mica-Interview mit Dimitrios Polisoidis („Professor Klangforum“)

Das Klangforum Wien hat mit etlichen Mitgliedern seit 2009/10 eine gemeinsame Professur für die Studenten an der Kunst-Universität für Musik und darstellende Kunst Graz (KUG) inne. Die Veranstaltungen, Seminare, Instrumentalworkshops und Konzerte sind als Masterstudium und als postgradualer Lehrgang unter dem Titel „Performance Practice in Contemporary Music“ – auch auf Initiative der ordentlichen Professoren Gerd Kühr, Georg Friedrich Haas und Beat Furrer – Teil des Curriculums Neue Musik geworden. Seitens des Klangforums werden sie vom Solobratscher Dimitrios Polisoidis koordiniert, er stand Heinz Rögl – beide sind Bewohner des 7. Bezirks – im Café Kandinsky im Lerchenfelderstrassendurchgang Rede und Antwort, was da geschieht.

Auf der KUG-Website liest sich das so: „Ab dem Wintersemester 2009/10 werden zwei Ausbildungsprogramme“ (ein Masterstudium und ein postgradualer Lehrgang) eingeführt, deren Zentrales Künstlerisches Fach im Rahmen einer eigenen Professur betreut wird. Damit haben Instrumentalist(inn)en erstmals die Möglichkeit eine fundierte Spezialausbildung in diesem Bereich zu erlangen. Innovativ ist neben dem Studienplan, der in Repertoire und Aufführungspraxis auf aktuelle Entwicklungen der zeitgenössischen Musik eingehen kann, die neue Konstruktion, dass diese Professur nicht an eine Person, sondern mit dem Klangforum Wien an einen international höchst renommierten Klangkörper vergeben wird. Dieses Projekt wird im Rahmen der Profilbildung vom bm.wf gefördert.

Im viersemestrigen Masterstudium „Performance Practice in Contemporary Music“ sind 47 Semesterstunden an Lehrveranstaltungen geplant. Die zentralen künstlerischen Fächer beinhalten das gewählte Instrument, Kammermusik und Ensemble (22 Stunden). Im Bereich der Pflichtfächer werden unter anderem Themenworkshops über Spieltechniken in der zeitgenössischen Musik, Musikgeschichte nach 1945, Repertoirestudien und Notationskunde angeboten.

Im zweisemestrigen postgradualen Universitätslehrgang sind in beiden Semestern je drei Semesterstunden (das gewählte Instrument, Kammermusik, Ensemble) und optional 4 Semesterstunden an Wahlfächern zu absolvieren. Neben den Ensemblemitgliedern des Klangforums Wien werden auch namhafte Professoren wie Beat Furrer, Gerd Kühr, Klaus Lang (im Bereich Hospitation im Kompositionsunterricht), Georg Friedrich Haas und andere unterrichten. Für die Zulassung zum Masterstudium ist der erfolgreiche Abschluss eines Bachelorstudiums oder gleichwertigen Studiums für Violine, Viola, Violoncello, Kontrabass, Flöte, Klarinette , Oboe/Englischhorn, Fagott, Saxofon, Horn, Trompete, Posaune, Schlaginstrumente, Klavier oder Akkordeon nachzuweisen.

Die Zulassung zum Masterstudium Performance Practice in Contemporary Music erfolgt für alle Studienwerber und Studienbewerberinnen ausnahmslos über ein Eignungsvorspiel im jeweiligen Instrument. Für das Eignungsvorspiel sind folgende Werke und Pflichtstellen aus zeitgenössischer Musik vorzubereiten: Das nächste Eignungsvorspiel findet am 25. September 2010 statt!“

Und jetzt möchten wir noch die Bio von Dimitrios Polisoidis voranstellen:
Geboren 1961 in Thessaloniki. Violinstudium bei Dany Dossiou in Griechenland und Christos Polyzoides in Graz, Violastudium bei Herbert Blendinger. 1989–1993 war er Stimmführer der Bratschen im Philharmonischen Orchester in Graz. 1993 wurde er Mitglied des Klangforum Wien Seit 1993 spielt er mit dem Trio Dahinden Kleeb Polisoidis.

