictus-Ensemble.

Nun ja, die Zusammenarbeit mit dem Ictus Ensemble – das ist jetzt aber nicht Österreich (lacht), das sind alles keine Österreicher, muss man gestehen.

Belgien, nicht?

… ja, Brüssel. Ich habe diese Arbeit auf kommunikativer wie auch musikalischer Ebene als äusserst positiv und enthusiastisch erlebt. Eine Situation, über die man sich als Komponistin sehr freuen kann. Die Zusammenarbeit war zugleich entspannt und sehr konzentriert, das Ergebnis – die Aufführung also – einfach fantastisch! Es ist mir eine große Freude, mit ihnen zu arbeiten. Ich schätze dieses Ensemble sehr und beobachte viele bemerkenswerte Neuerungen und Auseinandersetzungen.
Ictus sucht auch permanent nach neuen Konzepten und Alternativen zu herkömmlichen Konzertsituationen.

… auch der Vermittlung, es muss nicht nur die Situation Konzertsaal sein.

Ein offener Raum mit mehreren Bühnen, in den man hinein- und hinausgehen kann wie bei einem Rockkonzert, in dem man sich frei bewegen und seinen Standort verändern kann und soll, schafft eine völlig andere Hörsituation. Man befürchtet vielleicht, da könnte es zu einer störenden Unruhe kommen. Dem war bisher aber nie so. Etwa beim Wien-Modern-Konzert im Semperdepot: Ein Schlagabtausch der Stücke auf vier Bühnen, ein langes, facettenreiches Programm und eine unglaubllich konzentrierte Hörsituation, sehr erfrischend. Mit dem Gitarristen von Ictus, Tom Pauwels, verbindet mich eine bereits jahrelange Zusammenarbeit im Trio Elastic3. Mit ihm arbeite ich äußerst gerne, wir haben das gleiche Tempo, sind auf einer Wellenlänge sozusagen, ein Zustand, der die Zusammenarbeit natürlich positiv beeinflusst.

Aber du wolltest noch zu den anderen Musikern meiner Fokusabende mehr wissen. Susanne Fröhlich ist eine Kollegin und Freundin, die mich auch schon lange Jahre begleitet. Wir kennen einander aus der Studienzeit in Amsterdam. Schon damals haben wir einige Projekte zusammen verwirklicht. Ich halte sie für eine der kompetentesten und besten Blockflötistinnen heute. Ich komponiere gerade ein Stück für ihr Quartett QNG, das unter anderem in Salzburg bei den „Aspekten“ aufgeführt werden soll. Jorge Sánchez-Chiong ist ein unglaublich wichtiger, inspirierender Kollege für mich und die Wiener Szene, diesmal leider nicht dabei war Ludwig Bekic. Mit Berndt Thurner arbeite ich auch sehr gerne und mittlerweile auch schon einige Male. Yaron Deutsch ist einer der begabtesten Gitarristen, die ich kenne. Und Fredi, Alfred Reiter (Tontechnik), ist einfach die gute Seele eines jeden Projektes.

Es ist ja nicht einfach, Gambe und Flöte beispielsweise mit einer E-Gitarre gut auszusteuern …

.. natürlich nicht. Aber Fredi schafft den Zusammenhalt. Er war auch mit dabei, als wir jetzt in der Schweiz in der Gare du Nord spielten, dann kommt Bremen, New York, Straßburg…

… wir ist wer?

Wir, das ist „Band“, ein Trio mit Yaron Deutsch, Alfred Reiter an der Tontechnik und mir an der Gambe und Blockflöte. Wir haben Komponisten wie Gander, Romitelli, Hurel, Momi, Murail und Reiter auf dem Programm.

Weil der Name fällt: Romitelli (Anm.: 1963 –  2004), das war ja ein Komponist, der für die Fortentwicklung der Paetzold-Flöte sehr wichtig war und mit dem du dich noch austauschen konntest?

Ja. Es gibt manchmal Komponisten oder Künstler anderer Sparten, deren Arbeit in einem eine Art Initialmoment auslöst, zu deren Schaffen man sich hingezogen fühlt. Bei Romitellis Musik habe ich vieles erkennen können, das mein Denken über Musik elementar berührt. Das war eine Ausdrucksweise, eine Art des Schreibens, die mir nahe ist. Auch den Gesprächen, die ich mit ihm geführt habe, konnte ich sehr vieles abgewinnen. Ich habe sein Stück „Seascape“ für Paetzold-Kontrabassblockflöte mehrfach aufgeführt. Ich kenne kein anderes Stück, das dieses so eigentümliche Instrument derart versiert auslotet.

Du hast auch bereits mit Christian Fennesz gearbeitet …

Ja, das war großartig. Christian hatte eine Komposition zu dem japanischen Stummfilm „Nanuk, der Eskimo“ geschrieben. Mit dabei waren er selbst an der E-Gitarre, Otomo Yoshihide ebenfalls an der E-Gitarre, das Streichtrio des Klangforum Wien und ich.