Dimitrios Polisoidis beschäftigt sich hauptsächlich mit Neuer Musik und wirkt bei experimentellen Improvisationsgruppen mit. Seit 1995 arbeitete er als künstlerisch-wissenschaftlicher Mitarbeiter am Elektronischen Institut der Musikuniversität in Graz (IEM Graz) mit Peter Ablinger, Bernhard Lang, Robert Höldrich, Roland Dahinden und Wilfried Ritsch an Live-Elektronik-Projekten zusammen.

Solistische Auftritte mit dem Orchestre des Pays de Savoie, Tonhalle Zürich, RSO Wien, Chromata Orchester Athen, SWR Baden- Baden u. a. CD-Einspielungen bei hatART (Basel), Klangschnitte (Graz), mode rec (N.Y.)

Heinz Rögl: Lieber Dim(m)i, so bist du mir und den Klangforern bekannt und geläufig, aber in den Programmen und auf der Website bis du offiziell Dimitrios.
Dimitrios Polisoidis: Dimi ist einfach kürzer. Der offizielle Name Dimitrios kommt aus dem Hochgriechischen, im heutigen wärs auch Dimitris.

Du stammst aus Thessaloniki. Das war ja im 19. und frühen 20. Jahrhundert vor dem „Bevölkerungsaustausch“ zwischen Izmir (Smyrna) und Saloniki ja eine Stadt mit einem hohen türkischen Bevölkerungsanteil?
Ja. Anfang des 20. Jahrhunderts war die kulturelle Hochblüte dieser Stadt. Ein Drittel der Bevölkerung waren Juden, ein Drittel Türken und dann Griechen. Die Juden waren natürlich auf ein Minimum reduziert leider … nach dem Krieg. Als ich in die Schule gegangen bin, habe ich in einem Viertel gewohnt, wo auch einige Juden gewohnt haben. Diese Juden sind aus Spanien, aus Toledo, gekommen….

… sephardische Juden …
… ja, die haben spanische Einflüsse.

Ich kannte eine – durch den Austausch aus der Zeit Kemal Atatürks aus der Türkei kommende oder flüchtende – Griechin aus der Gegend von Smyrna/Izmir. Diese Griechen und deren Nachkommen bilden ja heute teilweise noch familiäre Enklaven in verschiedenen Regionen Griechenlands, das war die vor drei Jahren verstorbene Mama von Myrto Dimitriadou (vom Salzburger Toihaus-Theater), die hatte auch eine Ferienwohnung auf Hydra…
Aahaah. Viele stammen auch aus Kleinasien. Im 19. Jahrhundert gab es nicht nur den osmanischen Nationalismus, sondern den gab es auch bei den Griechen. Auch die Unterschiede zu den Slawen, dann Makedonien …

Ich habe auch einen jüdischen Freund, der immer sagt, die Juden es in den letzten tausend Jahren nirgendwo so gut gegangen als im Osmanischen Reich, dort herrschte eine gewisse religiöse Toleranz, auch gegenüber Christen.
Ja, die waren toleranter …

Das war ein Vielvölkerstaat, in mancher Hinsicht besser als die Habsburgermonarchie. Aber zurück zum Anlass unseres Gesprächs. Du bist der Zuständige im Klangforum für die Grazer Professur. Kannst du erklären, was da zu tun ist?
Graz ist mit dem Institut Komposition und Dirigieren und den Komponisten Furrer, Haas, Bernhard Lang, Gerd Kühr, Klaus Lang, Klemens Gadenstätter, Christian Utz, Alexander Stankovski u. a. eines der besten, bestbesetzten Institute. Die Musik-Universität Graz versucht sich in bestimmten Bereichen zu positionieren um ihr Profil zu stärken. Neue Musik (also das Institut 1) gehört dazu. Und so wollten sie qualifizierte Lehrkräfte auch für den Instrumentalunterricht holen. Der Initiator war Gerd Kühr, der das Klangforum als Professor an die Uni geholt hat. Wir haben eine „Vorziehprofessur“, da wurde eben eine ganze Institution einer Person vorgezogen. Was natürlich als Idee sehr gut ist, denn man kann so Studenten mit verschiedenen Instrumentenausbildungen betreuen, nicht nur allgemein Musik machen. Man kann mehr als allgemeine Veranstaltungen halten, man kann mit dem Klangforum praktisch jeden Instrumentalisten erreichen. In diesem Studium gibt es von Haus aus verschiedenen Säulen, etwa Instrumental-Einzelunterricht, Kammermusik, Ensemble und Themenworkshops.