Für dich, wie eingangs erwähnt, sind Alte Musik und die von dir gespielten alten Instrumente zentral. Du meintest auch, Gambe ist nicht nur etwas für „Herzeleid“-Arien, die man sanft anfassen muss. Sie ist sehr geeignet für Neue Musik und kann auch aggressiv werden. Gambe ist irgendwie auch der Gitarre ähnlich …

Ja, sie findet ihren Ursprung in einem Zupfinstrument, das auf dem Schoß gehalten wurde. Auch heute noch ist sie in Stimmung und einigen Spieltechniken der Laute, bzw der Gitarre verwandt. Man denke auch nur an die Bünde.

… und dass man mit ihr gut Akkorde spielen kann.

Aufgrund ihrer Beschaffenheit und Klangästhetik ist die Gambe sehr speziell einzusetzen.
Die Darmsaiten und auch andere bauliche Details sorgen für ein sehr spezielles Klangspektrum dieser Instrumente. Als ich neue Spieltechniken für die Gambe gesucht habe, habe ich mit Cellisten gearbeitet, um zu sehen, was sich von den spezifischen Spielweisen der neuen Musik überhaupt auf die Gambe übertragen lässt. Aufgrund des Klangresultats, der Beschaffenheit des Instruments, der filigraneren Bauweise sind es aber natürlich andere Nuancen, die dann verfolgt werden müssen. Und mit den Möglichkeiten der Mikrophonierung usw. ist die Dynamik auch kein Problem mehr. Natürlich ist die Gambe leiser als ein Cello beispielsweise, aber durch gezielte Mikrofonierung gleicht man diesen Unterschied aus. Die richtige Balance – in meinen Stücken ist es das genaue Ineinandergreifen von live und Tape – ist eine große Herausforderung für den Tontechniker.

Kann man von einer Tätigkeit wie deiner leben, was würdest du Kolleginnen und Kollegen in deinem Alter raten und sagen?

Was soll ich Kollegen in meinem Alter raten? Wir sitzen ja alle im selben Boot! Weitermachen, nicht untergehen? Die Situation, in der wir uns momentan befinden, gleicht in einigen Fällen schon einer Zumutung. Manche Honorarangebote sind wirklich extrem niedrig. Ich persönlich kann derzeit in Summe gut davon leben, weil ich so vieles mache. Es gibt viele Kollegen, die extrem viel arbeiten.

Früher hat man um zu komponieren, Studienaufenthalte und/oder „Sabbaticals“ gemacht …

Ja, ja. Und ich ziehe mich dann nach Frankfurt zurück, ich hau wirklich ab, gehe Wochen oder wochenweise weg und versuche mich selber in einen Zustand zu bringen, in dem ich nicht wie sonst ständig „vernetzt“ und ständig am „checken“ bin, sondern wo nichts anderes existiert als dieses Stück und die Gedanken zu dieser Komposition – und vielleicht dann und wann mal ein Telefonat.

Die letzte obligate Frage: Gibt es wichtige laufende und kommende Projekte?   

Was sicher wichtig zu erwähnen ist, weil es ein Herzprojekt geworden ist: Ensemble Unidas, das sind Theresa Dlouhy (Sopran), Christopher Dickie (Laute) und ich an der Gambe. Wir sind in Frankreich und auf Elba zu Konzerten, das nächste in Wien findet im Juni statt und irgendwann im Frühjahr wird auch eine CD (mit dem Titel eines Songs: „Alas poor men“) erscheinen. Dann natürlich auch „Mikado“, aber darüber habe ich schon an anderer Stelle ausführlicher berichtet. Mit „Band“ spielen wir wie gesagt mehrfach in Deutschland, New York. „Inferno musical“ – das ist ein wirklich großartiges Projekt mit Christof Kurzmann & Co – zunächst in Frankfurt, dann Argentinien. Und: 2011 wieder ein sich in Planung befindendes Projekt mit Ictus. Bei der Biennale in München gibt es am 2. Mai ein Gambenkonzert mit dem RSO Wien von Francesco Filidei. Dann kommt die erwähnte Uraufführung bei den „Aspekten“. Und ein Streichquartett …

Ohne Gambe?

Ohne Gambe! Ja, es geht so dahin. Und meine eigene Website wird bald – bald ist relativ – online sein!

Artikel über Eva Reiter (zum Nachlesen)
Wien Modern Almanach 2009, Björn Gottstein: Musikwerdung des Klangs – Über Eva Reiter
ÖMZ Daniel Ender, Entscheidung für das kompositorische Entscheiden
Falter 20/08 Carsten Fastner, Die DNA der Klänge
Falter Wien Modern-Beilage Carsten Fastner: Eingriff in die musikalische  DNA, 7.Okt.09
Kurier Judith Schmitzberger, Jeder Klang ein Stück Widerstand, 30.Okt.09

http://www.evareiter.com/
http://www.ensemblemikado.com/
http://www.lebadinage.com/
http://www.ictus.be/
http://www.wienmodern.at/
https://www.musicaustria.at/musicaustria/liste-aller-bei-mica-erschienenen-interviews