Parallel gibt es eine Reihe von theoretischen Fächern die unsere Studenten absolvieren müssen. U. a. über Kompositionstechniken, Notationssysteme, Elektronik – in Graz gibt es ja auch das Institut für Elektronische Musik, das auch sehr gut besetzt und aktiv ist …Neben unserer Instrumentalklasse betreuen wir gleichzeitig auch eine Reihe von Pflichtfächern für die Kompositions- und Dirigierstudenten des Instituts, die unsere Lehrveranstaltungen besuchen müssen.

Eine wichtige Dimension der Einführung dieses Studiums ist die Signalwirkung, dass Neue Musik ein wichtiger Bereich einer musikalischen Ausbildung ist. Jeder Instrumentalist, der als Absolvent einer Musikuniversität in einem Orchester oder Ensemble spielen wird, wird früher oder später mit einem zeitgenössischen Stück konfrontiert. Da ist einerseits wichtig die Beherrschung der technischen und musikalischen Herausforderungen, anderseits die Bereitschaft, dieser Musik ernsthaft zu begegnen. Unsere Aufgabe ist nicht nur den Studenten beizubringen wie sie mit den Schwierigkeiten in der neuen Musik auf ihrem Instrument umgehen müssen, sondern auch die richtige Haltung zur Musik.

Es gibt leider immer noch sehr viele Vorurteile gegenüber der Neuen Musik. Und das, obwohl die „Neue Musik“ über 100 Jahre alt ist! Das, was mit Musik des 20. Jahrhunderts in vielen Universitätskreisen gemeint wird, wird nur mit unästhetischen, unverständlichen Klängen assoziiert. Meistens liegt aber der Gewinn dieses Eindruckes an der schlechten Wiedergabe dieser Musik, wobei die Sinnlichkeit der Klänge verloren geht. Deshalb ist es umso wichtiger dieses Studium gewichtig in einer Universität zu gestalten. Die Herausforderungen für einen Interpreten in der neuen Musik haben viele Facetten. Er muss nicht nur sein Instrument im klassischen Sinn beherrschen, sondern eine Vielfalt an neuen Spieltechniken und Klängen. Er muss die technischen und klanglichen Grenzen seines Instruments ausforschen. Außerdem  gibt es viele verschiedene ästhetische Richtungen in der Musik der letzten Jahrzehnte. Er muss die stilistischen Unterschiede kennen lernen und Erfahrungen mit den musikalischen Sprachen unserer Zeit machen. Im Prinzip gilt das, was auch für die Musik anderer Epochen gilt. Mit derselben Sorgfalt, mit der man an der klanglichen Kultur beim Musizieren eines klassischen Stückes Jahre lang arbeiten muss, muss man das auch bei der Musik unserer Zeit tun.  Das muss mal allen verständlich gemacht werden.

Als eine unserer Aufgaben sehen wir auch das Abbauen der Vorurteile. Ein Ziel ist die Schaffung eines Netzwerks zwischen den verschiedenen Instituten und der Instrumental-Klassen innerhalb der Uni, um kooperativ zu arbeiten und gemeinsame Projekte zu fördern. Dazu brauchen wir natürlich Zeit.

Meine Frage ist nun: Das Klangforum ist ja sehr viel beschäftigt, macht auch viele Tourneen, gastiert in Paris, vielleicht auch bald in Madrid … wie geht’s sich das denn zeitlich für euch aus?
Es ist natürlich logistisch und organisatorisch ein Aufwand zu sehen, wann wer Zeit hat und was übernehmen kann und welche Termine wann angeboten werden können. Wir haben eine Kapazität von 16 Instrumenten, die wir als Dozenten unterrichten können. Momentan haben wir Studenten in Violine (Gunde Jäch-Micko), Cello (Andreas Lindenbaum und Benedikt Leitner), Flöte (das macht jetzt die Vera Fischer, die Eva Furrer hat viel Kammermusik gemacht), Saxophon (Gerald Preinfalk), Klavier (Florian Müller), Schlagzeug (Björn Wilker) … schon eine komplexe Konstruktion mit vielen Beteiligten. Da kommt noch die Wahlfachbetreuung hinzu. Es braucht jemanden, der das koordiniert – weil sonst ist das ein Chaos. Diese Aufgabe habe ich übernommen. Stundenplan, Terminplan, inhaltliche Akzente – eine rechnerische Arbeit. Natürlich stehen mir die Kollegen als Berater zur Seite und gemeinsam programmieren wir die Lehrinhalte des jeweiligen Semesters. Jeder Student arbeitet eine Semesterstunde mit einem Dozenten im Einzelunterricht, auch Sololiteratur, dann gibt es Kammermusik und Ensemblestücke, die wir auch einstudieren.
Gibt es auch Konzerte, bei denen ihr mit den Studenten gemeinsam spielt?
Ja, wir wollen das einmal im Jahr installieren, es wird im Juni noch so eine Veranstaltung geben. Am 30. Juni spielen wir große Ensemblestücke von einigen der Lehrenden der Universität, Beat Furrer, Gerd Kühr, Bernhard Lang und Georg Friedrich Haas.

Zurück zu Dir: Du bist mit dieser Aufgabe betraut, weil du Graz sehr gut kennst, dort studiert hast und lange Jahre in einer Art Enklave für Neue Musik teilgenommen hast … ich kann mich noch an eine meiner ersten dummen Kritiken erinnern, die ich 1990 oder so über ein Konzert in der damaligen Alten Schmiede geschrieben habe, wo du Haas spieltest und ich in den SN etwas von einem Stück, das „existenzbedrohend für die Behaarung des Bratschenbogens“ sei, gefaselt habe. Das Stück gefiel mir aber gut und diese Art von Aufträgen markierte eigentlich erst den Beginn meiner Auseinandersetzung mit Neuer Musik. Du gehörtest damals zu einer Gruppe von Musikern, ich glaube auch Bernhard Lang war da dabei …

Graz war auch damals durchaus ein Zentrum für Neue Musik, allein schon durch das Musikprotokoll usw. Und Lang oder Haas haben dort in den siebziger-achtziger Jahren studiert. An der Hochschule gab es ein paar wichtige Figuren – der eine war Andrej Dobrowolski, der aus der polnischen Schule, mit Penderecki und Lutoslawski  stammte, allerdings hat er später weniger selber komponiert, aber große pädagogische Arbeit geleistet – Bernhard Lang war auch ein Student von ihm. Und sein … nicht Kontrahent … sagen wir Kontrapunkt war der Hermann Markus Preßl, der auch sehr wichtig war, weil er eine für die damalige Zeit sehr offene Haltung gegenüber der Musik hatte. Die damaligen Studenten haben von diesem Duo sehr viel profitiert. Der eine war der strenge Akademiker, der andere ein offener Geist. Eine weitere wichtige Figur war in Graz ein wenig früher auch Gösta Neuwirth. Er hat viele Komponisten beeinflusst, die sich später einen Namen gemacht haben. Peter Ablinger, Hanspeter Kyburz, Isabel Mundry waren seine Studenten. Es gab jedenfalls viel Austausch damals innerhalb des Instituts, weil die Dozenten offen zu einander standen. In der Zeit habe ich mich sehr mit Bernhard Lang und Georg F. Haas, sowie mit vielen Komponisten in der Hochschule befreundet. Mit anderen Studenten habe wir ein Ensemble für neue Musik gegründet, das einige Werke dieses Kreises zum Erklingen gebracht hat. Mit Bernhard habe ich außerdem in mehreren experimentalen Improvisationsgruppen in Graz mitgemacht.

Du wurdest Bratscher und sehr schnell Stimmführer im Orchester der Grazer Oper.
Ja, die Bratschenstelle war gerade nach dem Studium frei – und so konnte ich das machen.

Da kann man einem dann nicht mehr viel vormachen, was den Orchesterdienst betrifft …und in das Klangforum Wien gingst du …
… durch den Peter Oswald

Lieber Dimitrios, vielen Dank für das Gespräch!

Das nächste Grazer Konzert mit „Professor Klangforum“:
Kunstuniversität Graz

30. Juni 2010, 19.45 Uhr Graz, MUMUTH
Professor Klangforum
Georg Friedrich Haas — Monodie
Beat Furrer — Fama-Szenen, Szene I
Bernhard Lang — DW 5
Gerd Kühr — Stop and go and black and white (and sometimes blue)

Dirigent: Emilio Pomárico

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